Teil 4: Die Digitale Transformation

Aileen
Die Zukunftsbauer — was ist deine Mission?
6 min readJun 25, 2019

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Was ist die digitale Transformation und wie hängt sie mit dem Wandel der Arbeitswelt zusammen? Darum soll es in diesem Artikel gehen.

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Die „digitale“ Gesellschaft — ein Versuch die Gegenwart zu erklären?!

Für Soziologen des 20. Jahrhunderts war die Transformation der Industrie- in die Wissensgesellschaft früh spür-, jedoch schwer greifbar. Wahrscheinlich erkannten sie diesen nicht, weil sie sich mitten in diesem Wandel befanden. Meist braucht es Zeit und Abstand, um rückblickend zu verstehen, wie und warum es zu Veränderungen kommt. Ähnliches gilt für Soziologen der Gegenwart. Mit dem Übergang in die Spätmoderne, scheinen sie sich aktuell an einem Punkt zu befinden, wo gesellschaftliche Anpassungsverzögerungen (wir erinnern uns nach William Fielding Ogburn aus Teil 1) verstärkt wahrgenommen werden. Dabei ist noch unklar, wo genau der Motor des Wandels liegt.

In der Sozialwissenschaft tauchen viele verschiedene Begriffe auf, die zeigen, dass es anscheinend schwerfällt sich auf eine Erzählung zu einigen: Digitale Gesellschaft, Überflussgesellschaft, Netzwerkgesellschaft, Gigabit-Gesellschaft, Granulare Gesellschaft oder auch Erlebnisgesellschaft. Natürlich versuchen Soziologen sich mit Begrifflichkeiten neu entstandenen Strukturen der spätmodernen Gesellschaften zu nähern. Gleichzeitig aber müssen diese auch kritisch reflektiert werden. Bei der Industriegesellschaft handelt es sich um ein anerkanntes Gesellschaftsmodell, dass auf die Industrie aufbaut, ein „umfangreich soziologisch erforschtes komplexes Gebilde mit Fabriken, Fordismus, Arbeitsteilungen und Lebensbedingungen“. Und auch die Idee der Wissensgesellschaft hat sich in der Soziologie über die letzten Jahre manifestieren können und gilt als allgemeingültig.

Dennoch sind diese neuen Gesellschaftstypisierungen relevant, da sie in einem frühen Stadium erfassen, welche Ängste und welche Hoffnungen mit der stattfindenden Transformation verbunden sind.

Im Folgenden möchten wir auf den Begriff der Digitalen Gesellschaft eingehen, weil er einerseits medial oft kolportiert wird und aus unserer Sicht eine intelligente Annäherung an aktuelle gesellschaftliche Zusammenhänge bietet.

Die Digitale Gesellschaft

Virtual Reality, Videokonferenzen, sich selbstschnürende Schuhe oder mit der Uhr das Wetter voraussagen. Was 1985 im Film „Zurück in die Zukunft“ noch reine Fiktion war, stellt in der spätmodernen Gesellschaft bereits etablierte oder rein technisch umsetzbare Aktivitäten dar. Möglich machen das zahlreiche ITK-Errungenschaften der letzten Jahre, allen voran der kommerzielle Durchbruch des Internets. Seitdem erfahren wir eine zunehmende Digitalisierung. Dieser Begriff meint streng genommen die „digitale Umwandlung und Darstellung bzw. Durchführung von Information und Kommunikation oder die digitale Modifikation von Instrumenten, Geräten und Fahrzeugen“. Weiter gefasst wird unter Digitalisierung vielmehr der mit diesem Prozess einhergehende soziale Wandel. Dabei repräsentiert der in diesem Zuge immer wieder auftauchende Begriff der Digitalen Revolution die jüngeren Entwicklungen seit 2002 und vor allem die seither stetig wachsende Anzahl mobiler Endgeräte. Die Digitalisierung, die kein neues Phänomen ist, wurde so allerdings auf ein neues Level gehoben und aus der digitalen Welt (virtuelle Welt, das Web) wird zunehmend eine digitalisierte Welt (Digitales in der echten Welt), die Grundlage für die Idee der digitalen Gesellschaft.

Hierzu ein paar Zahlen: Im Vergleich mit 35 anderen globalen Volkswirtschaften nimmt Deutschland bei der Digitalisierung zwar nur Platz 17 ein (Acatech 2017), insgesamt aber besitzen bereits 81% der Deutschen privat über ein Smartphone (Statista 2018). Dank immer praktischer werdenden Services wie Ortungsdienste oder digitaler Assistenten, ist das Smartphone, das populärste Endgerät, dabei für viele nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Die ursprüngliche Funktion des Telefonierens ist dabei zweitrangig, so nutzen 45% vor allem Messaging Dienste (Statista 2018) oder andere Services wie Onlineshopping, Arzttermine buchen, sich mit den Nachbarn vernetzen oder ein Auto leihen. Mittlerweile gibt es kaum noch einen Service, der nicht auch mobil mit dem Smartphone bedient werden kann und kaum eine Ware, was nicht auch online vertrieben wird. So ist der Umsatz im Apple Appstore in nur zwei Jahren von 2014 auf 2016 um 50% gestiegen (Statista 2018). Auch im Arbeitskontext nutzen über 80 Prozent der Beschäftigten in Deutschland mittlerweile ITK in ihrer beruflichen Tätigkeit (BMAS 2017).

Die Masse der Daten wächst

Die wachsende Masse an Daten, die durch digitale Services und Mensch-Technik-Interaktionen dabei in den letzten Jahren seit der ersten Welle der Digitalisierung gesammelt wurden, bieten aktuell die Basis für immer neuere Technologien und die Entwicklung von smarten Produkten. Dabei spielt zunehmend die Vernetzung verschiedener Geräte eine Rolle:

“The digital revolution that has been occurring since the middle of the last century. It is characterized by a fusion of technologies that is blurring the lines between the physical, digital, and biological spheres.“ (nach Schwab 2016)

Hier hat sich in den letzten Jahren das Schlagwort der vierten Industriellen Revolution etabliert, welche tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen werde, als alle anderen Revolutionen seit Beginn der Industrialisierung. Das Konzept der vier industriellen Revolutionen stellt eine weitere Systematisierung wesentlicher Basisinnovationen des 20. Jahrhunderts dar und wird aktuell viel diskutiert: Die vierte industrielle Revolution ist dabei durch die drei Merkmale Velocity, Scope und Systems Impact geprägt. Unter Velocity wird die exponentiell steigende Geschwindigkeit der Veränderungen beschrieben. Scope meint die zunehmende Verknüpfung von verschiedensten Technologien wie Technologiekonvergenzen (z. B. Biotech), aber auch die zunehmende Vernetzung im Rahmen des Internets der Dinge. System Impact steht für systematische Auswirkungen, d.h. Veränderungen passieren mittlerweile in verschiedenen Branchen gleichzeitig (Fahrzeugindustrie, Hotelindustrie etc.).

Digitale Gesellschaft und ihre Kritiker

Die Meinungen bezüglich der Chancen und Risiken, die sich aus der vierten industriellen Revolution ergebenden, gehen weit auseinander. Während einige bereits von einem „digitalen Darwinismus“ sprechen, sehen andere in der Digitalisierung eine so nie da gewesene Möglichkeit sich einer auf Freiheit aufbauenden menschlichen Utopie anzunähern. Wieder andere negieren die Idee der Digitalen Gesellschaft als solche vollkommen, denn auch wenn die Digitalisierung ein neues Level erreicht hat und der Begriff der digitalen Gesellschaft medial aktuell stark verbreitet ist, so ist der sozialwissenschaftliche Wert von dem Konzept umstritten. So schreibt Hachmeister (2015): „Das Digitale ist ein gut funktionierendes Kalkül aus Konstruktion und empirischer Beobachtung und ein wirkungsmächtiges Durchgangsstadium der Technologieentwicklung.“ Die Übertragung eines naturwissenschaftlichen oder technischen Kalküls auf einen soziologischen Grundbegriff stelle für ihn einen grundlegenden Kategoriefehler dar, da es nach dieser Logik sonst auch atomare oder mechanische Gesellschaften geben müsste. Zudem findet sich bei Stehr der Hinweis, dass, sofern Gesellschaftsbegriffe nicht für die Erklärung von Vergangenheit, sondern für die Deutung des Gegenwärtigen herangezogen werden, diese in der Sozialwissenschaft selbst oft in der Kritik stehen, weil sie den Eindruck erwecken, sie hätten die Zukunft verstanden.

Tatsächlich aber ist das Digitale mittlerweile immer tiefer im menschlichen Leben verankert und hat damit natürlich auch eine gesellschaftliche Bedeutung. Unter anderem in der Wirtschaft vollzog sich ein kompletter Paradigmenwechsel. In Deutschland wird das unter dem Schlagwort Industrie 4.0 zusammengefasst. In der Art und Weise, wie wir Menschen kommunizieren und uns zueinander Verhalten, haben Messenger und soziale Netzwerke unsere Gewohnheiten komplett verändert. Zudem hat sich eine ganze Kultur rund ums Digitale entwickelt.

Herausforderungen der Digitalen Revolution

Die Arbeitswelt steht durch die Digitale Revolution vor einer ihrer größten Herausforderungen. Nicht nur durch den Wegfall der Jobs im produzierenden Gewerbe. Denn nicht nur dort fallen immer mehr Arbeitsplätze weg, theoretisch ist jeder Beruf davon betroffen, der einen hohen Routine-Anteil mit sich bringt. Damit geraten auch immer mehr Berufe im tertiären Sektor unter Druck. Eine Untersuchung der Oxford University aus dem Jahr 2014 kam zu dem Ergebnis, dass durch die fortschreitende Automatisierung bis zu 47% der Jobs in den USA wegfallen könnten. Übrig bleibt dann eine komplexe Arbeit mit hohen Beratungstätigkeiten, was zu einer Kompetenzverschiebung führt. Der Philosoph Gunter Dueck spricht hier von einer zunehmenden Professionalisierung.

Bisher stehen beim Wandel der Arbeitswelt meist die möglichen negativen Auswirkungen im Fokus. Wir von den Zukunftsbauern sind aber der Meinung, dass die Art und Weise, wie über die Zukunft gesprochen wird, einen großen Einfluss darauf hat, welche Möglichkeiten sich überhaupt erst eröffnen. So bietet die Digitalisierung auch Chancen und die Geschichte zeigt, der Druck des Wandels ermöglicht auch immer ein ganz neues Denken über Arbeit und die Arbeitswelt. Diesen widmen wir uns im nächsten Kapitel.

Lies weiter:

Teil 5 Entstehung neuer Arbeitswelten

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis senden wir dir gern zu. Die Inhalte des Artikels entstammen der Masterarbeit der Gründerin Aileen Moeck, die 2018 am Institut Futur der FU Berlin veröffentlich wurde .

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Aileen
Die Zukunftsbauer — was ist deine Mission?

Futurist, visionary & strategic mind, founder & activist, transformation, innovation and imagination @dieZukunftsbauer & @DasZukunftsbauerInstitut