“Klicks sind nicht böse”

Nach einem Gespräch mit den Tagesspiegel-Bloggern der Berliner Bezirke Wedding und Zehlendorf fand Carmen Schucker, Autorin des Kreuzberg-Blogs des Tagesspiegels, schade, dass sie nicht dabei war. Ein ergänzendes Interview über den Bezirk Kreuzberg, knallharte Klicks und einen superlokalen Anspruch.

Maximilian H Tonsern
#betajournalism berlin

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Bist du eine “idealistische Lokalpilotin”?

Idealismus? Ich weiß nicht. Für mich ist es eher eine Notwendigkeit, etwas das Spaß macht, aber gleichzeitig noch viel zu wenig vorhanden ist. Auch wenn wir hyperlokal bloggen und Themen auffangen wollen, die es so im Print nicht gibt, existieren noch immer unsagbar viele Themen, zu denen man nicht kommt. Auch nicht im Blog. Wir machen selten das, was wirklich kleine Lokalzeitungen tun, zum Beispiel den lokalen Sport beleuchten. Das findet weder im Print, noch Online statt. Es gibt also Bereiche im lokalen Journalismus, die noch immer offen sind.

Carmen Schucker (Foto: Carmen Schucker)

Die hyperlokalen Blogs sind dazu da, um “im Kleinen große Geschichten” zu entdecken. Wann wird etwas in Kreuzberg zum Thema?

Ein Thema ist dann Thema, wenn es Menschen interessiert. Das muss tatsächlich kein „großes“ Thema sein, das ist vielleicht eine geplante verkehrsberuhigte Zone im Kiez. Themen also, bei denen man vermeintlich der Meinung ist, das wären kleine. Dadurch, dass sie aber Leser interessieren, werden sie zu großen Themen. Alles, was in Kreuzberg passiert, interessiert ja Menschen stadtweit. Fast schon bundesweit.

Du meintest vorab, du würdest das mit den Klickzahlen anders sehen. Ist der Kreuzbergblog als einziger klickoptimiert?

Das ist die typische Meinung, die einem aus der Print-Ecke entgegenkommt: Online ist auf Klicks aus. Aber ich würde sagen, dass wir das, was wir im Print nicht haben, auf jeden Fall online bekommen: Feedback vom Leser. Das sieht man knallhart an Klicks. Wenn nicht geklickt wird, ist es schwer zu behaupten, dass man jemanden erreicht. Klicks zeigen, ob ein Text gelesen wird. Wir messen aber nicht nur, wie viele Menschen auf einen Text klicken, sondern auch, wie lange sie darauf verweilen.

Station in Kreuzberg: Das Kottbusser Tor. (Foto: Carmen Schucker)

Klicks und gute journalistische Geschichten schließen sich nicht aus. Eine Geschichte, die letztens ziemlich gut online ging, handelte vom kleinsten Haus in Kreuzberg. Das war ein sehr kleines Thema, aber eine gute Geschichte. Und die Geschichte hatte viele Klicks. Deswegen sind Klicks nicht böse.

Was für deine Blogkollegen zählt, sind nicht Klicks, sondern Reaktionen, die die jeweiligen Blogeinträge hervorrufen. Reicht dir das als Feedback nicht?

Schwer zu sagen. Wenn ein Text gut geklickt wird, wird er auch gut kommentiert. Je kontroverser ein Thema, desto mehr. Beim kleinsten Kreuzberger Haus wird nicht soviel kommentiert, weil es da nicht soviel zu sagen gibt. Aber bei der Geschichte rund um die Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule wird diskutiert. Ich würde sagen, dass Feedback natürlich ausreicht. Aber ich weiß nicht, ob man das immer so gesagt bekommen muss, ob eine Geschichte gut ist. Sicher — wenn ich auf eine Bezirksversammlung gehe und von den Leuten dort gesagt bekomme, dass es schön und gut ist, dass der Kreuzbergblog nun existiert, ist das schon auch ein Indiz. Aber für mich sind es tatsächlich auch die Klicks.

Ist das Tagesspiegelblog-Konzept wirklich zukunftsträchtig und gewinnbringend?

Zukunftsträchtig auf jeden Fall. Ob es Gewinn bringt, muss sich sicherlich noch zeigen. Ich finde es toll, dass der Tagesspiegel, der überregional und lokal sein möchte, jetzt zusätzlich noch einen superlokalen Anspruch stellt. Das ist die Zukunft. Wir haben das, was den Berliner Zeitungen eigentlich fehlt.

Auch in Kreuzberg: Super Kritzeleien. (Foto: Carmen Schucker)

Wo findet man in Kreuzberg abseits von Gentrifizierung und „Schickimicki-Hipster“ Geschichten?

Bei den Flüchtlingen in der Gerhart-Hauptmann-Schule zum Beispiel. Die waren ein problematisches Thema für den Blog, da es nämlich mehr als meine Stelle benötigte. So wurde ich von den Kollegen im Blatt extrem unterstützt. Die haben dann auch mitgeholfen beim Blog, weil einer alleine das unmöglich schaffen konnte, da es sich um so ein umfassendes Thema handelte. Eigentlich wollte ich ganz weg vom großen Thema, ich wollte es unter einem anderen Aspekt bringen.

Als die Polizei dann die Ohlauer Straße und die Schule absperrte, solidarisierten sich viele Anrainer mit den Flüchtlingen. Viele hingen Laken mit Sprüchen aus den Fenstern. Diese Bilder der Solidarität habe ich fotografiert und online gestellt, gar nicht mehr viel dazu geschrieben, sondern das auch mal für sich sprechen lassen.

Für umfassendere Berichterstattung hätte man also mehr Personal im Blog benötigt. Stößt da das Tagesspiegel-Blogkonzept an seine Grenzen?

Für einen allein wäre das nicht schaffbar gewesen. Ich hatte aber Unterstützung, das Thema lief auch im Print. Viele Kollegen wohnen auch in Kreuzberg, so konnte ich einige als Gastautoren gewinnen. Sicher kann man sagen, dass es besser wäre, wenn es mehr Personal gäbe. Aber ich finde, es ist auch in Ordnung, wenn das nur einer macht.

Ausgangspunkt für dieses Interview: Die doch sehr unterschiedliche Meinung Schuckers zu der ihrer Blogkollegen

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