Annäherungsversuche

von Ludwig Krause

Flickenteppich. Foto: PublicDomainPictures / Pixabay

Die Zusammenführung der beiden Länder Berlin und Brandenburg zu einem Bundesland im Jahre 1996 ist am negativen Votum der Brandenburger gescheitert. Mit den bis dato und nun auch heute noch gültigen gesetzlichen Rahmenbedingungen ist die Zusammenarbeit der beiden Länder dennoch nicht nur möglich, sondern auch geboten, wenn die Politik der Lebenswirklichkeit der Menschen in unserer Region gerecht werden will! Das Votum hat mich damals sehr getroffen, lebt unsere Planerzunft ja in dem Vertrauen, dass gute Zusammenarbeit auf einer vertraglichen Basis eine gemeinsame Zukunft verheißt. Sollten wir in diesem Moment unsere Aktivitäten einstellen, den Dingen ihren ministeriellen Lauf lassen? Wie lange würde es dauern, ehe alles auf diese Weise seinen — in der DDR hätte man gesagt „sozialistischen“ — Lauf nimmt.

Unmittelbar nach dem Mauerfall hatten sich Stadt- und Regionalplaner, Architekten, Landschaftsplaner und Verwaltungsfachleute aus Ost- und Westberlin sowie den Bezirken Potsdam, Frankfurt und sogar Cottbus zusammengesetzt und Konzepte für die überregionale Entwicklung diskutiert und entworfen. Es wurden Bilder und Modelle aufgezeichnet: Sterne, Siedlungsachsen, Kartoffelpläne, Delta-Städte… Und plötzlich sollte das erst einmal auf Eis gelegt werden, wo doch manche Probleme gerade im „Grenzraum“ zwischen Stadt und Land lichterloh zu brennen schienen: Die kommunale Planungshoheit Brandenburger Dörfer grub den Berliner Märkten im wahrsten Sinne des Wortes den Kaufkraftfluss ab. Baugebiete für Gewerbe und Wohnen konkurrierten aufs heftigste in einem ruinösen Wettbewerb…

Besonders deutlich wurden davon die unmittelbaren Nachbarschaften der Berliner Randbezirke und der stadtnahen Brandenburger Gemeinden betroffen. „Was tun?“ fragten sich die Stadtplanungsämter der Bezirke. Die damals zuständige Senatsverwaltung erkannte die Sorgen und Bedenken, suchte Rat und übernahm geburtshelferische Dienste für einen fast konspirativ zu nennenden Prozess: die „Interkommunale Zusammenarbeit Berlin und Nachbarn“. Die staatsrechtlichen Grundlagen dafür waren (und sind noch heute) sehr kompliziert, standen sich doch planungsrechtlich eigenständige Kommunen gegenüber: das brandenburgische Dorf auf der einen und der (Stadt-) Bezirk des Landes Berlin auf der anderen Seite. Kontakte zwischen den Körperschaften sind zulässig allein über die Staats- bzw. die Senatskanzleien! Für Berlin gab es einen verbindlichen Flächennutzungsplan, die Gemeinden ringsum hatten unterschiedliche Planentwürfe. Keiner wusste Genaueres vom Anderen. Könnte man nicht mal darüber wenigstens miteinander reden, muss doch nicht gleich „verhandeln“? Die Schwelle niedrig halten, damit keiner schon beim ersten Schritt ins Stolpern kommt. Man traute mir zu, dass ich mit langjähriger Berufserfahrung vermitteln und beraten könnte… Für mich war es ein beglückender Moment, als wir, Mitarbeiter des Bezirks Reinickendorf und der benachbarten Gemeinden, erstmals miteinander ins Gespräch kamen. Das Miteinander wurde von der Kreisverwaltung und von der Senatsverwaltung nicht nur „geduldet“, sondern auch maßgeblich unterstützt. Wir lernten uns kennen und tauschten Erfahrungen aus, wir erörterten erste Planungsabsichten der jungen Kommunen und Planungsziele des Bezirks. Wir kamen ins Gespräch: der erste Schritt für eine gemeinsame Zukunft, für „Wissenstransfer“ und zugleich die kostengünstigste Investition… Es bildete sich eine informelle Gruppe unter Vorsitz des Bürgermeisters der Gemeinde Glienicke/Nordbahn.

In recht kurzer Zeit wurden die Planentwürfe ausgetauscht und in einer Karte zusammengetragen. Daraus entwickelte sich ein fruchtbringender Austausch und auch die Frage: Was können wir gemeinsam bewegen? Das verfügbare Instrumentarium war recht bescheiden, sollte doch das Planungsrecht und schon gar nicht der Haushalt der Beteiligten grenzüberschreitend berührt werden. Einige Ideen konnten dennoch geboren und umgesetzt werden, gewissermaßen unter dem „Radar“ der Staatskanzleien und der Gemeinsamen Landesplanung, die ja damals auch um ihre Anerkennung kämpfte.

Im Laufe der Zeit konnten erste gemeinsam Projekte umgesetzt werden, bekam der Austausch auch eine Struktur. Wir luden Experten verschiedener Fachgebiete ein: Mit einem Vertreter des Handelsverbandes wurden die Chancen und Gefahren des großflächigen Einzelhandels diskutiert. Schon in den frühen 1990ern prognostizierte ein Wissenschaftler des Potsdam-Instituts die zu erwartenden Folgen des Klimawandels, z. B. dass sich unsere Region durchaus demnächst als Weinbauland eignen könnte. Wir schauten uns verwundert an. Ja, das waren prophetische Worte! Schließlich organisierten wir gemeinsame Veranstaltungen, z. B. eine Fahrradtour mit über 150 Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Der Empfang durch Frau Bürgermeisterin Wanjura vorm Rathaus in Reinickendorf war sehr herzlich. Doch auch in Sachen Eisenbahn konnten wir etwas bewegen, wenn auch nicht schon die Züge, so doch regionale Studien zur Anbindung an die Ortsentwicklung. Dabei hatten wir im Amtsdirektor von Wandlitz, Herrn Dellmann, den besten Fürsprecher. Heute wirbt die „Heidekrautbahn“ mit modernsten Antriebstechniken um Fördergelder und — wenn alles gut geht — bald um Fahrgäste auf den wiedererweckten Strecken. Ein Wanderwegenetz wurde entworfen, mit Wegemarken und Wandertafeln ausgeschildert und schließlich mit einem Fest eingeweiht. Es gab auch Streit zu schlichten, beispielsweise zwischen den Interessen der Reiter und der Wanderer. Die Arbeitsgemeinschaft firmierte unter dem Titel „Mühlenbecker Land“, nach dem schließlich auch die nicht ohne unser Zutun so entstandene Kommune benannt wurde.

Das Beispiel machte schnell Schule. Im Laufe der Zeit bildeten sich rings um Berlin insgesamt zehn solcher Arbeitsgemeinschaften, die den jeweiligen übergemeindlichen Gemeinsamkeiten und Anforderungen nachspürten und Möglichkeiten des nachbarschaftlichen Handelns ausloteten und umsetzten. Es gab dafür keine vorgegebene Handlungsanleitung, keine Blaupause. So konnten die Beteiligten der konkreten Situation am besten gerecht werden. Wir haben schließlich versucht, den Prozess zusammenzuführen und erstellten zwei Karten im Maßstab 1:50 000. Die erste beinhaltete eine Collage der damaligen Planungsideen der einzelnen Gemeinden auf der einen und den Berliner Flächennutzungsplan auf der anderen Seite. Das war ein recht bunter Flickenteppich, gab es dafür noch keine einheitliche Plandarstellung. Mit meinem Büro Masterplan haben wir eine leicht verständliche Plan-Legende entwickelt, die die unterschiedlichen Nutzungen nach Art und Intensität widerspiegelte. Sie ergab nicht nur einen Plan, sondern auch ein schönes Bild, ein Bild, das zeigte, dass Berlin und seine Nachbarn mehr verbindet, als sich die vielen Bürgermeister, Bürgermeisterinnen und wir Planer selbst uns das vorgestellt hatten.

Inzwischen haben sich aus diesen Annäherungsversuchen die „Kommunalen Nachbarschaftsforen“ entwickelt, die das Miteinander der Nachbarn in praktischen Schritten vollziehen.

Ludwig Krause Foto: privat

Ludwig Krause, geboren 1941 in Meerane, studierte in Cottbus und Weimar „Technische Gebiets-, Stadt- und Dorfplanung“. Er arbeitete im Institut für Städtebau und Architektur der Bauakademie, ist Gründungsdirektor des Leibniz-Instituts IRS, Sitz Erkner und war Bundesvorsitzender der Vereinigung für Stadt-, Regional und Landesplanung (SRL). Bis 2008 war er Bundesgeschäftsführer der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Er stellte in Berlin, Magdeburg, Leipzig, Dresden, Potsdam, Wismar, Oderbruch (Auswahl) sowie in Syrien aus und dokumentierte Grabungen im Nildelta in Ägypten.

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