Graffiti in Jerusalem, 2008. Foto: CopperKettle

Der Preis des Populismus

Der Iran unter Mahmud Ahmadinedschad. Teil 2 der dreiteiligen Serie.

Erik Jäger
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8 min readDec 3, 2015

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Nachdem im ersten Teil die erste Amtszeit Mohammad Chātamis thematisiert wurde, soll nun das Wirken Mahmud Ahmadinedschads dargestellt werden.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 stellten auch für den Iran einen wichtigen politischen Einschnitt dar. Zwar hatte man selbst nichts mit den Anschlägen zu tun — im Gegenteil, sowohl mit dem arabisch-sunnitischen Islam als auch den Taliban war man verfeindet. Sowohl der um Entspannung des Verhältnisses mit den USA bemühte Präsident Mohammed Chātami, als auch das Parlament und der Revolutionsführer gehörten zu den Ersten, die ihr Mitleid mit den Opfern bekundeten und insbesondere die jungen Iraner zeigten öffentlich ihre Solidarität. Natürlich gab es auch extremistische Splittergruppen, die die Anschläge begrüßten, es gelang diesen jedoch nicht nennenswert in der Öffentlichkeit Gehör zu finden.

Die “Achse des Bösen”

Trotz dieser in ihrer Breite aufrichtigen und glaubhaften Anteilnahme brach George W. Bush mit der Politik der langsamen Annäherung, wie sie noch zwischen Clinton und Chātami praktiziert wurde und setzte den Iran während seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2002 in eine Reihe mit Nordkorea und dem Irak auf die “Achse des Bösen”.

“Unser zweites Ziel ist es, Regime, die den Terrorismus unterstützen, davon abzuhalten, Amerika oder unsere Freunde und Verbündeten mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen. Einige dieser Regime haben sich seit dem 11. September recht ruhig verhalten. Aber wir kennen ihre wahre Natur….Der Iran strebt aggressiv nach diesen Waffen und exportiert Terror, während einige Wenige, die niemand gewählt hat, die Hoffnung des iranischen Volkes auf Freiheit unterdrücken….Staaten wie diese, und die mit ihnen verbündeten Terroristen, bilden eine Achse des Bösen, die aufrüstet, um den Frieden der Welt zu bedrohen.”

Der Begriff der “Achse des Bösen” knüpft dabei sowohl an die erstmals von Churchill erwähnten Achsenmächte (axis) im Zweiten Weltkrieg an, als auch an Ronald Reagans Bezeichnung der Sowjetunion als “Reich des Bösen” (“Evil Empire”). Diese Bezeichnung ist allerdings auf beiden Ebenen falsch:

George W. Bush bei der Rede zur Lage der Nation 2002. Foto: Büro des US-Präsidenten

Zum einen handelte es sich bei Bushs “Achse” nicht um einen Verbund dieser Länder, wie dies bei den Achsenmächten im Zweiten Weltkrieg noch der Fall gewesen war: Irak und Iran waren verfeindet und beide stark geprägt vom Ersten Golfkrieg gegeneinander und mit Nordkorea hielt man höchstens marginale Handelsbeziehungen, die insbesondere durch die Isolation der neuen “Achsenmächte” begründet waren. Wenn diese Länder etwas voneinander kauften, z.B. SCUD-Raketensysteme aus Nordkorea in den Iran, so liegt dies meist darin begründet, dass sich einfach keine anderen Handelspartner fanden.

Des weiteren ist auch der religiös aufgeladene Begriff des “Bösen” für alle drei Länder nicht zutreffend: der Iran bemühte sich um Verbesserung seiner Außenbeziehungen; wie sich später eindrucksvoll zeigte, verfügte der Irak damals nicht über Massenvernichtungswaffen und die Zerschlagung der viertgrößten Armee der Welt dauerte geschlagene sechs Wochen. Nordkorea war und ist eines der ökonomisch schwächsten Länder, außerdem verfügten sie damals noch nicht über Atomwaffen (die ersten Nuklearwaffentests fanden 2006 statt, Einzelheiten über die Einsatzbereitschaft und den Zustand der Nuklearstreitkräfte Nordkoreas sind öffentlich nicht bekannt).

Der Platz auf der Achse des Bösen führte auch zu einer nachhaltigen Veränderung des Diskurses innerhalb der iranischen Gesellschaft. All die Erfolge der Anpassung und Annäherung waren von einem zum anderen Tag zunichte gemacht, ohne dass man selbst etwas dazu getan hatte und die Weiterführung der Entspannungspolitik wurde einseitig aufgekündigt.

Auf den Hardliner in Washington, der die Bedrohung, die vom Iran ausgehe regelmäßig überhöhte reagierte man, indem man 2005 selbst einen Hardliner zum Präsidenten wählte: Mahmud Ahmadinedschad.

Wer ist Mahmud Ahmadinedschad?

Mahmud Ahmadinedschad betritt ein Ghadir Mini- U-Boot Foto: Jonund

Er wurde 1956 in einem kleinen Dorf 80km östlich von Teheran geboren in eine arme und zutiefst religiöse Familie geboren. Die Familie zog kurz nach der Geburt Mahmuds nach Teheran und kam in den 70er Jahren zu bescheidenem Wohlstand. So konnte man es sich leisten dem Sohn ein Bauingenieurstudium zu finanzieren. Ahmadinedschad war ein früher Anhänger der islamischen Revolution und meldete sich 1980 freiwillig zum Kriegsdienst, welcher bis 1986 andauerte. Deshalb erreichte er erst 1989 seinen Abschluss und verfolgte nach dem Krieg eine politische Karriere.

Diese brachte ihm 2003 das Bürgermeisteramt in Teheran ein und 2005 wurde er im zweiten Wahlgang mit 62% bei sehr geringer Wahlbeteiligung (59%) zum sechsten Staatspräsidenten des Iran gewählt. Seine Positionen sind stark religiös-konservativ, nationalistisch und populistisch geprägt. Besonderes Augenmerk legt er auf den im schiitischen Islam verwurzelten Glauben an die Wiederkehr des verborgenen 12. Imams Al-Mahdi und erwähnte diesen selbst in seiner berühmt gewordenen Endzeit-Rede vor den Vereinten Nationen im Jahr 2012 (im Video ab etwa 4:20).

Seine letzte Rede vor den Vereinten Nationen im Jahre 2012 ermöglicht einen guten Einblick in seine Weltsicht, die von Verschwörungstheorien, Antiimperialismus, religiösen Konstrukten und moralischer Überheblichkeit geprägt ist. Entlarvend ist auch das Interview, welches er 2012 mit Claus Kleber führte und in rechtspopulistischen Kreisen zu gewisser Berühmtheit gekommen ist. Dies sind auch Beispiele für seine Methode der einfachen Antworten und einer Verdrehung der Wirklichkeit, der viele seiner Anhänger verfallen.

Berühmt geworden ist er auch für regelmäßig vorgebrachte Drohungen gegen die Existenz Israels. Höhepunkt war die Holocaustleugner-Konferenz in Teheran im Dezember 2006 mit einem Teilnehmerfeld, das an Skurrilität wohl nicht zu überbieten ist.

Auch das iranische Atomprogramm, das unter seinem Vorvorgänger Rafsandschani begann,wurde unter seiner Führung forciert. Dies ist aus politikwissenschaftlicher — genauer realismustheoretischer — Sicht allerdings leicht erklärbar. Führt man sich vor Augen, dass Koalitionen unter US-amerikanischer Führung 2001 in Afghanistan und 2003 im Irak einmarschierten und sich große Kontingente der NATO-Streitkräfte in der Türkei und Saudi Arabien befinden, so kann man die wahrgenommen Umzingelung nachvollziehen. Gepaart mit der Falkenrhetorik der Neokonservativen aus Washington und dem Umstand, dass diese Umgang sich in Bezug auf Nordkorea schlagartig abmilderte, seit diese 2006 „die Bombe“ entwickelt hatten.

Die internationalen Forderungen nach einem vollständigen Verzicht auf Nukleartechnologie vereinten das stolze und technologiefreundliche Persische Volk hinter ihrem Präsidenten. Als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages hat der Iran das Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und man möchte sich als altes Kulturvolk dieses Recht nicht verwehren lassen.

In der Folge kam es zu einer gegenseitigen Radikalisierung der Rhetorik und Verschärfung der Handelssanktionen. Der Sproß der Entspannung, welchen Chātami und Clinton gepflanzt hatten, war endgültig verwelkt. Diese Sanktionen hatten und haben immensen Einfluss auf die iranische Wirtschaft und sind zentraler Bestandteil der regelmäßigen Verhandlungen, die zur Einigung im Sommer 2015 führten.

Die Auseinandersetzung mit den USA bzw. dem „Westen“ ganz allgemein stand im Zentrum seiner Außenpolitik. Ahmadinedschad sah sich auf einer Mission den internationalen Imperialismus zu beenden und mit dem sicher bald erscheinenden 12. Imam eine neue Weltordnung zu schaffen.

Dazu schuf und verstärkte er Verbindungen mit anderen polarisierenden Präsidenten, wie Hugo Chavéz in Venezuela, Aljaksandr Lukaschenka in Weißrussland und nicht zuletzt mit Baschar al-Assad.

Is it not passing brave to be a king,And ride in triumph through Persepolis?— Christopher Marlowe, Tamerlain the Great. Foto: امیر احتشام

Die Madschleswahlen 2008 hinterließen ein schwaches, Präsidenten und Revolutionsführer treues Parlament und waren Prüfstein der Regierung für die anstehenden Präsidentschaftswahlen 2009. Einmalig war dabei die Einmischung des Ayatollah Khamenei, der die Iraner direkt dazu aufrief konservative Kandidaten aus dem Lager Ahmadinedschads zu wählen. Obwohl insbesondere die „Reformer“ um die ehemaligen Präsidenten Rafsandschani und Chātami zur Wahl aufriefen, lag die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang nur bei etwa 60, im zweiten Wahlgang lediglich bei 26 Prozent.

Die umstrittene Wiederwahl 2009

Mir Hussein Mussawi Foto :Mardetanha

Die bereits angesprochenen Präsidentschaftswahlen am 12.Juni 2009 fanden wiederum international große Aufmerksamkeit. Zunächst ließ der Wächterrat von 475 Kandidaten, darunter 42 Frauen, 9 zur Wahl zu. Das genaue Procedere der Wahlen in der Islamischen Republik wurde bereits im ersten Teil der Serie dargelegt. Der von Vielen als Favorit gehandelte Vorgänger Ahmadinedschads, Mohammed Chātami zog 3 Monate vor der Wahl seine Kandidatur zugunsten von Mir Hussein Mussawi zurück, unter dem Vorwand, das reformerische Lager nicht spalten zu wollen. Aus den Wahlen ging Ahmadinedschad mit 63,1 % als Sieger hervor — im Frühjahr hatte er noch bei 15% gelegen.

Nach der Wahl kam es zu weitreichenden Protesten wegen angeblicher Wahlfälschung. Der Wächterrat ließ etwa 50.000 Wahlurnen und damit etwa 10% der Gesamtstimmen erneut auszählen, konnte dabei aber zumindest laut dem offiziellen Ergebnis keine systematischen Wahlfälschungen attestieren. Dafür, dass es nicht mit richtigen Dingen zuging spricht nicht zuletzt der Umstand, dass es schier unmöglich ist, wie angegeben 30 Millionen Stimmen in lediglich 5 Stunden zu zählen! Drei Tage vor der Wahl wurde Facebook, das hauptsächlich von der Opposition genutzt wurde abgeschaltet und es war am Wahltag nicht möglich SMS zu verschicken.

Weiterhin sprechen auch niedrige Ergebnisse einiger Kandidaten in ihren jeweiligen Heimatstädten, sowie in Regionen mit entsprechender ethnischer Bevölkerungsstruktur für eine Manipulation. Die hier vorgelegten Indizien sind lediglich exemplarisch und können an anderer Stelle explizit recherchiert werden (eine kleine Auswahl: scienceblogs.com; Wiener Zeitung;Zeit online; CNN; SZ online; Spiegel online). Internationale Beobachter waren, wie so oft nicht zugelassen.

Foto: دوربین شخصی

In der Folge kam es in den Städten des Landes zu Massenkundgebungen gegen das offizielle Wahlergebnis.Es kam zu Straßenschlachten mit der Polizei und den größten Unruhen seit den Studentenprotesten 1999. Drei Tage nach der Wahl versammelten sich eine Million Teilnehmer zu den größten Massenprotesten seit der Islamischen Revolution in Teheran an denen auch der unterlegene Kandidat Hussein Mussawi teilnahm. Der Bürgermeister von Teheran sprach gar von drei Millionen Teilnehmern. Es kam zu vereinzelten Schießereien, bei denen 8 Demonstranten getötet wurden.

Viele Oppositionelle zeigten ihre Unterstützung für Mussawi mit grünen Stirnbändern und ähnlichen Accessoires. Dies fand auch international viel Aufmerksamkeit und der Sommer 2009 wurde von der Hoffnung auf eine grüne Revolution getragen.

Die Massenproteste hörten trotz Verbotes und regelmäßigen gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen einige Demonstranten ums Leben kamen bis zur Amtseinführung Ahmadinedschads am 3. August — und auch danach — nicht auf. Es kam zu Verhaftungswellen, massenhaften Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Presse und Meinungsfreiheit.

Insgesamt spricht die Regierung von 36 Toten bei den Protesten im Sommer 2009 während der Proteste, die Opposition von 72. Tausende wurden verhaftet, viele sitzen bis heute in Gefängnissen oder wurden hingerichtet. Genaue Zahlen sind bislang nicht bekannt.

Mussawi Wahlveranstaltung in Teheran am 9.6.2009 Foto: mangostar

Es gelang dem Regime seine Machtposition zu behalten und seitdem zu festigen, man ist sich allerdings der allgemeinen Stimmung im Lande bewusst und weiß, dass solche Proteste jederzeit wieder ausbrechen können. Nicht zuletzt waren die Aufstände Inspiration für die folgende Revolutions- und Aufstandsserie, die wir als „Arabischen Frühling“ kennen und ihren Anfang im Dezember 2010 in Tunesien nahm.

2011 kam es zu offenen Auseinandersetzungen zwischen Ahmadinedschad und Ajatollah Khamenei, als er versuchte seinen Schwager Esfandiar Rahim-Maschaei als Nachfolger ins Spiel zu bringen. Dieser Schachzug wurde allerdings nicht mit dem Revolutionsführer abgesprochen und er musste ihn rückgängig machen — der Machtkampf wurde öffentlich und das Ende seiner Amtszeit war von diesem Machtverlust geprägt und viele Iraner fieberten hoffnungsvoll den Wahlen 2013 zu, bei denen Ahmadinedschad nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren durfte.

Der dritte und abschließende Teil der kleinen Iran-Reihe beschäftigt sich dann mit der Amtszeit des aktuellen Präsidenten Hassan Rohani, dem Atom-Abkommen aus dem Frühjahr 2015 und einem Blick in die Zukunft.

Abschließend lässt sich sagen, dass Ahmadinedschad auf viele Iraner befremdend, schockierend und unterhaltend wirkte; nichtsdestotrotz scheint er für fast jeden etwas Reizvolles gehabt zu haben. Dennoch ist seine politische Karriere vorbei. Allerdings möchte er noch nicht ganz aus der Öffentlichkeit verschwinden: Er kündigte an, als erster Iraner auf dem Mond jederzeit zur Verfügung zu stehen.

Die Fortsetzung finden sie hier.

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Erik Jäger
Das Sonar

Politik und Philosophie für Das Sonar und manchmal allein/ politics and philosophy/ 50:50 English/German articles/ @EarlHuntington