New Work braucht Inner Work, Teil 1: Warum Transformation?

joana breidenbach
New Work braucht Inner Work
6 min readNov 9, 2016

Warum schreiben wir diese Artikelreihe?
Seit zwei Jahren experimentieren wir im betterplace lab mit neuen Organisations- und Arbeitsmethoden. Diese Woche erscheint die betterplace lab Verfassung, in der wir unseren Arbeitsstand detailliert niedergelegen. Im Kern geht es darum eine Organisation mit einer Gründerin, die das betterplace lab vor sechs Jahren aufgebaut und seitdem geleitet hat, zu einem Team ohne Chef zu entwickeln, welches die Potentiale der einzelnen Teammitglieder optimal zur Geltung bringt und die Mission der Organisation besser denn je erfüllt.

In dieser mehrteiligen Artikelserie möchten wir den Weg dahin — „the making of betterplace lab 2.0.“ — aus Sicht der Gründerin und der das Team begleitenden Organisationsentwicklerin beschreiben. Dabei geht es insbesondere darum, einen Blick auf die „innere“ Dimension dieses Wandels zu werfen, die den äußerlich sichtbaren Entwicklungsschritten und Neuerungen zugrunde liegt. Auf diese Weise hoffen wir, dass möglichst viele Organisationen sich von unseren Erfahrungen — jenseits der rein deskriptiven Fakten — inspirieren lassen und aus ihnen lernen können. Zugleich ist es uns wichtig zu betonen, dass insbesondere das, was Joana über sich und das betterplace lab schreibt, stark subjektiv ist und keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt. Falls Sie, als Leser, diese Persepktive hilfreich empfinden, freuen wir uns . Falls nicht, sind wir auf Ihre allgemein gültigeren Aussagen gespannt.

Wie wird man vom Arbeitnehmer zum Chef?

Eine Frage steht für uns im Zentrum: Was musste das Team lernen, um die Transformation vom Angestellten zum „jeder ist Chef“ zu meistern? Welche Fähigkeiten und Kapazitäten unterscheiden eine Gründerin/CEO von ihren Mitarbeitern und wie gelingt es, diese von einer Person auf eine ganze Gruppe von Menschen zu übertragen?

Um unseren Weg nachzuzeichnen, werden wir zuerst berichten, wieso wir uns überhaupt auf den Weg zu einem selbstorganisierten Unternehmen gemacht haben. Danach beschreiben wir, woraus Führung im alten Kontext bestand. Welche Aufgaben und Funktionen deckte Joana als Chefin ab? An dieser Stelle werden wir tiefer in die Materie einsteigen und herausarbeiten, wie wir das momentan zehnköpfige Team befähigt haben, selbst Führung zu übernehmen und sich zu einer eigenständigen, erfolgreichen Organisation weiterzuentwickeln. Aber es soll nicht nur darum gehen Erfolge zu präsentieren, sondern auch die Stolpersteine, die die Entwicklung selbstorganisierter, kompetenzbasierter Organisationen begleiten.

Da Multiperspektivität eine der wichtigen Voraussetzungen für die hier beschriebene Organisationsentwicklung ist, werden wir auch diese Geschichte aus zwei Perspektiven — der von Joana als Gründerin und der von Bettina als Organisationsentwicklerin — erzählen.

Warum Transformation? Und warum Selbstorganisation?

2007 hatte ich mit meinem Mann Stephan und einer kleinen Gruppe um Till Behnke betterplace.org gegründet. Drei Jahre später war das betterplace lab, ein Think und Do Tank entstanden, in dem wir digitale Innovationen rund ums Gemeinwohl erforschen. Während dieser Jahre nahm betterplace einen Großteil meines Lebens ein; nachdem ich in meiner ersten Karriere als populärwissenschaftliche Anthropologin hauptsächlich alleine, bzw. mit Co-Autoren gearbeitet hatte, genoss ich es sehr, ein Sozialunternehmen mit mittlerweile an die 50 Mitarbeitern aufzubauen, Netzwerke zu knüpfen und neue Projekte ins Leben zu rufen.

Doch nach acht Jahren betterplace merkte ich, dass es Zeit für einen Wechsel war. So sehr ich die Arbeit liebte, so wiederholten sich doch die Fragestellungen und Aufgaben. Ich fragte mich, ob meine Energie wirklich am besten eingesetzt ist, betterplace noch effektiver und größer zu machen, oder ob es nicht andere Aktionsfelder für mich gab. Themen und Gebiete, die heute noch gar nicht erschlossen sind und in denen ich — wie ein Trüffelschwein — Neues (und Bedeutsames) früh erkennen und aus noch unfertigen Ideen neue Strukturen, Produkte und Institutionen entwickeln könnte. Mein Mitgründer Till hatte betterplace bereits 2013 verlassen. Nun schien es an meiner Zeit die nächste Generation ans Ruder zu lassen. Da meine Hauptaufgabe in den letzten Jahren der Aufbau des betterplace lab war, welches sowohl inhaltlich, als auch wirtschaftlich ein voller Erfolg war, fing ich an mir über eine Nachfolge Gedanken zu machen.

Nachfolgen in Sozialunternehmen gelten oft als heikel. Die Organisationen werden sehr oft mit ihren charismatischen Gründern identifiziert, von denen vor allem Partnermanagement und Projektakquise stark abhängig sind. Die Fokussierung auf eine Person ist für die Resilienz einer Organisation eher ungesund und im bestehenden Team gab es niemanden, der mich ersetzen wollte und konnte. Sowieso war es mehr als zweifelhaft, ob wir „eine zweite Joana“ finden würden, die meinen Job einfach so übernehmen könnte. Dazu kam, das das betterplace lab noch nie eine „normale“ Organisation war. Wir hatten kein Organigramm und festgelegte hierarchische Strukturen. Stattdessen veränderte sich die Organisation mit jeder neuen Mitarbeiterin aufs neue; Dennis, mit dem ich das lab von der ersten Stunde an aufgebaut hatte, stand für kreative, redaktionelle outside-of-the-box Projekte, die strukturstarke Medje entwickelte für uns erstmalig Standard-Prozesse, mit Ben entwickelten wir einen (Big) Data-Schwerpunkt etc.

Trotz weitgehend dezentraler Prozesse und großen Freiheiten war insbesondere eines für mich frustrierend: Ich fragte mich: wieso kommen fast alle neuen, kreativen Impulse von mir? Und das obwohl die anderen Teammitglieder sehr wohl intelligent und schöpferisch waren? Erdrückte ich mit meiner dominanten, enthusiastischen Weise die anderen? Wieso mussten wir immer wieder die gleichen Identitätsfragen durchkauen: Was ist das betterplace lab? Was ist unsere Mission? Was ist labbig und was nicht? Für mich waren diese Fragen selbsterklärend. Aber offenbar gelang es mir nicht dies auch ins größere Team zu tragen. Zudem machten sich einige Pathologien breit: die Arbeitsauslastung im Team war enorm, so dass insbesondere für wirkungsorientiertes Arbeiten ohne Refinanzierung, Liebhaberprojekte und Weiterentwicklung kaum Zeit blieb und manche von uns nur haarscharf am Burnout vorbei schlitterten.

Reinventing Organisations

In dieser Situation erzählte mir Dennis beiläufig von einem neuen Buch: Reinventing Organisations von Frederic Laloux. Der Autor beschrieb an Hand von einem Dutzend Fallbeispiele wie eine neue Form der Führung aussehen konnte: sich selbstorganisierende Teams, kompetenzbasierte, fluide Hierarchien, eine Arbeitskultur, in der jeder Mitarbeiter als ganzer Mensch erscheinen konnte und dabei sowohl die eigene Exzellenz als auch die „evolutionäre Zielrichtung“ der Organisation im Blick hatte. Ich war sofort angezündet. In diese Richtung wollte ich das betterplace lab entwickeln! Weitere Puzzlesteine fügten sich hinzu: das bezaubernde Handbuch für neue Mitarbeiter des Spieleherstellers Valve, Blogposts zu Holocracy und Xings New Work Initiative, bei der ich in der Jury sitze.

Unsere Organisation dahin gehend umzubauen, dass alle Mitarbeiter wirklich ihre Potentiale entwickeln konnten, erschien mir auch deshalb zwingend, weil für Sozialunternehmen das Geld nicht auf der Straße liegt. Wir leben nicht von Spenden, sondern refinanzieren unsere Aktivitäten unternehmerisch, d.h. durch die Zusammenarbeit für Unternehmenskunden und andere Auftraggeber. Um ein immer größeres Team zu finanzieren, bedurfte es nicht mehr nur einer „Frontfrau“, sondern der Anstrengung des ganzen Teams. Potentialentfaltung erschien mir die einzige Chance um unsere ambitionierten Ziele zu erreichen.

Auch wenn die Initialzündung für den Team Transformer, wie wir den Prozess bald nannten, bei mir lag, so begeisterten sich immer mehr meiner Kollegen nach der Lektüre von Reinventing Organisations für den neuen Weg. Noch war allerdings unklar, wie wir es schaffen sollten, das Team so umzustrukturieren und entwickeln, damit ich mittelfristig wirklich ersetzbar war.

Um mich sukzessive überflüssig zu machen gab ich mir und dem Team einen Zeithorizont von zwei Jahren, bis Ende 2016. Seit einem Jahr arbeite ich nicht mehr Vollzeit, sondern stehe dem Team nur noch tageweise als Beraterin zur Verfügung. Ab nächstem Jahr ist eine weitere Reduktion geplant. Carolin, unsere betterplace lab Außenministerin, formuliert das so: “Wenn Joana sich nächstes Jahr für ein halbes Jahr in die Arktis absetzen will, dann muss es auch ohne sie gut klappen”. Doch was genau muss das Team dann alles alleine machen? Welche Fähigkeiten und Kapazitäten übte ich in meiner Tätigkeit als Gründerin und LaBoss aus, die es zu ersetzen gab? Und welche inneren, psychologisch-persönlichen Dynamiken spielen dabei eine Rolle?

Die ersten Schritte des Team Transformers

Diese Fragen werden im 2. Teil dieser Reihe thematisiert.

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joana breidenbach
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