FC Bayern — (K)eine Liga für sich?

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Eine stilisierte Graphik: Oben steht FC Bayern München, daneben das Vereinslogo. Links steht Stadionbesuch 1/36, darunter ein Selfie von Tyll und Vincent vor der Allianz Arena, unten die Hashtags und die Hinweise zum Projekt #BehindertNichtDenFußball

Der FC Bayern will einem Rollstuhlfahrer das Gefühl geben, wie jeder andere Ticketkäufer zu sein, erinnert diesen am Ende aber doch daran, dass der Verein noch nicht so weit ist.

Wo fängt man ein solches Projekt besser an, als bei DEM deutschen Verein, dem Rekordmeister und in einem der markantesten Stadien der Welt, der Allianz Arena?

Zugegeben, der FC Bayern ist für mich ein besonderer Verein. Ich habe über einen Zeitraum von 18 Jahren; bis zu meinem 18. Geburtstag, viele Wochen meines Lebens in einem Krankenhaus in Bayern verbracht und bin auch (eigentlich ist der HSV Anlaufstelle Nummer 1 in meiner Heimat) um mein Umfeld zu ärgern damals Bayern-Fan geworden.

Natürlich versuche ich hier trotzdem, meine Erfahrungen so „objektiv“ wie möglich zu halten, wobei die ganze Erfahrungen natürlich sehr subjektiv ist und ich umso mehr hoffe, Berichte aus anderen Perspektiven zu hören!

Infos im Vorfeld

Die Infos für Rollstuhlfahrer im Vorfeld sind beim FC Bayern sehr gut strukturiert und sogar bebildert (Sicht aufs Feld, Stadionplan etc.). Ticketpreise und Buchung sind gut beschrieben. Es gibt viele Angebote, die es andernorts nicht gibt, wie neuerdings einen Transfer aus der Stadt zum Stadion und im Stadion die Möglichkeit, Speisen mit einer eigenen App an die Rolli-Plätze liefern zu lassen. Es gibt Infos in leichter Sprache, die ich jedoch sehr verkürzt finde. Ich konnte zudem keine Bildbeschreibungen feststellen, benötige dies aber auch nicht. Es ist nicht einsehbar, welche Plätze noch verfügbar sind sondern vorhandene Ressourcen werden in einem verlinkten PDF-Dokument beschrieben; modern geht anders…

Eine steilisierte Social Media Graphik mit den im Text genannten Argumenten als Text neben zwei Fotos von außen und innen in der Allian Arena. 4 von 5 möglichen Punkten für die Infos im Vorfeld.

Die Buchung

Die Buchung war dann etwas komplizierter und erfolgt mit einem vorbereiteten mehrseitigen Formular, welches man nicht gut digital ausfüllen kann; außerdem ist eine Kopie des Schwerbehindertenausweises bei jeder Anfrage notwendig und dieser wird nicht im Konto hinterlegt.

Die Antwort auf die Ticket-Anfrage besteht aus mehreren Emails inkl. eines Hinweises, den digital übermittelten Ausweis doch bitte auf einer einseitigen Kopie zu senden mit dem Hinweis:

„Pro Blatt spart man durchschnittlich 15g Holz, 260mI Wasser, 0,05 kWh Strom und 5g CO2.“ — außerdem würden Mitglieder bevorzugt (fair!) und daher wird gleich ein Mitgliedsantrag mitgesendet.

Das hat beides ein Geschmäckle’, wie ich finde.

Die Bestätigung der Anfrage kam sehr schnell. Dann jedoch wurde es langsamer: Denn es war nicht klar, wann man denn mit einer Zusage rechnen könne. Die regulären Tickets waren lange vergeben und der Hinweis zu den Mitgliedern besagte nicht, bis wann diese das Erstkaufrecht beanspruchen müssen, bis die dann noch übrigen Karten in den freien Verkauf gehen. Online steht, dass man vier Wochen vor dem Event informiert würde, also meldete ich mich drei Wochen vor dem Event, da ich bis dahin nichts gehört hatte.

Erst auf diese erneute Anfrage, 3 Wochen nach der ersten Anfrage, wurde dann die Bestätigung gesendet (wenige Minuten nach meiner Nachfrage, denn „Gerade heute wurden wieder Tickets zugewiesen“ — wer’s glaubt…).

Eine steilisierte Social Media Graphik mit den im Text genannten Argumenten als Text neben zwei Fotos von außen und innen in der Allian Arena. 3 von 5 Punkten für die Buchung.

Barrierefrieheit

Vor Ort sind die Plätze leicht zu finden, super ausgeschildert, es gibt ausreichend Toiletten und die Plätze sind mit einem festen Zaun auch vor Passanten geschützt, die sich andernorts gerne einmal auf diese Plätze verirren, die ja so schön geräumig sind.

Die Plätze sind im Mittelrang, hoch genug, falls vor einem die Fans aufstehen und man hat eine kleine Fläche zum Abstellen von Getränken und Speisen vor sich; super!

Die Zugänge dieser abgesperrten Fläche sind von umrumstehenden Fans etwas zugestellt worden, weswegen wir nicht direkt sehen konnten, ob wir im richtigen Block waren. Tatsächlich stand auf der Tür ein anderer Block als der unsere, weswegen wir auch vom befragten Ordner wieder weggeschickt wurden. Turns out: Wir waren im richtigen Block, nur am falschen Eingang und hätten viel leichter durch diesen hindurchrollen können, als wieder umzudrehen und den Eingang auf der anderen Seite zu nutzen. hmpf.

Ein Selfie von Tyll und Vincent vor der Allianz Arena

Ein kleiner Bonus: wir saßen direkt hinter den Kommentatoren und konnten Wolff Fuss, Lothar Matthäus oder Claudia Neumann bei der Arbeit beobachten, spannend!

Die Begleiterplätze sin auf erhöhten Sitzen hinter den Rollis und wir wurden auch darauf hingewiesen, dass die Begleiter sich bitte dort hinsetzen sollen, sobald das Spiel läuft. Hat keiner gemacht, aber da es nicht störte und sich niemand beschwerte, auch nicht weiter dramatisch. Von dort aus sähe man eigentlich gut, wenn auch nicht die Videowände… Da wir uns gerne vor dem Spiel die Beine vertreten, haben wir auch ausprobiert, wie weit man frei ums Stadion rollen und laufen kann, was hier wirklich sehr weit ist. Man kann also viel sehen und das Spielfeld von vielen Perspektiven aus betrachten, bis das Spiel beginnt.

Alles in allem bietet die Allianz Arena ein modernes Erlebnis.

Aber einzelne Aspekte trüben das Bild:

  • Ein weiterer befragter Ordner (wir hatten uns wiedermal in der Tür geirrt), sagte uns, der Fan-Store sei an Spieltagen nicht für Rollstuhlfahrer zugänglich (wir haben später noch den richtigen Ordner und Zugang gefunden, ging natürlich!);
  • der Fahrstuhl am neu gebauten U-Bahnhof stockte, als zwei E-Rollis diesen benutzen wollten (weit unter dem maximal zulässigen Gesamtgewicht). Nach einigen Minuten und Einzelnutzung ging es dann. Sollte dies jedoch einmal nicht funktionieren, wird es spannend, da der nächste Bahnhof weit entfernt ist und es nur einen Aufzug zu dem Gleis gibt (man hätte vielleicht noch vom anderen Bahnsteig aus nordwärts fahren können, im nächsten Bahnhof umsteigen und dann wieder zurückfahren, aber soweit musste es ja nicht kommen).
  • Am Bahnhof dauerte es zwei bis drei Züge, bis wir, inzwischen zahlreich erschienenen Rollis, von den Ordnern beachtet und separat in die Bahn eingewiesen wurden — ansonsten: zu voll und keine Chance auf Mitfahrt!

Zusätzlicher Bonus: Laut der ARD-Doku baut der FC Bayern gemeinsam mit einigen wenigen anderen Stadien die zusätzlichen für die EM errichteten Rolliplätze nach dem Turnier nicht wieder zurück! Nur durch diese neu geschaffenen Plätze konnten wir auch noch so spontan an Tickets kommen.

Die Barrierefreiheit Graphik mit denen im Text genannten Punkten. Daneben Bilder von den Rollstuhl und den Begleiter-Plätzen. 4 von 5 Punkten für die Barrierefreiheit.

Aktuell hat der FC Bayern laut DFL-Reiseführer 227 Rollstuhlplätze und damit mehr als doppelt so viele, wie die von der DFL als Mindestanzahl angegebenen 100 bei mehr als 50.000 Zuschauerplätzen!

Laut der §10 (7) der bayrischen Versammlungsstätten-Verordnung (VStättV) müssten es 1% aller Plätze sein, was bei einer Kapazität von rund 75.000 Zuschauenden dann wiederum 750 Plätzen entspräche, die mit 227 natürlich deutlich unterschritten sind.

Was bleibt noch?

Alles in allem kann und möchte ich mich nicht beschweren. Man merkt, dass der Verein das Thema auf dem Schirm hat. Vor allem die gut abgeschirmten Plätze sind toll ausgestattet und suchen ligaweit nach Konkurrenz: die Infrastruktur sucht wirklich seinesgleichen. Die Ausschilderungen zu den Toiletten sind großartig. Die großen Metalltüren, die jeder kennt, der schon einmal dort war, waren ein Problem, aber da die Arena wohl immer voll ist, finden sich auch immer Fans, die sofort einem zur Hilfe eilen und die Türen öffnen.

Es fehlt auf der bis dahin wirklich tollen Info-Seite an einer klaren und persönlich benannten Ansprechperson und auch das Personal vor Ort ist nicht ausreichend geschult, wenn es um die Anforderungen von Rollstuhlfahrern geht. Das ganze Gefühl ist unpersönlich.

Wer zum FC Bayern geht, der geht dorthin, weil es ein Event ist und nur wenig „echte Fußballfans“ sind dort. Dadurch fühlt man sich immer sicher, aber die artifizielle Anreise in einem neu errichteten U-Bahn-Terminal, der Weg durchs Parkhaus, all das wirkt mehr wie eine Flugzeugreise als wie ein Fußballstadionerlebnis — und so war auch die Stimmung. Die automatisierten Emails, die dann doch wieder einzelne Spitzen zum Behindertenausweis oder zum Mitgliedsantrag enthalten und am Ende doch wieder darauf angewiesen sind, dass man persönlich nochmal nachfragt, lassen ein komisches Gefühl einer gut gemeinten aber schlecht genutzten automatisierten Abwicklung.

Der FC Bayern will einem Rollstuhlfahrer das Gefühl geben, wie jeder andere Ticketkäufer zu sein, erinnert diesen am Ende aber doch daran, dass es soweit noch nicht ist.

Du hast auch eine Behinderung und möchtest Deine Stadionerfahrung aus der Allianz Arena oder anderen Stadien teilen?

Dann melde Dich ebenso gerne bei mir!

Die Social Media Graphik für das Gesamterlebnis mit Bildern der Mannschaft, die den Sieg vor der Südkurve feiert und einer Außenaufnahme der leuchtenden Arena. 4 von 5 Punkten für das Gesamterlebnis.

weitere Infos

Die Aktuelle Tabelle, der Fc Bayern hat 15 Punkte von 20 möglichen. 4 für Informationen, 3 für Buchung, 4 für Barrierefreiheit und 4 für das Gesamterlebnis.

Wenn Du mich suchst, dann findest Du mich hier:

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Nickfried - BehindertNichtDenFußball
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