Zehn (+1) Prinzipien der finanziellen Bildung

Jana Tichauer
Invest it! e.V.
Published in
4 min readSep 23, 2022

Unabhängigkeit ist für unsere Arbeit bei Invest it! essenziell. Das ergibt auch Sinn, da finanzielle Bildung mündige Verbraucher:innen als Ziel hat, die sich eigenverantwortlich für oder gegen Finanzprodukte entscheiden können.

Unabhängigkeit ist — Spoiler Alert — auch die “geheime Zutat” für gute finanzielle Bildung.

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Gute finanzielle Bildung?!

Das hehre Ziel, qualitativ hochwertige finanzielle Bildung anzubieten, bedarf natürlich bestimmter Rahmenbedingungen, ist aber auch an Fragen der Gestaltung des Lehrsettings geknüpft. Die Antworten auf solche Fragen bietet die Didaktik, quasi die wissenschaftliche Lehre der guten Lehre, die sich damit befasst, wie man anderen Menschen möglichst effektiv Wissen vermittelt.

Wissen muss anwendbar sein

Ein sehr gutes Messmaß für die Qualität von Inhaltsvermittlung ist der Grad der Anwendbarkeit oder, anders ausgedrückt, wie handlungsorientiert die Lehre ist. Können die Lernenden den vermittelten Input tatsächlich nutzen?
In unseren Workshops lassen wir die Schüler:innen beispielsweise SMART-Ziele für ihre Finanzplanung aufstellen, sodass sie das Gelernte praktisch umsetzen können.

Lernende müssen einbezogen werden

Wenn an uns vorbeigeredet wird, finden wir Unterricht meistens doof. Dann ist er weder spannend noch besonders lehrreich, da wir uns nicht angesprochen fühlen. Ein wichtiges didaktisches Prinzip ist daher die Bedürfnisorientierung: die Bedürfnisse unserer Schüler:innen müssen aktiv abgefragt und für die Gestaltung der Lernarragements genutzt werden.

Wir merkten beispielsweise bei unserem jüngsten Workshop, dass die Lernenden Kryptowährungen spannend fanden — und haben dazu eine Einheit integriert.

Was genau wir mit finanzieller Bildung meinen, haben wir in diesem Artikel erklärt.

Die zehn (+1) Prinzipien für gute finanzielle Bildung

1. Handlungsorientierung:
Finanzielle Bildung bereitet auf die aktive Teilnahme am ökonomischen Geschehen vor: sie muss daher primär zum Handeln — und nicht zur Wiedergabe — befähigen. Lernenden werden immer wieder ermutigt, im geschützten Rahmen aktiv zu werden und das theoretisch Erlernte praktisch anzuwenden.

2. Lebensweltnähe:
Finanzielle Bildung muss sich an der Lebenswelt der Lernenden orientieren: in der Wahl der Inhalte, der Medien und der Übungen. Sie bezieht dabei für die Lernenden konkrete Beispiele ein, die authentisch sind und realistisch erscheinen — und Inklusion mitdenken.

3. Zukunftsbedeutung:
Finanzielle Bildung bereitet aktiv auf die Zukunft vor: sie befähigt zum flexiblen und aufgeschlossenen Umgang mit Unbekanntem und zum lebenslangen Lernen. Sie weckt Neugierde und Lust am Lernen, ist aber auch eng mit anderen Zukunftskompetenzen wie Medienkompetenz und Kritikfähigkeit verzahnt.

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4. Progression:
Die Inhalte finanzieller Bildung bauen logisch aufeinander auf und erläutern Themen vom Konkreten zum Allgemeinen. Sie beginnen also im alltäglich Greifbaren und werden stetig größer bis hin zu volks- und globalwirtschaftlichen Fragen.

5. Eigenständigkeit und Kooperation:
Vermittlung finanzieller Bildung bereitet Lernende auf das 21. Jahrhundert vor, indem sie zu eigenständigem und kooperativem Arbeiten anleitet. Sie erörtern und diskutieren, hinterfragen und erklären; kurz: die Lernenden kokonstruieren Bedeutung.

6. Diagnose:
Eine gezielte Förderung finanzieller Kompetenz ist nur durch eine vorhergehende Ermittlung des Kenntnisstandes der Lernenden möglich. Diese wird kontinuierlich durch begleitende Diagnostik erweitert und geschärft und bildet somit ein umfangreiches Bild des Könnens und der Ressourcen der Lernenden ab.

7. Differenzierung:
Vermittlung finanzieller Bildung lebt Diversität und denkt diese aktiv mit: indem auf unterschiedlichste Bedürfnisse adäquat eingegangen wird. Das kann sowohl verschiedene Schwierigkeitsstufen, Interessen, Lösungswege oder Sozialformen meinen — je vielfältiger, desto lehrreicher.

8. Wissenschaftliche Fundierung:
Die vermittelten Inhalte der finanziellen Bildung sind wissenschaftlich fundiert und in den aktuellen ökonomischen Kontext eingebettet. Sie beziehen sich auf aktuelle Forschungsergebnisse — sowohl fachwissenschaftlich, als auch fachdidaktisch und pädagogisch — und bleiben sich selbst gegenüber stets kritisch.

9. Bedürfnisorientierung:
Finanzielle Bildung richtet sich an (künftige) Verbraucher:innen: sie richtet sich nach realen Bedürfnissen und orientiert sich an den Lernenden. Die Schüler:innen sind aktiv in den Prozess der Inhaltsbestimmung eingebunden und wirken nicht nur als Rezipient:innen, sondern auch als Produzierende in einem gemeinschaftlichen Lern-Lehr-Prozess.

10. Stetige Evaluation:
Finanzielle Bildung will sich aktiv entwickeln, daher erfordert sie eine immerwährende Reflexion und Evaluation. Das umfasst konkrete Lernerfolge, aber auch Rückmeldungen von Lernenden und (anderen) Lehrenden — sowohl in der Selbst- als auch in der Fremd-Evaluation.

+1: Unabhängigkeit
Finanzielle Bildung ist neutral und unabhängig und verbreitet keine kommerziellen Produktinformation.

Das war ganz schön viel auf einmal?

Schau Dir unser Poster für eine Übersicht der zehn (+1) didaktischen Prinzipien für gute finanzielle Bildung an: https://bit.ly/financial_literacy_principles

— Literatur

Piorkowsky, M.-B. (2011): ‘Gute Praxis — schlechte Praxis in finanzieller Allgemeinbildung’. Retzmann, T. (Hrsg.): “Finanzielle Bildung in der Schule”. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. S. 31–46.

Reifner, U. (2011): ‘Finanzielle Allgemeinbildung und ökonomische Bildung’. Retzmann, T. (Hrsg.): “Finanzielle Bildung in der Schule”. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. S. 9–30.

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Jana Tichauer
Invest it! e.V.

Teacher, linguaphile, powerhouse. Born and raised in Berlin, studied and worked in France, Spain, Belgium, and Germany.