Netflix should chill Part 2

Die nächsten Jahre werden die spannendsten Jahre für die Vermarktung von Bewegtbild-Inhalten sein. Welche Hebel hat Video-Subscription, um Nutzer nicht nur einmalig zu gewinnen, sondern auch permanent zu halten?

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6 min readSep 17, 2019

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Der Endgegner von Streaming ist nicht Customer Acquisition, also die Frage, wie bekomme ich Nutzer und zu welchen Kosten, sondern Retention, also die Frage, was muss ich tun, um sie nicht zu verlieren. Jede Video-Plattform ist in der Lage, mit guten Inhalten kurzfristig Reichweite aufzubauen. Die wahrscheinlich erfolgreichsten Streaming-Plattformen sind die, die Kinofilme klauen und über virenverseuchte Webseiten verfügbar machen. Nicht kriminell, dafür genauso effektiv machen das Netflix mit Serien wie “Stranger Things” und Amazon mit Serien wie “The Marvelous Mrs Maisel” und auch deutsche Plattformen wie JOYN mit “Jerks” oder TV NOW mit “M — Eine Stadt sucht einen Mörder”. Was deutlich macht, wie dieser Markt funktioniert: über Inhalte.

Inhalte saugen Menschen in die Plattform — aber was hält sie auf einer Plattform? Anders als beispielsweise ein Online-Shop oder auch iTunes, bei denen einzelne Transaktionen das Geschäft ausmachen, verlangen Streaming-Plattformen eine permanente Zahlung in Form von Subscription Fees. Streaming bedeutet, den Zuschauern im besten Fall jeden Tag etwas zu verkaufen. Und verkaufen zu müssen! Permanente Zahlung braucht ständige Liebesbeweise an die Nutzer.

Heute kann von Rasierern bis Musik alles mit einer monatlichen Gebühr bezahlt werden. Bei harten Gütern wie FMCG-Produkten ersetzt Subscription den Gang zur Drogerie oder in die Innenstadt, der Trade-Off ist simpel: spare (vermeintlich lästige) Wege. Subscription in diesem Kontext ist eher eine Automatisierungs- und Convenience-Fee: die Rasierklingen kommen jeden Monat automatisch. Musik-Subscriptions wie Spotify verhalten sich schon anders, denn Musik ist nicht Convenience, sondern eher ambient, eine große Bibliothek ist entscheidend, ständig neue Musik entdecken zu können ein wichtiges Asset. Musikanbieter wie Spotify verlangen also mit ihren Subscriptions eher eine Art Ambience- und Discovery-Fee.

TV ist näher an am Zeitung lesen, als am Musik hören

Man kann nicht nebenbei lesen oder lange Zeit etwas lesen, was man dumm findet. Beim Streaming ist es ähnlich, man investiert Aufmerksamkeit und möchte, dass sich das Investment lohnt (außer natürlich beim Bügelfernsehen). Auch Zeitungen haben bestimmte Inhalte als Akquisehebel: die besonders liberale Schreibe der NYT, die hervorragende Wirtschaftsberichterstattung der Financial Times, die Klugheit des SZ und FAZ Feuilletons. Die vielen Inhalte um den Kern der Zeitung herum waren immer gut, weil mit Sport, Politik, Kultur, Gesellschaft oder Wissenschaft Wertmasse entstand, auch wenn man eigentlich nur wegen des Feuilletons die Zeitung liest.

Das Internet brach dieses Wertebündel auf und zerbröselte es in seine Einzelteile bestehend aus einzelnen Artikeln. Mit Subscriptions versuchen Zeitungen dieses Unbundling der eigenen Inhalte wieder unter einem Dach zusammenzuführen. Mit gemischtem Erfolg!

Source: Niemanlab

Subscription-Bundles leben im Web von der Heranführung an die Inhalte, nicht unbedingt allein von den Inhalten selbst, wie das bei klassischen Papierzeitungen der Fall war. Niemanlab hat dazu einen erkenntnisreichen Artikel verfasst, Kernaussage: Bei Subscription-Modellen von Zeitungen geht es darum, Werkzeuge zu entwickeln, die die Häufigkeit des Kontakts eines Lesers mit der Zeitung erhöhen — E-Mail-Newsletter, wöchentliche Podcasts, intelligente Benachrichtigungen über Neuigkeiten, die richtigen Impulse für Wochenendinhalte und alles andere, was Gewohnheit schafft, der wichtigste Indikator für die Abonnementneigung.

All diese Mechaniken sorgen für einen einfachen Zugang und eine hohe Nutzung, entscheidend sind die Inhalte selbst. Es macht einen Unterschied, ob man bei FOX News über Trump informiert wird oder von der Washington Post. Zeitungen schaffen mit Subscriptions also eine Art Access Fee zu ihrem Universum und Way of Thinking mit hohen Invests in Technologie, diesen Access möglichst einfach zu machen.

Netflix: eine Entertainment-Habit-Fee

“Netflix And Chill” ist ein Begriff geworden, der eine Gewohnheit benennt. Zuletzt mehr im sexuellen Kontext verwendet, beschreibt seine ursprüngliche Bedeutung den Moment, Netflix zu besuchen und sich zurücklehnen zu können, weil das System genug gute Filme oder Serien vorschlägt. Netflix hat seinen Nutzern das Binge Watching beigebracht, hier vor allem die kleine aber bedeutende Innovation des Autoplay-Features, das die neue Episode einleitet, während der Abspann der vorherigen Episode läuft — und so das Bingen überhaupt erst möglich macht. Netflix verlangt eine Habit Fee, die Garantie, schon irgendwas gutes zu finden, mit dem man im Zweifel das ganze Wochenende verbringen kann (sehr zu empfehlen: Mindhunters, Staffel I und II).

Gewohnheit lässt sich darstellen. Wir verwenden dafür ab und zu den Hook Canvas von Nir Eyal. Er ist ziemlich simpel. Hier ein Beispiel, wie der für Netflix aussehen könnte:

Mit Disney + entsteht gerade eine neue Streaming-Plattform die ihr ganz eigenes Retention-Spielfeld definiert. Disney zieht die Inhalte von Netflix und anderen Plattformen ab. Darunter wahrliches Kulturgut: Marvel-Zeug, Star Wars und Pixar-Produktionen. Das alles wird auf Disney + zu finden sein. Wohl kaum ein andere Anbieter hat so starke ins kollektive Gedächtnis gebrannte Inhalte, entsprechend stark wird der Kunden- Akquise-Sog sein. Disney + schafft mit seinen Inhalten eine Fan Fee.

Disney +: ein Fan Dashboard

Aber was passiert nach 3 Monaten? Nach 6? 12? Wenn man alle Star Wars nochmal gebinged hat? Disney’s Retention-Antwort ist Hulu. Wer keine eigenen Produktionen im Serienformat hat, mit denen sich mal locker mehrere Wochen oder Monate füllen lassen, muss auf zweitbeste Inhalte zurückgreifen. Shows und Serien, die man aus dem Fernsehen kennt, haben diese Lückenfüllerqualitäten. Wer von Disney+ Kracherinhalten genug hat, schaut halt zweitgutes Zeug durch die Hulu-Integration.

Die deutsche Option: die Local Fee

Neben originalen Inhalten haben die deutsche Streaming-Anbieter eine Menge Catch-Up-Inhalte aus dem linearen Fernsehen: Shows, Boulevard-Sendungen, lizensierte Titel und so weiter. Diese lokale Färbung des Angebots muss ein Retention-Hebel sein. Und er kann es werden, wenn man nicht nur das alte Zeug aus dem Fernsehen einen Tag später online verfügbar macht, sondern wenn man eine zweite Retention-Komponente mit ins Spiel bringt: den Live-Faktor.

Aber wie wichtig sind Live-Inhalte im Web? Ist Streaming nicht gerade die Befreiung von zeitlicher Bindung? Im Sport ist Live überlebenswichtig, nichts ist so uninteressant wie an einem Mittwoch das Eintracht Frankfurt Spiel vom letzten Sonntag zu schauen. Aber Sportrechte bündeln Anbieter wie DAZN. Wie wichtig ist es, Anne Will live im Web zu sehen? Oder RTL Exklusiv? Oder Galileo?

Im e-Gaming auf der anderen Seite sieht man wie eine Live-Komponente im Produkt funktionieren könnte. Twitch ist dominierende Plattform für Videospiel-Streaming. Microsoft startete mit seiner eigenen Videospiel-Streaming Plattform “Mixer” einen Großangriff auf Twitch, in dem es mit Ninja einen der weltbesten Spieler abwarb.

Nicht nur konnte Mixer innerhalb kurzer Zeit die Userbase damit auf 1 Million Nutzern aufpumpen (insgesamt wurden bei Mixer in der Woche nach der Anmeldung von Ninja 653.000 Downloads erfasst, gegenüber 64.000 vor seiner Ankunft), es veränderte mal eben auch die Spielregeln. Plötzlich werden Streamer gehandelt wie Weltklasse-Fußballspieler, die für Ablösesummen das Lager wechseln.

Ninja hat zwar eine globale Reichweite, verhält sich aber eher wie ein lokaler Blockbuster. Er spielt bestimmte Spiele und hat einen bestimmten Spielstil, ist damit näher an Live-Sport und lokalen Inhalten als an globalen Blockbustern wie Stranger Things.

Diese Live-Logik muss auch für deutsche Streaming-Plattformen gelten. Exklusive lokale live Inhalte können mit dem Freemium Modell einen Motor in Bewegung setzen, der nicht nur neue Nutzer in das System zieht, sondern durch kluges Upcycling diese Nutzer auch permanent im System hält. Dabei spielt den lokalen Streaming-Anbietern das Geschäftsmodell in die Hände. Freemium ist eine weitere nicht zu unterschätzende Retention-Komponente. Es ist leicht, neue Inhalte zu entdecken, wenn die Kosten dafür Null Euro sind.

Gegen immer weiter steigende Akquisekosten haben Streaming-Anbieter die akquisefähigen Inhalte und das Freemium-Geschäftsmodell

Part I der Abhandlung zu Video-Streaming Geschäftsmodellen: https://medium.com/child-studio/netflix-should-chill-part-1-3a50b8f9146d

child kollaboriert mit ambitionierten Unternehmen, um sie bei der Digitalisierung durch radikale Vereinfachung von Null auf Eins zu bringen.

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