Diversity

Wie wir unser Unternehmen diverser machen

Talente-Programm für Menschen mit interkulturellem und nicht-akademischem Hintergrund

Katharina Kestler
BR Next

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Das PULS Talente Programm ist vor einem Jahr gestartet, um Menschen einen Zugang zum Bayerischen Rundfunk zu ermöglichen, die sonst nur schwer zu den Öffentlich-Rechtlichen finden. Klares Ziel: Den journalistischen Nachwuchs sowie die Programminhalte diverser aufstellen. Im Herbst 2021 geht das Programm in die zweite Runde. Eins ist sicher: Hier lernen nicht nur die Talente!

Die Trainees des ersten PULS Talente Jahrgangs (v.l.n.r.): Kevin Haong, Lisabell Shewafera, Cory Rudder, Iman Hassan & Raphaela Heinzl.

Was ist das PULS Talente Programm?

Das Talente Programm von PULS, dem jungen Content-Netzwerk des Bayerischen Rundfunks, ist viel mehr als nur ein langes Praktikum, durch das man sich irgendwie durchwurschtelt.

Es ist ein einjähriges, bezahltes, redaktionelles Traineeprogramm, das

  • sich speziell an junge Quereinsteiger:innen mit interkulturellem Background richtet
  • auch Leute mit nicht-akademischem Hintergrund berücksichtigt
  • diese jungen Talente so individuell wie möglich ausbildet
  • das Buzzword “Onboarding” ernst nimmt
  • eine engmaschige Betreuung durch erfahrene Mentor:innen und Coaches sicherstellt
  • jede Menge kreativen Spielraum bietet

und bei all dem die Vermittlung journalistischer Grundlagen nicht vernachlässigt.

PULS Talent Raphaela Heinzl beim Übungsinterview mit dem PULS Moderator Andi Christl.

Wo finden wir PULS Talente?

Echte Diversität geht beim Recruiting los. Mit einer Ausschreibung auf den Karriereseiten des Bayerischen Rundfunks oder bei DWDL würden wir nicht weit kommen, soviel war uns schnell klar. Also setzten wir in enger Zusammenarbeit mit der Personalabteilung schon im ersten Jahr auf ein anderes Konzept.

Wir arbeiteten mit kurzen und knackigen Social Clips auf Facebook und Instagram, die wir über bekannte PULS Hosts und unsere eigenen Social Media Kanäle, aber auch über Influencer:innen und Programmbotschafter:innen mit eigenen Netzwerken streuten.

Darüber hinaus nahmen wir Kontakt zu Schulen und Jugendhäusern auf, die Werbung für unser Programm machten. Ziel der Kampagne war, die potenziellen Bewerber:innen auf eine von uns eingerichtete Webseite zu lotsen, auf der die eigentliche Bewerbung mittels eines intuitiven Fragenbogens inklusive der Möglichkeit eines direkten Datei-Uploads stattfand.

Dort sollten keine Zeugnisse hochgeladen werden, denn Schulabschlüsse und Vorerfahrung sind uns egal, sondern eine möglichst überzeugende Video- oder Audiodatei. Wer letztere vergaß, bekam einen Reminder. Wer Fragen hatte, konnte sich per WhatsApp melden. Viel Arbeit, die sich lohnt.

Die Bewerbungswebsite zur Auswahl des zweiten PULS Talente Jahrgangs

Denn so erreichten uns schon im ersten Anlauf über 350 Bewerbungen, aus denen wir fünf Leute mit einem breiten Spektrum an unterschiedlichen Talenten ausgewählt haben:

Mit Kevin Haong, einem Nürnberger mit kambodschanischen Wurzeln, haben wir einen TikTok-Experten mit ganz viel Lust auf technische Herausforderungen und Innovationen ins Team geholt.

Iman Hassan kam mit einem Master in Maschinenbau in das PULS Talente Programm. Ihre naturwissenschaftlich geprägte Neugier gepaart mit einer ordentlichen Portion Humor und dem klaren Willen trotz guter Aussichten auf dem Arbeitsmarkt noch einmal einen völlig neuen Weg einzuschlagen, sprachen von vorne herein für sie.

Lisabell Shewafera hat uns dadurch überzeugt, schon vor dem Talente Programm mit YouTube, Podcasts und einem eigenen Blog auf hohem Niveau experimentiert zu haben.

Cory Rudder ist zwar in London geboren, hat sich aber in München bis in die erste Rollstuhl-Basketball-Bundesliga hochgespielt. Er kam ohne spezifische Medienerfahrung, dafür aber mit der klaren Vorstellung, andere inspirieren zu wollen.

Raphaela Heinzl hat vor Beginn des PULS Talente Programms als Automobilkauffrau gearbeitet. Ihre authentische Präsenz gepaart mit einem außergewöhnlichen Moderationstalent brachte sie in die Endauswahl.

Wie läuft das Programm dann ganz konkret ab?

Im Arbeitsalltag ist das PULS Talente Programm eine große Herausforderung nicht nur für die Trainees, sondern für die komplette Redaktion. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt nämlich neben klassischen Workshops in der Wissensvermittlung “on the Job”.

In drei sogenannten Schwerpunktstationen, die jeweils durch eine:n Coach:in aus den unterschiedlichen Produkten (z. B. PULS Reportage, Die Frage, iam.justmyself etc.) betreut werden, sollen die Talente so viel praktische Skills wie möglich durch die Mitarbeit am echten Produkt erlangen.

Dabei sollen sie den Job der Autor:in, Community Manger:in oder des Hosts verstehen und die dafür nötigen Kenntnisse an die Hand bekommen.

Um die Quereinsteiger:innen dabei nicht zu überfordern, beginnt jede dieser bis zu zehn Wochen langen Stationen mit einer mindestens einwöchigen Phase, in der die Coaches den Talenten in einer Eins-zu-Eins-Betreuung die Grundlagen der jeweiligen Jobs näher bringen.

Am Ende des Ausbildungsjahres stellen die Talente mit ihrem sogenannten Meisterstück unter Beweis, das Gelernte auch eigenständig anwenden zu können. Die Hoffnung dabei ist natürlich, die Talente innerhalb des Jahres so fit zu machen, dass sie auch danach als fest-freie Mitarbeitende für PULS oder den BR interessant sind.

Iman Hassan und Cory Rudder entwickelten als Meisterstück mit “Malochen mit Iman” und “Corys Culture Check” jeweils einen Prototypen für einen YouTube-Kanal inklusive eines jeweils selbst konzipierten und gehosteten Videos.

Lisabell Shewafera hat mit “Finanzakademie” einen Piloten für ein Wirtschafts-Wissensformat auf TikTok konzipiert.

Kevin Haong und Raphaela Heinzl arbeiteten an bereits in der realen Umsetzung begriffenen, neuen PULS Projekten: Kevin an einem zusätzlichen TikTok-Ausspielweg des Challenge-Formats “Das schaffst du nie!” und Raphaela als Host eines Nachhaltigkeits-Podcast, den PULS für funk produzieren wird.

PULS Talent Lisabell Shewafera (links) beim Übungsinterview mit der Journalistin Shahrzad Osterer.

Warum das alles?

Doch wozu der ganze Aufriss, wozu die Entwicklung und Implementierung eines eigenen, völlig neuen und wie beschrieben sehr aufwändigen Ausbildungsprogramms NEBEN dem ohnehin schon existierenden Volontariat und den Möglichkeiten zu Hospitanzen und Schülerpraktika?

Der Grund liegt auf der Hand: Die Menschen, die über das Volontariat oder Hospitanzen den Einstieg in den Bayerischen Rundfunk schaffen, sind in der Regel kein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Die meisten Journalismus-Anwärter:innen sind deutsch, kommen großteils aus Mittelschicht-Familien und sind oft sehr gut ausgebildet.

Mit noch mehr Perspektiven aus allen Bereichen der Bevölkerung gelingt es einem öffentlich-rechtlichen Medienhaus, noch besser Menschen außerhalb der eigenen Bubble zu erreichen. Redaktionen können die gesamte Breite der gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Themen, die unser Land bewegen, erkennen und für so wichtig erachten, dass sie auch tatsächlich darüber berichten.

Die PULS Talente bringen Diversität in den BR (v.l.n.r.) Cory Rudder, Raphaela Heinzl, Lisabell Shewafera, Kevin Haong, Iman Hassan.

Raus aus der deutschen, weißen, gutbürgerlichen Medienbubble!

Grundvoraussetzung dafür ist, dass das Verständnis für die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft im eigenen Haus wächst. Dieses Verständnis aufzubauen und zu pflegen, ist natürlich nicht die alleinige Aufgabe von Trainees, die sich in einem völlig neuen Umfeld beweisen müssen.

Dennoch stellen sie bedingt durch ihre diversen Hintergründe und mit ihren persönlichen Perspektiven die sprichwörtlich Alteingesessenen ganz unmittelbar vor neue Fragestellungen.

Diese Talente in den Redaktionen zu haben, ist nur ein erster, kleiner Schritt — doch wir sind davon überzeugt, dass er langfristig die Kultur und das Programm des Bayerischen Rundfunks hin zu einer besseren Abbildung der Vielfalt unserer Gesellschaft verändert.

Ein diverses Ausbildungsprogramm — gemacht von Weißbroten?!

Katharina Kestler & Hendrik Rack, Head of PULS Talente — na, fällt was auf? Ja, mein Kollege Hendrik Rack und ich, die wir zusammen das PULS Talente Programm leiten, entspringen wie viele andere innerhalb der PULS Redaktion inklusive unserer Chefin Nadine Ulrich, deren Idee und Herzensprojekt das PULS Talente Programm war, genau der oben beschriebenen weißen, gutbürgerlichen Medienbubble.

Wir hatten keinen blassen Schimmer, wie wir junge Menschen außerhalb unserer Blase erreichen, was sie bewegt und was sie in einer Ausbildung brauchen. Stattdessen gab es nicht nur bei uns, sondern auch bei allen Coaches, Mentor:innen und Workshopleiter:innen, die am PULS Talente Programm beteiligt sind, jede Menge Ängste und Unsicherheiten. Zu unrecht, wie sich herausstellen sollte.

Wie haben wir das Programm auf die Straße gebracht, ohne von einem ins andere Fettnäpfchen zu hüpfen? Mit viel Recherche und Vorbereitung. Die Entwicklung des PULS Talente Programms nahm in einer Arbeitsgruppe mehr als ein Jahr in Anspruch.

Ein Jahr, in dem wir viele Gespräche geführt haben mit Quereinsteiger:innen aus unserer Redaktion und dem Haus, in dem wir uns inspirieren ließen zum Beispiel von der BBC und Bremen next, in dem wir Input aus verschiedenen Bereichen der Jugendarbeit eingeholt haben und in dem wir uns vernetzt haben mit der Ausbildungsredaktion des Bayerischen Rundfunks, die nachweislich deutlich mehr Erfahrung in der Ausbildung junger Mitarbeiter:innen hat als wir.

Und: Wir haben uns selbst und unsere Redaktion aus- und weitergebildet in den Punkten Feedbackkultur, Workshop-Leitung oder diskriminierungsfreier Sprache. Und selbstverständlich ist dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen.

Meme zur Bewerbung des zweiten PULS Talente Jahrgangs

Unser Fazit nach einem Jahrgang und einer weiteren Ausschreibung

Und so fällt unsere Zwischenbilanz nach einem Jahr PULS Talente Programm positiv aus: Unser erster Talente-Jahrgang feierte Ende Juni seinen Abschluss. Alle fünf Talente werden weiterhin für den Bayerischen Rundfunk arbeiten.

Sie repräsentieren unsere Redaktion zum Beispiel wie Raphaela Heinzl als Host oder unterstützen uns wie Kevin Haong in der Formatentwicklung, sie arbeiten wie Iman Hassan im Community-Management und als Autorin oder helfen uns wie Cory Rudder bei der Planung und Vorbereitung unserer PULS Festivals.

Lisabell Shewafera hat über das PULS Talente Programm den Weg in die Volontärsausbildung gefunden, die sie nach Abschluss ihres fürs Talente Programms pausierten Studiums beginnen wird.

Im Laufe des ersten Talente-Jahres haben wir gelernt, dass wir die Talente und das gesamte Programm nicht mit zu hohen Erwartungen überfrachten dürfen.

Das Berufsfeld Journalismus ist so breit und vielfältig, dass es auch talentierte Quereinsteiger:innen nicht nach einem Jahr in Perfektion beherrschen können.

Ohne das Engagement unserer Redaktionsleiterin Nadine Ulrich und der verschiedenen Teamleitungen, den Nachwuchs nach Abschluss des Programms auf die eigene Kostenstelle weiter zu beschäftigen und vor allem auch weiter zu entwickeln, wäre das Programm sehr schnell zum Scheitern verurteilt.

Wir wollen aus diesem Grund und um den Talenten nach Abschluss der Ausbildung eine sichere Perspektive bieten zu können, beim zweiten Jahrgang noch genauer darauf achten, besonders die Lerninhalte noch stärker in den Fokus zu rücken, die im BR aktuell stark nachgefragt werden, wie zum Beispiel Community Management.

Apropos Perspektiven: Für Quereinsteiger:innen, die gerade einmal ein Jahr in den Job schnuppern konnten und eben nicht aus finanziell gut gestellten Mittel- bis Oberschicht-Familien kommen, ist dieses Thema extrem wichtig.

Sie nach einem Jahr einfach auf den freien Medienmarkt zu werfen, in dem nur Leute, die sich und ihre Skills gut verkaufen können, auch bestehen können, ist keine Lösung.

Wir verstehen uns auch über das Jahr hinaus als Mentor:innen unserer fünf Talente — und doch können wir natürlich die Beschäftigungssituation im Bayerischen Rundfunk nicht komplett auf den Kopf stellen, um sie passgenau für unsere Talente zu machen.

Meme zur Bewerbung des zweiten PULS Talente Jahrgangs

Erst durch eine beständige Fortführung des Programms wird es uns möglich sein, zu einer hoffentlich langfristigen Diversifizierung der journalistischen Mitarbeitenden im BR beizutragen.

Nächste Runde PULS Talente

Umso glücklicher sind wir, dass wir mittlerweile schon den zweiten Ausbildungsjahrgang rekrutieren konnten. Dank einer professionalisierten Kampagne in Zusammenarbeit mit Laura Bohné aus dem PULS Marketing Team konnten wir die Gesamtzahl der Bewerbungen gegenüber der ersten Ausschreibung mit über 700 sogar noch einmal mehr als verdoppeln.

Und bei der Endauswahl haben wir ganz bewusst darauf geachtet, Leute aus Communitys und mit Talenten zu uns zu holen, die den BR aus einer ganz anderen Perspektive bereichern, als dies beim ersten Jahrgang der Fall war:

So dürfen wir am 1. September 2021 zum Beispiel eine 19-jährige kurdische Studierende mit starker On-Air-Präsenz oder einen 21-jährigen türkischen Einzelhandelskaufmann, der sich gerade durch seine Expertise in Gaming-Plattformen wie Twitch auszeichnet, im Bayerischen Rundfunk begrüßen.

Meme zur Bewerbung des zweiten PULS Talente Jahrgangs

Wir sind überwältigt von der Masse der Bewerber:innen und vom Interesse, auf das das Programm im BR und in der ARD seit vergangenem Jahr stößt.

Und wir sind beruhigt, dass wir es geschafft haben, das Programm redaktionsintern als Möglichkeit der Weiterentwicklung und Fortbildung zu platzieren und so mögliche Neid- und Konkurrenzgedanken gegenüber den neuen Mitarbeiter:innen ausschalten konnten.

Im Gegenteil: Die Beschäftigung mit der eigenen Redaktionskultur und Themen wie Feedbackregeln oder sensibler Sprache empfanden alle als Bereicherung und als Möglichkeit, als Team und persönlich zu wachsen. Wir hoffen, dass diese Win-Win Situation für alle Beteiligten das Programm noch viele Jahre weiter trägt.

Ob das PULS Talente Programm seine hochgesteckten Ziele langfristig erreichen wird, können wir erst in ein paar Jahren mit Sicherheit sagen.

Diversität ist gerade in aller Munde, schick und angesagt. Ob die Medienwelt allerdings wirklich bereit ist, an ihrer über Jahrzehnte gepflegten und gelernten Personalpolitik etwas zu ändern und auch bis in die Chef:innen-Etagen hinein Bewerber:innen mit diversen Hintergründen realistische Chancen bekommen sich einzubringen, wird darüber entscheiden, ob und wie sich die Kultur und das Programm der Öffentlich-Rechtlichen nachhaltig verändern.

Dazu kann das PULS Talente Programm selber aber nur ein kleiner erster Schritt sein.

Dieser Artikel wurde von den beiden Head Ofs des PULS Talente Programms, Katharina Kestler und Hendrik Rack geschrieben.

Die Absolvent:innen des ersten PULS Talente Jahrgangs freuen sich auch über Anfragen: Lisabell.Shewafera@br.de, Kevin.Haong@br.de, Cory.Rudder@br.de, Iman.Hassan@br.de, RaphaelaNaomi.Heinzl@br.de

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Katharina Kestler
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Host des Bergfreundinnen Podcasts, Head of PULS Talente Programm