Im Interview: Stephan Deutscher — Policy & Programme Officer
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Jeden Tag sind weltweit über 14.000 Mitarbeiter für das UN World Food Programme (WFP) im Einsatz. Sie arbeiten in der Zentrale in Rom oder in Verbindungsbüros wie in New York, Tokio und Berlin. Über 90 Prozent von ihnen sind in den Ländern vor Ort, in denen Bedürftige Unterstützung erhalten. Wir haben mit deutschsprachigen WFP-Kollegen über ihre Arbeit, ihre Herausforderungen und ihren Werdegang gesprochen.
1. Was sind Ihre Aufgaben als Policy & Programme Officer ?
Als Policy & Programme Officer bei WFP im Tschad bin ich gemeinsam mit meinen Kollegen für den Bereich „Cash-Based Transfers“ verantwortlich. Konkret heißt das: Wir unterstützen Bedürftige mit Bargeld oder Gutscheinen — im Gegensatz zur klassischen Ernährungshilfe über Nahrungsmittel. Der große Vorteil von Bargeld oder Gutscheinen ist, dass die Menschen Nahrungsmittel direkt bei Händlern vor Ort kaufen können. Das stärkt ihre Selbstbestimmung, aber auch die lokale Wirtschaft.
Aktuell erfordert die Krise in der Tschadsee-Region unsere besondere Aufmerksamkeit. Die Menschen in der Region haben mit schweren Voraussetzungen zu kämpfen: Ressourcen sind knapp, die Armut extrem. Gewalt durch bewaffnete Gruppen wie Boko Haram verschärft die Lage ungemein. Gemeinsam mit Partnerorganisationen unterstützen wir jeden Monat über 63.000 Flüchtlinge und Binnenvertriebene mit Bargeld und Nahrungsmittelgutscheinen. Meine Aufgaben dabei sind sehr breit angelegt: An einem Tag verhandele ich zum Beispiel Verträge mit Mobilfunkbetreibern und Mikrokreditbanken vor Ort, die für WFP als Finanzpartner wichtige Dienstleistungen für den Transfer von Bargeld oder Gutscheinen erbringen. Am nächsten Tag schule ich lokale Mitarbeiter von WFP und Nichtregierungsorganisationen.
2. Warum haben Sie sich entschieden, für die Vereinten Nationen (UN) zu arbeiten?
Mein Wunsch, bei einer Internationalen Organisation zu arbeiten, hat sich bereits während meines Studiums der Internationalen Beziehungen und Volkswirtschaftslehre in Paris herauskristallisiert. Dort habe ich mich besonders mit Lösungsansätzen beschäftigt, um Armut und umweltorientierte Probleme zu bekämpfen. Dementsprechend wollte ich mein berufliches Leben in erster Linie einer Arbeit widmen, die für mich tatsächlich Sinn macht. Mit seinen Ernährungsprogrammen widmet sich WFP einem völkerrechtlich verankerten Menschenrecht: dem Recht auf Nahrung. Gleichzeitig bieten die UN ein sehr interdisziplinäres Arbeitsspektrum, das einen kulturellen Austausch mit Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern zulässt.
3. Wie kamen Sie zu WFP?
Den Einstieg bei WFP ermöglichte mir ein Praktikum im Berliner Verbindungsbüro. Im Anschluss konnte ich über ein Stipendium des Carlo-Schmid-Programms meine berufliche Laufbahn bei WFP im Regionalbüro für West- und Zentralafrika in Dakar fortsetzen. Während dieser beiden Stationen hatte ich die Chance genug Erfahrung zu sammeln, um anschließend mein Profil als Policy & Programme Officer zu festigen — erst in Rom, dann im Tschad.
4. Was war bisher Ihre größte Herausforderung?
Eine Transfer-Plattform im Tschad aufzubauen. Wir standen vor dem Ziel, monatlich über 300.000 Menschen im ganzen Land mit Bargeld und Gutscheinen zu unterstützen. Doch wie setzt man das um, wenn die Finanzstruktur (vor allem im ländlichen Raum) extrem mangelhaft ist? Wenn man mit großen Distanzen und einer fragilen Sicherheitslage konfrontiert ist? Das war extrem spannend, aber auch herausfordernd. In vielen Regionen im Tschad gibt es ja überhaupt keine Banken. Da sind wir ausschließlich auf die finanziellen Dienstleistungen eines Mobilfunkanbieters angewiesen.
5. Welchen Rat haben Sie für andere, die in einer internationalen Organisation arbeiten wollen?
Um bei einer internationalen Organisation einzusteigen, bedarf es neben einer ausgeprägten Kommunikationsfähigkeit, inklusive Sprachkenntnissen, vor allem kulturelle Anpassungsfähigkeit und soziale Kompetenzen. Meine eigenen Erfahrungen zeigen zudem, dass ein hohes Maß an Geduld und Flexibilität für diese Arbeit förderlich ist. Beispielsweise muss man bei der Arbeit in vielen Einsatzorten auf einen gewissen Komfort verzichten und Kompromisse im Privatleben eingehen. Praktika sind oft eine sehr gute Einstiegsmöglichkeit, werden allerdings leider nicht immer bezahlt. Um die Finanzierung eines solchen Praktikums zu ermöglichen, kann ich das Carlo Schmid Programm aus eigener Erfahrung sehr empfehlen.