UX Test mit Android Automotive

Wie wir die App in einer realen Umgebung getestet haben

Chris Riss
BR Next
6 min readJan 23, 2024

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Android Automotive im Auto testen ist nicht alltäglich. Innovative Ideen fordern auch ein „um die Ecke denken“, wenn es um Nutzertests geht. In diesem Artikel teilt das pub.UserLab einen Einblick in das Testing von Apps im Automotive-Bereich.

Als das Projektteam von „ARD Audiothek unterwegs“ mit der Bitte auf uns zukam, eine Android-Automotive-App auf Verständnis und Nutzerfreundlichkeit zu testen, hat uns dies vor neue Herausforderungen gestellt.

Das Betriebssystem „Android Automotive“ war zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr bekannt und nur in wenigen Fahrzeugen verbaut — und wir hatten bis dahin noch nie eine dafür geschriebene Anwendung getestet.

Für diejenigen, die bisher nicht mit Android Automotive zu tun hatten:
Android Automotive ist — nicht zu verwechseln mit Android Auto — ein eigenständiges Betriebssystem. Es läuft auf einem Computer im Fahrzeug und ist nicht auf ein externes Smartphone angewiesen.

Dieses Betriebssystem besitzt auch eigene Stores, um Apps wie zum Beispiel die ARD Audiothek herunterladen und nutzen zu können.

Die Idee des “ARD Audiothek unterwegs” Features ist es, den Nutzer:innen während längeren Autofahrten standortbezogene Inhalte anzubieten. Entlang der deutschen Autobahnen weisen hunderte touristische Unterrichtungstafeln (“braune Autobahnschilder”) auf bestimmte Orte hin, mit bloßen Schlagworten wie “Kloster Weyarn” oder “Pappenheim”. Die Funktion soll nun die Neugier nach den Geschichten hinter diesen Informationshappen stillen.

Das Feature wurde unter dem Namen „Drive by Bayern” ursprünglich nur für Bayern entwickelt. Durch das Anschließen des SWRs an das Projekt und dem Ausbau des Features läuft dieses nun unter dem neuen Namen „ARD Audiothek unterwegs”.

Mehr Informationen dazu unter: https://www.br.de/unternehmen/inhalt/technik/drive-by-bayern-110.html

Unsere Herausforderungen bei der Vorbereitung
Unser Ziel war es, mit der „ARD Audiothek unterwegs” einen moderierten Nutzertest durchzuführen. Da wir unsere Produkte seit einigen Jahre nur noch remote testen, uns aber in diesem Fall aufgrund technischer Hürden nur einen Test vor Ort vorstellen konnten, fingen wir mit dem Planen an.

Wichtig war uns, das Testsetting so real wie möglich zu gestalten, wie es auch in Zukunft von den Nutzer:innen verwendet werden soll.

Unsere erste Idee: das Feature mit den Testpersonen in einem realen Fahrzeug mit einem Automotive Betriebssystem während der Fahrt testen. Hört sich erstmal einfach und sinnvoll an.

Bei dieser Idee ergaben sich einige Hürden:

· Es gab zum Test-Zeitpunkt nur wenige Autos, die mit Android Automotive ausgestattet waren.
· Die Akquirierung von Testpersonen, die auch bereit sind, während der Fahrt einen Test zu machen, wäre schwierig und aufwendig geworden.
· Und vor allem: hinsichtlich Verkehrssicherheit und auch versicherungs-rechtlich verbietet es sich von vornherein, einen Nutzertest in einem von der Testperson selbst gesteuerten Fahrzeug durchzuführen.

Die Idee
Daher mussten wir unsere intuitive erste Idee verwerfen und ein anderes Testdesign entwickeln. In einem Fahrzeug des Bayerischen Rundfunks wollten wir mit Hilfe eines Tablets das Automotive Betriebssystem darstellen.

Mithilfe einer App, die es ermöglicht, die empfangenen GPS-Signale zu überschreiben, konnten wir auch im stehendem Fahrzeug eine Fahrt auf der Autobahn simulieren.

Unsere nächste Herausforderung: das Rekrutierung passender Testpersonen. Diese nehmen wir hauptsächlich über die Plattform Testingtime vor, welche über eine große Auswahl an potenziellen Testpersonen mit unterschiedlichen Charakteristiken verfügt.

Unsere Zielgruppe für diesen Test sollten eigentlich Personen sein, die bereits Automotive verwendet haben oder sogar ein damit ausgestattetes Fahrzeug besitzen.

Leider mussten wir bald feststellen, dass die Chance, solche Testpersonen zu rekrutieren sehr gering ist, da Android Automotive wie erwähnt noch sehr neu und bis jetzt nur in wenigen Autos verbaut ist.

Also entschlossen wir uns, als Kriterium für den Test Erfahrungen mit Android Auto vorauszusetzen, damit die Testpersonen zumindest mit einer ähnlichen Benutzeroberfläche vertraut sind. Es sollte für die Testpersonen kein komplettes Neuland sein, digitale Inhalte in einem Auto zu verwenden.

Die Durchführung der Interviews
Wir installierten neben dem Tablet noch zwei GoPros mit Mikrofon in unserem Testfahrzeug, um die Tests zu dokumentieren. Ein Kollege aus dem Entwickler-Team stand bereit, um bei technischen Problemen um schnell Support zu leisten.

Die Testpersonen nahmen auf dem Fahrersitz Platz. Auf dem Beifahrersitz saß außerdem noch der Moderator sowie auf dem Rücksitz der Protokollant.

Unser Testablauf:
· Testperson kennenlernen
· Erwartungen abfragen
· Erstkontakt der App beobachten
· Konkrete Aufgaben stellen, sowie Hürden & Probleme dokumentieren
· App-Funktionen bewerten lassen
· Abschlussfeedback

Unser Test-Setup. Die Device-Halterung haben wir aus einem Mundharmonika-Halter improvisiert :-)

Die Test-Erkenntnisse

Nutzerverhalten besser verstehen
Generell können wir festhalten, dass wir durch diesen Test sehr viele Erkenntnisse zur Android-Auto- und Automotive-Nutzung im Allgemeinen sammeln konnten.

Bisher war uns kaum etwas über die Mediennutzung im Auto bekannt. Welche Medien werden während einer Autofahrt verwendet? Wie werden diese genutzt? Wie gehen die Nutzer:innen mit dieser Oberfläche im Auto um?

Der Test hat uns dabei geholfen, Antworten auf viele dieser Fragen zu bekommen. Die Nutzer:innen beim Umgang mit diesem System zu beobachten und mit ihnen darüber zu sprechen, brachte viele Erkenntnisse, die zukünftig in die Produktentwicklung einfließen können, um die Nutzbarkeit unserer Automotive-Produkte zu verbessern.

App-Intros werden meist übersprungen
Besonders auffällig war, dass niemand die kurze Audio-Appeinführung anhören wollte. Alle Testpersonen wollten lieber direkt und ohne Verzögerung mit der App-Einrichtung starten.

Nutzer:innen wünschen sich mehr inhaltliche Tiefe
Die Themen der Audioinhalte waren im Allgemeinen ansprechend für die Testpersonen, lediglich eine Möglichkeit, weitere vertiefende Beiträge abzurufen, wurde hier vermisst. Von der Idee und der Funktion an sich waren alle Testpersonen begeistert.

Bildung und Unterhaltung
Durch dieses Feature können sie nach eigener Aussage ihre Allgemeinbildung steigern, denn “man erfährt, was Deutschland alles so zu bieten hat”. Es ist eine gute Möglichkeit, sich während der Fahrt “einfach mal ein bisschen berieseln zu lassen”.

Mehr Autonomie bei der Auswahl
Lediglich bei der Wiedergabe hätten sich einige Testpersonen etwas mehr Kontrollmöglichkeiten gewünscht. Hier nannten die Testpersonen unter anderem, dass sie gerne selbst über die Priorisierung der aufeinander folgenden Beiträge entscheiden wollten sowie dass sie eine Möglichkeit vermissen, schnell zum ursprünglich gehörten Audioprogramm zurückzukehren.

Neugierde auf das Produkt
Am Ende des Tests war es besonders auffällig, wie oft wir danach gefragt wurden, wann dieses Feature denn tatsächlich zur Verfügung stehen wird, da die Testpersonen es gerne einmal selbst nutzen wollen würden.

Das bestätigt unsere Haltung, dass das geplante Feature einen Nerv trifft. Wir mussten die Testpersonen zu dem Zeitpunkt allerdings vertrösten, da es sich derzeit noch in der Entwicklung befindet.

Fazit
Der Test hat dem Produktteam von „ARD Audiothek unterwegs” und auch uns als UserLab viele wertvolle Erkenntnisse und Erfahrungen geliefert, sowohl was Konzept und Produkt-Design angeht, als auch grundlegend dazu, wie Personen mit dem Android Automotive Betriebssystem interagieren.

Durch kontinuierliches Feedback der Nutzer:innen können wir sicherstellen, dass die App den Bedürfnissen und Anforderungen der Fahrerinnen und Fahrer im Auto gerecht wird. Gerade im Auto sind Aspekte wie Sicherheit und das Fahrerlebnis im realen Betrieb essentiell. Ich bin jedes Mal aufs Neue begeistert, wie enorm professionell und strukturiert unser UserLab arbeitet, auf existierenden Erfahrungen aufbaut und wie hilfreich diese Erkenntnisse für die Entwicklung unserer Produkte sind.
Florian Thoma, Entwickler des “ARD Audiothek unterwegs” Teams

Für uns ist es wichtig, nie auszulernen und bei unseren Methoden und Nutzertests mutig zu bleiben. Obwohl es viele Unsicherheiten bis zum Testtag gab und das Testsetting etwas ganz Neues für uns war, konnten wir den Nutzertest mit vielen wertvollen Erkenntnissen und mit neuem Wissen abschließen.

Über uns
Wir — das UserLab von pub. (https://pub.tech/about/userlab/), machen uns für nutzerfreundlich entwickelte und digitale Produkte stark.

Wir konzentrieren uns auf das Benutzerverhalten und die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen unserer Produkte. Diese Erkenntnisse erhalten wir aus verschiedenen Usability-Methoden, wie zum Beispiel dem moderierten und unmoderierten Nutzertest.

Wie ihr auch in unserem BR Next Artikel “The web is our lab” nachlesen könnt, arbeiten wir seit der Coronapandemie hauptsächlich remote — eine Arbeitsweise, die uns erst vor einige Probleme gestellt hatte, aber nach einiger Zeit unser Alltag geworden ist.

Denn mittlerweile nutzen wir passende Tools, mit dessen Hilfe wir schnell und einfach rekrutieren, befragen und auswerten können. Dadurch können wir in wenigen Tagen/Wochen Anfragen aus den Projektteams durchführen und qualitative Ergebnisse liefern.

Von links: Christian Riss, Ina Klautke-Miethaner & Florian Thoma

Autor:innen:
Lena Lampe, Ina Klautke-Miethaner, Elisabeth Adelsberger & Christian Riss

Habt ihr Fragen oder möchtet selbst einen Nutzertest durchführen? Kontaktiert uns unter userlab@pub.tech

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