© Renate Schrattenecker-Fischer

Ich, 361. Neuauflage

Als Mutter muss man sich ständig neu erfinden. Das ist spannend. Manchmal aber auch einfach nur anstrengend.

Stephanie Doms
Published in
4 min readJun 5, 2018

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Ich habe keine Ahnung, ob ich bei Nummer 361 stehe. Gefühlt sollte die Zahl noch höher sein. Denn manchmal kommt es mir vor, als müsste ich mich nicht nur täglich, sondern täglich mehrmals neu erfinden bei all den Herausforderungen, die im Alltag mit Kindern bewältigt werden wollen.

Ich liebe das. Grundsätzlich. Ich bin ein Mensch, dem schnell fad wird. Ich brauch immer was zu tun, ich mag’s dynamisch, ich mag es zu handeln, ich mag es, Lösungen zu suchen. In den drei Jahren als Mama komme ich immer mehr zu dem Schluss, dass dies gute Voraussetzungen für das Leben mit Kindern sind. Du musst mit hohem Tempo klarkommen und dich unaufgewärmt in einen Spagat schmeißen können, wenn es von dir verlangt wird.

Andernfalls bist du aufgeschmissen.

Trotz dieses Orkans scheint man sich als Mutter aber keinen Meter zu bewegen. Es ist paradox.

Kleines Beispiel gefällig? Mein Sohn will ein Eis. So eines in der Tüte, mit vielen verschiedenen Schichten, mit Schokoglasur oben drüber und einer bunten Verpackung darumherum. Er schleckt friedlich vor sich hin. Die Ruhe vor dem Sturm. Und plötzlich: Will er, dass ich probiere. Das kann erfahrungsgemäß nur schief gehen. Aber ich bin ja furchtlos und von Natur aus neugierig — und vielleicht auch ein bisschen naiv. Also beiße ich ein Stück vom Schoko ab. Er bekommt einen Heulkrampf. Weil: Ich darf nicht “richtig” probieren, also nicht so, dass danach etwas augenscheinlich fehlt. Noch während des Heulkrampfes ändert der Sturm die Richtung: Jetzt weint er, weil der Schoko noch nicht ganz herunten ist. Denn: Er mag plötzlich keinen Schoko mehr.

So geht das dann meist noch eine Weile weiter.

Früher habe ich mir den Mund fusselig geredet. Mittlerweile wird die Zeit, in der ich der Illusion anhafte, ich könne mit Argumentieren bei einem Dreijährigen mit Heulkrampf etwas ausrichten, stetig kürzer. Ich werde langsam gut darin, die Dinge auszusitzen. (Und — ich trau mich gar nicht, es laut zu sagen — auch gut in Sachen Notlügen. Ich, kauend: “Nein, bei deinem Käsesemmerl hat niemand abgebissen. Das war schon so.”)

Ich. Hasse. Sitzen.

Ich werde von der Frau mit der kurzen Zündschnur zur Aussitzerin.

Und dieses Aussitzen nervt mich an manchen Tagen (eigentlich fast immer) ganz gewaltig. Denn im Sitzen und während ich jedem Pipifax eines Familienlebens gerecht zu werden versuche, verbiegen sich meine Gedanken um all die anderen Dinge herum, die mir sonst noch wichtig sind in meinem Leben.

Wie halte ich mit Baby einen Tagesworkshop, sodass es für jeden Beteiligten — Baby, Papa/Babysitter, Teilnehmer, Auftraggeber und mich — angenehm ist?

Welche Yogakurs-Alternativen kann ich anbieten, wenn die Abendkurse wegen Dauerstillens noch länger ins Wasser fallen?

Welche Fortbildungen können mir dabei helfen, die Gewichtung meiner beiden Jobs zu verschieben und eine Lösung für das Problem zu finden, dass mein Lieblingsjob der familienunfreundlichere von den beiden ist?

Und wie gelingt es mir dann auch noch ganz nebenbei, die Wäsche in die Waschmaschine, den Staub in den Staubsauger, das Geschirr in den Geschirrspüler und mein längst kaltes Mittagessen in meinen Bauch zu bringen und gleichzeitig meiner Tochter beim Spielen zuzusehen, weil sie ja das Gefühl haben soll, dass ich sie treu sorgend bei all ihren Entwicklungsschritten begleite, selbst bei dem, sich nicht mit den eigenen Fingern ins Auge zu pieksen?

Es ist zum Haareraufen. Denn es hört nie, nie, nie auf dieses Aussitzen und Herumsitzen und Verbiegen der Gedanken um alles mögliche herum.

Und sie bewegt sich doch.

Das Schöne an Problemen ist zum Glück die Lösung, die man suchen darf. So lief der Tagesworkshop kürzlich sehr gut: Der Papa musste/durfte sich Urlaub zum Babysitten nehmen und den Teilnehmern war zum Schluss auch schon Stillen während einer Besprechung zuzumuten. Und im Sommer biete ich jetzt erst mal Yoga in meinem Garten an, morgens, wenn die Kleine nach einem ersten Frühstück länger ohne Stillen klarkommt, und ganz nah, sollte doch etwas sein. Parallel dazu kenne ich die Angebote an Fernlehrgängen mittlerweile fast auswendig.

Während ich nachmittägliche Eisbomben in Minutenschnelle entschärfe, krieche ich zwar derzeit beruflich dahin wie eine Schnecke und langfristige Projekte werden meine Gedanken wohl noch länger auf Trab halten. Aber kurz- und mittelfristig hat sich doch schon das eine oder andere ein bisschen bewegt. Ich erfinde mich mal wieder neu. Stück für Stück bewege ich mich weiter weg von der Beta-Version mit vielen Bugs. Stück für Stück lasse ich die Erstauflage mit den vielen Schlampigkeitsfehlern hinter mir.

Mein Ziel? Boah. Keine Ahnung. Morgen mal den Tag ohne Eiskrise überleben. Übermorgen vielleicht an meinen Augenringen arbeiten und früher ins Bett gehen. Überübermorgen könnte es sich dann ausgehen, mir darüber Gedanken zu machen, wo es beruflich hingehen soll, wenn es für meine Kinder wieder okay ist, in dem Tempo unterwegs zu sein, das ich gewohnt bin.

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Stephanie Doms
Editor for

Wortspielerin und Freudentänzerin. Texterin, Autorin, Yoga- und Mentaltrainerin. www.stephaniedoms.com