Im Interview: Laura Marti — Logistics Officer in Syrien

Katharina Dirr
Kontext
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4 min readMay 3, 2018

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Wie unterstützt man jeden Monat über 3 Millionen Menschen mit Ernährungshilfe, wenn in einem Land Krieg herrscht, wenn Strassen beschädigt oder blockiert sind und es kaum gewerbliche Transporter gibt? Laura Marti steht als Logistics Officer in Syrien jeden Tag vor diesen Herausforderungen. Im Interview erzählt sie von ihrem Berufsalltag und wie es zu ihrem Wunsch kam, beim UN World Food Programme (WFP) zu arbeiten.

1. Was sind Ihre Aufgaben als WFP Logistics Officer in Damaskus?

In unserem Landesbüro in Damaskus leite ich die Logistikabteilung für Support Functions. Dabei bin ich für ganz verschiedene Aufgaben zuständig — von der Logistik für Bargeldtransfers über die Vergabe von Verträgen an lokale Dienstleistungsunternehmen bis hin zum Management von Waren.

Wir sind gerade dabei, in Syrien die Unterstützung mit Bargeldtransfers auszuweiten. Die Idee dahinter: Funktionieren lokale Märkte noch, dann nutzt WFP z.B. elektronische Gutscheine oder Bargeld statt Nahrungsmittel, um Menschen zu helfen. Das hat zum Vorteil, dass Familien flexibler sind und selbst entscheiden können was sie essen. Um das nun in Syrien zu realisieren, analysiert meine Abteilung die Kapazitäten des lokalen Marktes und die Lieferketten der wichtigsten Nahrungsmittel — von ihrem Produktionsort über Großhändler bis zum Einkäufer. Gleichzeitig ist es für uns sehr wichtig, unser Wissen und unsere Expertise mit Akteuren und Partnern vor Ort zu teilen, um lokale Kapazitäten im Bereich Lieferketten langfristig aufzubauen und zu stärken.

Wenn es um die Vertragsabwicklung mit lokalen Dienstleistungsunternehmen für den Überlandtransport geht, garantieren wir, dass alle Verträge für den Transport unserer Nahrungsmittel, für die Zollabfertigung, die Lagerung und Reinhaltung in den Warenhäusern abgeschlossen sind und mit den WFP-Richtlinien übereinstimmen.

Außerdem kümmern wir uns um das Management der Nahrungsmittel — vom Einkauf bis zu dem Zeitpunkt, an dem die sie bedürftige Familien erreichen.

2. Warum haben Sie sich entschieden, für die Vereinten Nationen (UN) zu arbeiten?

Seit dem Abschluss meines Abiturs habe ich immer im Ausland gelebt und studiert. Es gefällt mir, mich mit Menschen zu umgeben, die einen anderen Lebensstil haben und aus anderen Kulturen kommen. Dieses „internationale Leben“ — das Weiterziehen von Ort zu Ort — hat mich immer angezogen. Mobil sein ist für mich leicht, es gehört zu meinem Leben. Schon während meines Studiums der Politikwissenschaften habe ich mich mehr und mehr für den humanitären Bereich interessiert und speziell für die Arbeit der UN.

3. Wie kamen Sie zu WFP?

Während meines Studiums belegte ich einen Kurs über internationale Organisationen. Dabei haben wir auch WFP besucht. Ich erinnere mich noch bis heute an den Moment, als wir in der WFP-Zentrale in Rom ankamen und der ganze Kurs in einem großen Konferenzraum Platz nahm, um einer Präsentation über WFP zu folgen. Am Ende wurde ein Video über die Arbeit des WFP gezeigt. Ich war fasziniert von dem Einfallsreichtum und den innovativen Ideen, die WFP an den Tag legt, um Menschen in Not an den entlegensten Orten zu unterstützen. Damals wurde mir bewusst, dass die Arbeit von WFP eine große Bedeutung hat und etwas verändert, egal wo WFP agiert. Ich sagte zu mir selbst: „Ich möchte für WFP arbeiten.“

Es kam dann so, dass ich erst einmal bei einer anderen UN-Organisation eine Anstellung bekommen habe. Aber die Idee, ein Teil des WFP zu sein, eines Teams, das einfach mal anpackt und Nothilfe für Menschen in den schwierigsten Situationen leistet, die hat mich nicht losgelassen. 2003 habe ich schließlich meine erste Anstellung bei WFP bekommen.

4. Was war bisher Ihre größte Herausforderung?

Meine jetzige Position ist definitiv nicht einfach. Die Spannbreite und Komplexität der Bedingungen, unter denen wir hier in Syrien arbeiten, ist manchmal überwältigend. Wir erreichen jeden Monat mehr als 3 Millionen Menschen im ganzen Land mit Ernährungshilfe — auf verschiedenen Wegen und mit unterschiedlichsten Arten der Hilfe. Das ist ein enormes Unterfangen. Seitdem der Krieg vor sieben Jahren ausgebrochen ist, unterstützt WFP mit einer komplexen aber sehr flexiblen Lieferkette Millionen Menschen mit Ernährungshilfe. Trotz schwieriger Bedingungen auf den Strassen, die oft schwer beschädigt oder blockiert sind, aktive Kampfhandlungen, die dazu führen, dass manche Routen unzugänglich sind und einer begrenzten Anzahl an gewerblichen Transportern, gelingt es WFP, Menschen im ganzen Land zu erreichen.

Jeden Tag bringen wir über verschiedene Korridore, Häfen und Grenzübergänge Nahrung nach Syrien. Wir kaufen Nahrungsmittel in großen Mengen und verpacken sie dann in unseren Warenhäusern in Syrien zu monatlichen Notrationen für syrische Familien. Im Durchschnitt transportieren wir pro Monat rund 40.000 Tonnen Nahrungsmittel mit über 4.000 Lastwagen und 15 lokalen Dienstleistungsunternehmen.

5. Welchen Rat haben Sie für andere, die in einer internationalen Organisation arbeiten wollen?

Es ist sicherlich nicht einfach, einen UN-Job zu bekommen. Praktische Erfahrung und die notwendigen Sprachkenntnisse sind auf jeden Fall hilfreich. Mein Einstieg, und der von vielen anderen, war ein Praktikum. Eine gute Möglichkeit ist das JPO-Programm, das von der deutschen Regierung unterstützt wird. Und wenn es nicht gleich klappt: Ausdauer und Durchhaltevermögen bringen einen weiter — nicht aufgeben! Man sollte außerdem bereit sein, an entlegenen und möglicherweise schwierigen Orten zu arbeiten — „im Feld“, wo WFP am dringendsten gebraucht wird.

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Katharina Dirr
Kontext
Editor for

Communications Officer at the UN World Food Programme (WFP) in Berlin.