Aus der Reihe: Merchant & Friends

Wirken, Wachsen, Rösten — Die Kaffeerösterei Merchant & Friends hat sich über die Jahre zu einer regionalen Institution des guten Kaffees entwickelt und ist dabei den eigenen Prinzipien treu geblieben. Ein Hausbesuch bei unseren Kaffeelieferanten in den Herrmannsdorfer Landwerkstätten.

Fürstenfelder
Fürstenfelder Magazin
7 min readMar 21, 2023

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Lienhart Rau und Mira Merchant in der Rösterei
Lienhart Rau und Mira Merchant in der Rösterei | © Toby Binder

Leere Kaffeesäcke liegen schwer vom Regen auf einem Stapel vor der Kaffeerösterei Merchant & Friends. Das nasskalte Wetter und ein anziehender Duft treiben einen nach drinnen, obwohl es auch draußen so viel zu sehen gäbe. Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten vereinen eine ganze Reihe handwerklicher Betriebe, die handgemachte Lebensmittel ökologischer Qualität produzieren. 40 Kilometer südöstlich von München, nahe der Kleinstadt Glonn, wirkt der Vorzeigebauernhof wie ein Märchenort aus einer anderen Zeit. Für Ökofans ist das Gut ein Mekka, das längst zu einem eigenen Dorf herangewachsen ist, in dem man beim Selbermachen zusehen und auch mal selbst anpacken kann. Sogar König Charles und Camilla haben hier schon Nudelteig gerollt und Schweine getätschelt.

Ein cleverer Marketing-Schachzug, so könnte man denken. Doch über den Manufaktur-Wahn, der sich seit ein paar Jahren über die Welt erstreckt, lächeln die Herrmannsdorfer freundlich. 1984, als sie hier anfingen, dieser Idee eines ganzheitlichen Wirtschaftens nachzugehen, wurden sie noch als Spinner verschrien. Es ging nie um Marketing. Es ging darum, das zu tun, was sich richtig anfühlt — in einem gesunden, nachhaltigen Tempo.

Lastkraftfahrer wie Könige

Mit dem gleichen Gedanken haben die Merchants hier mit dem Kaffeerösten angefangen. Merchant, was ins Deutsche übersetzt Händler*in bedeutet und englisch ausgesprochen wird, ist tatsächlich kein ausgedachter Firmenname, sondern Mira und Andis Familienname. 2009 beschloss Andi Merchant, der Medizinbranche den Rücken zu kehren und noch mal etwas ganz anderes zu machen. Seine Frau Mira arbeitete da bereits bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten. Also folgte Andi ihr mit seiner Passion und einer Fünf-Kilo-Röstmaschine von München aufs Land.

Jetzt parkt ein weißer Laster draußen vor dem Wirtschaftsgebäude gleich neben der Schnapsbrennerei. Der Fahrer wartet drinnen an der kleinen Kaffeebar. Und dahinter bereitet Lienhart Rau so konzentriert Espresso zu, dass er für einen Moment in die Welt von Aroma und technischer Präzision abzutauchen scheint. Dann serviert er dem Fahrer des Lasters einen Espresso mit so viel Hingabe, als wäre der King Charles persönlich. Ob es auch am Wetter liegt oder doch nur am Zauber des schwarzen Goldes, dass der Lieferant sich nach dem Genuss nur mit einem schweren Seufzen zurück nach draußen bewegen will? Wer weiß. Sicher ist: Vor einer guten Tasse Kaffee sind alle gleich.

Lienhart Rau erklärt Gerhard Kohlfürst Details an der Kaffeemaschine
Gerhard Kohlfürst und Lienhart Rau | © Toby Binder

Die Frau, bei der die Fäden von Merchant & Friends zusammenlaufen, steht derweil im Hintergrund und beobachtet die Szene mit einem freundlichen Lächeln. Der Platz am Rand ist der Betriebswirtin lieber als die erste Reihe. Dabei ist sie einer dieser strahlenden Menschen, mit denen man schon beim ersten Blickkontakt befreundet sein will. Ihr Mann Andi ist gerade auf Handelsreise, als Botschafter des guten Kaffees.
Mira Merchant erinnert sich, wie Andi in der Anfangszeit von Merchant & Friends seinen Großeltern Kaffee aus einer der ersten kleinen Röstungen schickte. Die Großmutter hatte bis dato wie die meisten Deutschen klassischen Filterkaffee aus dem Regal des Supermarktes konsumiert und sich vermutlich nie gefragt, ob ihr das eigentlich wirklich schmeckt, was morgens schwarz und bitter in die Tasse fließt. Als die Oma sich gar nicht zurückmeldete, sei Andi doch ein bisschen enttäuscht gewesen.

Kleine Bohne, große Aromen

So ist das, gut Ding will Weile haben. Eines war ihnen aber von Anfang an klar: Bio sollte die Haltung hinter ihrer Arbeit sein und nicht nur eine Linie im Sortiment, um einen Trend zu bedienen. Das ist auch die Voraussetzung, um sich hier auf dem Gelände der Landwerkstätten niederzulassen. Andi Merchants Leidenschaft für guten Kaffee hatte ihm den nötigen Mut zur Gründung gegeben. Er hatte sich mehr und mehr in diese Leidenschaft reingeschafft, alte Kaffeemaschinen seziert, mit seiner kleinen Röstmaschine am perfekten Geschmack seltener Bohnen getüftelt. Sein Traum folgte einem anderen Trend, der sich gerade erst mit dem aufkommenden Kaffeeröst-Boom in Kennerkreisen entwickelte: Nur fruchtig rösten. Bitte was?

Lienhart, der Zwei-Meter-Mann in Turnschuhen und Jeans mit schiefer Mütze auf dem Kopf ist einer der Friends in Merchant & Friends. Denn eine Rösterei in dieser Größenordnung funktioniert nur, weil sich hier in den letzten Jahren Menschen zusammengefunden haben, die eine Leidenschaft teilen. Und obendrauf Vernunft, Fachwissen, Zahlenverständnis, Ordnungssinn oder den Spaß am Netzwerken mitbringen. So decken sie als Team alle Bereiche ab, ohne die so ein Betrieb nicht läuft.

»Tüfteln ist mein Hauptjob«, sagt Lienhart, Kaffeepionier der ersten Stunde, der sein Architektur- irgendwann durch ein Kaffee-Studium ersetzte, auch wenn es da keinen Abschluss für gibt. Dafür kann er einem das mit der fruchtigen Röstung erklären: Die meisten kennen Kaffee als bitter und schwarz. Dabei ist die Kaffeebohne eines der aromatischsten Lebensmittel der Welt. Über 1.000 verschiedene Aromen stecken in der kleinen Bohne. Wer anfängt, sich mit dieser Vielfalt auseinanderzusetzen, kann nicht mehr so einfach zum warm gehaltenen Bürokaffee zurück. Er oder sie wird begreifen, dass es zunächst von der Sorte abhängt, welche Aromen stärker ausgeprägt sind.

Lienhart Rau testet eine Tasse Espresso
Lienhart Rau | © Toby Binder

Grob zusammengefasst haben Arabica-Bohnen mehr Frucht und Säure als jene der Sorte Robusta. In diese zwei Lager lässt sich Kaffee unterteilen. Die Robusta bringt mehr Koffein mit, mehr Öle und damit mehr Körper — Fett ist bekanntermaßen ein Geschmacksträger. Dann ist der nächste entscheidende Schritt die Röstung: Je länger und dunkler eine Bohne geröstet wird, desto weniger Säure und Fruchtaromen bleiben erhalten. Und letztlich ist da die Frage der Zubereitung. Je kürzer Kaffeepulver mit heißem Wasser in Berührung kommt, desto weniger Aromen werden zerstört. Zu heiß gebrühter Espresso schmeckt nur mehr bitter. Gleiches gilt für den Mahlgrad — je feiner gemahlen, desto mehr Bämm im Geschmack. Ja, es geht hier um Wissenschaft und Technik. Doch tatsächlich schmeckt der Espresso der Reserved-Reihe ›Wild & Fair‹, den Lienhart mit Sekundenzähler und Fingerspitzengefühl aus der Siebträgermaschine holt, irgendwie anders. Es würde wohl noch etwas Sensorikschulung brauchen, um geschmackssicher auf sowas wie Brombeere oder Granny Smith aufmerksam zu werden. Aber dieser Espresso ist fruchtiger, saurer, weniger bitter. Er bleibt länger in Erinnerung, auf der Zunge.

Alles zu seiner Zeit

»Andis Traum von den fruchtigen Röstungen«, ergreift nun wieder Mira das Wort, »war damals wirtschaftlich nicht rentabel«. Inzwischen führt Merchant & Friends in kleiner Auflage in der Reihe ›Reserved‹ diese hochklassigen Kaffees doch im Sortiment — übrigens die einzigen Kaffees, die aufgrund der kleinen Auflage nicht durchgehend bio-zertifiziert sind. Um aber am Markt bestehen zu können, stellten sie sich anfangs breiter auf. Auch Unternehmen, die erwachsen werden, müssen ja manchmal Ideen dorthin sortieren, wo sie ihre Nische haben. Und parallel Geld verdienen. Die Menschen brauchen wie die guten Dinge Zeit. Und hervorragend ist der Kaffee auch dann noch, wenn er nicht nur den Geschmack von Kennern trifft. In einer der beliebtesten Sorten — ›Houseblend‹ — steckt mindestens so viel Liebe wie im ›Wild & Fair‹. Weit mehr als zehn Jahre ist Merchant & Friends auf dem Markt. Auf die Fünf-Kilo-Röstmaschine folgte eine, die 15 Kilo schafft. Acht feste Mitarbeiter zählt der Betrieb inzwischen, dazu kommen einige Aushilfen. Drei- bis viermal die Woche wird geröstet. Längst hat eine ›Probatone 60‹ die 15-Kilo-Röstmaschine ergänzt. Die alte Fünf-Kilo-Röstmaschine gibt es nicht mehr. Ein Probenröster ist jetzt Experimentier-Spielplatz fürs Tüfteln. Mittlerweile beliefern Merchant & Friends Firmenkunden, die Gastronomie, zahlreiche Bio-Märkte und Privatkunden im Direktverkauf.

Den Cafébetrieb, den sie in den ersten Jahren noch am Wochenende öffneten, gibt es so inzwischen nicht mehr. An der Bar bekommen Besucher zwar nach wie vor frisch Gebrühtes, aber für Tische und Stühle in der Rösterei haben sie keinen Platz mehr.

Mira Merchant hält Kaffebohnen in die Kamera
Mira Merchant | © Toby Binder

Wachsen mit Freunden

Es ist Mira Merchant anzusehen, dass sie die Idee hinter dem Café mochte. »Wir wollen nah am Kunden bleiben«, sagt sie. Weil sie ihre Sache gut machen, ist der Betrieb von der Tüftelgarage in Startup-Manier zu einem erfolgreichen handwerklichen Betrieb gewachsen. Das beansprucht sie inzwischen so, dass keine Ressourcen für einen Cafébetrieb mehr bleiben. Das Wachstum ist eine Herausforderung. »Zum Glück«, sagt Mira, »sind wir nicht zu schnell gewachsen.« Der kontinuierliche Erfolg von Merchant & Friends ist eine gute Sache, doch wenn es die Merchants allein mit ihren Friends nicht mehr schaffen würden, wäre für sie eine händelbare Größe überschritten. Die Dinge brauchen Zeit — und ob davon dann noch genügend da wäre?

So bleiben sie regional und denken als nächsten Schritt lieber über Kooperationen mit Kaffeebauern und -bäuerinnen in verschiedenen Ursprungsländern des Kaffees nach, um zum Direktimporteur zu werden, weniger auf Zwischenhändler angewiesen zu sein und so bei allem Erfolg noch ganzheitlicher zu agieren.

An der ›Probatone 60‹ führt Lienhart vor, wie die Bohnen nach der Röstung zur Kühlung gewendet werden. Bis zu 16 Prozent weniger kommt raus, als er am Anfang reinschüttet. Ein Teil ist weggetrocknet, ein Teil sind die Silberhäutchen, die von den Bohnen abplatzen, wenn diese sich in der Hitze ausdehnen.

Kaffeebohnen im Sack
Kaffeebohnen im Sack | © Toby Binder

Der Manufakturgedanke, den man überall dort gerne belächeln darf, wo er als Label obendrauf gestempelt wird, kommt hier von innen. Röstmeister und Produktionsleiter Lienhart sagt, er verzweifele manchmal daran, dass seine Geschmackskapazität beim Verkosten irgendwann erschöpft sei. So muss er einfach manchmal am nächsten Tag weitertüfteln, weil selbst er nach der zigsten Tasse Espresso weder Erdbeere noch Zimt herausschmeckt. Schiebt er eben noch eine Teamschulung oder Maschinenberatung zum Beispiel beim Fürstenfelder ein. Diese Geduld zahlt sich aus, aber man muss sie sich auch leisten. Und da ist es gut, wenn man kein Konzern, sondern ein Haufen Freunde ist und sich gegenseitig am Boden hält.

Achso: Die Oma rief nach einer Weile doch noch bei Andi Merchant an. Der Kaffee sei alle und der aus dem Supermarkt, der schmecke irgendwie nicht mehr. Ob er nochmal seinen schicken könne. Den trinkt sie bis heute.

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