Suburbanisierung

von Kenneth Anders

Teufelsberg in Berlin. Foto: André / Pixabay

Dörfer sind nicht nur Siedlungen, sie sind — historisch gesehen — sozioökonomische Systeme der Produktion von Nahrungsmitteln mit einer lokalen räumlichen Ausdehnung. Heute verlieren sie diese produktive Eigenschaft zusehends. Mit der räumlichen Entkoppelung von Produktion und Verbrauch werden sie zu Wohngebieten, während andere Raumaneignungen verschwinden oder an die Ränder abwandern. Diese räumliche Ausdifferenzierung betrifft auch die sie umgebenden Landschaften: Hier das Gewerbe, dort die Logistik, hier der Naturschutz, dort die Land- und die Forstwirtschaft. Betrachtet man diese Prozesse in ihrer systemischen Logik, wird deutlich, dass sie meist als Suburbanisierung zu charakterisieren sind. Die Landschaft ordnet sich den Funktionen des Ballungsraumes bzw. der ganzen Versorgungsgesellschaft unter. Entscheidend für die in ihr geltenden Regeln ist nicht mehr der vielgestaltige Lebensvollzug des dort lebenden Subjekts (Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Gemeinschaft, Kultur, Verkehr, Naherholung) sondern die energetischen, stofflichen, ästhetischen oder politischen Ansprüche der Gesamtgesellschaft, die sich im Raum ausdifferenzieren, da sie so viel effektiver einzulösen sind. Im Ergebnis zerfällt die Landschaft in Teilfunktionsräume.

Schaut man sich Brandenburg an, so lassen sich hier eben solche Prozesse in einer großen Dynamik beobachten, die vor allem seit 1990 enorm an Fahrt gewonnen hat. Während aus ehemaligen Truppenübungsplätzen oder Tagebauen Naturschutzflächen entstanden sind, die mehrere tausend Hektar groß sind, wanderten aus den Agrarproduktionsregionen viele Menschen ab. Die gleichzeitige Entwertung und Verklärung des Landes, im demografischen Diskurs der 10er Jahre mühsam zugunsten einer komplexeren Argumentation aufgegeben, scheint wieder aufzuflammen. Mit der Ausbreitung regenerativer Energieproduktion im ländlichen Raum kam zudem ein neuer Nutzer hinzu, der die anderen Ansprüche an den Raum marginalisiert, befeuert vom schlechten ökologischen Gewissen unserer Gesellschaft. Schreibt man diese Entwicklung gedanklich fort, könnte es für Brandenburg zukünftig erneut schwieriger werden, die Eigensinnigkeit seiner Dörfer, Städte und Landschaften gegenüber den Verwertungsansprüchen des Berliner Raums zu behaupten.

Der Schlüssel zum Umgang mit diesem Problem liegt in meinen Augen in einer Stärkung der Interessen der Bewohner der von der Suburbanisierung betroffenen Räume. Ausgehend von den Bedürfnissen, die im Siedlungsraum selbst artikuliert werden, kann eine produktive Spannung zwischen Berlin und den einzelnen Regionen der Mark entwickelt werden. Dieses Kommunikationsprogramm ermöglicht eine Regionalisierung der Kommunalentwicklung. Kleinstädte, einst hervorgewachsen aus dem ländlichen Metabolismus, müssen sich erneut mit den ländlichen Räumen und Siedlungen ihrer Landschaften verknüpfen und sie nicht nur als verwaltungsmäßige Ortsteile behandeln. Und auch die Dörfer sollten versuchen, sich als Teile von Regionen zu verstehen, denn sie werden ihre sozioökonomisch bedingte Systemqualität nicht zurückerlangen. Es ist durchaus möglich, Daseinsvorsorge, Infrastruktur, Bildung, Lebensqualität sowie kulturellen und natürlichen Reichtum auf einer gemeinsamen räumlichen Ebene miteinander zu teilen und so gegenüber dem Ballungsraum eine Systemqualität zu entwickeln. Der Ballungsraum wiederum erhält auf diese Weise interessante Mitspieler in der räumlichen Entwicklung, die zwar widerständiger sind, dafür aber auch viel besser in der Lage, nachhaltige Strategien zu finden, als es in der suburbanen Logik der Funktionserfüllung möglich ist.

Kenneth Anders, Foto: Torsten Stapel

Dr. Kenneth Anders (*1969) studierte Kulturwissenschaften, Philosophie und Soziologie in Leipzig und Berlin. Sein zentrales Arbeitsthema sind Landschaften als Habitate des Menschen. Mit Lars Fischer gründete er das Büro für Landschaftskommunikation und den Aufland Verlag. Er lebt als freier Kulturwissenschaftler im Oderbruch, ist Programmleiter des Oderbruch Museums Altranft und Festivalleiter des Eberswalder Filmfestes „Provinziale“.

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