Engländer erklärt Die WELT

Lukas Maria Matzinger
#betajournalism berlin
5 min readNov 20, 2014

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Der Managing Editor für den Bereich Mobile der WELT-Gruppe Leeor Engländer erklärt in schönem Sprech das Selbstverständnis der Redaktion, referiert über die aussterbende Gruppe der Printleser, die Zusammenlegung mit dem eingekauften TV-Senders n24, die Medien-Welt und alles drumherum. Ansichten eines Mannes, der seit vier Jahren Referent bei WELT-Chefredakteur Jan-Eric Peters ist und alle 14 Tage die legendäre Kolumne „Schmonzes“ schreibt. Über den Journalismus von morgen:

„DIE WELT ist eine der drei großen gedruckten Tageszeitungen in Deutschland. Wir haben in der alten gedruckten WELT zwei große Mitbewerber. Das ist die Süddeutsche Zeitung die Frankfurter Allgemeine Zeitung.“ — Ok.

Bei uns gibt es keine Online-Journalisten und irgendwelche Print-Journalisten. Diese Trennung gibt es bei uns schon seit zehn Jahren nicht mehr.“ — Engländer über den stolz(machend)en Dekadenvorsprung und die Debatte beim Spiegel-Verlag, das Printprodukt und dessen Onlineversion zusammenzuführen.

„Unsere gedruckte Zeitung ist ein Best-of dessen, was wir hier den ganzen Tag lang produzieren.“ — Engländer sagt, dass es in der Printversion der WELT ausnahmslos nichts gibt, was nicht schon Stunden zuvor im Netz zu lesen wäre. Radikal.

„Wir sehen keinen Grund darin, Infos für die Zeitung aufzubehalten. Denn erstens sind sie dann alt, zweitens gibt es da draußen ein sehr viel größeres Publikum, als wir je mit der klassischen Version erreichen könnten.“ — Reichweite is all you need.

„Das müssen Sie mal die Printleser fragen, warum die das machen. Fakt ist: Sie tun’s“ — Engländer darüber, warum sich jemand die gedruckte WELT überhaupt noch antun sollte.

„Wer eine gedruckte Zeitung kauft, hat die schon seit vielen Jahren. Das ist auch eine Alters- und Generationenfrage. Er wird diese Zeitung behalten, oder sich irgendwann dagegen entscheiden. Das können wir sowieso nicht verhindern. Die Debatte, ob niemand mehr das Printprodukt kaufen würde, wenn wir alles ins Internet stellen… — andersrum wird ein Schuh draus: Spätestens die Generation nach uns interessiert sich für so ein altmodisches Medium wie eine gedruckte Zeitung voraussichtlich nicht mehr. Wenn wir es bis dahin nicht geschafft haben, die an uns zu gewöhnen, dann haben wir die verloren.“ — Ein deutscher Michael Fleischhacker über Bock, Schuh, Trichter und einen sterbenden Morgenbegleiter.

„Es gibt Nischen, es gibt spezielle Märkte, wie den Wochenmarkt, den Wochenendmarkt, den Magazinmarkt. Es gibt sogar Titel, die haben noch Wachstum, aber das ist die Ausnahme von der Regel. Aber wenn wir es uns wirtschaftlich und sozial angucken, dann ist Print kein Wachstummarkt.“ — Engländer über no na.

„Wir müssen gucken, wo unsere Leser sind. Wo unsere Nutzer, muss man wahrscheinlich schon sagen, sind und was die wollen. Was verlangen die von uns? Wie muss ein Produkt online aussehen? Wie muss die digitale Zeitung der Zukunft aussehen? Wenn wir uns ansehen, wie sich die Nutzer verhalten, dann kommen wir nicht drum herum, dass diese Menschen Bewegtbild haben wollen…Es gibt ganze Geschichten, die braucht man gar nicht mehr im Print geschrieben zu erzählen, weil man sie sich angucken kann.“ — Engländer erklärt die pragmatischste Motivation des Zukaufs von n24.

„Es ist kompliziert mit einem Fernsehsender umzuziehen.“ — Engländer über Probleme, die nicht viele Menschen haben.

“Wir sehen das jetzt schon, dass wir da die Schlacht um Mobile zum Teil schon verloren haben. Es gibt Wettbewerber, die sind nach uns in den Markt gekommen und haben dann direkt auf Mobile gesetzt und sind jetzt schon mobil größer als stationär.“ — ein besiegter Managing Editor Mobile.

Der originale Online-to-Print-Newsroom

„Das Konzept unserer mobilen Webseite ist es ein vollwertiges, perfektes Produkt anzubieten für den Nutzer. Was versteht der Nutzer darunter? Das ist einerseits sicher, dass man die kleinteilige schnelle Information hat — snackable news. Aber es spricht überhaupt nichts dagegen zu sagen ‚Da ist das volle Programm drin. Da ist der Leitartikel drin, die Reportage, da ist alles, was wir haben wollen drin.‘ Alles andere ist nur ein Korpus, dem die Arme und die Beine fehlen.“ — recht bildlich über den Anspruch von Axel-Springer.

„Die momentane Situation ist so, dass Funke eher nicht mehr den überregionalen Teil von uns haben will, aber wir ganz gut damit fahren, indem wir immer noch den regionalen Content von denen übernehmen. Es funktioniert, ist lukrativ.“ — Engländer über Haben, aber nichts dafür Machen.

„Alles was wir hier sehen, wird immer noch finanziert von Print.“ — Engländer über ein prähistorisches Geschäftsmodell von Axel-Springer.

„Auch kein Geheimnis: Wir sind unter den allerersten auf der neuesten Smartwatch von Samsung.“ Engländer über etwas vielleicht Cooles, das eigentlich aber niemanden interessiert.

„Gänseblümchen auf der Wiese kann jeder pflücken. Jetzt kommen wir, und verlangen fünf Euro dafür.“ — Engländer über 60.000 Online-Abos der WELT, die „relativ sehr erfolgreich“ seien.

„Kein anderer verlangt Geld dafür. Die Inhalte, die wir haben, sind jetzt nicht gerade hochexklusiv. Nachrichten gibt es überall umsonst.“ — die medientechnische Version von Gänseblümchen.

„Es hat sich gar nichts geändert. Früher hatten wir auch einen Quotendruck, wir brauchten Auflagen. Wenn wir uns morgens, mittags oder abends gefragt haben, welche Schlagzeile wir auf der Seite eins brauchen, dann haben wir uns gefragt: ‘Welche dieser Zeile wird dafür sorgen, dass wir die meisten Leser haben?’ Das machen wir jetzt nicht mehr einmal am Tag, sondern 24 Stunden am Tag. Früher haben wir uns immer gefragt, hat es funktioniert, oder nicht? Vier Wochen später hatten wir die Auflagenzahlen. Früher haben wir uns gefragt ‚hat es funktioniert, weil es geregnet hat, oder weil die Sonne schien, oder weil die Leute auf Urlaub waren?” — Leeor Engländer kennt keinen Quotendruck.

„Der da mit der Brille.“ — Leeor Engländer auf die Frage, wer denn nun entscheiden würde, was tatsächlich in die Zeitung kommt.

„Das ist eine Mär. Das ist eine Lüge. Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte.“ — Leeor Engländer hält nicht viel von unterschiedlichem Aufbau von Print und Online-Artikeln.

„Was wir haben sind Online-Formate. Die kann man schlecht drucken. Einen Liveticker zum Beispiel, das Ding können sie nie drucken.“ — Leeor Engländer spricht aus Erfahrung.

„Da hab ich erst gestern die Auswertung bekommen: 50% der Artikel, die wir online veröffentlichen, gehen auch in den Print.“ — Leeor Engländer mit der druckfrischen Exklusiv-Info.

„User generated Content ist vorbei, das gab es wahrscheinlich sogar nie wirklich. Das hat nicht funktioniert.“ — Leeor Engländer über … über was eigentlich?

“Es gibt gar nicht viele Menschen, die das können. Wenn Sie sich spezialisieren wollen und wirklich erfolgreich werden wollen in diesem Business, dann machen Sie Datenjournalismus. Im Verhältnis zu anderen Ländern kann man mit Datenjournalismus in Deutschland sehr schnell erfolgreich sein.“ — ein weitsichtiger Leeor Engländer.

„Es gibt Onlineformate, die schauen tatsächlich nicht mehr aus wie Zeitungsartikel. Das sind 20 Bilder mit ner Bildunterschrift. Das ist ein hervorragend, da ist jeder damit zufrieden, das klickt wie Schnitzel.“ — wie Schnitzel!!

Link zum Axel-Springer-Lokalaugenschein

Fotos von Andreas Eymannsberger

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