Über die wissenschaftliche Disziplin Zukunftsforschung

Aileen
Die Zukunftsbauer — was ist deine Mission?
4 min readJun 30, 2019

Man kann Zukunft studieren? Ja, kann man! In diesem kurzen Blog Eintrag zeigen wir Dir, was Zukunftsforschung ist und warum es um viel mehr geht als nur eine wissenschaftliche Disziplin.

Eine Auseinandersetzung mit Zukunft begleitet die Menschheit bereits seit ihrer Entstehung. Orientierte sich der Mensch hierfür vor tausenden Jahren an Orakeln und vertraute auf Schamane, findet seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein systematischer Umgang mit Zukunft auf Basis von Erkenntnis und Rationalität statt und die Zukunftsforschung als wissenschaftliche Disziplin bildete sich heraus. Entgegen Erwartungen widmet sich die Zukunftsforschung dabei nicht der Vorhersage einer Zukunft, sondern beschäftigt sich mit Wandel und der Entwicklung alternativer Zukünfte. Zugänglich sind dabei immer nur gegenwärtige Zukünfte und keine zukünftige Gegenwart. Das heißt, der Gegenstand der Zukunftsforschung, die Zukunft, bildet keine zukünftige Gegenwart, sondern Zukunft ist vielmehr immer das, was jeweils heute erwartet wird (vgl. Grunwald 2009).

Die Zukunftsforschung ist damit vor allem eine Gegenwartsforschung (Grunwald 2009, S. 33).

Dabei dienen hier Zukunftsbilder, die sich auf ein solides, wissenschaftlich erarbeitetes Wissen stützen, der Orientierung für das Treffen gegenwärtiger Entscheidungen (vgl. Kreibich 2013; Neuhaus 2015). Methodik und Erkenntnisse orientieren sich an wissenschaftlich erarbeiteten und erprobten Standards und Gütekriterien, denn der Methodologie kommt in der Zukunftsforschung eine besondere Bedeutung zu (vgl. Steinmüller 1997, S. 28ff.; Schüll 2009, S. 223). Hier bildeten sich in den letzten Jahren eigene Verfahren und Techniken heraus, die „der spezifischen erkenntnistheoretischen und pragmatischen Situation der Zukunftsforschung angepaßt sind“ (Steinmüller 1997, S. 28ff.). Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Methoden vor allem durch ihren Zugang zur Zukunft, der wiederum auf unterschiedliche Denkschulen und den Zweck des spezifischen Prozesses der Zukunftsforschung zurückgeht. Dabei hat sich in den letzten Jahren vor allem die Arbeit mit Szenarien bewährt.

Ein Szenario, griechisch für „Schauplatz einer Handlung“ (von Reibnitz 1992, S. 12), soll als „Denkhilfe“ auf Mögliches aufmerksam machen (vgl. Kahn und Wiener 1968, S. 252).

Im Fokus der Zukunftsforschung als wissenschaftliche Disziplin, wie sie am Institut Futur der FU Berlin gelehrt wird, steht der Denkansatz, sich Zukünftigem sowohl mittels explorativen Methoden im Rahmen eines Dreiklangs aus plausiblen, möglichen und wahrscheinlichen Zukünften zu nähern als auch mit Hilfe von normativen Methoden, also wünschbaren Zukünften (vgl. Schüll 2009).

So geht es neben der Vorausschau an Hand der Analyse externer Faktoren zunehmend in der Zukunftsforschung um ein Verstehen, welches auch das Innere, also z. B. Gefühle, Sprache oder die Kultur miteinschließt, mit dem Ziel, vor allem gegenwärtige Beweggründe des Handelns umfänglich zu verstehen. Dieser Ansatz wird in der Wissenschaft durch das recht junge Forschungsfeld Integral Futures abgebildet (vgl. Slaughter 2012, S. 27). So wird an der FU Berlin beispielsweise zwischen Methoden im Bereich constructing (Zukunftsbilder entwickeln) sowie deconstructing futures (das Jetzt auseinandernehmen) unterschieden.

Statt die Zukunft nur zu verstehen, wird es wesentlicher, die Zukunft auch „zu nutzen“, d.h. eine aktive und vor allem partizipative Gestaltung vorzunehmen (vgl. Miller 2015).

Dabei bildet hier die Arbeit mit Science-Fiction eine wichtige Rolle, weil Science-Fiction nicht nur die Wahrnehmung von technischen Fortschritt besonders gut visualisiert, sondern auch ein gegenwärtiges Verständnis von Hoffnungen und Ängsten thematisiert. So schreibt der Globalhistoriker Harari (vgl. 2017) sogar, dass allein die Fiktion überhaupt erst die Grundlage für Gesellschaften bildet und das ist, was den Homo Sapiens vor tausenden Jahren abgesetzt hat:

„How did Homo sapiens manage to cross this critical threshold, eventually founding cities comprising tens of thousands of inhabitants and empires ruling hundreds of millions? The secret was probably the appear-ance of fiction. Large numbers of strangers can cooperate successfully by believing in common myths. Any large-scale human cooperation — whether a modern state, a medieval church, an ancient city or an archaic tribe.“ (Harari 2017, S. 27f) .

Auch bei dem Zukunftsforscher Tiberius (2012, S. 49f) findet sich die Idee, dass Zukünfte weitaus radikaler gedacht werden müssen als bisher und er betont, dass Zukunftsvorstellungen generell immer nur mentale Fiktionen und keine objektiv gegebenen Fakten sind, sodass viel öfter gefragt werden sollte, was überhaupt grundsätzlich möglich oder unmöglich ist!

Die Kraft des Bilder und das, was ein Zukunftsbild mit uns macht, ist der treibende Faktor, wenn es um Zukunft geht und nicht die Fakten, die uns vermeidliche Wahrheiten über die Zukunft verkaufen wollen:

“Nicht nur Menschen, sondern auch Organisationen und andere soziale Systeme existieren stets nur in der Gegenwart, an der Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft. In jedem Moment aber machen sie sich Bilder von der Vergangenheit, die hinter hinbewegt werden. Doch wie kann man sich die Präsenz von Zukunft in der Gegenwart vorstellen? Meine Antwort lautet: Die Menschen, Organisationen, soziale Systeme machen sich Bilder von ihrer Zukunft. Und diese Bilder sind stets auch das Einzige, was von der Zukunft existiert.” Christian Neuhaus

Was Neuhaus meint, zeigt die folgende Abbildung:

Das Erforschen von Möglichem ist ein wichtiger Teil der Analyse von Zukunft. Der wichtigere aber ist das eigene Bewusstsein für dessen Gestaltung. Und hier setzen wir an. Wir zeigen, wir man dieses Bewusstsein schärfen kann, welche Kniffe und Werkzeuge helfen, Zukunft zugänglich zu machen, vor allem aber geben wir Raum für eigenes Denken und Imagination.

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis senden wir dir gern zu bzw. veröffentlichen es in dieser Publikation in den kommenden Tagen. Die Inhalte des Artikels entstammen der Masterarbeit der Gründerin Aileen Moeck, die 2018 am Institut Futur der FU Berlin veröffentlich wurde.

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Aileen
Die Zukunftsbauer — was ist deine Mission?

Futurist, visionary & strategic mind, founder & activist, transformation, innovation and imagination @dieZukunftsbauer & @DasZukunftsbauerInstitut