How to

Das kleine 3x3 der Formatentwicklung

Wie ihr es wahrscheinlicher macht, dass aus eurer Formatentwicklung ein wirklich gutes Format wird.

Nico Brugger, Formatgold.com
BR Next

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Wir im Bayerischen Rundfunk entwickeln immer wieder neue Formate, um auf verschiedensten Plattformen die Menschen in Bayern zu erreichen. Dabei haben wir gelernt, wie sehr strukturiertes Vorgehen dabei hilft, auf kreative Lösungen zu kommen und wie wichtig Phase I und Phase III für den langfristigen Erfolg sind.

Phase I: Die Vorbereitung

Photo by Mindsplash Studio on Unsplash

1. Das wahre Ziel herausfinden

Es gibt immer eine Sache, die zu Beginn steht. Mal ist es das Thema, mal die Zielgruppe, die Plattform oder das Budget mit dem „was mutiges Neues“ ausprobiert wird. Die entscheidende Frage ist: Um was geht es wirklich?

Ein Beispiel: Eine Redaktionsleiterin aus der Politik will mehr junge Frauen mit einem neuen, „etwas anderen“ Politikformat erreichen und schlägt vor, damit auf TikTok zu gehen.

Im Gespräch stellt sich raus: TikTok ist nur eine Idee von ihr. Wirklich wichtig ist ihr Erfolg bei jungen Frauen. Deshalb stehen ab jetzt zwei Dinge über allem: Die Zielgruppe der jungen Frauen und das Thema Politik. Ob diese Zielgruppe ein „etwas anderes“ Format will und welche Plattform die richtige ist, kommt später.

An dieser Stelle empfiehlt es sich, auch über Finanzierung zu reden. Wer dauerhaft eine neue Zielgruppe erreichen will, muss davon ausgehen, dass sich am Ende des Prozesses ein Team bzw. eine Redaktion täglich hauptsächlich darum kümmert.

Anderenfalls, also wenn ein Kanal nebenher als Zweitprodukt einer linearen Sendung bespielt werden soll, ist der folgende Prozess meist zu aufwendig. Der Klassiker „Lasst uns erstmal schauen, was dabei rauskommt und dann über Geld reden“ kann gut aufgefangen werden, indem man sich über den Umfang (Projektmindestdauer, Anzahl der Personen pro Tag) des Projekts einigt, der im Anschluss wirklich vorstellbar ist.

2. Die Sprintfrage entwickeln

Das Wichtigste zuerst: Wir müssen wissen, wer diese „jungen Frauen” wirklich sind. Dazu ist die Medienforschung sehr hilfreich. Die arbeiten meist mit Studien von Sinusmilieus oder Mediennutzungstypologien.

Der Grund: Junge Frauen sind noch keine Zielgruppe, für die man entwickeln kann, dafür sind sie zu heterogen. Wichtige Zuschnitte sind Wertvorstellungen, Mediennutzung, Sozialisation, Bildung, Herkunft etc.

Im Beispielfall könnten das weibliche Expeditive (vgl. Sinusmilieus) zwischen 20 und 30 Jahren sein. Gibt es neben den zwei Faktoren Zielgruppe & Thema noch etwas, das schon von vornherein feststeht? Beispielsweise die Produktionsbedingungen oder ein Host? Dann gehört es in die Sprintfrage — denn später wird nur bedient, was hier definiert ist.

Tipp: Ein paar Leitplanken (3–5) sind gut und sogar förderlich für den kreativen Prozess. Werden es deutlich mehr, wird der Spielraum hingegen sehr eng. Wenn jedoch das Budget schon klar ist, sollte man das nicht außen vorlassen.

Beispielhafte Sprintfrage: Wir suchen ein Angebot, mit dem wir die Zielgruppe der expeditiven Frauen zwischen 20 und 30 Jahren mit Themen von politischer Dimension dauerhaft erreichen.

3. Die Zielgruppe kennenlernen

„Hey, hast du vielleicht ne halbe Stunde Zeit, dich mit mir zu unterhalten?“ Dieser Satz fällt in dieser Phase häufig. Denn um ein echtes Gefühl für die Zielgruppe zu bekommen, ist es hilfreich, „echte Menschen“ kennenzulernen und sie über alles auszufragen.

Wo bekommt ihr diese Menschen her? Wer die Möglichkeit hat, über Agenturen. Oder bei bestehenden Produkten aus deren Communities. Zur Not könnt ihr auch Menschen aus dem erweiterten Bekanntenkreis befragen. Wichtig ist, dass sie wirklich zur definierten Zielgruppe gehören.

Die Grundlage dafür, wer überhaupt die Zielgruppe ist, haben wir anhand der Sinusmilieus näher bestimmt. Im Gespräch mit der Zielgruppe interessiert alles, was für das Produkt relevant sein könnte.

„Was schaust du, wie schaust du, wann schaust du, warum schaust du? Worüber hast du zuletzt mit deinen besten Freundinnen geredet, bei was rufst du deine Mutter an? Was ist dir viel wert im Leben und was kannst du nicht leiden? Welche Promis magst du und mit welchem Problem kämpfst du im Moment?“

Wir lassen uns Bildschirmzeiten zeigen, schauen, wem die Person in den sozialen Netzwerken folgt, schauen gemeinsam Videos usw. Aus der Mischung zwischen Sinus-Milieubeschreibung und persönlichen Erfahrungen wächst eine Vorstellung für unsere Zielgruppe und damit das Fundament, die Bedürfnisse der Nutzer:innen wirklich zu verstehen.

Phase II: Die Formatentwicklung

Photo by Alice Dietrich on Unsplash

1. Die richtige Entwicklungsmethode

Wir haben gute Erfahrungen mit der Methode des Design-Sprints gemacht und sie auf die journalistische Formatentwicklung angepasst.

Bei den fünf Tagen am Stück für ca. sieben Personen bekommt so manche Redaktionsleitung erstmal Schnappatmung. Unter dem Strich ist das aber viel effizienter als monatelange Arbeitsgruppen, in denen zum Schluss Konzepte auf Papier entstehen.

Bei unserer Methode gibt es nach fünf Tagen bereits getestete Prototypen zu hören und sehen. Danach weiß man ziemlich gut, was die nächsten To Dos sind und warum es sich lohnt die anzugehen. Der Ablauf:

Tag 1 — Problem verstehen; Input von Nutzer:innen & Expert:innen

Tag 2 — Inspiration sammeln & Ideen entwickeln

Tag 3 — Ideenauswahl und Vorbereitung der Prototypen

Tag 4 — Produktion Prototypen

Tag 5 — Nutzer:innen testen Prototypen

2. Die Besetzung

Die Menschen, die wesentlich für das Gelingen des Formats verantwortlich sein werden, sollten dabei sein. Das sind je nach Produkt: Geldgeber:innen (Entscheider:innen), Autor:innen, Cutter:innen, Communitymanager:innen, Distributor:innen, Kameraschaffende etc.

Sehr eingespielte Teams ergänzt ihr am besten mit Leuten aus ganz anderen Bereichen, damit eine neue Gruppendynamik entsteht und neue Perspektiven einfließen.

Insgesamt sollte aber nicht mit mehr als zehn Personen gesprintet werden — mind. jedoch sechs. Wichtig ist, dass alle mit voller Energie dabei sind.

Folgende Rollen sind zu besetzen:

Sprintmoderator:in — Leitet und führt durch den Sprint. Entwickelt selbst kein Format.

Entscheider:in — Verantwortet das neue Produkt, besorgt die Kohle und entscheidet punktuell (nicht nach Geschmack, sondern nach gemeinsam erarbeiteten Kriterien).

Teilnehmer:innen — Entwickeln und pushen die neuen Formate.

3. Der Spirit

Photo by Braydon Anderson on Unsplash

Klingt ein bisschen nach Feelgood und Aperol Spritz, ist aber wirklich hilfreich. Die Sprint-Methode baut darauf, dass alle ihre Gedanken, Ideen und ihr Wissen mit der Gruppe teilen. Weil das Teamplay so wichtig ist, lohnt es sich, dafür etwas zu investieren.

Eine schöne Raumgestaltung, Verpflegung (Kaffee, Wasser, Obst & Süßes) und ein klarer Zeitplan schaffen eine Atmosphäre, in der es Spaß macht zu arbeiten. Das ist die beste Grundlage für ein positiven Umgang miteinander.

Kurze Lockerungen und genügend Pausen helfen, den Fokus zu halten. Je besser es die Gruppe schafft, sich wohlwollend und unterstützend zu verhalten, desto mehr Mut und bessere Ideen werden entstehen. Besonders als Sprintleitung kann man auf diese Faktoren positiven Einfluss nehmen.

Phase III: Launch und Weiterentwicklung

Photo by Bill Jelen on Unsplash

1. Vom Prototypen zum Piloten

Am Ende des Sprintprozesses werden verschiedene, manchmal mit heißer Nadel gestrickte Prototypen getestet. Daraus lässt sich erkennen, welche Idee am vielversprechendsten ist und wie sie weiterentwickelt werden muss.

Danach folgt die Phase, in der das Produkt einmal in der bestmöglichen Form produziert wird. Dieser Pilot (nicht mehr Prototyp) sollte im Idealfall nochmal mit Nutzer:innen getestet werden, falls bereits bestehend auch direkt auf der Plattform.

Auf Grundlage dieses Nutzer:innenfeedbacks kann entschieden werden, wie es mit dem Format weitergeht — also ob es nochmal einer Überarbeitung bedarf oder ob ihr direkt loslegen könnt.

Tipp: Bei allem Respekt vor dem Bauchgefühl der Chef:innen — versucht das Feedback der Nutzer:innen als entscheidenden Faktor zu etablieren.

2. Aufmerksamkeit erzeugen

Jetzt kommt einer der schwierigsten Teile, weil wir Journalist:innen ironischerweise darin meist am schlechtesten sind: Aufmerksamkeit erzeugen.

Logisch: Das beste Format bringt nichts, wenn es niemand nutzt. Leider ist das nicht so leicht, denn der Kampf um die Aufmerksamkeit in der digitalen Medienwelt ist hart. Die Konkurrenz heißt nicht WDR und NDR, sondern meistens Netflix, Spotify & YouTube.

Trotzdem ist es möglich, wenn man diese Fragen wichtig genug nimmt: Marketing, Crosspromo, Kooperationen, Aktionen, Shoutouts generieren, Seeding etc.

Hier macht sich bezahlt, wenn hierfür jemand mit Erfahrung in Community- und Distributionsmanagement von Anfang an im Team dabei war.

3. Iteration mit der Community

Hört das denn nie auf mit dem Verbessern? Zum Glück nicht. Denn das Schöne an digitalen Produkten ist, dass man dank der Community-Kommentare und der Statistiken sehr schnell erkennt, worin man gut und schlecht ist.

Die eigentliche Arbeit am Format fängt jetzt an — und wird belohnt. Denn je besser man lernt, für seine Community zu erzählen, desto schneller wächst sie und desto größer und stabiler wird die Reichweite.

Wie z.B. die Redaktion unseres YouTube-Kanals “Lohnt sich das?” ständig von der Community lernt, lest ihr hier.

Das Team “Digitale Formatentwicklung” ist Teil der Abteilung “Digitale Entwicklungen und Social Media” in der Informationsdirektion des Bayerischen Rundfunks.
Leitung: Manuela Baldauf;
Team “Digitale Formatentwicklung”: Salvan Joachim, Anna Siefert, Mira-Sophie Potten, Margarethe Jall, Simon Heimbuchner, Max Hofstetter, Thomas Becht, Jasmin Körber und Nico Brugger.

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