Der Blick von draußen

von Ludwig Krause

Spiegelei. Foto: Alexas Fotos / Pixabay

Manfred Stolpe, erster frei gewählter Ministerpräsident des Landes Brandenburg, hat in seiner schlitzohrigen, dem pommerschen Dickschädel entsprungenen Art, der äußerst beschränkten Reisepraxis der DDR-Oberen auf liebenswürdige Weise eine Brücke bauen wollen: „Wer in die weite Welt reisen darf, freut sich besonders gern darauf, danach wieder zu Hause anzukommen!“ Der Blick von draußen öffnet neue Perspektiven für die oft verstellte Innen-Sicht, sorgt also für Weit-Sicht bei der Gestaltung der eigenen Zukunft.

Als gebürtiger Sachse bin ich seit 62 Jahren in Brandenburg zu Hause, dessen größte Stadt „Groß-Berlin“ (und das seit gerade erst mal 100 Jahren) ist. Immer wieder wurde mir seither, von gleichfalls Zugezogenen wie auch von „Einheimischen“, der Antagonismus, die große Spannung zwischen der „Stadt“ Berlin und dem „Land“ Brandenburg als signifikantes Alleinstellungs-Merkmal eingeredet, kaum einmal das Gemeinsame hervorgehoben. Für mich ist das ein bedrückendes Zeichen mangelnder Souveränität im Umgang mit der eigenen Identität, das Andere als Bedrohung zu empfinden!

Ein wunderbares Bild für unsere Situation bietet das Ei, ja, das Hühnerei: Eine einzige Zelle, die, in die Pfanne geschlagen, sich — umständlich und pseudowissenschaftlich gesprochen — „ausdifferenziert“ in Gelb und Weiß, in Eigelb und Eiweiß! Als Bild-Karte an die Wand gehängt, schaut das aus wie unsere „Metropolregion“ und jeder wird sich reimen: „Spiegelei, Spiegelei an der Wand, in der Mitte die Stadt und ringsrum das Land!“

Als Kind bevorzugte ich das Eiweiß. Doch wir waren 8 Geschwister, und so viele Eier gab`s in der Nachkriegszeit nicht zu teilen. Mutter machte uns satt mit Rührei, in das — verlängernd — noch Mehl und Milch gerührt wurden. Bis heute wird von mir das Eiweiß — sorgfältig vom Gelb getrennt — als „Vor“speise gegessen und — zur Belohnung für die auferlegte „Zurückhaltung“ — anschließend das Eigelb in einem Happen verzehrt.

Eiweiß und Eigelb gehören zusammen, müssen aber nicht unbedingt miteinander verrührt werden. Das Spannende ist ja gerade, dass sich die beiden aus einem Ei, in einer Hülle Geboren- und Geborgenem, so wunderbar unterscheiden und dennoch ohne den Anderen nicht zu identifizieren sind. Biologen, Zoologen und — in Zeiten von Corona — auch Virologen könnten uns darüber gewiss viel erzählen. Was bindet die beiden — Gelb und Weiß, und wir fragen: Stadt und Land — aneinander, was hält sie zusammen? Viele Stränge des Miteinanders könnten dafür verantwortlich sein: die Topografie, die Morphologie, das Klima, der Wasserreichtum und seine Knappheit, der märkische Sand, die Kiefernwälder und vielleicht auch der sich über alles spannende Himmel. Natürlich auch die gemeinsame Geschichte des Landes mit der von den Zuwanderern maßgeblich geprägten Kultur, der Sprache, der Musik, der Art und Weise des Umgangs mit dem Neuen, dem Anderen. Das Industrie- und das digitale Zeitalter spannen und spinnen weitere Verbindungsstränge, bilden eine Infrastruktur, die in beiden Richtungen genutzt werden kann: ärztliche Versorgung, Hochkultur, Bildungsangebote auf der einen, Erholung, Weite und schöpferisches Alleinsein auf der anderen Seite… Wo gibt es eine solche Nachbarschaft, ein solches Angebot sonst in unserem Heimatland?

Was können wir tun? Stärken das, was die Stadt und das Land jeweils auszeichnet! Und das auch kommunizieren, miteinander reden, Netzwerke schaffen und weiterentwickeln, Arbeit teilen, gemeinsame Ziele verfolgen, kleine Schritte wagen und sich zueinander respektvoll verhalten… Ob dann aus dem Spiegelei vielleicht dennoch ein Küken schlüpft? Muss ja nicht gleich ein Adler sein.

Ludwig Krause, Foto: privat

Ludwig Krause, geboren 1941 in Meerane, studierte in Cottbus und Weimar „Technische Gebiets-, Stadt- und Dorfplanung“. Er arbeitete im Institut für Städtebau und Architektur der Bauakademie, ist Gründungsdirektor des Leibniz-Instituts IRS, Sitz Erkner und war Bundesvorsitzender der Vereinigung für Stadt-, Regional und Landesplanung (SRL). Bis 2008 war er Bundesgeschäftsführer der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Er stellte in Berlin, Magdeburg, Leipzig, Dresden, Potsdam, Wismar, Oderbruch (Auswahl) sowie in Syrien aus und dokumentierte Grabungen im Nildelta in Ägypten.

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