Zur Programmatik einer AG Identität

von Volker Hassemer

Symbolbild Identität. Foto: Brett Jordan / Unsplash

1.

Das Zukunftsforum Berlin-Brandenburg hat sich die gemeinsame Anstrengung aller für eine gemeinsame Zukunft der Region, gebildet durch die beiden Länder Berlin und Brandenburg, zur Aufgabe gemacht. Die Arbeitsgruppe „Identität“ resultiert vor diesem Hintergrund aus der Überzeugung, dass Gemeinsamkeit nur dann eine ehrliche und realistische Perspektive ist, wenn man beginnt mit den „Identitäten“, die in dieser Region versammelt sind, und sich vornimmt, ihnen gerecht zu werden: mit den Erfahrungen und Überzeugungen, mit den Lebensverhältnissen und Zukunftsvorstellungen, mit den Selbstverständnissen der Bewohnerinnen und Bewohner der Region und ihrer Teilregionen: wie sie sich selbst sehen und wie sie die gemeinsame Region sehen wollen — was sie von ihr erwarten, erhoffen und befürchten.

Die Region hat viele solcher „Identitäten“, sehr unterschiedliche, teilweise auf den ersten Blick sich ergänzende und teilweise auf den ersten Blick gegensätzliche. Keine darf aus dem Blick geraten, keine hat ein Vorrecht vor einer anderen. Alle sind sie die Bausteine einer gemeinsamen Agenda der Region, alle müssen sie deshalb gleichermaßen ernstgenommen werden. Anders sind Gemeinsamkeit, gemeinsame Anstrengung nicht zu erreichen.

2.

Dieser grundsätzliche Ausgangspunkt muss zu einer grundsätzlichen Setzung führen. Denn der Befund der in einer Region vorfindbaren Identitäten kann mutlos machen. Man kann es für schwierig oder gar unrealistisch halten, die unterschiedlichen Energien in eine gemeinsame Agenda zu führen. Man kann die Zuversicht verlieren, unterschiedliche Identitäten gemeinsam zu leben.

Eine solche Alternative ist am Anfang nicht auszuschließen. Wer die Vorstellung einer gemeinsamen Region hat, kann ihr jedoch nicht folgen. Im Gegenteil muss er im Bewusstsein dieser Alternativen die entgegengesetzte Setzung an den Anfang stellen. Für die Region Berlin-Brandenburg ist das die Setzung, dass die Identitäten der Region die Gemeinsamkeit ermöglichen/befördern können und sollen und dass man sich auf der Grundlage dieser Setzung an die Arbeit machen will.

Das ist mehr als eine gut gemeinte Proklamation. Sie nimmt zunächst ernst, dass Gemeinsamkeit angesichts vielfältiger Identitäten keine Selbstverständlichkeit ist. Dass man es sich auch nicht dadurch leicht machen kann, dass man die Augen vor dieser Vielfalt und Unterschiedlichkeit (und sei es auch nur partiell) verschließt. Dass man aber im vollen Bewusstsein dieser Vielfalt den Auftrag der Gemeinsamkeit für realistisch hält, ihn übernimmt und in der Praxis verfolgt. Und vor allem: dass man dies in der begründeten Zuversicht tut, dass dem die Identitäten der Region nicht entgegenstehen, sondern es nahelegen/befördern.

3. a

Damit steht das Thema der „begründeten Zuversicht“. Sie ist der Antrieb unseres Bemühens um die gemeinsame Region.

Wir sind der Überzeugung, dass diese Region ihre Besonderheit und ihren Reichtum gerade aus den vielen Unterschiedlichkeiten herleitet, die hier eng zusammenleben und (in unterschiedlichen Konstellationen) auch in der Vergangenheit zusammengelebt haben. Das Anderssein, anders zu leben, von Unterschiedlichem überzeugt sein in der Region ist ihre Energiequelle.

Die angesprochene Setzung richtet sich also darauf, dass alles, wirklich alles im jeweils breiten Spektrum — von arm und reich, von einfach und komplex, klug und naiv, von stark und schwach, von Zentrum und Peripherie, von Welt und Provinz — in dieser Region gewollt und willkommen ist. Die Setzung bedeutet, diese Vielfalt nicht als Probleme der Region, sondern als Bestandteile ihres Gelingens zu begreifen. Eine Vielfalt, die man ja auch, stärker oder schwächer, in jedem Teilgebiet der Gesamtregion (ob in Berlin oder in Brandenburg) vorfinden kann.

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Die Beschäftigung mit den konkreten Ausprägungen der individuellen und regionalen Unterschiedlichkeiten ist dann die Beschäftigung mit den Einzelteilen eines Schatzes, über den die Region verfügt.

Dazu gehört die interessierte Aufforderung an alle, sich mit dem eigenen Beitrag an dieser „Schatzöffnung“ zu beteiligen: Indem man sich offen und selbstbewusst zu sich selbst bekennt (sodann zu seinem Kiez, zu seiner Stadt, zu seiner (Teil-)Region), sich „outet“, damit daraus dann zusammengenommen das große Ganze werden, erkennbar werden kann.

Das ist dann nicht mehr die Identitätsdebatte, vor der man eher zurückschreckt, weil die anderen einen wegen seines Seins/Andersseins verachten, angreifen, kritisieren könnten. Und weil so Rangordnungen, Zwietracht und Gräben entstünden. Dies alles muss man nicht befürchten, wenn Interesse und Wertschätzung der Ausgangspunkt sind. Interesse „horizontal“ (die Aufmerksamkeit für die Identitäten nebenan) ebenso wie „vertikal“ (bezogen auf Dorf, Kiez, Stadt, Teil-Region). Schon diese gemeinsame Beschäftigung mit dem Thema der Identität wird die Zusammengehörigkeit mit „den anderen“ erfahren lassen.

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„Setzung“ meint dann mehr als die Bekundung eines irgendwie gearteten guten Willens. Sie ist Gestaltungsabsicht, die sich in der politischen und gesellschaftlichen Tagesarbeit in der Region niederschlagen muss. Sie muss deshalb ein grundsätzlicher Konsens sein. Man kann eine solche Setzung ablehnen oder für unrealistisch halten. Unsere Arbeitsergebnisse begründen diese Skepsis nicht (s. unsere Papiere). Wird aber diese Setzung, diese Gestaltungsabsicht nicht Konsens, bleibt die Erörterung von Identitäten vage und allenfalls theoretisch. Dem wollen wir entgegentreten.

Volker Hassemer, Foto: Stiftung Zukunft Berlin / Andrea Katheder

Dr. Volker Hassemer gründete 2006 gemeinsam mit Dieter Rosenkranz die Stiftung Zukunft Berlin, die er bis 2021 als Vorstandsvorsitzender leitete. Zuvor war er Berliner Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz (1981 bis 1983 sowie 1991 bis 1996) sowie Senator für kulturelle Angelegenheiten (1983 bis 1989). 1996 bis 2002 war Hassemer Geschäftsführer der Hauptstadt-Marketing-Gesellschaft Partner für Berlin.

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