Kroatiens Finanzbildungs-Strategie als Wegweiser für Deutschland

Jana Tichauer
Invest it! e.V.
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6 min readOct 9, 2022
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Im nächsten Jahr wird Kroatien der Eurozone beitreten. Eine solche Währungsreform bedeutet dabei nicht nur volkswirtschaftliche Umbrüche, sondern auch Veränderungen für private Haushalte. Dies ist problematisch, wenn das Niveau an finanzieller Bildung in der Bevölkerung — wie in Kroatien — gering ist. Mit einem durchschnittlichen Wert von 12 von 20 Punkten schnitt Kroatien 2015 als drittletztes Land in der OECD-Erhebung zur finanziellen Bildung ab (OECD 2016: 8).

Doch die kroatische Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung umfassend finanziell zu bilden — und kann damit auch ein Beispiel für Deutschland werden.

Wie sich die Finanzbildung in Kroatien veränderte

Kroatien wurde in der ersten Erhebung der finanziellen Bildung in den OECD-Staaten ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: sowohl die Bereiche Wissen und Verständnis als auch Fähigkeiten und Kenntnisse sollten laut Studienautor:innen stärker in den Blick genommen werden (ebd.). Bereits fünf Jahre später, in der zweiten Erhebung, zeigten sich Verbesserungen in diesen Bereichen, genauso wie eine leichte Verbesserung des durchschnittlichen Wertes der Financial Literacy (siehe Tab. 1), was dazu führt, das Kroatien sich mittlerweile im Mittelfeld des OECD-Durchschnitts wiederfindet.

Tab. 1: Durchschnittswerte der OECD-Erhebung zu Financial Literacy für Kroatien aus 2015 und 2020; in Klammern: Werte für Deutschland | OECD-Durchschnitt (Quelle: OECD 2016, OECD / INFE 2020)

Public Policy im Licht der OECD-Ergebnisse

Die kroatische Regierung reagierte auf die Ergebnisse der ersten OECD-Erhebung, indem das Finanzministerium ein National Strategic Framework for Consumer Financial Literacy (2015–2020) auf den Weg brachte (Pintarić 2020, OECD 2015). Ein solches Dokument gibt es für Deutschland, trotz Empfehlungen von OECD und DIW, auch 2022 noch nicht (DIW Berlin 2021, Balz 2022) .

Abb. 1: Dringlichkeit einer deutschen nationalen Strategie für finanzielle Bildung (Quelle: DIW Berlin 2021)

Das kroatische Framework hatte zum Ziel, die finanzielle Bildung der Gesamtbevölkerung, positive finanzielle Verhaltensweisen sowie langfristiges Sparen zu verbessern und Überschuldung zu reduzieren. Im Rahmen des regelmäßigen Monitorings und der Ergebnisse der zweiten OECD-Erhebung, wurde 2020 eine überarbeitete Version des Frameworks für die Jahre 2021–2026 veröffentlicht.

Begleitet werden die Frameworks durch konkrete Maßnahmen verschiedener nationaler Institutionen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und systematisch die finanzielle Bildung fördern.

Finanzielle Bildung im Frühstücksfernsehen

Die Förderung der finanziellen Bildung erfolgt auf verschiedenen Ebenen, u.a. mit Formaten wie Diskussionsrunden mit Studierenden oder Print-, Online- und Video-Produktionen. Am innovativsten erscheint aber die Prominenz der finanziellen Bildung in den öffentlichen Medien: Rentenversicherung im Frühstücksfernsehen?

Das kroatische Finanzministerium entschied sich vor knapp zwei Jahren für die Zentralbank als wichtigste Akteurin zur Förderung der finanziellen Bildung. Dies beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen: 32% der befragten Kroat:innen nannten ihre Zentralbank als vertrauenswürdigste Wissensvermittlerin für finanzielle Bildung (OECD 2020: 40).

Diese wiederum plante ihre Strategie sorgfältig: wie erreicht man eine möglichst große Bevölkerungsgruppe in Kroatien? Auch hier wurden statistische Ergebnisse für die Analyse genutzt; in Kroatien spielt das Fernsehen eine im europäischen Vergleich überdurchschnittlich große Rolle im Medienkonsum. Über alle Altersgruppen schauen Frauen im Durchschnitt etwa fünf Stunden pro Tag und Männer etwas mehr als vier Stunden pro Tag fern, wobei die Zeitspanne mit dem Alter signifikant zunimmt (AGB Nielsen Media Research 2021, zit. nach Pisačić 2022).

So wurde schließlich die Sendung “Good Morning, Croatia” im öffentlich-rechtlichen Fernsehen — die beliebteste kroatische Morgensendung — als idealer Sendeplatz ausgewählt. Hier bekommt die finanzielle Bildung jede zweite Woche zehn bis 15 Minuten Sendezeit, in der Expert:innen verschiedene Themen analysieren und einordnen. (Ein Beispiel findet sich hier.)

Abb. 2: Finanzielle Bildung im kroatischen Frühstüchsfernsehen (Quelle: Dobro jutro, Hrvatska / HRT)

Auch die Auswahl der Themen ist nicht dem Zufall überlassen, sondern basiert auf dem sogenannten FinComp-Framework von OECD und EU (European Union / OECD 2022). In diesem wird definiert, was “finanziell gebildet” bedeutet, welches Wissen, welche Kompetenzen und welche Fähigkeiten also nach erfolgreicher finanzieller Bildung erworben sein sollten. Dieses ist eng verzahnt mit den Studienergebnissen der OECD zu finanzieller Bildung — ist ersteres die Messlatte, ist zweiteres die tatsächlich gesprungene Höhe. Was genau eigentlich finanzielle Bildung ist, erläutern wir hier.

Die Verwendung eines international entwickelten Referenzwerks für finanzielle Bildung als Impulsgeber für die Fernsehsendungen ist ein weiteres Beispiel für die Systematik der kroatischen Strategien: die kroatischen Stakeholder arbeiten konsequent an einer fundierten und nachhaltigen Förderung der finanziellen Bildung.

“FinComp is being used for the idea of the theme for the show and for the content — a reminder not to omit relevant information”
— Ana Pisačić, Kroatische Zentralbank

Systematisch und integrativ — Nachmachen erwünscht

Die Effekte der kroatischen Maßnahmen lassen sich bisher nur schwerlich messen: so sind das Budget und auch die bisher verstrichene Zeit für eine valide wissenschaftliche Evaluierung zu gering. Indizien geben nur die nach Aussagen der Zentralbank positiven Kommentare bei Facebook.

Doch auch ohne die tatsächlichen Auswirkungen der einzelnen Bausteine der kroatischen Strategie bisher messbar machen zu können, lassen sich zwei zentrale Gelingensfaktoren für eine wirksame Kampagne zur Förderung der finanziellen Bildung beschreiben.

Erstens muss finanzielle Bildung systematisch gefördert werden. Maßnahmen müssen wissenschaftlich begründet werden können und sich an realen Gegebenheiten des jeweiligen Landes orientieren. Durch die Zentralbank gestaltete Sendungen zur finanziellen Bildung im Frühstücksfernsehen sind eine kroatische Antwort auf die konkreten Erfordernisse des Landes — eine Antwort, die von der Wahl des Stakeholders bis zur Wahl der Themen wissenschaftlich legitimierbar ist. Das schließt die Falsifizierbarkeit der Annahmen nicht aus, erhöht aber signifikant die Chancen auf langfristigen Erfolg.

“The central bank is only one of the stakeholders related to financial literacy.“
— Ana Pisačić, Kroatische Zentralbank

Zweitens kann finanzielle Bildung nur integrativ, d.h. im Zusammenspiel aller Akteur:innen funktionieren (Balz 2022). Die Ausarbeitung, Evaluation und Überarbeitung der nationalen Strategie erfolgte in gemeinsamen Arbeitsgruppen aller Beteiligten; die Durchführung von Maßnahmen geschieht koordiniert und nach jeweiligen Expertisen, greift aber ineinander und baut aufeinander auf.

Deutschland kann viel lernen vom “Küken” in der Eurozone — und hat viel zu tun.

— Literatur

Balz, B. (2022): ‘Ökonomische Bildung in Deutschland — Gastbeitrag in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen’. Deutsche Bundesbank. Abgerufen unter https://www.bundesbank.de/de/presse/gastbeitraege/oekonomische-bildung-in-deutschland-887584#tar-3 am 24.09.2022.

DIW Berlin (2021): ‘Deutschland braucht eine nationale Strategie für finanzielle Bildung’. DIW Berlin. Abgerufen unter https://www.diw.de/de/diw_01.c.825403.de/deutschland_braucht_eine_nationale_strategie_fuer_finanzielle_bildung.html am 24.09.2022.

European Union / OECD (2022): ‘Financial competence framework for adults in the European Union’. European Union / OECD. Abgerufen unter https://www.oecd.org/daf/fin/financial-education/financial-competence-framework-for-adults-in-the-European-Union.pdf am 24.09.2022.

OECD (2015): ‘National Strategies for Financial Education — OECD / INFE Policy Handbook’. OECD. Abgerufen unter https://www.oecd.org/daf/fin/financial-education/National-Strategies-Comparative-Tables.pdf am 11.08.2022.

OECD (2016): ‘OECD/INFE International Survey of Adult Financial Literacy Competencies’. OECD. Abgerufen unter https://www.oecd.org/daf/fin/financial-education/OECD-INFE-International-Survey-of-Adult-Financial-Literacy-Competencies.pdf am 17.07.2022.

OECD / INFE (2020): ‘OECD/INFE 2020 International — Survey of Adult Financial Literacy’. . Abgerufen unter https://www.oecd.org/financial/education/oecd-infe-2020-international-survey-of-adult-financial-literacy.pdf am 15.05.2022.

OECD (2020): ‘Financial Literacy of Adults in South East Europe’. OECD. Abgerufen unter http://www.oecd.org/daf/fin/financial-education/south-east-europe-financial-education.htm am 13.08.2022.

Pintarić, J. (2020): ‘Is the level of financial literacy improving in Croatia?’. Croatian National Bank. Abgerufen unter https://www.hnb.hr/en/-/is-the-level-of-financial-literacy-improving-in-croatia- am 11.08.2022.

Pisačić, A. (2022): ‘Using the financial competence framework in the design of short format shows (TV and radio)’. OECD / European Commission / Croatian National Bank [presentation slides]. Abgerufen unter https://www.oecd.org/financial/education/Presentations-Webinar-Financial-Competence-framework-adults-EU.pdf am 13.08.2022.

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Jana Tichauer
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Teacher, linguaphile, powerhouse. Born and raised in Berlin, studied and worked in France, Spain, Belgium, and Germany.