Zukunft erlebbar machen

Der Entwicklungsprozess eines Zukunftsprototypen

Rosalie von Boch
zero360
4 min readJul 14, 2020

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Die Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen ist für viele Organisationen heutzutage wichtiger Bestandteil: Was sind mögliche Entwicklungen von Bedürfnissen, neuen Herausforderungen und Chancen der Zukunft, die für uns relevant sind?

Da Zukunft aber nicht vorhersehbar und hoch komplex ist, fällt es vielen Organisationen schwer, sich systematisch mit ihr auseinanderzusetzen, denn das Denken in verschiedenen Zukunftsszenarien erfordert viel Abstraktionsvermögen.

Doch was wäre, wenn wir Zukunftsszenarien erlebbar machen könnten?

Wenn wir Menschen in eine mögliche Situation von morgen hineinversetzen, können sie emotionale Reaktionen auf das Erlebte äußern. Dies ermöglicht es, hochwertige Gespräche über die Zukunft zu führen und wertvolle Erkenntnisse über wünschbare und vermeidbare Zukunftsentwicklungen zu erhalten.

Für diesen Zweck entwickeln wir bei zero360 fiktive Produktprototypen. Durch die Interaktion mit den fiktiven Prototypen wird Zukunft real.

Wie der Entwicklungsprozess eines solchen Zukunftsprototypens bei zero360 abläuft und worauf man achten muss, möchten wir euch im Folgenden, anhand des beispielhaften Prototypens “Call Your Granny” vorstellen. In unserem Artikel, “Einmal Zukunft und zurück. Wie Zukunftsprototypen uns dabei helfen, die Welt von morgen auszuprobieren”, erhaltet ihr einen Überblick über das Projekt.

Worauf muss ich bei der Entwicklung eines Zukunftsprototypen achten?

Es gibt zwei Eigenschaften, die ein guter Zukunftsprototyp erfüllen muss:

  1. Kohärenz: Der Zukunftsprototyp und das Szenario, in dem dieser eingebettet ist, muss einen Zusammenhang zu gegenwärtigen Entwicklungen aufweisen, um aus Sicht des Betrachters glaubwürdig zu erscheinen.
  2. Diskutierbarkeit: Der Zukunftsprototyp soll zum Nachdenken anregen und eine Debatte auslösen, die dazu anstiftet, über wünschbare und vermeidbare Zukunftszustände und Entwicklungen, sowie persönliche Veränderungsmotivationen zu reflektieren.

Kohärenz herstellen

Trendrecherche

Um Kohärenz herzustellen, führten wir im ersten Schritt eine Recherche zu gegenwärtigen Trends zum Thema “Beziehungen halten” durch. Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass neben der technologischen Dimension auch soziale, ökonomische, ökologische und politische Dimensionen einbezogen werden, um ein umfassendes Bild zu erhalten, auf dessen Basis der Prototyp entsteht.

Im Themenfeld des “Beziehung-Haltens” identifizierten wir mit Hilfe unseres Trendradars eine Reihe an technologischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Trends.

Zukunftsthesen

Anschließend priorisierten wir die relevantesten Entwicklungen im Kontext des “Beziehung-Haltens” und formulierten dahinterliegende Zukunftsthesen.

Priorisierte Entwicklungen

  • Auseinanderdriften der Lebenswelten von Alt und Jung durch schnelllebige Welt und institutionalisierte Trennung der Lebenswelten
  • Künstliche Intelligenz wird zum realen Akteur
  • Natural Language Processing lässt künstlich generierte Stimmen durch realistische Elemente, wie Atmung, menschenähnlich erklingen

Zukunftsthesen

  • Auseinanderdriftende Lebenswelten führen zur zunehmenden Vereinsamung von Senioren
  • Künstliche Intelligenz ermöglicht Senioren die soziale Teilhabe
  • Natural Language Processing lässt künstliche Stimmen so echt erklingen, dass man nicht mehr unterscheiden kann, ob man sich mit einem Menschen oder einer Maschine unterhält

Mit Hilfe der Zukunftsthesen lassen sich zugespitzte Aussagen über mögliche Entwicklungsrichtungen und damit einhergehende Probleme, Bedürfnisse und Wünsche treffen auf deren Basis wir eine Reihe an Ideen für zukünftige Innovationsfelder generierten.

Prototypen diskutierbar machen

Nun steht die Zukunftsidee im Raum. Doch wie können wir diese Idee und die dahinter liegenden Thesen testen?

An dieser Stelle kommt der Zukunftsprototyp ins Spiel. Dieser macht die Zukunftsidee in einem Artefakt der Zukunft greifbar und durch die Einbettung in eine Situation, die einen Bezug zum eigenen Leben und Tun hat, erlebbar.

Im Case “Call Your Granny” entschieden wir uns für die Entwicklung einer App (Artefakt). Eingebettet wurde das ganze in das Aufpoppen eines Software Updates im Moment der Kontaktsuche, welches den Nutzenden vorschlägt, automatisierte Familienanrufe zu tätigen, um mehr Zeit für sich selbst zu haben (Situation).

Hochwertige Gespräche über die Zukunft führen

Das Ziel des Zukunftsprototypens ist es, euren Gegenüber in eine möglich Welt von morgen zu versetzen. Der Zukunftsprototyp “Call your Granny” ist eine bewusst provokante Zuspitzung von technischen und gesellschaftlichen Trends, da wir in unserem Gegenüber starke emotionale Reaktionen hervorrufen wollten, um nicht bloß Meinungen zu hören, sondern tiefe Gespräche über Wünsche, Ängste, Herausforderungen und Möglichkeiten der Zukunft des Beziehung-Haltens zu führen.

Durch das Erlebnis dieser physischen Situation können Menschen emotionale Reaktionen auf das, was sie erleben, äußern und eine aktive Positionierung und Reflektion über Wünschbares, zu Vermeidendes und über Dinge, für die man sich einsetzen möchte, leisten. Präsentiert dazu eurem Gegenüber den Zukunftsprototypen und lasst sie/ihn diesen durchleben. Achtet darauf, dass euer Gegenüber ihre/seine Gedanken laut ausspricht. Auf dieser Basis entstehen nach der Erfahrung des Prototypens wertvolle Diskussionen.

Ableitung von Innovationsfeldern treffen

Ein gutes Zukunftsgespräch ermöglicht es zum einen, Trends und Thesen einfach zu validieren, dadurch, dass Nutzende Antworten darauf geben welche Entwicklungen der Gegenwart sie im vorliegenden Prototypen wiedererkennen. Zum anderen bieten die emotionalen Reaktionen der Nutzenden einen Einstieg, um über Bedürfnisse und Veränderungsmotivationen zu reflektieren:

“Unter welchen Bedingungen bist du bereit, Teile deines Lebens von künstlicher Intelligenz steuern zu lassen?”

“Welche Veränderungen würdest du dir im Kontext “Zukunft des Beziehung-Haltens wünschen?”

Aus den Antworten der Nutzenden auf diese Art von Fragen ließ sich eine Strategie für den verantwortungsvollen Einsatz von K.I. im Kontext des „Beziehung-Haltens“ ableiten.

Falls euch die Zukunft in eurer Arbeit beschäftigt und ihr Interesse daran habt, euch möglichen Innovationsfeldern über Zukunftsprototypen anzunähern, könnt ihr uns gerne kontaktieren. Schreibt uns einfach eine Email an: boch@zero360.de

Dieser Artikel wurde verfasst von:

Jana Wichmann, Lead Agility & Operations, zero360

Veit Vogel, Lead Public & Future Design, zero360

Rosalie von Boch: Strategic Product & Service Designer, zero360

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