Blendle: Ein radikales Experiment mit Micropayments für Journalismus, 18 Monate später

Ein Jahr Journalismus, ohne Abos, ohne Werbung und ohne Clickbait

Alexander Klöpping
Re: Blendle

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Vor eineinhalb Jahren haben wir unser Start-up Blendle, bei dem Nutzer für einzelne Artikel zahlen, auf den holländischen Markt gebracht. Das Ziel: Wir packen alle Zeitungen und Zeitschriften des jeweiligen Landes hinter eine (verdammt sexy) Paywall und gestalten sie so einfach, dass auch junge Menschen wieder für Journalismus zahlen.

Damals dachten die meisten Zeitungen und Magazine in unserem winzigen Land, dass wir dieses Jahr nicht überleben würden. Nach so vielen misslungenen Versuchen von Verlagen, online Geld zu machen, dachten viele, dass es keine andere Lösung als Clickbait und Katzenvideos gibt. Warum sollten Menschen für Journalismus zahlen, wenn es doch so viele kostenlose Dinge im Internet gibt?

Aber hier sind wir und leben noch. Mit mehr als 400.000 Nutzern in den Niederlanden (das ist fast jeder einzelne Holländer), von denen die meisten unter 35 Jahre alt sind, zeigen wir, dass Menschen gerne für guten Journalismus zahlen (obwohl wir Katzenvideos natürlich auch mögen). Wir hoffen, dass unser zweites Jahr mit dem Start in Deutschland und den globalen Lizenzen von The New York Times, The Wall Street Journal und The Washington Post sogar eine noch verrücktere Achterbahnfahrt wird.

Blendle.com

Warum haben Menschen bisher nicht für guten Journalismus gezahlt — und warum tun es viele auch immer noch nicht?
Verlage stehen im ständigen Kampf um Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund veröffentlichen die meisten Zeitungen und Magazine ihre guten Geschichten kostenlos. Artikel, die gebührenfrei angeboten werden, erzielen das größte Aufkommen — und das kann wiederum durch Werbung in Geld verwandelt werden. Doch immer mehr Verlage realisieren, dass sie ihre Unternehmen nicht nach diesem Modell aufbauen können. Einkünfte durch Werbung nehmen immer stärker ab, der Wettbewerb auf Facebook und Google ist erbarmungslos. 41% der jungen Menschen nutzen bereits Plugins, die Werbung blockieren, immer mehr Kids nutzen den Inkognito-Modus, hinterlassen keine Cookies — außerdem ist „Native Advertising“, also Werbung in Artikel-Form, für Leser und Journalisten genau so unangenehm.

Wie Tom Standage vom Economist sagt:

„Die Ansicht des Economist ist, dass Werbung nett ist, und wir nehmen natürlich Geld wo wir es kriegen können, aber wir gehen davon aus, dass es verschwinden wird. Ich habe nichts gegen Werbung als Einnahmequelle, wenn es Teil des Mix’ ist, aber es fasziniert mich, dass Menschen versuchen, [von Werbung alleine] auszukommen.“

Aus diesem Grund ziehen immer mehr Verlage ihre eigenen Paywalls hoch und diversifizieren so ihre Einkommensquellen. Die meisten von ihnen nutzen eine der folgenden drei Methoden:

  1. Eine Paywall namens „The Meter“
    Jeden Monat stellen Zeitungen einige Artikel kostenlos zur Verfügung. Danach muss jeder Nutzer für den Zugang bezahlen. Eine Meldung informiert dann den Nutzer, dass er oder sie ein Abonnement abschließen muss, um weiter zu lesen. Das macht The New York Times bereits seit 2011 und bisher hat es ganz gut funktioniert. Deswegen haben bereits viele Verlagshäuser dieses Modell übernommen. Das einzige Problem: Das funktioniert vielleicht für große Zeitschriften, wie die Times, in großen Märkten, nicht aber für kleine Zeitschriften in kleinen Märkten. Nur ein kleiner Prozentsatz von Menschen wird überhaupt auf die Paywall stoßen und ein noch kleinerer Teil wird dann ein Abo kaufen. Man braucht zig Millionen Besucher, um damit langfristig Erfolg zu haben.
  2. Das „Freemium Modell“
    Die guten Dinge gibt es kostenlos, aber um die wirklich guten Dinge zu sehen, braucht man ein Abo. Die deutsche Zeitung BILD nutzt dies bereits: Einige Artikel sind mit dem BILD+-Logo versehen, dafür braucht man dann ein Abo für 5€ im Monat, um diese lesen zu können.
  3. Die harte Paywall
    Bei jedem Link, den man klickt, sieht man so etwas: Bezahle jetzt! Oder geh! Die besten Beispiele dafür sind die Financial Times und The Times in Großbritannien. Das funktioniert, wenn man wirklich die Inhalte dieser Zeitungen lesen möchte. Doch die meisten Leser verlassen die Seite nach drei Sekunden.

Diese Modelle haben eine Sache gemeinsam: sie versuchen den Menschen ein Abo aufzuschwatzen. Aus der Verlagsperspektive macht das Sinn — wenn man viele Abonnenten hat, dann ist das für den Verlag gut. Aber im Internet möchte niemand dazu gezwungen werden ein Abo abzuschließen. Trotzdem errichten Verlage weiterhin Paywalls, die immer weiter begrenzt werden. Ein Muster zeichnet sich ab:

Die Paywall der Financial Times
Die Paywall des TIME-Magazines
Die Paywall des Wall Street Journal

Menschen hassen Paywalls. Man muss sich bei jedem einzelnen Magazin und jeder einzelnen Zeitung, die man lesen möchte, immer und immer wieder anmelden. Und dann zahlt man monatliche Gebühren für die komplette Website, obwohl es dort eine Menge Dinge gibt, die man gar nicht lesen möchte.

Also haben wir begonnen nachzudenken.

Journalismus muss nutzerfreundlicher werden

Was wäre, wenn:
- Du jeden Artikel lesen könntest, der dich interessiert
- Du dich nur ein Mal anmelden müsstest, um alles lesen zu können
- Du nur für die Artikel zahlen müsstest, die du auch wirklich liest
- Du dein Geld zurückbekommst, wenn du den Artikel nicht magst
- Es kein Abo gäbe
- Es keine Werbung gäbe

Genau dieses Konzept haben wir vor einem Jahr auf den holländischen Markt gebracht.

Damals haben wir Blendle als das „iTunes des Journalismus“ gepitcht. Aber bei Blendle geht es nicht darum, wenig zu zahlen und viel zu konsumieren. Es geht um das angenehme Lesen und die Zahlung mit nur einem Klick. Es geht um den Fokus auf die beste Nutzer-Erfahrung, die wir mit der Geld-Zurück-Option direkt umgesetzt haben. Und es geht vor allem darum, dass wir dem Leser helfen, den besten Journalismus zu finden.

Während der letzten zwölf Monate haben wir in den Niederlanden bewiesen, dass es einen neuen Markt für Verlagshäuser, abseits der Abos und der Werbung, gibt. Ohne einen einzigen Euro für Marketing auszugeben, haben wir eine Viertelmillion Nutzer gesammelt. In dieser kurzen Zeit generierten wir eine gute Summe an Geld (ich kann leider nicht sagen wie viel, nur so viel, dass es mehr ist, als Apple für Verlage generiert). Aber viel wichtiger: es ist das Geld von Menschen, die vorher nicht für Journalismus gezahlt haben.

Hier ein paar Dinge, die wir in unserem ersten Jahr gelernt haben:

Kleinbeträge funktionieren auch im Journalismus

Das habe ich möglicherweise schon erwähnt.

Aber sie funktionieren nicht für News.

Wir verkaufen nicht viele Nachrichten auf Blendle. Leser wollen anscheinend kein Geld für das bezahlen, was sie sowieso überall auch kostenlos bekommen können. Leser geben ihr Geld für Hintergrund-Geschichten aus. Gute Analysen. Meinungsstücke. Lange Interviews. Das sind die Dinge, die gut laufen. In anderen Worten: Menschen wollen kein Geld für das „Was“ ausgeben, sondern für das „Warum“.

Unsere Leser bestrafen Clickbait mit der Geld-Zurück-Option

2015 fühlte es sich zum Teil so an, als wäre Buzzfeed das beste Beispiel für modernen Journalismus. Egal zu welcher Journalismuskonferenz man auch ging, das Logo war überall zu finden. Als Journalist fühlt man sich heute teilweise so, als müsse man Clickbait-Überschriften schreiben, anstatt gut recherchierte Artikel. Aber Buzzfeed funktioniert nicht, wenn die Leser einzeln für die Artikel zahlen müssen.

Bei Blendle sehen wir das jeden Tag. Gossip Magazine haben eine höhere Refund-Rate (teilweise bis zu 50% der Einkäufe), weil sie letztendlich gedruckte Clickbait-Beiträge sind. Leser werden nur für Inhalte zahlen, die es auch wert sind Geld zu zahlen. Bei Blendle ist nur qualitativ hochwertiger Journalismus ganz vorne mit dabei.

Wir bei Blendle sind davon überzeugt, dass Kleinbeträge helfen, guten Journalismus zu fördern. Als Verlagshaus muss man in unheimlich gute Artikel investieren, damit Leser bereit sind dafür Geld auszugeben. Glücklicherweise wird jeden Tag guter Journalismus produziert.

Kleinbeiträge und die Geld-Zurück-Option kreieren einen guten Richtwert für Qualität

Seit bereits 20 Jahren schon verfolgen Verlagshäuser die Zahlen der Seitenaufrufe. So schrieb auch der CEO von Chartbeat:

„Je mehr Seitenaufrufe eine Seite bekommt, desto mehr Leute lesen und desto erfolgreicher ist die Seite. Das haben wir zumindest gedacht. Chartbeat hat sich das wirkliche Nutzerverhalten von 2 Milliarden Nutzern im Internet über einen Monat hinweg angeschaut und herausgefunden, dass die meisten Nutzer, die klicken, nicht wirklich lesen. Letztendlich haben bis zu 55% aller Nutzer nur 15 Sekunden aktiv auf der Website verbracht“

Immer mehr Herausgeber schauen sich eher die Dauer an, in denen Leser tatsächlich auf der jeweiligen Seite sind, als die Zahl der Seitenaufrufe. Es ist wichtiger die Beschäftigung auf der Seite in Minuten und Sekunden nachzuverfolgen, als die Zahl der Links, die geklickt werden.

In den Niederlanden haben Journalisten jetzt Zugang zu zwei wichtigen Richtwerten für ihre Geschichten:

  1. Wie viel Einkünfte konnten die Artikel in Kleinstbeiträgen generieren?
  2. Wie viele Leser haben von der Geld-Zurück-Option Gebrauch gemacht?

Wenn die erste Zahl steigt und die zweite sinkt, dann läuft bei der Veröffentlichung alles richtig. (Im Durchschnitt nutzt ein Leser in 5% aller Fälle die Geld-Zurück-Option. Die allermeisten davon, weil sie sich verklickt haben, und den Beitrag innerhalb von Sekunden wieder schließen.)

Die Einkünfte durch Micropayments sind Zusatz-Einkünfte

Vor einem Jahr waren holländische Herausgeber skeptisch und hatten Angst: Würden wegen Blendle Abonnenten davonlaufen? Einige von ihnen haben Blendle sogar in die Skripts der Aboservices integriert, wenn jemand sein Abo kündigen wollte. Heute wissen wir, dass Blendle nicht die derzeitigen Leser anspricht, sondern eine neue Gruppe von Menschen, die bisher nicht für Journalismus gezahlt hatte. Und wir haben herausgefunden, dass wir im kommenden Jahr eine Menge guter Dinge erreichen können. Wir wollen Pionier von Micropayments für Journalismus bleiben. Wir werden daran arbeiten, dass die Herausgeber Blendle in ihre Apps und Webseiten integrieren werden.

In unserem zweiten Jahr werden wir uns darauf konzentrieren international zu expandieren.

Wir werden so herausfinden, ob Holländer einfach nur verrückt sind oder ob das Konzept von Micropayments wirklich funktioniert. Hoffentlich wachsen wir so, dass wir eine brauchbare Alternative zu den bisherigen Modellen werden. Eine Alternative mit viel weniger Fokus auf Werbung und viel mehr Unterstützung von gutem Journalismus.

Und jetzt: das GIF einer Katze.

Wenn du Blendle magst, dann teile unsere Geschichte. Danke.

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