Desillusionieren im besten Sinn

von Menschen, die sich Iron Man a cappella ansehen

Georg Reimond
7 min readFeb 17, 2017

--

Ich habe immer gerne an Videoproduktionen mitgearbeitet. Gut, dass mein neues Studium Content Strategie so vielseitig ist. Denn zum Skillset eines echten COS-Profis gehört offenbar auch ein profundes Wissen zum Thema “Video und Multimedia”. Im gleichnamigen Seminar mit FH-Dozent und Bewegtbildstrategen Hubert Weitzer gab’s essentielles Rüstzeug sowie unterhaltsame Einblicke in die Arbeit mit und hinter der Kamera — und am Ende Selbstgemachtes zum mit nach Hause nehmen.

Je mehr man sich mit den Entstehungsprozessen von Filmen beschäftigt, desto mehr verlässt man die Illusion, die das fertige Produkt auf den Laien auszuüben vermag. Das kann man schade finden, mir gefällt es. Auf einmal bemerkt man Dinge wie Schnittfolgen, Achsensprünge, Kameraeinstellungen, Ton, Musik und Bildgestaltung. Ein bisschen so, als hätte man das Trickbuch eines Zauberers entdeckt mit allen Bausteinen und Teilen, die man für eine gelungene Vorstellung braucht.

Es war einmal ein Dé­jà-vu

Wenn man dann selbst einen Film macht, muss man eben erst diese einzelnen Bausteine richtig zusammensetzen, um eine überzeugende Illusion zu erzeugen. Und dafür braucht man natürlich erst mal eine gute Story.

“Somebody gets into trouble. Gets out if it again. People love that story! They never get sick of it.” — Kurt Vonnegut

Menschen lieben Geschichten. Genauer gesagt, immer die sechs gleichen Geschichten — nur unterschiedlich erzählt. Dass sich Storys immer wiederholen entspricht auch den Aussagen des Filmprojekts “Everything is a Remix” von Kirby Ferguson, auf das im Seminar kurz hingewiesen wurde. Ferguson argumentiert, wie ich ich finde zu Recht, dass man immer auf vorhandenes Wissen zurückgreifen muss, um etwas neues zu erschaffen. Die Wiederverwendung und Neukombination von bereits Dagewesenem zur Erstellung von etwas Neuem — kurz, Remix — bereits seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar schon viel länger, die treibende Kraft hinter beinahe jeglicher Form von Kreativität.

Diese Erkenntnis lässt einen zwar ein wenig an der Intelligenz der Menschheit zweifeln, ist aber kulturgeschichtlich nachweisbar und hat natürlich aus professioneller Sicht seine Vorteile. Kennt man nämlich diese Grundbausteine quasi jeder Geschichte erst einmal, fällt die Produktion wirkungsvoller Geschichten schon etwas leichter.

Lights, Camera Action — sonst noch was?

Hat man dann einmal die Geschichte zusammen, muss man sie noch in den Kasten bringen. Im Seminar lernten wir dann die Basics, die es beim Filme machen zu beachten gibt. Kameraeinstellungen, Ton, Belichtung, Farbgebung, Schnittfolgen und Postproduktion. Auch an der Kalkulation der Kosten für diverse Medienprodukte durften wir uns versuchen. Pflicht und Kür sozusagen.

Neben dem Filmen selbst hat mich persönlich bei Videoproduktionen der Schnitt und die Postproduktion eigentlich immer am meisten begeistert. Auch wenn es schon des öfteren vorkommt, dass man schlaflose Nächte vor seinem Rechner verbringt, um einen 30-Sekünder so hinzubekommen, wie man sich das vorstellt. Rohmaterial sichten, an den richtigen Stellen schneiden, die richtigen Sounds dazu finden und vor allem auch die Musik auswählen sind Arbeitsschritte, die einen schon an den Rand des Wahnsinns bringen können. Muss man auch mögen.

Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum

Hubert Weitzer betonte auch die Wichtigkeit des Tons beim Film, indem er eine Szene aus Iron Man in ihre einzelnen akustischen Komponenten zerlegte. Ums kurz zu machen, ohne Sound Effekte und Musik war die Szene ungefähr so beeindruckend wie ein Furz im Wind. Da saßen wir gesammelt im Seminarraum und lachten kollektiv Iron Mans magere a cappella Performance aus. Einen ganzen Film würde sich wohl kaum jemand so ansehen. Das machen eben nur Menschen, die in der Produktion dabei sind.

Musik spielt nicht zuletzt deswegen so eine große Rolle, weil sie Emotionen transportiert. Dementsprechend wohl gewählt sollte auch die Musik sein. Die Beats per Minute entscheiden schon, ob man wach bleibt, einschläft oder an Sex denkt. In diesem Video kann man ganz gut nachsehen, wie sich unterschiedliche Musik auf ein und dieselbe Filmszene auswirkt:

Bildgestaltung und One Shot Wonders

Anhand diverser Beispiele zeigte uns Hubert Weitzer die wichtigsten Einstellungsgrößen und was diese jeweils bedeuten. Eine neue Erkenntnis für mich war, dass nicht der Regisseur sondern der Director of Photography sich hauptsächlich für die Bildgestaltung verantwortlich zeigt: Er tüftelt aus, wie man einen Schauspieler in einem Bild positioniert, welche Gegenstände sonst noch im Bild sein dürfen, welche Belichtung verwendet wird und was das alles dann symbolisieren soll. Ganz schön viel Arbeit, die man nur erkennt, wenn man sich aktiv damit beschäftigt.

Mit diesem Wissen achtet man beim Ansehen eines Films dann automatisch auf diese Dinge. Desillusion eben, aber dafür bemerkt man dann geniale Werke, wie zum Beispiel einen One Shot. Das sind Plansequenzen, die nur aus einer einzigen Kameraeinstellung bestehen, ohne einen einzigen Schnitt dazwischen. One Shots sind oft so gut im Film integriert, dass man als normaler Zuschauer oft gar nicht bemerkt, welcher Aufwand hier betrieben wird. Über einen One Shot im Film “Children of Men” berichtete uns Hubert Weitzer, dass hier extra ein Auto umgebaut wurde, damit sich die Kamera drehen kann. Bei all der Action und den vielen involvierten Darstellern kann man sich nur vorstellen, was für ein enormer Planungsaufwand hinter dieser Szene steckt.

Hier noch mein Favorit aus der One Shot Familie:

Mein Lieblings One Shot — aus Martin Scorsese’s Goodfellas

Selbst gemacht schmeckt’s doch am besten

Wer noch nie in der Praxis Multimediaprodukte hergestellt hat, der hat oft Respekt vor der Technik und traut sich keine gute Produktion zu. Anfang Februar konnten wir dann zum Abschluss des Seminars aber selbst Hand anlegen. Und wie heißt es so schön:

Everybody’s a filmmaker today.
- John Milius

Was sollte uns also aufhalten? In kleinen Gruppen aufgeteilt produzierten wir über den Tag verteilt vier fantastische Medienprodukte. One Shot war zwar noch keiner dabei, aber immerhin:

  • Cinemagramm
  • Stop-Motion Video
  • 360 Grad Foto
  • Vertigo GIF

Für mich persönlich war die Erstellung eines Cinamagramms das Highlight. Das sind Standbilder, die aber eine kleine Endlosbewegung enthalten. Ein gutes Beispiel für eine derartige Endlosschleife sind diese Seifenblasen:

Cinemagramm Quelle

Aber wie erstellt man selbst solche Zauberdinge? Wie sich herausstellt, gibt es mehrere Methoden um Cinemagramme zu erstellen. Oft wird aber einfach ein Foto bzw. ein Standbild mit einem Video kombiniert.

Im unserer Eigenproduktion wurde jedenfalls im Programm Final Cut die Videoaufnahme mit einem ausgewählten Standbild überlagert. Anschließend radiert man an der Stelle, an der sich die Bewegung befinden soll ein “Loch” in das Standbild, so dass dieser Teil des darunterliegenden Videos sichtbar wird. und zack, schon entsteht diese Illusion:

Cinemagramm im Eigenversuch

Die doch recht einfache Herstellung hat mich ein bisschen überrascht — im Positiven. Zumindest sah es einfach aus, Hubert beim Erstellen der Cinemagramme zuzusehen. Das einzige, was mir noch besser gefallen hätte: Wenn wir selbst mehr Hand bei der Postproduktion anlegen hätten können. Dann wäre der ganze Prozess einmal ganz selbständig erledigt gewesen und hätte sich vielleicht besser verankert.

Auch die anderen Produkte sind einen Blick wert. Das Stop Motion Projekt war jetzt mehr so eine Spielerei für mich, da ich das schon kannte. Immerhin konnte ich wieder mal Adobe Premiere entstauben und schneiden:

Beim Vertigo-Effekt wurde es schon wieder spannender. Die große Kunst ist dabei, die Kamera auf einer Schiene zum Objekt hinzubewegen während man mit dem Zoom so gegenarbeitet, dass die abgebildete Person immer gleich groß erscheint. Gruppen-Kollegin Ana “crazy eyes” Čukić durfte bei meiner Kameraführung Model stehen:

Ganz lustig fand ich auch die 360 Grad Kameras, die wir zum Ausprobieren zur Verfügung gestellt bekamen. Erkenntnis: Es ist keine Kunst, 360 Grad Fotos und Videos zu produzieren, wenn man das richtige Equipment hat. Ort und Motiv auswählen, abrücken, fertig. Das Gerät erledigt den Rest. Das schönste Beispiel, das an diesem Tag entstanden ist, kam aus der Feder von Kollegin Sarah Weishäupl, zu finden in ihrer Reflexion.

Great Expectations und “Oida” Momente

Theorie und Praxis geübt, schön und gut. Nur studieren wir ja nicht auf der Filmakademie. Warum muss man das als Content Stratege eigentlich können? Einerseits klar, Videos, GIFs und dergleichen sind ja auch Content und gute Inhalte sind Gold wert. Es gibt aber noch mehr Vorteile. Nehmen wir mal folgende Situation:

“Können Sie uns auch eines dieser viralen Videos machen? Am besten bis morgen und gratis, weil Handy hat ja eh jeder.”

Sicher, kein Problem.Wer im digitalen Marketing zu tun hat, wurde vermutlich auch schon mal mit solch realistischen Vorstellungen konfrontiert. Ich für meinen Teil hatte jedenfalls schon viele dieser Momente, wo die Erwartungshaltung und die Realität sich im Unendlichen treffen.
Hubert Weitzer nennt diese Momente der besonderen inneren Zufriedenheit österreichisch korrekt “Oida Momente”. Wer dem österreichischen Dialekt nicht mächtig ist, der kann bei COS15 Kollegin Anna Fokina die wichtigsten Begriffe nachlesen.

Dass hinter erfolgreich Produktionen und viralen Hits (die von Unternehmen erreicht werden) meist jede Menge Arbeit, eine gute Story und ausreichend Budget steht, ist vielen offenbar noch neu. Dank Hubert Weitzer haben wir jetzt einige Argumente mehr, um ahnungslosen Auftraggebern und Chefs zu erklären, dass es im Leben nichts gratis gibt. Auch keine viralen Videos und schon gar nicht über Nacht.

Fazit

Videoproduktionen haben mir schon immer Spaß gemacht. Ob für die Arbeit, für Bekannte oder für mein erstes Studium. Die Lehrveranstaltung “Video und Multimedia” kam mir also sehr gelegen. Neben einer unterhaltsamen Auffrischung konnte ich aber auch viel Neues mitnehmen. Mein persönliches Highlight des Produktions-Tages, das Cinemagramm, werde ich auch in Zukunft in der Arbeit nutzen. Alles in allem also eine ziemlich gute Ausbeute für eine Lehrveranstaltung.

--

--