Fortuna Düsseldorf — Fortuna für Alle; für wirklich ALLE?

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In Düsseldorf setzt man voll auf Sichtbarkeit. Die „Merkur-Spiel-Arena“ ist eine Multifunktions-Halle, mit all dem Unromantischen aber auch Funktionalen, was dazu gehört. Gerade jedoch in dieser Multifunktionalität scheint eines nicht verhandelbar: die Barrierefreiheit!

Ich bin Tyll, Fußballfan und Rollstuhlfahrer und dokumentiere hier meine Reise vom Besuch aller 36 Fußballstadien der 1. und 2. Bundesliga in 24 Monaten.

Düsseldorf ist nach München meine zweite Station.

Getestet wurde am 25.02.2024 im Mittagsspiel der 2. Bundesliga gegen Hansa Rostock, Endergebnis 2:0.

Prolog

In Düsseldorf bin ich schonmal gewesen, vor vielen vielen Jahren, damals erstklassig gegen den HSV, erinnern kann ich mich nur noch an die bunten Stühle im Stadion und daran, dass ich an diesem Wochenende auch mit meinem Vater auf den berühmten Fernsehturm gefahren bin.

Vor einigen Jahren war ich dann mit einem Freund, der auch diesmal wieder dabei war, während eines Groundhopping-Wochenendes bei Düsseldorf gegen Holstein Kiel. Ein Abend, der vor allem deswegen im Gedächtnis geblieben ist, weil wir uns nach dem Spiel in der U-Bahn mit Iren und Düsseldorfern so gut verstanden haben, dass daraus ein langer feuchtfröhlicher Abend mit vielen witzigen Anekdoten und Insidern wurde. Zu Düsseldorf an sich habe ich also erstmal gute Gefühle.

Der Blick aufs Spielfeld vom Platz aus. Einige Fahnen verdecken die Sicht aufs Spielfeld, ebenso aufgestandene Personen.

Die Infos im Vorfeld

Die Vorabinfos sind gut strukturiert, gehen nicht in die letzte Tiefe und zeigen beispielsweise nicht den Blick aufs Spielfeld, wie in München, beinhalten aber dafür alle wichtigen Infos zu An- und Abreise, Blindenplätzen mit Kommentar, Gehörlosenplätzen, den Toiletten, dem Team Barrierefrei und mehr. Außerdem gibt es dort aktuelle Meldungen aus dem Bereich Inklusion, das finde ich richtig spannend, leider sind die neuesten Beiträge aus 2022 und damit aktuell ca. 2 Jahre alt; aber zumindest bekommt man das Gefühl, dass das Thema präsent ist.

Weitere Untersützungen zur selbstständigen Nutzbarkeit der Webseite durch Menschen mit Behinderungen wie leichte Sprache, Hilfen zur Navigation mit Screen-Readern oder eine barrierefreie Webseite im Allgemeinen konnten leider nicht festgestellt werden.

Über allen Infos stehen die beiden Ansprechpersonen; die Beauftragte für Menschen mit Behinderung und der Projektleiter Inklusion — beide Positionen vorhanden, vorbildlich.

Das Sharepic zu den Infos mit der Wertung 4 von 5.

Die Buchung

Im Tageskartenbereich können die Rollstuhlfahrerkarten mit Begleitperson über unser Callcenter 01803–0 1895 0* oder im Fanshop am Flinger Broich gekauft werden.

* Mo-Fr. 9:00–17:00 Uhr; 0,09 €/min. aus dem dt. Festnetz & max. 0,42 €/Min. aus dem dt. Mobilfunknetz

Wie bitte? Als externer Fan nur über eine kostenpflichtige Hotline? Das finde ich alles andere als barrierefrei, inklusiv und fair!

Dort angerufen bin ich mehrmals aus der Hotline geflogen (“Ihre Wartezeit beträgt weniger als eine Minute” → dann aufgelegt). Okay, zur Verteidigung muss man sagen, ich habe an Karneval angerufen — als Norddeutscher ist einem dieses Datum leider nicht heilig und daher auch nicht permanent im Gedächtnis.

Also zurück auf die oben beschrieben Seite mit der Intention, der Behindertenbeauftragten zu schreiben, doch siehe da: es sind zwar Name und Funktion benannt, aber keine Kontaktdaten?!

Also zurück in eine Suchmaschine meiner Wahl und nach einer Minute dann die Email-Adresse herausbekommen.

Nachdem ich meine Email zur Ticketanfrage (kein Durchkommen in der Hotline) und mit dem Hinweis zu den fehlenden Kontaktdaten auf der entsprechenden Seite übersandt hatte, bekam ich sehr zeitnah eine Antwort (Sorry, Karneval!) inkl. einer direkten Weiterleitung meiner Anfrage an die Ticketing-Abteilung und im CC an die Personen, die für die Webseite zuständig sind, mit der Bitte um Ergänzung der Kontaktdaten. Mein Ticket habe ich dann (nach Karneval) per Email inkl. Rechnung bekommen und konnte es mir zuhause ausdrucken oder als e-Ticket in mein digitales Wallet legen.

Heute, ein paar Wochen nach der Buchung, schau ich erneut auf die Barrierefrei-Seite und siehe da: Beide Ansprech-Personen sind mit Email-Adresse, Telefon und Hinweisen zur Erreichbarkeit versehen. Man hat meinen Hinweis also tatsächlich zu Herzen genommen.

Das System ist nicht fehlerfrei und als Mensch mit Behinderung sollte man nicht dazu genötigt werden, eine kostenpflichtige Hotline zu verwenden, wenn „reguläre“ Ticketbucher*innen dies nicht auch machen müssen. ABER: Klare Ansprechpersonen, ein netter Mail-Kontakt / Kundenservice und eine echte Behebung des angesprochenen Themas ist so so viel wert. Man kennt doch die teils eingefahrenen Strukturen, die zu durchbrechen viel Zeit und Mühe in Anspruch nimmt. Die Themen aber anzugehen und die Fehler zu beheben, die man selbst steuern kann, bringt aus mir nichts anderes als Respekt hervor (und da ich ja das Ticket auch über eine Mail bestellen konnte, hoffe ich, dass auch diese Möglichkeit bald transparent angeboten wird).

Das Sharepic mit den im Text genannten Punkten und inkl. zwei Fotos aus dem Stadion. Wertung 4 von 5.

Barrierefreiheit

Der Weg mit der Straßenbahn/U-Bahn vom Hauptbahnhof zum Stadion ist gut barrierefrei, an beiden Standorten und (fast?) allen Zwischen-Stationen stehen Ordner bereit, die auch dabei unterstützen, in die Bahn zu kommen. Am Stadion angekommen erwartet einen eine große und moderne “Abfertigungshalle” — Messegelände eben.

Der Fahrstuhl bringt einen sofort und ohne weitere Umwege problemlos auf die Stadionebene. Dort angekommen sahen wir sofort zwei nette Menschen, die durch Westen sichtbar dem „Team Barrierefrei“ zuzuordnen waren. Da wir wegen Umbaumaßnahmen am Hauptbahnhof unsere Taschen nicht einschließen konnten, fragten wir uns hier also zur Gepäckabgabe durch.

Diese Taschenabgabe-Station, dazu findet man online leider keine Infos, steht unweit des Eingangs in einem Container allen Gästen kostenlos zur Verfügung, was ein Service! Da man aber online nichts dazu findet, haben wir am Bahnhof auch Leute getroffen, die ihre Taschen in der Innenstadt für 15€ in einem Café abgegeben haben, das hätte man sich wohl sparen können…

Aber noch etwas hat uns erfreut: Von dem Fahrstuhl am U-Bahn-Terminal aus startet direkt eine blaue Linie, die vorne mit einem Rollstuhlsymbol klar gekennzeichnet ist. Sie führt direkt zum barrierefreien Eingang. WOW! Gut, die Farbe könnte mal erneuert werden und nach 100 Metern weiß nur der, der den Start gesehen hat, wofür die Linie steht, aber hey, alle, die mit dem Fahrstuhl hochkommen, sehen dies ja und kennen den Sinn der Linie.

So gab es auch keinen „extra“ Eingang für Rollstuhlfahrer, wir sind einfach der blauen Linie gefolgt und kamen zu einem regulären Eingang; sind durch Security und Ticketkontrolle, alles barrierefrei und sehr breit, also für alle machbar, hindurchgerollt und gelaufen und waren sogleich im Stadion drin.

Das klingt vielleicht lapidar, aber eine solche Selbstverständlichkeit, einfach den „normalen“ Eingang nutzen zu können, auch mit seinen Freunden, in der Gruppe oder wie auch immer man unterwegs ist, das ist sonst so gut wie nirgends möglich.

Im Stadion dann sind die Wege breit, alles ist gut erreichbar und ausgeschildert, die Plätze sind auf einer Höhe, alle Verpfelgungsstände sind ebenso gut erreichbar und aufgrund der Vielzahl der Stände kann man sich auch gut einen aussuchen, der nicht so überlaufen ist. Die Toiletten sind unweit der Plätze, mit dem Euroschlüssel nutzbar und verfügen auch hier über mehrere Kabinen. Die Rollstuhlplätze an sich bieten eine super Sicht über das Spielfeld, sind recht weit unten (ca. Reihe 8) und da die Begleitperson diesmal vor einem sitzt, kann man verhältnismäßig gut steuern, wie aufgestanden wird und wie viel man als unbeweglichere Person dann noch vom Spiel mitbekommt. Zwar sind die Plätze nicht so gut nummeriert und abgeschirmt wie in München, weitere Features wie Tische oder Becherhalter gibt es hier auch nicht, aber da es sich bei den Blöcken in der Regel nicht um Durchgangsblöcke handelt, hält sich die Bewegung um die Plätze heurm im Rahmen des Erträglichen.

Das Sharepic zur Barrierefreiheit mit einem Foto eines Rollstuhl-Piktogramms zur Kennzeichnung des Platzes und dem barrierefreien Extra-Eingang zur U-Bahn am Düsseldorfer Stadion. Wertung 4 von 5.

Gesamterlebnis

In der Halbzeitpause sind wir ein wenig durch das Stadion gestreunt und haben am Stand des “Team Barrierefrei” ein kostenloses Ultra-Info-Heft (gegen Spende) mitgenommen. Dass das Team so sichtbar an zentralen Orten auf dem Weg zum und im Stadion platziert sind, zeigt, wie ernst das Thema hier genommen wird.

Für mich unterstreicht dies, was ich selbst in meinen Vorträgen immer sage:

Barrierefreiheit bedeutet nicht, an alles gedacht zu haben, auf jede Eventualität vorbereitet zu sein und “das beste Stadion” zu haben nach dem Motto “wir können ja nicht, solange wir nicht….”— nein, Barrierefreiheit heißt vor allem erst einmal zuhören und unterstützen, persönlich da sein für Anliegen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Die allermeisten Themen lassen sich persönlich klären oder zumindest sinnvoll anbringen, wenn es gerade keine unmittelbare Lösung dafür geben kann.

Auf der Rücktour dann das Highlight: Im U-Bahn-Terminal gibt es ein extra Tor für Rollifahrer, mobilitätseingeschränkte Personen, Eltern mit Kind und weiteren Bedürftigen, um diese sofort und ohne “Fußgänger-Konkurrenz” in den letzten Wagon der Bahn zu bekommen. Auch das ein absolutes Novum und, gestärkt durch die Security vor Ort, ein unglaublich sicheres und unbeschwertes Gefühl, weil man weiß, gut mit der Bahn nach hause kommen zu können.

Ein mit drei Ordnern und zwei Schildern gekennzeichneter Eingang für Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kind, um sicher und barrierefrei in die U-Bahn zu kommen

Die „Merkur Spiel Arena“ ist auf keinen Fall das schönste Stadion. Es fügt sich gut in das Image und Gesamtgelände der Messe ein; modern, funktional, für vieles gewappnet. ABER: Fortuna Düsseldorf bietet eine authentische Repräsentanz des Themenfeldes an (wenn auch nicht super modern), setzt sich sehr sichtbar für das Thema ein (online limitiert, vor allem aber am und im Stadion); steht bei Bedarfen und Rückfragen unkompliziert und unbürokratisch zur Verfügung und fängt den interessierten Fan so, selbst in Momenten des Zweifels, sicher auf.

Das Stadion kann problemlos mit den Öffis erreicht und genutzt werden und das Thema Barrierefreiheit wird auf den allermeisten Ebenen mitgedacht und umgesetzt.

Gibt es Verbesserungspotential? Na klar, wo gibt es den nicht, digital zum Beispiel und sicherlich ist auch hier inhaltlich beim Thema Inklusion seit 2022 noch etwas passiert — wieso also gibt es dazu keine Berichte?

Aber für den spontanen Rollstuhlfahrer, der einfach nur ein Fußballspiel sehen will und sich keine Gedanken um Reise, Platz und Transfer machen will, gibt es bisher wenig bessere Angebote, oder?

Das Sharepic mit dem Gesamterlebnis inkl. zwei Fotos aus dem Stadion. Wertung: 4 von 5.

Laut Bundesliga-Reiseführer hat die Merkur Spiel Arena aktuell 89 Rollstuhlplätze. Bei mehr als 50.000 Plätzen (rund 54.000) werden damit weder die von der DFL als Mindestanzahl angegebenen 100 Plätze bei mehr als 50.000 Zuschauerplätzen erreicht und nach der Sonder-Bau-Verordnung NRW (SBauVO vom 02.12.2016 § 10 (7) müssten auch hier mindestens 1% der Gesamtplätze für Rollstuhlfahrer geeignet sein, bei 54.000 Plätzen also rund 540 Plätze.

Auf der Seite der NRW Landesregierung heißt es unter Sportstätten: “Die sportliche Infrastruktur in NRW lässt keine Wünsche offen”. Bebildert ist dieser Beitrag mit — natürlich — einem Bild der Düsseldorfer Arena. Wie viele Wünsche doch offen bleiben, kann dann ja jede*r selbst ausrechnen…

Epilog

34 Stadien habe ich ja noch vor mir, vielleicht finde ich noch bessere. Wenn Du gleiche oder andere Erfahrungen in Düsseldorf gemacht hast und diese teilen möchtest, freue ich mich über Deine Nachricht!

Lass uns gemeinsam für eine inklusivere Zukunft im Sport kämpfen! Wenn du Ideen, Anregungen oder Erfahrungen teilen möchtest, zögere nicht, mich zu kontaktieren oder einen Kommentar zu hinterlassen. Zusammen können wir einen positiven Wandel bewirken!

Oder nutze den Hashtag #BehindertNichtDenFußball

weitere und hilfreiche Infos

Wenn Du mich suchst, dann findest Du mich hier:

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Nickfried - BehindertNichtDenFußball
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