#3 der DeFi Stack

CeFi versus DeFi — ist das Architektur-Konzept dahinter doch nicht so verschieden?

Von IT-Infrastruktur über Anwendungen bis hin zum Benutzer — wie sieht der zugrunde liegende “Stack” in klassischer und dezentraler Finanzwelt aus

Dirk Kruwinnus
DeFi Buddies
Published in
9 min readMar 3, 2021

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Ein Rädchen greift ins andere — eine Funktionalität setzt auf eine andere auf… eine Anwendung bzw. ein Produkt für den Endnutzer entsteht. Dieser Logik eines übergreifenden konzeptionellen Aufbaus entzieht sich weder die CeFi- noch die DeFi-Welt. Wir wollen euch zeigen, dass sich die Architektur der beiden Welten auf einer hohen Abstraktionsebene überraschenderweise sehr ähnelt — und das revolutionäre Potential folglich an anderer Stelle zu suchen ist.

Decentralized Finance — ein Zusammenspiel von dezentralen Bausteinen

Bevor wir uns den eigentlichen DeFi-Produkten bzw. -Anwendungen zuwenden, gilt es ein Verständnis für den Aufbau, sozusagen die “Architektur” von Decentralized Finance (auch “DeFi-Stack” genannt) zu entwickeln.

Ähnlich wie in der klassischen Welt Finanzprodukte keine simplen, in sich abgegrenzten Anwendungen darstellen, ist auch eine DeFi Anwendung kein isoliertes, monolithisches Konstrukt. Vielmehr kommt es zu einem Ineinandergreifen verschiedener Komponenten, die aus ihrem Zusammenspiel eine dezentrale, barriere- und diskriminierungsfreie Architektur schaffen. Dabei lassen sich die Komponenten verschiedenen “Architektur-Ebenen”, sogenannten Layern, zuordnen — wobei jeder Layer (mindestens) einen spezifischen Zweck innerhalb der Gesamtarchitektur erfüllt. Sowohl Ebenen-/Schichtenmodelle (OSI) als auch Modularität bzw. Service-Orientierung (SOA) sind hinsichtlich Aufbau und Funktionsweise von anpassbaren, flexiblen Architekturmustern innerhalb der Informationstechnik (insbesondere bei verteilten Systemen) bekannte Ansätze, die sich gedanklich auch auf die “Distributed Ledger Technology” übertragen lassen.¹

Die Ebenen solcher Architekturmodelle bauen aufeinander auf, wodurch eine hierarchische Ordnung entsteht. Diesen Aspekt gilt es für eine spätere Risikobetrachtung im Hinterkopf zu behalten — denn eine Komponente kann nur maximal so sicher sein, wie die Summe der Ebenen auf der sie aufbaut bzw. deren “schwächster” Baustein. Diese Eigenschaft hat die DeFi Architektur aber nicht exklusiv: der ausgefeilteste Multi-Faktor Authentifizierung Prozess für ein Online-Banking Konto hilft dem Bankkunden² im Zweifel wenig, wenn die darunter liegenden bankinternen Prozesse oder Datenbanken korrumpiert werden können.³

Benutzer, Anwendung, Infrastruktur — die drei Ebenen unseres DeFi-Stacks

Um nun die DeFi Architektur anschaulich zu erklären, sowie Begrifflichkeiten, Komponenten, Produkte und Anwendungen, sprich damit auch unsere, im vorhergehenden Artikel vorgestellten Cluster, dezidierten Ebenen zuordnen zu können, haben wir ein eigenes, vereinfachtes Modell entwickelt.⁴ Dieser DeFi Stack soll uns gleichzeitig ermöglichen, DeFi- und CeFi-Architektur auf einem zugegebenermaßen hohen Abstraktionsniveau vergleichbar zu machen — und dient somit unserer Zielsetzung die Brücke zwischen den beiden Welten zu schlagen.⁵

Grundsätzlich unterscheidet unser Modell drei Ebenen/Layer:

  • Benutzerebene
  • Anwendungsebene
  • Infrastrukturebene
Quelle: eigene Darstellung

Was Benutzer von DeFi “sehen”

Die Benutzerebene stellt vereinfacht gesprochen das Eingangstor des Nutzers zur DeFi Welt dar. Ursprünglich war dies insbesondere das eigenverwaltete Wallet — oft mit sehr rudimentärem Layout und Funktionalität. Über das Wallet verbindet sich der Nutzer mit Anwendungen des darunterliegenden Layers, da die eigentlichen DeFi Anwendungen (oftmals) keine separaten “Wallets” oder “Verwahrmöglichkeiten” bereitstellen. Auf Bedeutung, Funktionsweise und Arten von Wallets wollen wir in unserem nächsten Artikel genauer eingehen. Nach und nach entstanden in der DeFi Welt aber auch dezidierte Benutzer-Frontends, die von Optik und Benutzerführung her stark bekannten Online-Banking-Zugängen der CeFi Welt ähneln. DeFi Frontends werden sowohl von DeFi Applikationen also auch von sogenannten Aggregatoren angeboten und können daher als eine Erweiterung der Anwendungsebene verstanden werden. Rein technisch -und vorbehaltlich rechtlicher sowie regulatorischer Fragestellungen- erscheint durchaus denkbar, dass Fintechs aber auch Akteure aus der klassischen Finanzbranche über eine Integration der Anwendungsebene in ihre Applikationen sich (und damit ihren Kunden) den Zugang zu DeFi erschließen.

Die ganze Welt der DeFi Produkte

Die Anwendungsebene wird der Bereich sein, mit dem wir uns primär im Rahmen unseres DeFi Blogs beschäftigen wollen — wenig überraschend, sind doch fünf der sechs im letzten Artikel vorgestellten Cluster diesem Layer zuzuordnen. DeFi hat sich heute bereits die verschiedensten Produktsegmente erschlossen, weiterentwickelt und quasi monatlich kommen neue Ansätze hinzu. Das Spektrum reicht von Einlagen-/Kreditgeschäft über Handel, sprich Kapitalmarkt, und Vermögensmanagement bis hin zu Zahlungsverkehr sowie Versicherungen.

Die eigentlichen Anwendungen bauen auf Protokollen auf. Protokolle fügen die für den jeweiligen Use Case notwendigen Bausteine der Infrastrukturebene zusammen, um beispielsweise die Grundlage für Kreditvergabe-Produkte (Lending/Borrowing) oder “dezentrale Börsen” zu schaffen. Man spricht allgemein im DLT- und speziell DeFi-Kontext immer häufiger von offenen Protokoll-Ökonomien, die interoperabel, programmierbar und modular zusammenstellbar sind.⁶

Übertragen in die CeFi Welt könnte ein Protokoll für Baufinanzierungen alle notwendigen grundlegenden Elemente (von der Bank- IT Infrastruktur bis hin zu übergreifender Logik, wie Beleihungswert- und Konditionsermittlung) kombinieren, worauf dann die verschiedenen Baufinanzierungsprodukte basieren. Im Vergleich zu DeFi sind diese Protokolle aber zentralisiert, bankintern und da historisch gewachsen oftmals nur wenig interoperabel.

Um ein DeFi Produkt zu nutzen, verbindet der Nutzer aus dem webbasierten oder mobilen Frontend der “decentralized Application” (dApp) heraus sein Wallet (in der Regel über einen “connect wallet” Button). Einmal verbunden, wird die eigentliche Transaktion, also beispielsweise Token kaufen oder Token einem Automated Market Maker Liquiditätspool zuführen, über die DeFi dApp initiiert.

Alternativ bündeln sogenannte Aggregatoren den Zugang zu mehreren DeFi Anwendungen — und bieten dabei zum Teil eigene Wallets an. Man sieht also — auch in der DeFi Welt entstehen bereits erste Intermediäre.

Auch in der CeFi Welt gibt es Aggregatoren

Versucht man eine Analogie der Anwendungsebene in der CeFi Welt zu finden, könnte man beispielsweise an Fonds denken, die direkt bei einer Kapitalanlagegesellschaft (KAG) gekauft werden. Anleger erhalten dort ihr Fondsdepot (Benutzerebene) und können auch nur Fondsprodukte dieser KAG kaufen (eigentliche Anwendung). Dagegen könnte man ein Online-Konto nebst Depot bereits als einen Aggregator betrachten. Während sich die Online-Töchter bzw. die Online Bankingapplikationen großer Finanzinstitute zumeist auf die Aggregation konzerneigener Produkte begrenzen, verstehen sich die neuen Neo- oder Challenger-Banken als Plattform und bieten neben (wenigen) eigenen Kernprodukten insbesondere (oftmals white gelabelte) Produkte Dritter an.

Infrastruktur — die Basis jeder Architektur

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In der Infrastrukturebene wollen wir verschiedene Bausteine zusammenfassen. Ganz grundlegend findet sich hier die eigentliche Blockchain oder allgemeiner formuliert die

jeweilige Distributed Ledger Technologie (DLT). DLT ist dabei der Oberbegriff für Technologien zur Führung von verteilten, sprich dezentralen Kassen- oder Kontobüchern.⁷ Diese Transaktionsdatenbanken — oder wie es die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nennt: “Transaktionsbuchführung”⁸ — reihen Transaktionen historisch beispielsweise in einer Kette (Blöcken) aneinander — in diesem Fall spricht man von Blockchain. Daneben existieren verschiedene andere Varianten, um Kontobücher bzw Transaktionen dezentral zu speichern — so setzt beispielsweise die “IOTA-DLT” auf sogenannte “Tangles”.⁹

Die zugrundeliegende DLT stellt folglich die Infrastruktur für die eigentliche Transaktionsdurchführung und -abwicklung, den Eigentumsnachweis und somit die Buchführung (sprich “wem gehört was”).

Nicht jede DLT eignet sich als Grundlage für dApps

Wir hatten bereits im vorhergehenden Artikel die Bedeutung von Smart Contracts hervorgehoben. Aber nicht jede DLT bietet Smart Contracts an — also die Möglichkeit direkt auf der Blockchain (man spricht von “on-chain”) Geschäftslogik in vordefinierten Routinen softwaremäßig abzubilden, die dann selbständig und vollautomatisch ausführbar sind. Diese Eigenschaft ist der entscheidende Aspekt, ob sich eine DLT für dApps (decentralized Applications) und damit auch für DeFi anbietet. Im Moment vereinnahmt die Ethereum-Blockchain nahezu den gesamten “Markt” für sich — und kämpft dabei mit verschiedenen Herausforderungen wie beispielsweise hohen Transaktionskosten (sogenannte “Gas-Kosten”) sowie limitierter Transaktionsgeschwindigkeit bzw. Transaktionsdurchsatz. Wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung, bieten doch immer mehr DLTs Smart Contracts an oder planen dies künftig und könnten damit theoretisch auch Grundlage für neue DeFi Anwendungen werden.

Hierum dreht sich (fast) alles: Token

Daneben erfüllt die zugrundeliegende DLT in der Regel noch eine weitere wichtige Funktion — sie stellt eine eigene Verrechnungs- bzw. Werteinheit zur Verfügung. Werden Verrechnungs- bzw. Werteinheiten on-chain abgebildet, spricht man von einem Token (oder Coin). Der “native” Token der jeweiligen DLT, also beispielsweise Bitcoin für die Bitcoin Blockchain oder Ether für die Ethereum Blockchain, dient in der Regel für die Absicherung und den Betrieb der eigentlichen Infrastruktur — da Transaktionsentgelte und/oder beispielsweise Incentivierungen in der jeweiligen “DLT-Währung” denominiert sind.

Darüber hinaus können mittels Smart Contracts weitere Verrechnungs- bzw. Werteinheiten oder allgemein gesprochen alle Arten von Assets, Ansprüchen oder (Nutzungs-)Rechten in Token abgebildet und auf der jeweiligen DLT verfügbar gemacht werden. Die denkbare Spannbreite reicht dabei von Kunst, Intellectual Property, Daten, Gutscheinen, Zugangsrechten, Wertpapieren, Sachanlagen über Zahlungsansprüchen bis hin zu Echtheitszertifikaten und und und… Möglich wird dies, weil durch die kryptografische Verschlüsselung, die allen DLTs gemein ist, Digitales erstmalig einzigartig gehalten werden kann — sprich ein digitales Unikat entsteht bzw. ein digitaler Zwilling zur eindeutigen Abbildung von off-chain Objekten on-chain.

Im Laufe unser Artikel werden wir auf eine Vielzahl von Token treffen, die dann Grundlage für DeFi Anwendungen an sich bzw. für Transaktionen innerhalb der dApps sind.

Auch on-chain benötigt ab und an off-chain

Abschließend sei noch kurz auf sogenannte Oracles eingegangen. Daten und Datenbereitstellung sind auch in klassischen Finanzwelt zentrale Infrastrukturkomponenten. Der Kurs der Apple-Aktie wird von der Heimatbörse NASDAQ weltweit distribuiert und hat

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zahlreiche “Abnehmer”. So benötigen beispielsweise Investmentfonds, die Apple Aktien halten, den Aktienkurs zur internen Berechnung des täglichen Fondswerts (Net Asset Value, NAV). Auch DeFi Anwendungen benötigen einen sicheren Datenfluss — insbesondere wenn sie sich auf Daten beziehen, die sich nicht aus der DLT ergeben (sogenannte “off-chain” Daten). An dieser zentralen wie kritischen Stelle kommen Oracles ins Spiel — die off-chain Daten für on-chain DeFi dApps verfügbar machen.¹⁰

DeFi und CeFi — systemarchitektonisch ähnlich

Erweitert man obige CeFi Analogie um die Infrastrukturebene, dienen die Neo-Banken als gutes Beispiel. Neo-Banken fokussieren sich zumeist darauf den Benutzern ein absolut kundenfreundliches, einfaches, intuitives Frontend zur Verfügung zu stellen. Angeboten werden in der Regel wenige eigene und viele Drittprodukte. Und auch die Infrastrukturebene besteht in weiten Teilen nicht aus einem eigenen Backend, sondern greift auf Kernbankensysteme von Bankpartnern zurück.

Wir sehen also — die DeFi Architektur unterscheidet sich von ihrem Aufbau her nicht grundlegend von dem der CeFi Welt. Umso interessanter wird es zu sehen, wie sich einzelne Komponenten und insbesondere Anwendungen unterscheiden.

Ausblick: Let’s get started — mit dem Wallet

In unserem nächsten Artikel wollen wir uns mit dem selbstverwalteten Wallet als Eingangstor zur DeFi Welt beschäftigen — dem “decentralized Finance” Girokonto und Depot.

Du möchtest mehr über uns erfahren?
Hier findest Du eine kurze Intro zu den
DeFi Buddies.

Fußnoten

¹ Open System Interconnection Model (OSI-Modell)
https://www.computerweekly.com/de/definition/OSI-Open-Systems-Interconnection
Service Oriented Architecture, kurz: SOA
https://www.cloudcomputing-insider.de/was-ist-soa-a-574535/

² Liebe Leserinnen, bitte verzeiht uns — aber wir werden künftig auf die Unterscheidung weiblich/männlich verzichten. Nicht weil wir euch nicht schätzen — nein wir hoffen, dass wir möglichst viele Leserinnen erreichen und für das Thema DeFi begeistern können, sondern einfach, um im Textfluss nicht immer e/r er/in… stolpern zu müssen.

³ Auch die “klassische Finanzwelt” bleibt von Sicherheitsprobleme nicht verschont:
https://www.stern.de/wirtschaft/hacker-angriff-auf-die-dkb--banken-kaempfen-mit-it-problemen-9081940.html
https://www.businessinsider.de/wirtschaft/finanzen/betrueger-haben-offenbar-tausende-deutsche-kreditkarten-gehackt-r/

⁴ Uns ist bewusst, dass Modelle nur ein Versuch sind, die Welt in ein allgemeingültiges Raster zu verpacken und folglich mehr oder weniger vereinfachen (müssen) und abstrakt gehalten sind. Daher ergeben sich bei Modellen immer Graubereiche bzw. entsprechen nicht jedermanns Grundverständnis des dargestellten Sachverhalts. Gerne stellen wir uns einer konstruktive Diskussion, allerdings sehen wir unseren DeFi-Stack mehr als Mittel zum Zweck als den Kern unserer Arbeiten.

⁵ Wir sind nicht die Ersten, die sich zu DeFi Stacks Gedanken gemacht haben — hier Beispiele für weitere wie wir finden sehr gute Gedanken zu DeFi-Stacks:
https://cvj.ch/aktuell/news/defi-entfesselt-eine-welle-an-innovation-in-der-finanzwelt/
https://research.stlouisfed.org/publications/review/2021/02/05/decentralized-finance-on-blockchain-and-smart-contract-based-financial-markets
https://www.stakingrewards.com/journal/defi-digest-ecosystem

⁶ Ein weiterer sehr lesenswerter Artikel unseres BlockLAB Kollegen Dennis Schlegel über DeFi bzw. Protokoll-Ökonomien: https://blockchain-stuttgart.de/2019/12/07/decentralized-finance-ein-protokoll-basiertes-finanzsystem/

⁷ Hier ein kurze und prägnante Definition von Distributed Ledger Technologie: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/distributed-ledger-technologie-dlt-54410

⁸ Bereits im Jahr 2016 hat sich die BaFin mit dem Thema DLT beschäftigt und einen ausführlichen Fachartikel publiziert: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2016/fa_bj_1602_blockchain.html

⁹ Wer mehr über die “IOTA DLT” erfahren möchte: https://www.iota-wiki.com

¹⁰ Im Rahmen nachfolgender DeFi-Stack Beschreibung findet sich ein kurzer guter Abschnitt zu Oracles: https://multicoin.capital/2020/11/24/the-defi-stack/
Mit dem aktuell bekanntesten Oracle “Chainlink” hat sich Dennis Schlegel bereits im Sommer 2019 ausführlich beschäftigt: https://www.dennis-schlegel.com/post/smart-contract-erweiterungen-durch-chainlink

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