Remote führen und Vertrauen aufbauen. Wie geht das?

Willem de Haan
Leadership und Organisation
9 min readMar 8, 2021

Im Zusammenhang mit virtueller Mitarbeiterführung ergeben sich Anforderungen, die sich im Vergleich zu Führung in Präsenz-Situationen entweder unterscheiden, oder eine andere Ausprägung finden müssen, um Remote Leadership erfolgreich zu gestalten.

Im Zuge der Lernreise während des Seminars „Leadership und Organisation“ haben wir uns intensiv mit dem Aspekt „Vertrauen“ beschäftigt und die Fragen gestellt, „Welche Rolle spielt Vertrauen überhaupt in diesem Kontext?“ und „Wie stärke ich Vertrauen im Kontext von Leadership?“. Die Antworten, die wir gefunden und herausgearbeitet haben, sind vielfältig und immer geprägt von dem eingangs erwähnten Umstand, dass in remote Situationen nicht „alles ganz anders“ ist, sondern sich punktuelle Unterschiede ergeben oder einfach die Intensität von Faktoren anders ausgeprägt ist.

Grundsätzlich ist der Faktor Vertrauen unerlässlich in Prozessen wie Teamentwicklung und Aufbau von Beziehungen zwischen Führungspersonen und Team. Die Erkenntnis ist so banal wie wichtig. Vertrauen ist hinsichtlich Zusammenarbeit das Fundament des Erfolgs. Oder wie Niklas Luhmann es sagt,

„Wer Vertrauen erweist, nimmt Zukunft vorweg. Er handelt so, als ob er sich der Zukunft sicher wäre.“ (Luhmann 2014, S. 15)

Die menschliche Existenz mit allen ihren Eigenarten des Alltags wäre kaum möglich, wenn wir nicht ein Mindestvertrauen in unsere Umwelt und den Fortbestand aller wesentlichen Funktionen und Prozesse hätten. Ohne Vertrauen wäre das menschliche Zusammenleben nicht möglich, auch nicht das Arbeitsleben.

Unternehmen stehen bedingt durch Digitale Transformation vor deutlichen Veränderungen. Direkte Auswirkungen hat dies natürlich auch für Führungskräfte. Zahllose Ratgeber geben noch zahllosere Handlungsempfehlungen, wie sich Unternehmen und Führungskräfte im Zuge des Digitalen Wandels verhalten können, um erfolgreich zu sein. An dieser Stelle soll es keine Zusammenfassung solcher Empfehlungen geben, sondern lediglich den Hinweis, dass im Kontext solcher Empfehlungen regelmäßig die Kräfte Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität beschrieben werden, die in hoher Intensität auf Geschäftsmodelle und Unternehmen einwirken. Um auf diese Kräfte reagieren zu können, wird empfohlen, Digital Leadership vor allem durch Faktoren wie Vernetzung Offenheit, Partizipation und Agilität (Zusammengefasst im Akronym „VOPA“) zu stärken. Wenn diese Kriterien nun zur Grundlage des Handelns erklärt werden, dann ist dafür eine entscheidende Voraussetzungen notwendig: Vertrauen.

Zur Entwicklung von Vertrauen und der Vertrauenskultur sowohl in Präsenz- als auch in virtuellen Situationen sind verschiedene Maßnahmen umzusetzen, die sowohl aufgabenbasiertes Vertrauen als auch persönliches Vertrauen fördern. „Vertrauen wird generell als eine essentielle Charakteristik von Teamarbeit bezeichnet — für virtuelle Teams noch mehr als für konventionelle“ (Stieglitz 2005, S. 17). Lipnack und Stamps fügen hinzu „So wichtig positive Beziehungen und ein hohes Maß an Vertrauen für alle Teams sein mögen — für virtuelle Teams sind sie noch wichtiger. Die Tatsache, dass es keinen persönlichen Kontakt gibt, der die Chance bietet, Unstimmigkeiten rasch zu klären, kann die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen erhöhen. Für viele verteilt arbeitende Teams muss Vertrauen an die Stelle hierarchischer und bürokratischer Kontrollmechanismen treten.“ (Lipnack und Stamps 1998, S. 41). Vertrauen, so die Autor:innen, zieht sich durch den ganzen Lebenszyklus eines Teams: Es sei das universelle Schmiermittel für eine kontinuierliche Zusammenarbeit.

Keith Ferrazzi zum Beispiel beschreibt in seinem Artikel „Getting virtual Teams right“ vier Faktoren, die für das effiziente Funktionieren von virtuellen Teams entscheiden sind: “Das richtige Team”, “Die richtige Führung”, “Die richtigen Berührungspunkte”, “Die richtige Technologie”.

Leadership wird auf dieser Grundlage erfolgreich , wenn zusätzlich Vertrauen hergestellt wird. So wichtig Vertrauen für Teams und deren Führung also ist, es entsteht nicht von selbst, sondern muss hergestellt bzw. gefördert werden. Wie genau dies gelingen kann, beschreiben wir im Folgenden unter Bezug auf die Werke verschiedener Autor:innen

Vertrauens-Vorschuss

Der erste und wichtigste Schritt, um Vertrauen herzustellen, ist: Vertrauen zu schenken, gewissermaßen als eine Art Vorschuss-Leistung. Es erscheint im ersten Moment ungewöhnlich, in Vorleistung gehen zu müssen, aber es ist die einzige Möglichkeit zu erkennen, wie Teammitglieder mit diesem Vertrauen umgehen. Wenn sich Zusammenarbeit und Produktivität auf dieser Grundlage positiv entwickeln, war dieser Vorschuss gerechtfertigt und das Vertrauen kann kontinuierlich weiter wachsen. Der stärkste Wachstumsfaktor ist dabei die Qualität der persönlichen Beziehung. Je besser sich Menschen kennenlernen, desto besser können sie sich einschätzen und im positiven Fall eben Vertrauen entwickeln. Die Aufgabe von Teamleadern ist darum, das „persönliche Kennenlernen“ der Team-Mitglieder zu fördern.

Persönlicher und offener Dialog

Der stärkste Wachstumsfaktor für Vertrauen ist die Qualität der persönlichen Beziehung. Je besser sich Menschen kennenlernen, desto besser können sie sich einschätzen und im positiven Fall eben Vertrauen entwickeln. Die Aufgabe von Teamleadern ist darum, das „persönliche Kennenlernen“ der Team-Mitglieder zu fördern.

Als eine Maßnahme, die dies unterstützt ist der offene Dialog. Diese Art der Offenheit (Ferrazzi beschreibt sie auch als „sichtbare Offenheit“) wird auch von anderen Forschern (James O´Toole, Warren Bennis) unverzichtbare Grundlage für erfolgreiche Teamarbeit beschrieben. Dieses Kriterium ist folglich für die erfolgreiche Gestaltung von Leadership im Allgemeinen relevant und damit auch für remote Leadership unabdingbar. Die “Offenheit” des Dialogs bezieht sich auf verschiedene Faktoren und kann je nach Situation unterschiedlich ausgeprägt sein. Die persönliche, informelle Kommunikation spielt hier ebenso eine Rolle, wie der offene Umgang miteinander in Bezug auf sachliche Punkte, in einem gewissen Umfang aber auch in Bezug auf persönliche Aspekte.

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Wie funktioniert das?

  • Führungskräfte von virtuellen Teams müssen die Mitglieder dazu anhalten, offen miteinander umzugehen. Dazu gehört vor allem, offen Kritik zu üben und offen formulierte Kritik zu akzeptieren und zu reflektieren.
  • Der Austausch über persönliche Sachverhalte lässt sich nicht anweisen, aber durchaus fördern. Meetings, in denen unverzüglich das dienstliche Thema besprochen wird, sollten eine Ausnahme sein. Geben Sie dem Team die Möglichkeit, im virtuellen Raum anzukommen, sich persönlich zu begrüßen und informelle Gespräche entstehen zu lassen. Solche Situation fördern langfristig persönliche Nähe und damit schrittweise Vertrauen.
  • Für virtuelle Teams heißt das in Meetings, die Kamera zu aktivieren. Zwar geht im Gespräch über Video-Telefonate einiges an nonverbaler Kommunikation verloren, aber das virtuelle „Face-to-Face“ ist immer noch die persönlichste aller möglichen virtuellen Varianten.
  • Das Prinzip der offenen Kritik ist von Führungskräften vorzuleben und in einer verträglichen Art und Weise umzusetzen.

Regelmäßige Meetings

Meetings in virtuellen Teams haben einen entscheidenden Teambuilding-Effekt, denn durch regelmäßige virtuelle Zusammenkünfte, bei denen die Teammitglieder sich sehen und sich über fachliche und private Angelegenheiten austauschen können, wird das vertrauensvolle Teamgefühl (neben persönlichen Meetings) etabliert bzw. gestärkt (Höhne 2019).

Wie funktioniert das?

  • Auf das Prinzip der Regelmäßigkeit achten
  • Etablierung und Einhaltung von Netiquetten für alle Formen von Konferenzen (Audio und Video)
  • Vereinbaren Sie dass Webcams aktiviert sein müssen. Augenkontakt und Körpersprache helfen dabei, eine persönliche Verbindung zu schaffen und eine Vertrauens-Grundlage zu etablieren, die er ermöglicht, dass eine Gruppe von Fremden zusammenarbeitet.
  • Aktive Ankündigung und möglichst persönliche Umsetzung von Meetings
  • Festlegung einer effektiven Konferenz-Technologie

Abgabe von Kontrolle

Vertrauen lässt weiteres Vertrauen wachsen. Und Vertrauen kann durch Kontrolle nur schwer ersetzt werden, vor allem nicht in einer standortübergreifenden Ordnung. Reduktion von Kontrolle ist deshalb gerade in Situationen virtueller Zusammenarbeit obligatorisch, um Vertrauen zu fördern (Kloth 2008).

Wie funktioniert das?

  • Einsatz digitaler Tools, die die kollaborative Planung und Dokumentation von Prozessschritten und Aufgaben ermöglichen.
  • Transformation der eigenen Haltung. „Ich muss gar nicht alles unter Kontrolle haben und es wird trotzdem gut funktionieren.“ oder “Ich kann mich aus Führungskraft aus einzelnen Prozessen bzw. Prozess-Schritten rausnehmen und darauf vertrauen, dass das Team selbstständig und verantwortungsbewusst handelt.” (Rosa 2020)
  • Förderung der Selbst-Organisation der Mitarbeiter:innen

Selbstreflexion

Die Führung von Teams über Standortgrenzen hinweg erfordert von den Teamleiter:innen eine kontinuierliche prozessbezogene Selbstreflexion. In diesem Punkt ist es ein entscheidender Vorteil, wenn sie in Laufe ihres Berufslebens selbst erfahren haben, wie es ist, in einem dezentral organisierten Team zu arbeiten. Entscheidend ist eine Offenheit gegenüber den Anforderungen und Besonderheiten, die die Situation für die Teilnehmer:innen auf beiden Seiten mit sich bringt.

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Wie funktioniert das?

Das Verständnis für Anforderungen und Besonderheiten kann durch kontinuierliche Eigenbetrachtung gefördert werden, bei der u. a. folgende Fragen helfen können:

  • „An welchen Punkten denke ich (noch) in Strukturen, die für Präsenz-Situationen typisch sind, nicht aber für remote Situationen?“
  • „Wie wirke ich in virtuellen Situationen bzw. in virtuellen Meetings und wie wirken mein Führungsstil sowie meine Art, mit Menschen und Situationen umzugehen?“
  • „Gehe ich in remote Situationen von ungeschriebenen Regeln aus und wenn ja, welche sind das?“
  • „Was stelle ich dabei persönlich gar nicht mehr in Frage?“
  • oder „bringt mein Führungsstil in remote Situationen Nachteile mit sich?“

Stärkung vertrauensbildender Faktoren

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Für die Vertrauensbildung förderlich sind vor allem ähnliche professionelle Charakteristika wie der professionelle Hintergrund, Erfahrung, Qualifikation und Respekt vor dem Können und der Erfahrung der anderen. Zusätzlich wird Vertrauen durch alle Normen, Regeln und Standards gefördert, die Kriterien der Verlässlichkeit formulieren. Dazu zählen insbesondere alle Aspekte, die das Verfügbarkeits- und Zuverlässigkeitspotential erhöhen (Stieglitz 2005).

Welche Aspekte sind das?

  • Integrität gewährleisten durch Übereinstimmung von Worten und Taten, Handlungen und vertretenen Werten (z. B. hinter dem Team und den Teammitgliedern stehen; Einsatz zeigen; ausgewogene, pünktliche und faire Informationspolitik)
  • Sorge um das Wohlergehen der Anderen zeigen und fördern. Sorge um und Einsatz für Teammitglieder, auch jene, die das Team verlassen. Ebenso Sensibilität für die Wirkung des Teams auf anderes Teams, Organisationen und Mitarbeiter:innen.
  • Kompetenz kommunizieren im Sinne von Verständnis für Wissen, Leistung und Erfolge generieren. Ebenso Zuverlässigkeit gewährleisten und Fähigkeit ausbilden, Ressourcen zu erhalten. Gleichzeitig dafür sorgen, dass im Team die Kompetenzen der Teammitglieder (untereinander) bekannt sind.
  • Erwartungen offenlegen, bestenfalls unmittelbar zu Beginn der Zusammenarbeit oder eines Projektes.

Integration aller Teammitglieder

Binden Sie alle Teammitglieder in Gespräche ein. Dadurch stellen Sie nicht nur sicher, dass sich jeder auf die jeweiligen Aufgaben bzw. Themen konzentriert, sondern auch, dass die Integration der Gruppe gestärkt wird. Das Erleben von Spaß und Kameradschaft sind Faktoren, die die Integration unterstützen.

Wie funktioniert das?

  • Fördern Sie persönliche Gespräche oder Small-Talk zu Beginn virtueller Zusammenkünfte.
  • Unterstützen Sie Elemente, die die Faktoren „Spaß“ und „Kameradschaft“ während virtueller Zusammenkünfte stärken.[i]

Persönlicher Kontakt

Jenseits aller vertrauensbildenden und zuverlässigkeitsfördernden Maßnahmen halten Forscher:innen den persönlichen Kontakt schlichtweg für den schnellsten und effizientesten Weg der Vertrauensentwicklung (Hertel und Konradt 2001, S. 42). Aus diesem Grund sollten auch virtuelle Teams punktuell persönlich zusammenkommen meint auch Ferrazzi. Die Phasen, in denen dies am wichtigsten ist, sind Kick-Off und Onboarding, da das erste persönliche Treffen maßgeblich dazu beiträgt, Teammitglieder vorzustellen und Erwartungen sowie Ziele und Richtlinien zu klären.

Wie funktioniert das?

  • Generieren Sie Auszeiten von der Virtualität und schaffen Sie physische Berührungspunkte durch Präsenz-Treffen.

Die vorliegende Zusammenfassung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern stellt vor allem solche Punkte in den Fokus, die aus unserer Sicht von zentraler Bedeutung sind. Zum Thema Verbindlichkeit und zur Frage, wie sich Verlässlichkeit herstellen lässt, haben wir einen separaten Artikeln erstellt.

Quellen-Verzeichnis

Ferrazzi, Keith. „Getting Virtual Teams Right.“ Harvard Business Review, 12 2014.

Hertel, G., und U. Konradt. „Führung in virtuellen Teams: Abschied vom Vorgesetzten?“ Personalführung, 01 2001: 40–44.

Höhne, Gudrun. Volldampf Voraus In Virtuellen Teams. Wie Grenzenlose Zusammenarbeit In Virtuellen Teams Gelingt. London: bookboon, 2019.

Kloth, Carsten. „Warum Vertrauen so wertvoll ist.“ DER TAGESSPIEGEL (TAGESSPIEGEL), 10 2008.

Lipnack, J., und J. Stamps. Virtuelle Teams: Projekte ohne Grenzen; Teambildung, virtuelle Orte, intelligentes Arbeiten, Vertrauen in Teams. Wien: Ueberreuter, 1998.

Luhmann, Niklas. Vertrauen. Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. 5 Auflage. München: UVK, 2014.

Petry, Thorsten. Digital Leadership. Erfolgreiches Führen in Zeiten der Digital Economy. Herausgeber: Thorsten Petry. Freiburg: HAUFE, 2019.

Rosa, Hartmut, Interview geführt von Jonathan Sierck. Gespräche von Morgen. Eine neue Art der GEsellschaft durch Resonanz (07 2020).

Sprenger, Reinhard K. Vertrauen führt, 3. Aufl. Frankfurt/Main: Campus Verlag GmbH, 2007.

Stieglitz, Dr. Uwe. Virtuelle Teams. Annäherung an ihr sozio-technisches Design und ihre Entwicklung. Abschließende Studienarbeit im Rahmen des Fernstudiums “Personalentwicklung im lernenden Unternehmen” am ZFUW Kaiserslautern. Kaiserslautern, 2005.

[i] Ein Beispiel: Zu Beginn von Videokonferenzen Videokonferenz tun die Teilnehmer so, als würden sie direkten Augenkontakt herstellen, wenn ihre Bilder nebeneinander auf dem Bildschirm erscheinen. nebeneinander auf dem Bildschirm erscheinen, ähnlich wie zu Beginn der erfolgreichen 1970er Fernsehserie “The Brady Bunch”. Neue Tagesordnungspunkte werden oft mit Musik eingeleitet — zum Beispiel, um eine Diskussion über das langfristige Wachstum des Unternehmens einzuleiten, könnte der Moderator “Stayin’ Alive” von den Bee Gees spielen, woraufhin alle in ein Tänzchen ausbrechen.

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