New Work braucht Inner Work, Teil 2: Führung im alten betterplace lab

joana breidenbach
New Work braucht Inner Work
4 min readNov 9, 2016

Im ersten Teil dieser Artikelserie wurde beschrieben wieso sich das betterplace lab Team zu einer neuen, dezentralisierten Organisation entwickeln wollte. In diesem zweiten Teil arbeiten wir heraus, woraus Führung im alten Kontext des betterplace labs bestand. Welche Aufgaben und Funktionen deckte Joana als Chefin ab?

Da ich selbst nie Unternehmensführung gelernt hatte, entwickelte sich mein eigener Führungsstil über die Jahre sehr organisch und unsystematisch. Erst mit dem Rückzug wurden mir wichtige Aspekte meiner Rolle als LaBoss bewusst. Dadurch, dass bestimmte Sachen hinten runter fielen, bzw. nicht mehr so gut funktionierten, wurden wir darauf hingewiesen, was ich alles abgedeckt hatte.

Sicherheit: Eine wichtige Funktion war die Sicherheit, sowohl finanziell als auch emotional, die ich dem Team anbot. So war ich maßgeblich für unsere Finanzierung verantwortlich. Immer wenn wir knapp bei Kasse waren, blickte mich das Team an, zuversichtlich, dass ich ein neues Projekt anschleppen würde. Zugleich war ich eine Art Teammutter, die zu jedem der Mitarbeiter eine eigenständige Beziehung hatte. (Bis vor kurzem waren auch die meisten neuen Mitarbeiter von mir persönlich ausgewählt). De facto waren zwar andere Mitarbeiter viel mehr in einzelne Themen und Projekte eingebunden, aber auf eine schwer beschreibbare Weise breitete ich einen “energetischen” Schirm über dem Team aus, der unsere Aktivitäten zusammenhielt. Im Zuge meines Phase-outs häuften sich daher die Unsicherheiten. Der Druck, den ich früher abgefedert hatte, ging nun aufs Team über. Und da die wenigsten Mitarbeiter starke Unternehmerpersönlichkeiten waren, die höhere Risiken und leere Kassen kannten, lastete der Druck teilweise schwer auf ihnen.

Identität und Orientierung: Als Gründerin bot ich einen festen Orientierungsrahmen. Mir war (gedanklich, aber auch auf einer noch viel tieferen körperlich und emotionalen Ebene) klar, wer und was das betterplace lab war. Niemand musste mir unsere Vision und Mission erklären. Auch wenn ich sie nicht immer in Worte fassen konnte, so hatte ich eine ganz deutliche Vorstellung davon, was zu uns passte und was nicht, welche Haltung und Rolle wir in der Welt einnehmen sollten. Vor diesem Hintergrund war ich regelrecht entsetzt, wenn ich merkte, dass anderen im Team diese innere Orientierung fehlte. Ich erinnere mich an eine Klausur in Südfrankreich, wo das damalige Team einen imaginären TED-Talk zum Thema „Was ist das betterplace lab und was bewirkt es in der Welt?“ konzipieren sollte. Ich selbst durfte nicht mitmachen. Das Ergebnis, welches mir nach vier Tagen präsentiert wurde, hatte mit meiner Vision nur sehr wenig zu tun. Das Team hatte sich zudem über die Aufgabenstellung entzweit, da mein ältester Kollege die Gruppendynamik nicht ertragen konnte und den Talk boykottierte. Die Diskussionen über unsere Identität und Strategie erhielten mit meinem Rückzug nochmals mehr Gewicht.

Inspiration, Innovation und Manifestationsstärke: Die meisten Ideen für Projekte und Produkte aus dem betterplace lab stammten bis vor kurzem von mir. Ich hatte den Trendradar als unser Flagship Produkt entwickelt, scoutete und schrieb viele Jahre lang die meisten Trends und Fallbeispiele. Auch unser weltweites Feldforschungsprojekt, das Lab Around the World, war mein Baby. Wenn eine Idee mir heiß genug erschien, war ich auch bereit größere Risiken einzugehen. So hatten wir einen Monat bevor wir mit acht Mitarbeitern in 14 Ländern digital-soziale Innovationen erforschen wollten, keinen einzigen Sponsor an Bord. Diese kamen dann zwar sehr kurzfristig zusammen, wir wären aber auch ohne Finanzierung — on a shoestring — in die Welt ausgereist.

Unser kleiner Film zum ersten Lab Around the World 2014

Mir fällt es offenbar einfach aus der Menge der Impulse, die ich bekomme, die herauszufischen, die bei mir Resonanz erzeugen und diese dann umzusetzen. So las ich jüngst im amerikanischen Good Magazine von einem thematischen Mittagstisch und wenige Stunden später war die betterplace Lunchtime Conversation geboren. Dazu hatte es nur eines Schlagabtausches mit unserem Kreativredakteur Dennis, sowie eine E-Mail an den Leiter einer befreundeten deutschen Stiftung gebraucht, der einwilligte den Piloten zu finanzieren. Alles an einem Samstag vormittag, im Schlafanzug am heimischen Schreibtisch.

Legitimation nach außen: Da ich den Erfolg des betterplace labs immer als eine Teamleistung empfunden hatte, war mir die Tatsache, dass das lab und ich von vielen als praktisch identisch angesehen wurden, lange fremd. Je mehr ich mich zurückzog, desto mehr merkte ich jedoch bei einigen Partnern die Unsicherheit: Was war das lab ohne Joana? Und war das Team alleine überlebensfähig?

Arbeiten zwischen den Polen „Sein“ und „Werden“

Natürlich könnten die angeführten Punkte durch einige weitere ergänzt werden und wir werden im weiteren Verlauf auch noch auf ein paar detaillierter eingehen. Für mich ist an dieser Stelle jedoch wichtig, dass die wesentlichen Merkmale von Führung um zwei Pole kreisen:

Belonging and becoming
Sein und Werden

Führung bietet auf der einen Seite einen Rahmen, in dem Menschen sich sicher und zugehörig fühlen (Sein). Auf der anderen Seite schafft sie einen Rahmen, in dem Menschen sich entwickeln; in dem sie neue Ideen generieren und diese umsetzen (Werden). Ist nur einer der beiden Aspekte gegeben stagniert das Unternehmen oder es entsteht ein atemloser und fragmentierter Aktionismus. Eine gute Balance zwischen beiden Polen ist, so lernte ich — in der Praxis am eigenen Beispiel, in der Theorie von dem spitituellen Lehrer Thomas Hübl — essentiell. Unterschiedliche Teams und Unternehmen richten sich an verschiedenen Stellen dieses Kontinuums aus. Mein eigenes Schwergewicht ist klar auf Becoming ausgerichtet und bietet Mitarbeitern, die unsicher sind und viel Halt im Außen brauchen, kein optimales, da sicheres Arbeitsfeld. Glücklicherweise hatten wir im betterplace lab bislang jedoch andere Menschen, die ihren Kollegen ein stabileres Zugehörigkeitsgefühlt bieten konnten.

Um weiterhin erfolgreich zu sein, konnten die hier skizzierten Führungselemente nicht ersatzlos wegfallen. Vielmehr mussten sie für unser neues Organisationsmodell im Team selbst entwickelt und verankert werden.

In der 3. Folge beschreibe ich, wie ich den “Seins-Pol” gelebt habe und danach gehört das Wort endlich unserer Organisationsentwicklerin Bettina Rollow.

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joana breidenbach
New Work braucht Inner Work

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