EXPERTEN IM GESPRÄCH

Image, Geld und Social Media

Prof. Dr. Olaf Kramer über Image, Neugier und die allmähliche Abstraktion des Geldes

Finanzguru Team
Finanzguru

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Über Geld zu reden ist nicht einfach. Über Geld zu schreiben fällt uns da schon deutlich leichter — und insbesondere das Internet verändert unsere Art, mit dem Thema umzugehen, ungemein. Das zeigt nicht nur die Beliebtheit zahlreicher Vergleichsportale, auf denen wir uns anonym über unser Gehalt austauschen können. Auch in den Sozialen Medien hat sich ein Diskurs entwickelt, der über eine ganz eigene Dynamik verfügt.

Wir haben einen Experten für strategische Kommunikation im digitalen Zeitalter dazu befragt, wie wir uns in den Social Media über unsere Finanzen austauschen.

Finanzguru: Dass es uns schwer fällt, über Geld zu reden, darüber haben wir uns schon einmal mit Ihnen unterhalten. Dabei kamen wir auch darauf zu sprechen, dass wir uns eigentlich in einer paradoxen Situation befinden: Einerseits versuchen wir das Thema Geld im Gespräch zumeist weitläufig zu meiden, um nichts über unsere finanziellen Verhältnisse preisgeben zu müssen. Andererseits aber sind wir doch neugierig. Dieses Paradox spiegelt sich auch in der Art und Weise, wie das Thema in den sozialen Netzwerken dargestellt wird. Die einen stellen ihr Geld zur Schau und die anderen beziehen dagegen Stellung. Der größte Teil der User aber bleibt unsichtbar und stillt vor allem seine Neugier …

Prof. Dr. Olaf Kramer: Die Kommunikation in den Sozialen Netzwerken hat einen ganz eigenen Reiz. Zum Teil ist es die Anonymität, die die Sache so interessant macht. In den Social Media können wir sehen und gesehen werden, ohne dass wir unbedingt unsere Identität preisgeben und ernsthaft in den Diskurs einsteigen müssen. Mit wenigen Klicks kann ich meine Neugier stillen und herausfinden, wie es um die Finanzen meiner Mitmenschen bestellt ist — und das ganz ohne dass jemand erfährt, dass ich das überhaupt wissen will. Vor allem aber fällt die Notwendigkeit weg, im Gegenzug Informationen über meine eigenen finanziellen Verhältnisse preiszugeben.

Zugleich laden diese Plattformen aber auch in einer gewissen Weise dazu ein, den eigenen Besitz zur Schau zu stellen.

Vom fotografierten Essen im Sternerestaurant — noch am unteren Ende der Skala — bis hin zur Sammlung der Luxusautos können wir im Internet unsere Finanzen durchscheinen lassen, ohne das Thema explizit angehen zu müssen. Stattdessen können wir das Medium Geld in Requisiten umsetzen, die das gewünschte Image zum Ausdruck bringen. Das bringt vielleicht nicht immer Anerkennung, aber Aufmerksamkeit generiert es auf jeden Fall. Und wir wissen ja nicht erst seit Oscar Wilde: „The only thing worse than being talked about is not being talked about.“¹

Von „zur Schau stellen“ können wir in den Social Media aber nur unter Vorbehalt sprechen …

„Inszenieren“ wäre wohl der bessere Begriff. Wie viel von dem, was wir da sehen, auch in tatsächlicher Dimension abgebildet wird, das ist schließlich eine andere Frage. Das teure Auto, vor dem ich posiere, muss mir nicht gehören — von den Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung ganz zu schweigen!

Erst vor ein paar Monaten machte ja eine Bloggerin Schlagzeilen, die über einen Festivalbesuch berichtete, um den sie viele beneideten, den sie aber gar nicht erlebt hatte. All die Bilder, mit denen sie ihre Posts so glaubwürdig illustriert hatte, waren, wie sie später selbst enthüllte, per Photoshop entstanden.

Ja, diese Ungewissheit müssen wir in den Social Media leider in Kauf nehmen. Gewissermaßen im Gegenzug für die Anonymität, die es uns so leicht macht, dem Thema Geld nachzuspüren.

Die Art und Weise, die eigenen Finanzen zu präsentieren, ist im Internet auch eine ganz andere als offline. Sie ist zugleich offensiver und subtiler. In den Sozialen Netzwerken sprechen wir zumeist nicht über unseren Kontostand, und auch Kreditkarten und Bargeld zeigen nur wenige. Stattdessen wird Geld suggeriert. Wir zeigen, was wir uns leisten können — wir lassen Rückschlüsse zu, geben aber nichts Verbindliches preis. Ist „show“ in Sachen Finanzen demnach sozial akzeptabler als „tell“?

Das spielt sicher eine Rolle. Allerdings würde ich auch sagen, diese Form der Inszenierung ist das Ergebnis einer anderen interessanten Entwicklung, die sich derzeit nicht nur in den Sozialen Medien, sondern in allen Bereichen des Miteinanders abzeichnet. Wenn wir unser Geld einsetzen, um ein bestimmtes Selbstbild nach außen zu tragen, können wir zwei grundlegenden Strategien folgen — zwei Schlagrichtungen, die wir auf verschiedene Lebensphilosophien oder auch politische Orientierungen zurückführen können. Die einen richten ihr Leben darauf aus, Geld und Besitz anzuhäufen. Das wäre eine klassisch materialistische Orientierung, deren Vertreter auch gern zeigen, was sie haben. Im Gegensatz dazu stehen postmaterialistische Orientierungen, die Besitz bestenfalls als Mittel zum Zweck betrachten. Die Klimabewegung wäre etwa ein klassisches Beispiel dafür, dass wir auch in politischen Belangen immer stärker postmaterialistisch denken.

Dafür, dass das materialistische Denken an Bedeutung für unser Selbstbild verliert, spricht auch die zunehmende Popularität von Lebensphilosophien, die auf Reduktion und Wendung nach innen abzielen. Vom Decluttering über Zero Waste bis hin zum Thema Achtsamkeit: Geld und Besitz per se scheint, insbesondere für die Generationen X und Z , in großen Teilen seinen Reiz einzubüßen.

Klasse statt Masse ist eine Orientierung, die derzeit sehr beliebt ist, und das übrigens auch bei den besonders Reichen. Wenn wir uns die jungen Milliardäre von heute anschauen, dann funktioniert deren Außendarstellung nicht mehr über Gold und Glamour. Stattdessen zeichnen sich die Geschäftsführer namhafter Global Player eher dadurch aus, dass sie in Jeans und T-Shirt durch die Welt gehen. Geld wird hier nicht mehr explizit zur Schau gestellt. Kenner entdecken zwar hier und da die Details und wissen um den Preis der hochwertigen Armbanduhr oder der Sneaker, die aus einer limitierten Sonderedition stammen. Aber das Geld wie einen Eisbrecher vor sich her schieben, das ist in der westlichen Welt eine zunehmend überholte Form der Selbstdarstellung. Ob dahinter wirklich eine postmaterialistische Einstellung steckt, das sei mal dahingestellt: Auch hier blicken wir natürlich nicht hinter die Kulissen. Aber nach außen wird eben die Abkehr vom angehäuften Reichtum und eine Hinwendung zum Wesentlichen zelebriert.

Das heißt, es wird möglichst wenig über Geld gesprochen, weil die Finanzen nicht das sein sollen, was den Menschen definiert?

Ich glaube, wir erleben gerade, wie sich Orientierungen in dieser Hinsicht stark ändern. Postmaterialismus führt dazu, dass Geld auch gar nicht mehr so geeignet ist, um auszuweisen, dass man ein toller Hecht ist. Nicht umsonst sehen wir ja insbesondere im Internet und in den Social Media die Tendenz, dass der eigene Kanal auch für die Förderung sozialer Projekte, für karitative Zwecke oder wissenschaftliche Forschung genutzt wird. Wenn ich zeigen will, dass ich zu den Großen gehöre, dann zeige ich heute nicht mehr meinen Sportwagen, sondern mein Involvement in ein Raumfahrt-Unternehmen, das uns dem Traum von Reisen ins All einen Schritt näher bringen soll. Das Image stärkt, was einen Nutzen verspricht. Und das nicht nur für mich, sondern am besten für die Menschheit im Ganzen.

Das bedeutet, unser finanzieller Status wird in unserer Außendarstellung mehr oder weniger … na ja: unsichtbar. Klar, man könnte anhand unserer Engagements und unserer Lebensführung noch darauf schließen. Aber dieser Rückschluss ist nicht das eigentliche Ziel.

Das Eigentliche ist das, was wir mit unserem Geld anfangen: Die Qualität unserer Investition, nicht ihre Höhe. Dazu passt vielleicht auch die Tatsache, dass Geld als greifbarer Wert sich allmählich auflöst. Wir zahlen immer mehr elektronisch und müssen uns ernsthaft die Frage stellen, wie lange wir wohl noch Münzen und bedrucktes Papier als Wertgegenstände mit uns herumtragen werden. Ich würde sogar vermuten, dass sich unser Umgang mit der Frage nach dem Geld grundlegend ändern wird, wenn Geld in dieser materiellen Form vollends verschwunden ist. Wenn ich meinen Reichtum nicht mehr physisch spüre, sondern meine finanzielle Situation nur noch das Ergebnis einer abstrakten Rechenoperation ist, dann fällt die Möglichkeit der direkten Darstellung ohnehin weg.

Spannend! Wenn wir diesen Gedanken konsequent fortsetzen, dann würde das auch eine ganz neue Gesprächskultur bedeuten. Über das physisch wahrnehmbare Geld zu sprechen, damit tun wir uns schwer — da gibt es einfach zu viele soziale Fallstricke. Aber wenn Geld nur noch ein abstrakter Gedanke, nur noch ein Zahlenwert wäre … könnte das das Reden über Geld erleichtern?

Denkbar wäre es. Aber wann immer ein solcher Abstraktionsprozess stattfindet, müssen wir auch mit einem gewissen Nachhall rechnen. Das Konkrete steht noch lange Zeit sehr genau für das Abstrakte. Für Generationen, die beides kennen, ist das meist nicht klar trennbar. Die Hürde, in ein Gespräch einzutreten, kann also vorerst durchaus bestehen bleiben. Wir können aber hoffen, dass eine allmähliche Verschiebung stattfindet und die postmateriellen Leistungen, die wir vollbringen, an Bedeutung gewinnen. Postmaterielles können wir schließlich auch ohne großen finanziellen Rückhalt bewegen. Wenn das mit mindestens derselben Anerkennung quittiert wird wie Vermögen, kann es dazu beitragen, das Ungleichgewicht zwischen den Gesprächspartnern zu nivellieren. Und auf Augenhöhe kommen wir gleich viel leichter erst ins Gespräch.

Prof. Dr. Olaf Kramer, Tübingen

Olaf Kramer studierte Allgemeine Rhetorik, Philosophie, Psychologie und Neuere deutsche Literaturwissenschaft in Tübingen, Frankfurt am Main und an der UNC, Chapel Hill, USA. Danach war er als Akademischer Rat am Seminar für Allgemeine Rhetorik tätig, wo er 2011 die Leitung der von ihm gegründeten „Forschungsstelle Präsentationskompetenz“ übernahm. Gastdozenturen führten ihn an die Northwestern University in Evanston und an das Department of Education der Harvard University. 2016 übernahm er die Professur für Rhetorik und Wissenskommunikation, seit 2017 ist er Geschäftsführender Direktor des Seminars für Allgemeine Rhetorik. Kramer beschäftigt sich mit den Themen kommunikative Kompetenz, Wissenskommunikation, politische Rede und Digitalisierung. Seit 2013 hat Kramer die „Science Notes“ als neues Kommunikationsformat bundesweit etabliert und die Zeitschrift „Science Notes“ auf den Weg gebracht, um die öffentliche Wahrnehmung wissenschaftlicher Forschung zu stärken.

¹Übersetzung: “Es gibt nur eine Unannehmlichkeit, die peinlicher ist, als in aller Munde zu sein: nicht in aller Munde zu sein.”

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