Blended-Meetings — Teil 2

Dr. Alexander Klier
Beck et al.
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8 min readApr 26, 2020

Bild: fauxels — group of people 3184360 auf Pexels. Verwendung unter den Lizenzbedingungen von Pexels.

Ein Beitrag von Frank Heublein und Alexander Klier, beide Mitarbeiter bei Beck et al.

Nun ist es soweit. Quasi über Nacht wurde das Home Office zur Standardeigenschaft virtueller Zusammenarbeit. Plötzlich sind Dinge möglich, die noch Anfang des Jahres undenkbar gewesen sind — positiv wie negativ. Denn mit der plötzlichen Umstellung auf das Homeoffice geht ja einher, die Strukturen (nicht) zu durchdenken, die ein Home Office erst produktiv werden lassen. Dazu gehört an allererster Stelle natürlich einen entsprechenden Raum in den eigenen vier Wänden zu haben — noch nicht einmal nur ergonomisch gesehen. Vielfach haben sich hier — notgedrungen — Arrangements entwickelt, die die digitale Zusammenarbeit zwar ermöglichen, mitunter aber deutliche Nebenwirkungen haben. Dazu wird es sicher neben all den vielen guten Hinweisen im Internet, wie man auf Distanz gut zusammenarbeiten kann, noch weitere Analysen geben.

Uns bei Beck et al. interessiert erst einmal weiterhin, diese Rahmenbedingungen daraufhin zu überprüfen. Besonders natürlich, inwiefern virtuelle Meetings bestimmte Voraussetzungen haben, weil sie unterschiedliche Rahmungen beinhalten. Dazu haben wir in Teil eins hier bereits einige Ausführungen gemacht, die sich zunächst auf Blended-Meetings im allgemeinen beziehen. Mit diesem Blogbeitrag wollen wir noch einmal spezifischer darauf blicken, was — im Regelfall sogar ziemlich einfach — zu beachten ist, damit die virtuellen Meetings auch wirklich produktiv werden. Alles übrigens wiederum Regeln, die auch für den ganz normalen Analogbetrieb zu beachten sind bzw. eigentlich besser: Von dort aus ihren Ursprung genommen haben.

Virtuelle Meetings gut gestalten

Wie bereits erwähnt ist es auch bereits bei herkömmlichen, also ganz normalen physischen Treffen sinnvoll, einige Überlegungen dazu einzustellen, was deren Produktivität erhöht. Wir beziehen uns hier rein auf die Aspekte, die für die unterschiedlichen Rahmungen eine wichtige Rolle spielen.

Sag, was tust Du da?

Unser Titelbild zeigt eigentlich ziemlich gut eine Standardsituation von Gesprächen: die Notebooks sind aufgeklappt, Gespräche werden auch bilateral geführt und insgesamt findet das Meeting in einer freundlichen Atmosphäre statt. Das kann man zumindest anhand der Gesichtsausdrücke und der Haltung der Teilnehmer:innen annehmen. Das ist bereits eine der ersten Stolperfallen, denn im virtuellen Kontext ist das gar nicht immer alles, jedenfalls nicht von vornherein, sichtbar. Das Unsichtbare muss hier dann explizit zur Sprache gebracht werden. Das gilt ganz besonders für Handlungen, die von Teilnehmer:innen in virtuellen Meetings, oft nebenbei und gar nicht immer bewusst, gemacht werden.

Das Aus- und Ansprechen von Handlungen, die nicht (direkt) sichtbar sind, ist bereits bei physischen Präsenztreffen nicht wirklich üblich. Der ständige Blick auf das Smartphone, das tippen nebenbei ins Notebook oder auch nur der gelangweilt scheinende Blick an die Zimmerdecke: Die Anwesenden sehen zwar, dass die Teilnehmer:innen etwas anderes tun, als dem Gespräch zu folgen, sie wissen aber nicht, was die Absicht (der Rahmen) dahinter ist. Dabei kann der Hinweis darauf, beispielsweise nach wichtigen Informationen im Internet zu suchen oder einfach (beispielsweise auf der Plattform) mitzuprotokollieren bzw. über einen Aspekt nachzudenken deutlich helfen, dass alle einschätzen können, was die Intention der Handlung ist. Aussprechen — und schon sind wieder alle im gleichen Rahmen.

Die Praxis sieht digital noch problematischer aus: keiner traut sich beispielsweise zu sagen, dass ein:e Teilnehmer:in sprachlich schlecht verständlich ist. Weil man also den inhaltlichen Ausführungen schlecht folgen kann nimmt man hin, was er oder sie sagt. Ein inhaltlicher Austausch dazu findet aber nicht statt, weil es nicht verstanden worden ist und insofern ist es wenig produktiv. Das gilt übrigens ganz besonders für sprachliche Arrangements, in denen nicht in der Muttersprache kommuniziert wird: hier wird das akustische Unverständnis noch viel schneller zu einem inhaltlichen Unverständnis. Dabei wäre es so einfach! Genauso einfach, wie Gestik und Mimik einzubeziehen, jedenfalls dann, wenn es sich um virtuelle Präsenzmeetings im Sinne einer Videokonferenz handelt.

Mach dir ein Bild von mir

Ein besonders erstaunliches — und weit verbreitetes — Phänomen der unterschiedlichen Rahmungen ist, dass, in dem Moment, in dem ich selbst die anderen gut sehen kann, insbesondere deren Gesichter, kein zweiter Blick darauf gerichtet wird, ob ich selbst für die anderen ebenfalls gut sichtbar bin. Der Rahmen (“ich sehe die anderen gut”) wird automatisch auf das eigene Sichtbar-sein angewendet insofern, als es gegeben scheint, dass ich auch gut sichtbar bin. Nur so ist zu verstehen, warum eingeschaltete Videokameras volle Bücherregale, den gesenkten Blick auf irgendetwas vor jemandem Liegendes oder auch nur den Haarschopf der Teilnehmer:innen zeigen, nicht jedoch das, auf was es ankommt: das Gesicht mit seiner mimischen Ausdruckskraft. Mach dir ein Bild von mir: nirgends gilt der Spruch so unmittelbar wie bei der Teilnahme an Videokonferenzen. Denn erst dieses Bild, genauer die Ermöglichung, der Mimik und Gestik zu folgen, macht eine inhaltliche Verständigung möglich und nebenbei auch viel einfacher. Eine Rückfrage dergestalt, ob ich auch gut zu sehen bin, kann hier bereits sehr viel helfen. Als letztes gehört dazu auch die kommunikative Ver-äußerung des Bild durch explizites Nachfassen, beispielsweise über die einfache Nachfrage “habt ihr mich verstanden?”.

Gib mir Deinen Avatar

Eine auch für uns nicht ganz alltägliche Situation haben wir unlängst bei einem Kunden mitgestaltet. Diese beschreiben wir etwas ausführlicher, weil die Überschrift nicht selbsterklärend ist. Einer unserer braslianischen Kollegen sollte an einem Präsenzmeeting, genauer einem sechsstündigen Workshop, teilnehmen. Ihm war es “nur” virtuell möglich, uns jedoch physisch. Wir haben den Termin vor Ort wahrgenommen und haben ihn in diesem Workshop begleitet, insofern handelte es sich hierbei um eine typische Blended-Meeting Konstellation. Für dieses Vorhaben haben wir eine tragbare Kamera-Mikrofon-Einheit mitgenommen, die wir vorab auf dem Laptop installiert und getestet hatten. Nicht nur auf die technische Funktionalität, sondern auch auf die Qualität: verstehen sich die Parteien beidseitig akustisch? Ist also Mikrofon und Lautsprechereinheit der Einheit für einen Raum geeignet, der auf etwa 12 Personen ausgerichtet ist? Angekündigt waren wir etwa 45 Minuten vor Veranstaltungsbeginn vor Ort, um die Technik einzurichten. Laptop aufbauen, Kamera einrichten, den “besten Platz” für den virtuellen Teilnehmer aussuchen: von welcher Position kann die Kamera sowohl die teilnehmenden Personen, als auch eventuelle Workshopprozesse wie Präsentationen und Post-its kleben mitverfolgen?

Die Intention dieser Handlung, also die Rahmung war: jemand von uns sollte eine physische Repräsentation (einen Avatar) für den nur virtuell teilnehmenden Kollegen darstellen. Damit ist schon das Wichtigste angesprochen: als physischer Stellvertreter muss jemand einen bedeutenden Teil seiner Aufmerksamkeit auf den Kompagnon richten. Dafür wird es allen anderen Anwesenden aber ziemlich leicht gemacht, mitzubekommen, was der virtuelle Counterpart macht, denkt und sagt — ganz einfach deshalb, weil er damit im Rahmen der physischen Präsenz auftaucht.

Kommen wir noch einmal kurz zum allgemeinen Rahmen der wichtig ist, um virtuellen Teilnehmer:innen eine bestmögliche Teilnahme zu ermöglichen:

  • Zuallererst geht es darum, die physischen Teilnehmer:innen aktiv abzuholen und von der Idee in Kenntnis zu setzen.
  • Dann geht es darum, den oder die virtuelle:n Kolleg:innen als Teilnehmer:innen einzuführen.
  • Der verfügbaren Monitor wird zum (virtuellen) “Sitzplatz” in der Runde. Entsprechend muss er auch von allen gut sichtbar sein.
  • Während des Meetings wird per Chat die Verbindung zum/zur virtuell teilnehmenden Kollegen/Kollegin aufrecht erhalten. So kann die Stimmung im Raum genauso übermitteln werden, wie notwendige Klarstellungen abgestimmt und eingebracht werden können.
  • Dabei muss der physische Vertreter wirklich als Avatar fungieren und beispielsweise Redezeit einfordern. Oder auch dadurch, wichtige Punkte zusammenzufassen oder zu wiederholen, damit alles korrekt verstanden wird.
  • Dabei kann es auch notwendig werden, die Kamera immer wieder neu auszurichten: sie ist ja quasi das Auge des virtuellen Counterparts. Eine Ausrichtung beispielsweise auf die Person, gerade spricht, erhöht wiederum die allgemeine Aufmerksamkeit.
  • Spiegelbildlich gilt natürlich auch für den virtuellen Kollegen/die virtuelle Kollegin, sich durch den Avatar tatsächlich vertreten zu lassen. Das erfordert eine große Konzentration, lohnt sich jedoch, weil wichtige Beiträge in die allgemeine Runde beigesteuert werden können oder auch Befindlichkeiten ihren Weg in den virtuellen Raum finden.

Ein solches Vorgehen erfordert, verschiedene Tools zu verwenden. Das führt sehr unmittelbar zum nächsten Punkt.

Verwende alle Tools

Das gesprochene Wort ist flüchtig. Das gilt ebenfalls bereits in ganz analogen Settings, wird aber im virtuellen Raum noch einmal verstärkt. Nicht umsonst haben deshalb Videokonferenzsysteme eine Reihe von zusätzlichen Möglichkeiten, der Flüchtigkeit von gesprochener Sequenzen zu begegnen: Ein Chat ist hierbei quasi Mindestbedingung. Daneben gibt es jedoch weitere ziemlich interessante Anwendungsmöglichkeiten, beispielsweise interaktive Whiteboards, gemeinsame Notizen im Sinne eines Dokuments, die Möglichkeit eines Screensharings und sogar Arbeitsgruppenräume. Richtig produktiv werden virtuelle Meetings also erst dann, wenn auf die Vielfalt an Möglichkeiten zurückgegriffen wird. Allerdings ist es auch hier so, dass die Anwendung der Tools zum Rahmen passen muss. Sollen Arbeitsgruppen Teilergebnisse erarbeiten, dann brauchen sie auch einen Auftrag dazu. Dieser muss beschrieben werden. Letztlich müssen auch die Ergebnisse in das Gesamtvorhaben einfließen, sonst wird die (virtuelle und analoge) Gruppenarbeit zum rhetorischen Gimmick.

Gerade das Screensharing wird häufig falsch eingesetzt. Es ist eine alte Präsentationsregel, dass Präsentationen das gesprochene Wort ergänzen oder auch visualisieren sollen. In keinem Fall sollen sie es aber ersetzen. Das bedeutet wiederum, entsprechend vorbereitete PowerPoint Präsentationen spartanisch zu benutzen. Es bedeutet aber auch: Benutze sie und bereite dich vor, damit ein gemeinsames Verständnis hergestellt werden kann und es nicht nur beim flüchtigen gesprochenen Wort bleibt. Als letztes schadet der Hinweis sicher nicht, dass natürlich parallel zum Verlauf der Sitzung das Mitschreiben in einem Wiki der Plattform es problemlos ermöglicht, gemeinsame Protokolle anzufertigen und damit für alle festzuhalten, was diskutiert und vereinbart worden ist.

Fasse dich kurz

Die digitale Besprechungsumgebung verstärkt Aspekte, die bereits im analogen Raum relevant für den Erfolg einer Besprechung sind. Je kürzer, klarer, einfacher, prägnanter und präziser man Aussagen trifft, desto wahrscheinlicher werden diese Informationen so aufgenommen, wie man es beabsichtigt. Ebenso hilft die Fokussierung auf den “einen” Punkt und dessen (nur) einmaliger und damit prägnanter Erläuterung. Mithin: man sollte nicht zu viele Inhalte auf einmal in ein solches Meeting hinein packen. Hier sind digitale Kommunikationsmittel über Plattformen mit ihrem asynchronen Modus des Austauschs deutlich im Vorteil. Das wiederum ist ein eigenes Thema.

In mulitlingualen Arbeitsumgebungen sollte man sich darüber im Klaren sein, dass mit den Personen auch unterschiedliche Sprachniveaus am Tisch bzw. im Raum sitzen. Besonders stark prägt sich das aus, wenn Muttersprachler und (durchschnittlich talentierte) Nicht-Muttersprachler miteinander sprechen. Alle Teilnehmer sollten aktiv darauf achten, dass sprachliche Barrieren nicht die Inhalte beeinträchtigen. Im schlechtesten Falle gehen so gute Ideen verloren. Im optimalen Fall sollten in der Meetingvorbereitung wichtige Aspekte und Argumentationen in der Fremdsprache — in einfachen Worten — eingeübt werden bzw. übersetzt vorliegen. Die im Internet verfügbaren Übersetzungsmaschinen wie etwa DeepL oder Google Translator sind diesbezüglich zwar schon ziemlich gut. Was aber für das Argumentieren gilt, gilt auch für die (maschinellen) Übersetzungen: je kürzer und einfacher die Formulierung, desto weniger semantische Übersetzungsfehler können entstehen.

Ausblick

Wie bereits einführenhd erwähnt, sind die Grenzen zu Blended-Learning Seminaren, mindestens wenn sie virtuelle Sitzungsanteile enthalten, fließend. Die gleichen Effekte dürften sich auch bei klassischen Webinaren einstellen, weil auch hier für die Teilnehmer:innen Medienbrüche (unterschiedliche Rahmungen) möglich sind bzw. die virtuellen Anteile eine deutliche Rolle spielen. Wirkungsvolles Kommunizieren online oder auch der fruchtbare virtuelle inhaltliche Austausch sind in jedem Fall etwas, was man nur gemeinsam lernen kann. Sie sind also ein kollaboratives Ergebnis. In genau diesem Sinne kann man es aber auch für Lernprozesse im Sinne eines Social Learning umsetzen.

Unser konkreter Vorschlag lautet: Planen Sie Zeit fürs Reflektieren nach den Meetings ein und sprechen Sie ab und zu explizit über die Meeting- und Lernumgebungen. Das bewusste Ansprechen von Limitierungen und Vorteilen der Meetings vergegenwärtigt den Teilnehmer:innen die eigene Sicht und ermöglicht so, von den Sichtweisen der anderen Teilnehmer:innen — bzw. deren Rahmungen — kennen zu lernen.

Blended-Meetings sind für uns bei Beck et al. nicht nur etwas altgewohntes, sondern auch die spezielle Form einer digitalen Kollaboration über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg. Nicht nur das: Meetings sind ein ziemlich generischer Anwendungsfall. Das aber können wir in diesem Blogbeitrag nicht mehr behandeln.

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Dr. Alexander Klier
Beck et al.

Ich arbeite bei der Firma changeable GmbH. Während meiner Beschäftigung bei Beck et al. habe ich diese Beiträge für cen Corporate Blog verfasst.