Relevante Entwicklungen zur Begegnung der Komplexität im Marketing

Mit diesen 7 Marketing-Ansätzen den Digitalen-(Marketing)-Wandel meistern

Marius Goebel
13 min readFeb 13, 2020
Kontik — Relevante Entwicklungen zur Begegnung der Komplexität im Marketing – Photo by eggbank

In meinen drei vorherigen Artikeln habe ich die entstandene System-Komplexität verdeutlicht bzw. hergeleitet, die auch das Marketing zusehends tangieren:

  1. Warum es für das Marketing so wichtig ist, die Mechanismen der digitalen Transformation zu verstehen
  2. Digitale Transformation: Top 7 Auswirkungen auf ökonomische und gesellschaftliche Systeme
  3. Marketing: Eine Kurzgeschichte in drei Akten

In diesem Artikel möchte ich relevante Entwicklungen im Marketing darstellen, welche den aufgezeigten Komplexitätsproblematiken begegnen. Ferner sollen vor dem Hintergrund der digitalen Transformation mögliche Problemfelder dieser Anwendungen identifiziert werden.

1. Digitale Plattformen und Smarte Produkte als omnipräsente Begleiter

Die Revolution des Internets brachte digitale Plattformen mit bis dato neuartigen Geschäftsmodellen hervor. Diese digitalen Geschäftsmodelle basieren auf Produkten mit Distributions- und Transaktionskosten, die im Internet gegen nahezu Null tendieren. Ist ein digitales Produkt einmal hergestellt, lässt sich dieses zu sehr geringen Kosten beliebig oft reproduzieren — vice versa unterliegen digitale Produkte nicht den Gesetzmäßigkeiten der Knappheit.

Die Revolution der E-Commerce-Plattformen im späten 20. Jahrhundert transformierte das Einkaufserlebnis der Nutzer an sich, die eigentlichen Produkte blieben jedoch weiterhin physischer Natur. Die weitere Verbreitung von digitalen Geräten und deren Software sowie das Aufkommen der App-Ökonomie digitalisierten letzten Endes das originäre Produkt. Die App wurde zum eigentlichen Produkt für jedes Smartphone, als Tor zu einer digitalen Welt, in welcher die beste User Experience über die Marktführerschaft
entscheidet.

Digitale Plattformen wie Uber, Airbnb oder Facebook entstanden, welche ihre digitalen Services für den Nutzer meist kostenlos anbieten: Hoch skalierbare, digitale und flexible Unternehmen, deren Haupt-Assets digitale Plattformen, Anwendungen und Code darstellen. Physische Assets und Infrastruktur entscheiden nach den neuen Regeln der Digitalwirtschaft nicht mehr über Marktführerschaft.

„Uber, the world’s largest taxi company, owns no vehicles. Facebook, the world’s most popular media owner, creates no content. … Airbnb, the world’s largest accommodation provider, owns no real estates“

beschrieb Tom Goodwin im März 2015 dieses neue Muster im Markt.

Airbnb bietet seinen etwa 150 Millionen Nutzern eine Auswahl von vier Millionen Übernachtungsmöglichkeiten in 191 Ländern, welche über eine kostenfreie Plattform zwischen Privatpersonen gebucht werden können. Facebook vernetzt im ersten Quartal 2018 weltweit ca. 2,1 Milliarden Menschen, was etwa einem Viertel der Weltbevölkerung entspricht — ebenfalls über eine kostenfrei nutzbare Plattform.

Dabei zeichnet sich eine neuartige Wertschöpfungs-Mechanik ab, welche nach der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie der Service-Dominate-Logik besagt, dass „für Konsumenten … der Wert nicht am physischen Produkt, sondern am Gebrauchswert, der sich erst durch den Nutzer selbst realisiert“ hängt.

Schlussfolgernd entwickelt sich das eigentliche Produkt immer mehr zum Trägermodul für Softwareanwendungen zur Datengenerierung.

Der physische Aspekt verkommt in vielen Produktklassen somit immer mehr zur Hülle beziehungsweise zum Träger des eigentlichen Produktkerns — der smarten, intelligenten Software.

„As one industry after another looks at itself in the mirror and asks about its future in a digital world, that future is driven almost 100 percent by the ability of that company’s product or service to be rendered in digital form“

erkannte Nicholas Negroponte bereits im Jahr 1995.

Kontik — Digitale Plattformen und Smarte Produkte als omnipräsente Begleiter — Photo by Josh Withers

Nutzerdaten wie Verhaltensweisen, Vorlieben, Kommunikationswege, Bewegungsprofile etc., spielen für die Geschäftsmodelle der digitalen Plattformen oftmals eine tragende Rolle. Die gewonnen Nutzerdaten werden als Big Data aggregiert mit dem Ziel, diese gewinnbringend an Dritte zu verkaufen oder mittels Algorithmen zu filtern, um die eigene Plattform für Werbetreibende attraktiv zu machen— denn bei der Komplexität der heutigen Vernetzung stellen Plattform für Werbetreibende ein adäquates Mittel dar, basierend auf Nutzerdaten bestimmte Nutzergruppen, mittels Paid- oder Earned-Media spezifisch ansprechen zu können. So konnte beispielsweise Facebook im vierten Quartal 2017, basierend auf den eigenen Nutzerdaten, Werbeeinnahmen von $12,6 Milliarden verzeichnen.

Parallel zu den Entwicklungen der Digitalwirtschaft wurden signifikante Entwicklungsschritte im Bereich der Informations- und Mikroelektroniktechnologie vollzogen, welche neue Geräteklassen wie Smartphones oder Wearables hervorbrachten, die eine große Nachfrage am Markt erfahren. Diese neuen Geräteklassen waren einerseits ein großer Treiber des Erfolges der Digitalwirtschaft und ermöglichten es den digitalen Plattformen, Produkte und Services weiter auszubauen sowie gleichzeitig neue Datenquellen zu erschließen. Andererseits befähigten diese neuen Geräteklassen jedoch auch die Hersteller dieser elektronischen Hardware, wie beispielsweise Apple mit dem iTunes oder App Store, sowie traditionell in den physischen Produktklassen verankerten Unternehmen, wie beispielsweise Nike mit dem Nike Run Club, mittels digitaler Services Teil der neuen digitalen Wertschöpfungs-Mechanik zu werden.

Die aus den sportlichen und alltäglichen Aktivitäten erfassten Daten ließen die Nutzer schnell potenzielle Mehrwerte erkennen. Die Akzeptanz dieser technischen und digitalen Geräte wuchs zusehends über den Bereich des Freizeitsports hinaus. Statista prognostiziert allein für Wearables einen weltweiten Absatz von 172 Millionen Stück in 2020. Im Jahr 2023 soll diese Zahl bereits bei 489 Millionen Stück liegen.

Eine wachsende Zahl an Endgeräten bedeutet im Umkehrschluss auch eine größere Menge an Daten sowie eine Multiplikation der Kommunikationskanäle pro Nutzer. Gleichzeitig entstehen durch die im Zuge der Digitalisierung entstandene App-Ökonomie kontinuierlich neue Kommunikations- und Interaktionsangebote, in immer kürzeren Zyklen.

Die wachsende Datenmenge sowie die zunehmende Menge an Interaktionskanälen lässt neben Potenzialen jedoch auch sich zuspitzende Problematiken für Unternehmen und insbesondere für das Marketing identifizieren:

  1. Die kontinuierliche Erfassung, Aggregierung und Analyse dieser Daten;
  2. Die Bewertung, Adaption und Integration der wachsenden Zahl an Kanälen und Services in die strategische sowie operative Marketingplanung sowie die technische Implementierung dieser in bestehende Systeme.

Als weitere Herausforderung, insbesondere in der Produktpolitik, ist die geänderte Wertschöpfungs-Mechanik auszumachen. Unternehmen müssen künftig digitale Produkte entwickeln, welche ihren Nutzen nicht rein über das physische Produkt, sondern vielmehr über den Gebrauchswert schaffen.

2. Big Data als Grundlage des Data-Driven Marketing

Im Zuge digitaler Geschäftsmodelle ist das Big Data Konzept ein wesentlicher Bestandteil des Marketings geworden. In der Interaktion mit digitalen Plattformen und Services entstehen Daten über persönliche Zusammenhänge, Nutzerverhalten und Kommunikation.

Big Data beschreibt das Konzept der Einbeziehung von Daten in unternehmerische Prozesse. Hierbei werden Daten automatisiert erfasst und gespeichert, um anschließend mit Hilfe analytischer Methoden quantifizierbare Entscheidungen treffen zu können. Die Quantität sowie Qualität der Daten ist hierbei entscheidend für die Möglichkeit, Nutzer und deren individuelle Bedürfnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verstehen, ihnen individuelle Angebote unterbreiten zu können oder diese Informationen für den Nutzen Dritter in Form von Marketing-Kommunikationsmaßnahmen direkt oder indirekt zur Verfügung zu stellen.

Diese neuen Potenziale der datenbasierten Entscheidungsfindung und der auf Daten basierenden Geschäftsmodelle verdeutlichen den Stellenwert von Daten im Zuge der digitalen Transformation. Wedel und Kannan bezeichnen Daten auch als „the oil’ of the digital economy“, wobei Schöneberger und Ramge ausführen, dass Daten „nicht das neue Öl, …, sondern das neue Geld“ seien.

Das Big Data Konzept wird im Wesentlichen aus fünf Kernattributen gebildet. Hierbei handelt es sich um:

  1. Volume
  2. Variety
  3. Velocity
  4. Veracity
  5. Value

Volume, Variety und Velocity stehen für die Menge der Daten, deren Struktur sowie die Geschwindigkeit der Datenerfassung und -verarbeitung. IBM ergänzt mit Veracity die Wichtigkeit der Glaubwürdigkeit der Daten. Rossa und Holland beschreiben mit dem Kernattribut Value den Mehrwert, welcher durch das Erfassen und Analysieren der Daten generiert wird, das Fundament des Big Data Konzeptes.

Charakteristika von Big Data

Big Data findet heute vor allem Anwendung im Performance und Intelligence Marketing, wo sie bereits sehr präzise Aussagen über Erwartungen, Eigenschaften und Verhalten der Nutzer erlauben. Die aus Big Data gewonnen Erkenntnisse können dann sehr zielgenau in die Segmentierung von Konsumenten, die Preisgestaltung, die Analyse sowie die Gestaltung von Promotion-Maßnahmen, die Entwicklung ortsbezogener Werbemaßnahmen oder die Produktentwicklung einbezogen werden. Ziel dieser Maßnahmen ist es, eine engere Beziehung zu bestehenden Kunden aufzubauen, Produkte und Services auf individuelle Nutzerpräferenzen anzupassen sowie die Marketing-Kommunikation zu individualisieren und zu automatisieren. Werden Daten auf diese Art und Weise erfasst, sprechen Experten auch explizit von Big Data Marketing oder Data-Driven Marketing. Data-Driven Marketing kann das Marketing unter anderem in der Quantifizierung von Marketingmaßnahmen, der Darlegung des ROMI und, wie bereits geschildert, dem Erfassen des Customer Lifetime Value unterstützen. Des Weiteren hilft der zusätzliche Erkenntnisgewinn im Data-Driven Marketing dabei, entsprechende Strategien zu definieren.

Auf Seiten der Unternehmen besteht heute das Problem der Verarbeitung entsprechend hoher Datenmengen. Tatsächlich ist heute nur eine geringe Anzahl von Unternehmen, wie beispielsweise Amazon, Alibaba, Baidu, Facebook oder Google, in der Lage, die Komplexität des heutigen Datenmarktes zu durchdringen und entsprechend zu monetarisieren. Die übrigen Unternehmen scheitern oftmals an der Komplexität der digitalen
Märkte
oder haben keinen primären Zugang zu diesen.

Im Zuge des Big Data Konzepts oder als mögliche Lösung für die Probleme und Grenzen von Big Data wurde die Begrifflichkeit Small Data Konzept entwickelt. Small Data stellt die Qualität der gesammelten oder gefilterten Daten in den Vordergrund. Hier werden qualitativ hochwertige Daten erfasst und analysiert, um daraus Informationen und Lösungspotenziale für Unternehmen gewinnen zu können.

Im Zuge des Small Data Konzeptes wurde ferner das Konzept der Smart Data entwickelt — Smart Data steht für eine intelligente Verarbeitung von Big Data, die nützliche, hochwertige und belegbare Daten erzeugt. Christian und Griffith identifizieren dabei die fehlende Intelligenz heutiger Algorithmen als erhebliche Schwäche. So läge die Genauigkeit heutiger Algorithmen bei ca. 36 Prozent. Ein großes Potenzial sehen Christian und Griffith hingegen in lernenden Algorithmen, welche in Zukunft eine Präzision von 99 Prozent erreichen könnten.

Kontik — Big Data als Grundlage des Data-Driven Marketing — Photo by Lava Lavanda

Als weitere Herausforderung im Umgang mit Daten lässt sich für Unternehmen die Thematik des Schutzes von persönlichen Daten identifizieren. Anwender, Datenschutzexperten und die Politik stehen den Bereichen Datenschutz und Privatsphäre im Zusammenhang mit Big Data zunehmend kritisch gegenüber und befürchten Eingriffe in Privatsspähre sowie daraus resultierende Schäden. Ein erstes Maßnahmenpaket stellt hier die im Mai 2018 in Kraft getretene europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dar, welche die Speicherung personenbezogener Daten regelt sowie einen Versuch darstellt, den Urhebern die Selbstbestimmtheit über ihre Daten zurückzugeben. Für Unternehmen resultiert aus diesem regulatorischen Eingriff eine erhebliche Herausforderung in der Prozesspolitik der Datenspeicherung. In Bezug auf die DSGVO bleibt kritisch zu hinterfragen, ob die verabschiedeten Maßnahmen in der Realität die beabsichtigte Nutzer-Privatsphäre gewährleisten können.

3. Der Customer Centricity Ansatz und die steigende Relevanz der Customer Experience

Einen weiteren relevanten Ansatz im Marketing stellt Customer Centricity nach Peter Fader dar. Customer Centricity zielt darauf ab, alle Unternehmensbereiche, Produkte und Services auf gegenwärtige sowie zukünftige Bedürfnisse, Anforderungen und Verhaltensweisen ausgewählter Kunden auszurichten, mit dem Ziel, den Wert dieser Kunden für das Unternehmen langfristig zu maximieren. Es geht dabei darum, die Interaktionen für wertvolle Kunden besonders angenehm zu gestalten. Die für ein Unternehmen wertvollen Kunden werden in den meisten Fällen aufgrund der Höhe ihrer Rentabilität bestimmt.

Big Data spielt im Customer Centricity Konzept eine zentrale Rolle, wertvolle Kunden zuverlässig zu identifizieren, um auf Basis dessen zu entscheiden,welche Kundenbindungsmaßnahmen dem jeweiligen Kundenwert angemessen sind. Darüber hinaus ermöglicht Big Data, den Kunden als Individuum kennenzulernen sowie seine Verhaltensweisen und mögliche, zukünftige Bedürfnisse zu studieren, mit dem Ziel, nicht alle Kunden gleich behandeln zu müssen. Vielmehr seien die Ressourcen des Unternehmens dem individuellen Kundenwert angemessen einzusetzen.

Fader beschreibt die Customer Centricity als entscheidende Strategie, um als Unternehmen eine langfristige Profitabilität sicherstellen zu können.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass das Konzept der Customer Centricity bisher nur durch wenige Unternehmen — wie beispielsweise Amazon, IBM, Tesco oder Netflix — umgesetzt wird. Dieser Umstand ist zum einen auf die signifikanten und notwendigen Änderungen des Organisationsdesigns, der Leistungskennzahlen sowie der Mitarbeiter- und Vertriebsstrukturen zurückzuführen, welche viele Unternehmen nicht ohne Weiteres gewährleisten können. Zum anderen sind fehlende Dateninfrastrukturen sowie Analysefähigkeiten der Unternehmen zusätzliche Gründe für die geringe Verbreitung des Customer Centricity Ansatzes. Als einer der Vorreiter in diesem Sektor ist Amazon zu nennen. Amazons CEO Jeff Bezos erklärt:

„We see our customers as invited guests to a party, and we are the hosts … It’s our job every day to make every important aspect of the customer experience a little bit better.“

Kontik — Der Customer Centricity Ansatz und die steigende Relevanz der Customer Experience — Photo by USGS

Mit diesem Zitat spricht Bezos einen weiteren relevanten Aspekt im modernen Marketing an: Die Customer Experience. Customer Experience bezeichnet die Erfahrung eines Kunden mit einem Unternehmen über alle Marken-Touchpoints hinweg. Ein Touchpoint beschreibt jede mögliche Art und Weise, auf die ein Kunde mit einer Marke interagieren kann.

In der Customer Experience wird davon ausgegangen, dass der Fokus des heutigen Kunden nicht bloß auf der Transaktion von Produkten liege, sondern auf dem Erfahren einzigartiger Erlebnisse. Die Customer Experience hat zum Ziel, ein optimales und persistentes Markenerlebnis an allen Touchpoints der Interaktion zwischen Kunde und Marke zu schaffen. Dies soll nicht nur eine Individualisierung von Ansprache und Botschaften in der Interaktion mit dem Kunden ermöglichen, sondern vielmehr gewährleisten, dem informierten und anspruchsvollen Prosumenten gerecht zu werden. Die Optimierung der Marken-Touchpoints beabsichtigt dabei ferner, Differenzierungsmerkmale zum Wettbewerb herauszuarbeiten und den Kunden emotional an die Marke zu binden.

Im Zuge dessen spielt ebenfalls die Begrifflichkeit User Experience eine wichtige Rolle, welche teilweise synonym für Customer Experience verwendet wird. Die Disziplin des User Experience Design ist dabei jedoch eher auf die Optimierung einzelner Produkte, Dienstleistungen oder Interaktionen fokussiert.

Die Customer Experience nimmt eine übergeordnete sowie kommerzieller geprägte Sichtweise in der Gesamtheit der Optimierung des Markenerlebnisses ein. Die User Experience legt ihren Fokus vor allem auf das Design interaktiver Produkte, die — durch Benutzerfreundlichkeit ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Zielgruppe sowie das Transportieren des Markenimages — die Beliebtheit der Marke weiter steigern soll.

Bei der User Experience geht es vordergründig um die Erfahrungen, die ein Produkt oder eine Dienstleistung seinen Nutzern bietet. Sie entscheidet letztendlich sogar darüber, ob ein Kunde erneut in Interaktion mit einer Marke treten wird.

Eine excellente User Experience stellt für Unternehmen somit einen wesentlichen und nachhaltigen Wettbewerbsvorteil dar — denn um Daten aggregieren zu können, benötigen Unternehmen in erster Linie Nutzer, die mit ihren Produkten und Services interagieren.

Marken müssen ihre Produkte und Services so gestalten, dass sie den Nutzern einen simplen und intuitiven Zugang ermöglichen, damit diese sich auf den Plattformen langfristig bewegen sowie interagieren.

4. One to One Marketing-Ansatz

Im Zeitalter von Donald Draper befand sich das One to Many Marketing auf seinem Höhepunkt. Heute wird dieser Ansatz zunehmend vom One to One Marketing-Ansatz abgelöst. Über die letzten Jahrzehnte des 20. und 21. Jahrhunderts haben sich vor allem die Werbebotschaften aus den Massenmedien, insbesondere über die Möglichkeiten des Internets, zunehmend granuliert — sprich es ist wieder möglich geworden (wie damals im Krämersladen), Kunden gezielt und individuell mit spezifischen Botschaften und Triggern anzusprechen.

Dieser Trend wird sich nach Experten in Zukunft weiter fortführen. Doch selbst heute ist es vielen Unternehmen noch nicht möglich, ein individualisiertes Kundenerlebnis über die gesamte Customer Journey hinweg zu gewährleisten. Eine Untersuchung hat jedoch ergeben, dass 70 Prozent der befragten Marketing-Experten den Erfolg mit individualisierten Marketingmaßnahmen bestätigen, und 79 Prozent der Befragten messen
der Umsetzung solcher Maßnahmen einen besonders hohen Stellenwert bei. 72 Prozent der Befragten geben an, durch die Individualisierungsmaßnahmen kennzahlenbedingte Erfolge in Hinblick auf Kundenbindung und Markenwahrnehmung zu verzeichnen.

Gartner prognostiziert ein 200-prozentiges Wachstum im Bereich des individualisierten Marketings. Die Individualisierungsmaßnahmen der Unternehmen beschränken sich hierbei nicht nur auf Maßnahmen der Marketing-Kommunikation, sondern weiten sich zunehmend auch auf die Produktpolitik aus. Was für digitale Produkte und in der hochpreisigen Automobilbranche Standard ist, ermöglichen neue Produktionsmethoden zunehmend auch für physische Güter mit weitaus geringerem Wert, so beispielsweise individualisierte Sportschuhe oder Taschen.

Dieser Trend wird im Zuge der digitalen Transformation und Industrie 4.0 noch weiter voranschreiten. „Die Individualisierung ist einer der Megatrends“, sagt Christian Rätsch, CEO der Agentur Saatchi & Saatchi Deutschland, und fügt hinzu: „Dahin geht die Reise in fast allen Produktbereichen.“ Als Herausforderung ist hierbei die Organisation komplexer Prozesse und erhöhter Datenflüsse zu identifizieren, die durch das Marketing in den Konfigurations- und Bestellprozessen der Nutzer aufgefangen werden müssen.

Kontik — One to One Marketing-Ansatz — Photo by Nick Fewings

Geoffrey Colon greift den Wandel der Märkte in der Digitalisierung auf und bemerkt insbesondere die neuen Kundenrollen, die aus diesem Wandel resultieren: Kunden seien für konventionelle und unpersönliche Marketingbotschaften im klassischen One to Many Ansatz immer weniger empfänglich. Colon beschreibt die Wichtigkeit, die Kunden dort zu erreichen, wo sie sich physisch, digital sowie mental befinden und kleinere, spitze Zielgruppen sehr individuell anzusprechen. Ferner hebt er die zunehmende Dezentralisierung des Marketings hervor, nach welcher jeder Kunde zum Markenbotschafter werden kann. Colon weist auf die Notwendigkeit der Individualität der Kundeninteraktion hin und merkt an, dass es dabei vor allem darum ginge, Werbung nicht als solche erkennen zu lassen sowie eine starke Marken-Community aufzubauen.

Das Konzept der Communities greift außerdem Pieter Hintjens auf. Hintjens beschreibt die Schaffung von

„Artificial Living System, which imitate … living systems [, welche aus einer] … large numbers of independently owned components [bestehen, die] work together, competing and collaborating, in a free market for services, labor, resources, and knowledge.“

Hintjens konnte beobachten, wie in Zeiten der Digitalisierung herkömmliche Kampagnen in Form von Anzeigen, Landingpages und Newslettern zunehmend an Relevanz und Geltung verloren. Als Herausforderung und Aufgabe für das Marketing sieht er hierbei das Orchestrieren von dezentralen, werthaltigen Communities als selbstorganisierende, soziale Systeme ohne Eintrittsbarrieren. Phillip Reed, Director by Think Big Social, beschreibt den Wandel vom Konsumenten zum mündigen Nutzer mit einem

„… increasing trend away from consumers simply being influenced by brands, to the point where brands are now increasingly being controlled and influenced by their consumers.“

Herausforderungen und Probleme des Marketings in der digitalen Transformation

Für das Marketing als Werkzeug der Unternehmensführung lassen sich die folgenden Kern-Herausforderungen und -Probleme im Kontext der digitalen Transformation identifizieren.

Im Zuge der digitalen Transformation sind neue Geschäftsmodelle und Produktklassen erwachsen, die für Nutzer besonders eingänglich sind und diese miteinander vernetzen. Sie zeigen zudem einen Weg der Individualisierung des Marketings auf, stellen Unternehmen aufgrund der erwachsenen Komplexität hierbei jedoch zusehends vor Herausforderung. Die Märkte und Interaktionen mit und zwischen Kunden werden zunehmend komplexer. Neue Geräteklassen des Internet of Things verschärfen den Komplexitätskonflikt zusehends und generieren zunehmende Mengen an Daten.

Als weiteres Problem lässt sich die Bewältigung immenser Datenmengen ausmachen, die mittels der digitalen Produkte und Geräte generiert werden. Doch selbst, wenn Unternehmen die Hürde der Erschließung von Datenquellen mittels Big Data genommen haben, stehen sie vor der Herausforderung, relevante Daten zu filtern und anschließend zielführend auszuwerten.

In diesem Zusammenhang ist die Betrachtung des Marketings heutzutage unbedingt unter dem Aspekt der Individualisierung notwendig. Unternehmen können sich in den dynamischen, stark wettbewerbsorientierten Märkten nur durch die Erfüllung individueller Kundenbedürfnisse differenzieren. Kunden sind vielerorts immun für Werbebotschaften geworden und großteils lediglich für unaufdringliche und zugleich kontextbasierte, individualisierte Angebote empfänglich.

Der persönliche Kontakt zum Kunden erfährt in der heutigen Zeit einen immer höheren Stellenwert. Natalie Ehrsam von der Universität Zürich hält fest: „Der gesellschaftliche Wandel liegt vor allem in der Individualisierung. Kunden wollen als Individuen wahrgenommen und entsprechend bedient werden.“ Doch die Vielzahl an Kommunikationsmedien und -kanäle stellt das Marketing hier abermals vor große Komplexitätsprobleme in der Erreichung der Nutzer.

Abschließend sei in diesem Artikel eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) anzuführen, welche beschreibt, dass „Konsumenten … am liebsten von Menschen bedient werden [möchten], die aber möglichst so schnell wie ein Computer sein sollten. Gleichzeitig möchte man sich persönlich behandelt fühlen, der Verkäufer sollte aber am besten nichts über einen wissen.“

Paradox! Und, ein Mensch so ”schnell wie ein Computer”? — Wo führt uns das hin?

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Marius Goebel

Freelance Marketing & Digital Strategy Consultant — Creating meaningful brands — www.kontik.de