Fernweh in Corona-Zeiten 3: Digitales Reisen ist mehr als online buchen!

Wenn die Welt unsicher wird, liegt die “Flucht” ins Digitale nahe. Die Reisebranche wird gerade gezwungen, neue Lösungen zu finden, um das Fernweh der Menschen zu stillen. Wir hätten da ein paar Beispiele und Anregungen.

Blood, Dadora, Dark Horse
Dark Horse Innovation
8 min readJul 23, 2020

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Funky VR-reisen? (Illustration: Nadine Wehking)

Welche langfristigen Veränderungen und Potenziale birgt Covid-19 für den Tourismus? In den ersten beiden Artikeln dieser Serie haben wir über Reisebedürfnisse von Individual- und Pauschaltouristen sowie kurz- bis mittelfristigen Reisetrends der nächsten Jahre geschrieben. Dieser dritte Artikel nun beschreibt den durch Corona beschleunigten Digitalisierungsschub der Tourismusbranche. Dabei geht es nicht um die Automatisierung von Buchungsprozessen, nein, wir meinen eine echte Digitalisierung des Reiseerlebnisses und welche Möglichkeiten sich daraus für die Branche ergeben.

Würde man heute Leute befragen, was sie von Virtual Reality (virtuelle Realität, kurz: VR) und Augmented Reality (erweiterte Realität, kurz: AR) Erlebnissen als Ersatz für analoge Reisen halten, wären sich schnell alle einig, dass diese technologischen Hilfsmittel nie das Adrenalin oder die Endorphine erzeugen, die wir bei echten Reisen spüren. Die Eindrücke, die Gerüche, die Gespräche mit Menschen, das alles wollen wir real vor Ort erleben — und nicht durch eine VR-Brille, die uns lediglich visuell an einen anderen Ort reisen lässt, oder mit Hilfe einer AR-App, die den physischen Raum um grafische Informationen erweitert.

VR und AR aber deshalb bei der Entwicklung neuer Reiseformate zu unterschätzen, wäre kurzsichtig. Denn auch wenn etwas fehlt, so verfügen VR und AR über neue Möglichkeiten, die fundamentale menschliche Bedürfnisse adressieren. Insbesondere unter Corona-Bedingungen.

Wir setzen unsere Big-Data-Brille auf und skizzieren drei Szenarien, die auf der Analyse von 2,7 Mio. Forendiskussionen zum Thema Reisen basieren (eine ausführlichere Erklärung gibts hier im ersten Absatz).

Nur um ganz sicher zu gehen: DAS ist der Unterschied zwischen VR und AR.

1: VR als digitaler Absicherer und Appetizer

Die meisten Menschen sind nicht nur Gewohnheitstiere, sondern auch Planungsfreaks. Die Analyse von über 33.000 Diskussionen zum Thema “Planen” zeigt das zunehmend große Bedürfnis von Urlaubern, schon vor Reiseantritt zu wissen, was genau sie im Urlaub erwartet.

Trendanalyse aller Diskussionen von Pauschaltouristen seit 2003, die sich um das Reisebedürfnis »planen« drehen. Insgesamt 33.279 Diskussionen zeigen im gesamten Zeitverlauf eine Relevanzsteigerung von 105 Prozent.

„Ist es laut? Ist das Zimmer oder Bad sehr klein? Verfügt das Hotel auch über Betten in Extralänge? Wie groß sind der Schrank und die Kofferablage? Was gibt es beim Frühstück? Ist der Parkplatz auch für größere Fahrzeuge geeignet? Das will ich vor der Abfahrt alles wissen.“ (O-Ton Pauschaltourist)

Corona verstärkt dieses Verlangen nach Planung und Sicherheit. Niemand will nach der Ankunft geschockt in einem engen Frühstücksraum stehen und denken: Wenn mich die Aerosole hier nicht erwischen, dann weiß ich aber auch nicht …

Also schnell jedes Hotelzimmer als begehbare VR-Anwendung für viel Geld produzieren lassen? Das wird teuer. Einige Hotelketten backen da kleinere Brötchen und experimentieren mit 360-Grad-Touren, die einen Rundumblick ins Zimmer oder Foyer bieten. In der Immobilienbranche wird dieses Mittel schon länger eingesetzt. Und es lohnt sich: Laut einer Studie der amerikanischen Luxus-Hotelkette Omni Hotels erhöhen sich dadurch die Online-Buchung von Hotelzimmern um bis zu 67 %. Die Begründung: Menschen können sich anhand der Touren besser entscheiden und haben das Gefühl, ihre finanzielle Investition besser abzusichern, während sich gleichzeitig ihre Vorfreude auf den kommenden Urlaub verstärkt.

Ein 360-Grad-Foto: Ohne den passenden Viewer siehts immer verzogen aus.

Einen Schritt weitergedacht: Wie könnte denn ein echtes, immersives VR-Erlebnis als Urlaubsvorbereitung aussehen? Ist es ein Strandspaziergang am Reiseziel, mit rauschenden Wellen im Hintergrund? Oder die Begehung des gebuchten AirBnB-Zimmers in Alaska?

Branchenriesen wie die TUI arbeiten bereits mit virtuellen Rundgängen und Ausflügen. Auch die Lufthansa testet VR im Vertrieb, Training und bei der Bord-Unterhaltung.

Die Technik solcher VR-Anwendungen wird jedes Jahr besser und Computer schneller. Einsatz und Angebot von VR-Anwendungen werden steigen. Denn VR befriedigt das Bedürfnis nach maximaler Vorausschau besser als alles andere — außer vielleicht dem echt Vorortsein ;)

Aber wenn sich die Leute schon vorher alles anschauen können, dann verlieren sie doch das Interesse am eigentlichen Urlaub! So könnten Bedenken lauten. Doch unsere Daten lassen eher darauf schließen, dass Vorwissen die eigentliche Reiseerfahrung noch intensiviert: Ein gut informierter Urlauber, der sich nicht erst um die Beschaffung zusätzlicher Kleiderbügel kümmern muss, kann wesentlich besser in die erhoffte Erholung, das Land und die Kulturen eintauchen. Und dadurch mehr aus dem Urlaub herausholen.

2: Hybrid-Reisen — das Beste aus analoger und digitaler Welt

Audio-Guides sind aus Museen und Sightseeing-Touren nicht mehr wegzudenken und sind gewissermaßen die erste Form einer AR-Anwendung, die sich flächendeckend durchgesetzt hat. Das zeigen auch unsere Daten:

Trendanalyse aller Diskussionen von Pauschaltouristen seit 2003, die sich um »Audio-Guide« drehen: Relevanzsteigerung von Audio-Guides um +149 Prozent (Berechnung der linearen Regression) bei insgesamt 4.170 Diskussionen.

Audio-Guides ersetzen als digitale Lösung die klassische Führung, geben Besuchern die Möglichkeit, die Geschwindigkeit und Route des Rundganges selbst zu bestimmen und liefern unaufwendig eine Fülle an Hintergrundinformationen.

Semantische Karte zu dem Begriff »Audio-Guide« aus allen Diskussionen von Pauschaltouristen seit 2003: Vom Vatikanischen Museum in Rom über die Tower Bridge oder die Tate Modern in London, bis hin zum Museum of Modern Art in New York — die Welt erschließt sich über Audio-Guides.

Zwar gibt es Audio-Guides schon seit 1952 und sie sind gewiss nicht der funky Shit, der die Reisebranche der Zukunft bestimmen wird. Doch mit neuen VR- oder AR-Anwendungen erklimmt das Konzept des Audio-Guides nun die nächste Entwicklungsstufe. Denn das Museums-Prinzip lässt sich natürlich auch auf andere Bereiche des Reiseerlebnisses übertragen. So entstehen neue Hybrid- oder Mixed-Reality-Reisen.

Bei AirBnB gibt es beispielsweise schon jetzt Gastgeber, die via Zoom Einblicke in die verschiedensten Bereiche ihrer Stadt oder ihres Landes geben. Angefangen bei der Entdeckung von Sangria Geheimnissen mit Dragqueens in Portugal oder einer virtuellen Stadtführung durch das London von Harry Potter bis hin zu einer virtuellen Geschichtstour mit einem Pestarzt durch das Prag im Jahre 1713.

Mit dem Pestarzt durch Prag, was für eine grandiose, edukative Idee in Zeiten von Corona… (Screenshot: AirBnB)

Straßenzüge, Gebäude, Orte werden durch Augmented Reality und eine Reiseführer-Tonspur ergänzt. Eigentlich nichts Neues: Die Firma Tripventure hatte bereits 2012 ortsbezogene Games und Führungen im Angebot. Doch was sich bisher nur zäh durchsetzte, wird durch Corona einen Entwicklungsschub erhalten. Denn auf einmal können wir selbstständig auf digitale Städtetour gehen, neue Orte entdecken —ganz Social Distancing konform!

Und für alle, die AR-Anwendungen als Service für Kund*innen bereitstellen möchten, gibt es mittlerweile Anbieter wie Orpheo, die Audio-Guides, AR oder Führungen per Videoguide bauen.

Und was wollen die Reisenden alles sehen? Eine Menge:

Semantische Karte zu dem Begriff »anschauen« aus allen Diskussionen von Individualtouristen seit 2007, die sich um Sightseeing drehen.

Ob Schmetterlingsparks, Wasserpaläste oder den Mount Batur — das sind alles relevante Besichtigungsziele, die man sehen will, für die jedoch (auch das zeigen die Daten) oft zu wenig Zeit ist, um alle in der eng getakteten Reiseagenda unterzubekommen. Ganz anders in der virtuellen Version…

3: Gemeinsamer Kurzurlaub vom Sofa aus — inklusiv und nachhaltig

Neben der Entdeckung von Orten ist der Austausch mit Menschen das wohl wichtigste Element, das aus einem Urlaub eine unvergessliche Erfahrung macht. Speziell in der sozialen Interaktion scheint VR erstmal keinen sonderlich prickelnden Beitrag leisten zu können, wirkt die Nummer mit der VR-Brille auf dem Kopf doch eher wie etwas für nerdige Einzelgänger.

Doch kombinieren wir versuchsweise verschiedene Elemente und Bedürfnisse zu einer ganz neuen Reisekategorie: Wie wäre es, wenn wir in Zukunft für eine digitale Stippvisite an Orte reisen könnten, die normalerweise nur mit langen, beschwerlichen Anreisen zu bewältigen sind, wie ein Trip zur Wüste Gobi in der südlichen Mongolei?

Nur mal kurz in die Wüste Gobi … ist heiß da.

Die ersten Erste Schritte hin zu solchen neuen Reiseangeboten, die VR und sogar Gaming-Elemente kombinieren, gibt es bereits, wie das Online-Magazin Mixed.de in zahlreichen Artikeln über virtuelles Reisen skizziert. Seien es die seit Corona angebotenen virtuellen Museumsbesuche oder die Besichtigung von überlaufenen touristischen Hot Spots wie Machu Picchu.

Machu Pichu ist ja auch nicht eben um die Ecke (Screenshot: You Visit)

Auch die Färöer Inseln verfolgen aufgrund von Corona einen innovativen Ansatz: Sie bieten Remote-Tourismus an, bei dem man von zu Hause aus einen Touristenführer individuell steuert, um sich Gegenden zeigen zu lassen.

Orte, die temporär oder langfristig nicht real besuchbar sind, bleiben so für den Neugierigen dennoch zugänglich. Abenteuer, die manchen am Ende vielleicht doch zu gewagt erscheinen, werden dem Interessierten von der Couch aus ermöglicht.

Und noch einen Schritt weiter in die Zukunft: Wie wäre es, wenn wir jetzt auch noch die Möglichkeit hätten, einen Freund, der z.B. in London lebt, wie bei einem gemeinsamen Zoom-Call einzuladen? Auf zu gemeinsamen, verbindenden, digitalen Entdeckungen…. Die Virtual-Reality-Schamanin Sara Lisa Vogl lädt schon jetzt ein, ganze Tage mit ihr gemeinsam durch künstliche Welten zu wandern.

Fazit: Die wichtigsten Erkenntnisse (tl;dr)

Virtual-Reality-Anwendungen und 360-Grad-Touren als digitale Appetizer bieten einen Vorgeschmack auf den eigentlichen Urlaub. Schon jetzt führen solche Angebot zu höheren Konversionsraten bei der Buchung von Unterkünften.

Digitale Erlebnisse können analoge Reisen deutlich aufwerten. Augmented Reality ist die bevorzugte Technologie, die noch immer in den Kinderschuhen steckt, aber enorm viel Potenzial bietet. Kombiniert mit Gaming-Aspekten entstehen völlig neue Reiseformate.

Je besser es gelingt, interaktive Elemente aus der Gaming-Industrie mit visuell starken VR-Erlebnissen und kreativem Storytelling zu kombinieren, desto mehr wird sich das große Potenzial dieser neuen Reiseformate zeigen: Erlebnisse, Orte und Abenteuer werden plötzlich für einen großen Teil der Bevölkerung zugänglich, der bisher aufgrund von körperlichen, monetären oder zeitlichen Einschränkungen nicht teilhaben konnte. Und das ganz ohne die Umwelt zu strapazieren. Win-Win-Win!

Anbieter, die VR-Erlebnisse auch in Gruppen komfortabel erlebbar machen, werden den Reisemarkt der Zukunft aufmischen.

Ach ja. Und was passiert jetzt mit den ganzen Erkenntnissen aus drei Artikeln? Bei uns das, was immer passiert, wenn wir zusammen auf heißem Datenstoff sitzen: Wir entwickeln Ideen. Und daran wollen wir euch teilhaben lassen. Im nächsten Artikel.
In Teil 4 zünden wir das Ideenfeuerwerk. Als Inspiration und Beweis dafür, wie man aus Daten-Insights relevante Kreativ-Ideen macht.

Wer ist eigentlich dieses »wir«, das diesen Artikel verfasst hat? Wir sind Blood, Dadora und Dark Horse. Drei Agenturen, die kreative Innovationsentwicklung betreiben und leben. Für einige große Projekte bündeln wir unsere Expertisen: Dadora sammelt Daten und bereitet sie auf, Dark Horse entwickelt Konzepte für neue Produkte und Services und Blood setzt diese Konzepte um und bringt sie mit smarten Strategien in den Markt. Die Grenzen sind natürlich fließend. Alles geht Hand in Hand, von Anfang bis Ende. Wie bei einem dreiköpfigen Zerberus, aber in lieb.

Möchtest Du mit uns über Dein Thema sprechen und herausfinden, ob wir Daten, Hirnschmalz und Ideen haben, um Deine Probleme zu lösen, dann melde Dich gerne bei uns! Klick einfach auf unsere Gesichter, um Deinen Ansprechpartner zu kontaktieren:

Lars Kempin (Blood):
kempin@blood.de
Johanna Schönberger (Dadora):
js@dadora.eu
Patrick Steller (Dark Horse):
p.steller@thedarkhorse.de

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Dadora, Blood und Dark Horse – drei Agenturen, die kreative Innovationsentwicklung betreiben und leben.