Öffentliche Nutzung von Verwaltungsdaten (OGD)

Referat an der vorbereitenden Fraktionssitzung der SP-Bundeshausfraktion, am 25. Mai 2019.

Andreas Amsler
OpenZH
7 min readMay 27, 2019

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Geschätzte Damen und Herren Stände-, Nationalrätinnen und Nationalräte, geschätzte SP-Fraktionsleitung,

Slides zum Referat zur freien Wiederverwendung gemäss CC-BY-Lizenz.

Einleitend ein paar Worte zu meinem Hintergrund, damit Sie wissen, mit welcher Erfahrung ich zu Ihnen zum Thema spreche:

  • Vor mehr als 10 Jahren habe ich ein Web Startup aufgebaut. Wir haben u.a. Daten der eidgenössischen Parlamentsdienste nutzbar gemacht.
  • 2011 bin ich zu einer Gruppe von Macher*innen gestossen, die sich für die Öffnung von Behördendaten eingesetzt haben. Im selben Jahr habe ich bei der Firma Liip zu arbeiten begonnen. Liip hat für grosse Organisationen Infrastruktur entwickelt, um offen verfügbare Daten find- und nutzbar zu machen.
  • 2012 haben wir Macher*innen den Verein Opendata.ch gegründet.
  • Seit März 2018 arbeite ich beim Kanton Zürich, wo ich zusammen mit meinen Kolleg*innen im Statistischen Amt die Fach- und Koordinationsstelle OGD leite.

Seit 10 Jahren arbeite ich mit Organisationen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene zusammen. Ein zukunftsfähiger Staat im Dienste der Bevölkerung und eine öffentliche Verwaltung, die eine attraktive Arbeitgeberin ist, liegen mir am Herzen.

Beides fördere ich auch damit, dass ich praktische Erfahrungen von Verwaltungsmitarbeitenden aus anderen Ländern an meine Schweizer Kolleg*innen vermittle. Dazu engagiere ich mich in einer global wachsenden Bewegung namens OneTeamGov, die von den UK aus, mittlerweile auch in Schweden, Norwegen, Finnland, Kanada, Neuseeland … und eben auch in der Schweiz (als zartes Pflänzlein) wächst.

Die Frage, die mich antreibt, ist, wie unsere Beziehung zum Staat und seinen Institutionen, Organen und Unternehmen in zehn Jahren gestaltet sein wird.

Offene Behördendaten sind dabei entscheidend. Offene Daten sind nicht personenbezogen, nicht sicherheitskritisch und unterliegen keinen Drittrechten.

Diese drei Einschränkungen gelten immer.

Die Organe des Kantons Zürich stellen heute über 600 Datensätze ‘offen’, gebührenfrei, maschinenlesbar, uns allen zur freien Wiederverwendung zur Verfügung.

Es sind dies vor allem Abstimmungsdaten, Statistische Daten, Geodaten, Archivdaten und Nutzungsdaten.

Alle “unsere” offenen Daten sind auf dem zentralen Portal Schweizer Behördendaten findbar — und somit auch in allen gängigen Suchmaschinen.

Denn wir wollen, dass alle unsere Daten finden und nutzen können.

Dabei analysieren wir laufend, welche offenen Daten unsere Nutzenden wann interessieren. Das tun wir, um unser Angebot gezielt zu verbessern — z.B. indem wir Aktualisierungen von Daten bewusst vornehmen, bevor erhöhte Nachfragen nach ihnen zu erwarten sind.

OpenZH Webstatistics Monitor (BETA-Version; lange Ladezeit), entwickelt von Thomas Lo Russo.

Wir werden zu einer lernenden Verwaltung, die die Bedürfnisse ihrer Nutzenden kennt und diese immer besser zu treffen sucht. Vertrauen in unsere Dienstleistungen und die Institutionen, die wir vertreten, sind unser ‘Lohn’.

Ich habe Ihnen die Prinzipien der International Open Data Charter ausgedruckt vorlegen lassen.

Diese Charta “adopted” haben bis heute mehr als 70 Nationalstaaten wie lokale und regionale Behörden.

Führend bei der Umsetzung weltweit sind u.a. Australien, Kanada, Frankreich, Grossbritannien und Neuseeland. Städte und Provinzen, wie u.a. Buenos Aires und Katalonien, Ontario und die Stadt Wien.

Offene Behördendaten sind gelebte Praxis weltweit. Sie basieren auf gemeinsamen Prinzipien und Standards, die aus der praktischen Anwendung offener Daten gewonnen wurden und werden.

Eine breite Koalition von mehr als 50 Organisationen und nicht-staatlichen Akteuren trägt die Charta, darunter die Open Knowledge Foundation (Opendata.ch ist ihr Swiss chapter), die World Wide Web Foundation, das Open Data Institute und die Sunlight Foundation.

Ich zitiere aus der Charta:

«Open Data is digital data that is made available with the technical and legal characteristics necessary for it to be freely used, reused, and redistributed by anyone, anytime, anywhere.»

Offene Daten haben also bestimmte technische und rechtliche Eigenschaften.

Wann gelten Daten als ‘offen’?

Gemäss dem von Tim Berners-Lee vorgeschlagenen 5-star deployment scheme for Open Data dann, wenn sie

  1. im Web unter einer offenen Lizenz (z.B. CC-zero) publiziert sind,
  2. als strukturierte Daten vorliegen,
  3. in einem nicht-proprietären, offenen Format vorliegen,
  4. im Web gemeinsam genutzt werden können, indem die (wichtigsten) Datenelemente eine URI haben, und
  5. mit anderen Daten verknüpft werden können, um Kontext herzustellen.

Der Verein Opendata.ch, der die Schweizer Community von Nutzenden und Publizierenden offener Daten vereint, will — so lautet seine Mission:

«Daten öffentlich, frei verfügbar und nutzbar […] machen für mehr Transparenz, Innovation und Effizienz — das ist Open Data.»

Der Regierungsrat des Kantons Zürich will— gemäss Legislaturziel 10.2 — eine

«… verantwortungsvolle Datennutzung zur Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit, zur Entlastung der Wirtschaft und für mehr Transparenz zugunsten der Zivilgesellschaft.»

Die Verwaltungstätigkeit zu vereinfachen, bedeutet verwaltungsintern (mit Daten) besser zusammenzuarbeiten, die Wirtschaft zu entlasten, bedeutet verwaltungsextern (dank Daten) besser zusammenzuarbeiten — auch mit einzeln Bürger*innen — und die Transparenz zugunsten der Zivilgesellschaft zu stärken, bedeutet verwaltungsextern wie -intern (dank Daten) bessere Entscheidungen zu fällen.

Das ist unser Auftrag des Zürcher Regierungsrates, zu dessen Zweck und Umsetzung er die Fach- und Koordinationsstelle OGD eingesetzt hat.

Vor welchen Herausforderungen stehen meine Verwaltungs-Kolleg*innen und ich also heute — und zwar schweizweit?

Unsere Organisationen sind im Wandel. Die Ansprüche unserer Nutzenden (Bürger*innen und Nicht-Bürger*innen) gehen durch die Decke.

Wenn wir uns von einer “Verwaltung im Wandel” zu einer “Wandlungsfähigen Verwaltung” entwickeln wollen, müssen wir “beginnen, bevor wir fertig sind”.

Die entscheidende Frage für uns alle ist, wie wir mit diesem Wandel von Bedürfnissen — den wir nicht kontrollieren können — umgehen:

  • Wollen wir die Bedürfnisse einzudämmen versuchen (was zwecklos wäre), oder
  • wollen wir den Bedürfnissen auf eine für uns verdaubare Art und Weise entsprechen. Ja, sie vielleicht sogar zu antizipieren versuchen?

Letztlich kommt es nicht darauf an, wie unser Staat und seine Behörden in zehn Jahren aussehen werden. Wie sie aussehen, das weiss heute niemand. Entscheidend aber wird für uns alle sein, wie dynamisch und reaktionsschnell sie sein werden. Also: werden sie wandlungsfähig sein?

Wandlungsfähigkeit. Genau diese Fähigkeit erlernen wir Verwaltungsmitarbeitende heute, wenn wir “unsere” Daten selbst verantwortungsvoll ‘offen’ nutzen und die für eine offene Publikation geeigneten allen ‘offen’ zur freien Wiederverwendung verfügbar machen.

Bieten wir “unsere” Daten ‘offen’ an, maximiert sich unser aller Gewinn an Erkenntnis. Unser aller Wissen wächst.

Daten der öffentlichen Hand gehören nicht monopolisiert, sondern vergemeinschaftet.

Es sind öffentliche Güter, sogenannte ‘Commons’, zu denen jede und jeder zu jeglichen Zwecken freien Zugang haben soll.

Das schafft letztendlich Vertrauen in unsere Arbeit und in die Institutionen, denen wir dienen. Vertrauen ist, wie Sie wissen, unser aller höchstes Gut.

Auf Vertrauen untereinander als Mitmenschen, Vertrauen zwischen Mensch und Staat usw. sind wir als Gesellschaft angewiesen. Heute wie in der Zukunft.

Unser Mittel, unsere Aufträge wirksam und verantwortungsvoll zu erfüllen, ist Offenheit.

Ich schliesse mit drei persönlichen Schlussfolgerungen zur Zukunft offener Behördendaten:

1. Gebühren auf die Abgabe von Daten schränken Offenheit — die Qualität und Quantität der Nutzung der Daten — entscheidend ein.

Sie schränken den Zugang auf jene ein, welche die finanziellen Mittel haben. Betroffen sind NGOs, kleine u. mittlere Unternehmen, Startups, wir alle.

Gebühren sind heute nicht kostendeckend (sonst müssten sie höher sein!) und den administrativen Aufwand für ihre Verrechnung, Inkasso etc. oft nicht wert.

Die Geodaten des Kantons Zürich sind seit 1. Januar 2018 gebührenbefreit. Fazit nach 12 Monaten: Die Nutzung der Daten hat sich vervierfacht. Der Kanton hat auf ca. 80’000 CHF Einnahmen verzichtet. Die offene Abgabe hat v.a. die privaten Intermediäre getroffen, die auf ca. 1.8 Mio. CHF pro Jahr haben verzichten müssen. Wer kantonale Geodaten braucht, musste vorher einen halben bis einen ganzen Tag einsetzen, um an die Daten zu kommen; Zeitaufwand heute: 1–2 Stunden.

Die Kolleg*innen der Abteilung Geoinformation des Kantons Zürich, die die Geodatenabgabe administrieren, haben nun mehr Zeit, komplexe Fragen und Bedürfnisse zu beantworten. Ihre Stellen sind alles andere als überflüssig geworden. Grosse Nutzniessende sind wir alle, zB. indem OpenStreetMap (eine offene Alternative zu Google- und AppleMaps) nun kantonale Geodaten nutzt.

Und indem grosser volkswirtschaftlicher Nutzen durch Entlastung der Wirtschaft in Kombination mit Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit entsteht.

2. Fehlende rechtliche Verpflichtung schränkt Offenheit ein.

Die OGD Strategie Schweiz 2019–2023 fordert u.a. “Open by Default” bis 2022. Der Kanton Zürich hat keine eigene OGD-Strategie — der Regierungsrat hat die nationale Strategie zur Richtschnur erklärt. Das ist gut so.

Die Direktion der Justiz und des Inneren, deren Vorsteherin — ihre ehemalige Nationalratskollegin und meine oberste Chefin — Frau Regierungsrätin Jacqueline Fehr ist, hat im Auftrag des Regierungsrates die allgemeinen rechtlichen Grundlagen des IDG für OGD abklären lassen. Für alle Organe des Kantons Zürich gilt: Wer will, der darf geeignete Daten als OGD publizieren.

Wollen wir das strategische Ziel erreichen — und dies müssen wir meiner persönlichen Meinung nach, wenn wir die gesellschaftlichen Herausforderungen, die sich uns weiterhin stellen, lösen wollen — ich spreche vom Klimawandel, von globaler Wirtschaftskriminalität und Korruption, aber auch von der weiterhin eklatanten Geschlechterdiskriminierung in Sachen Lohn etc. — dann kommen wir nicht um eine rechtliche Verpflichtung zu OGD (mit begründeten Ausnahmen) herum.

Im Kanton Zürich bietet sich dazu etwa die anstehende IDG-Revision an.

Belassen Sie den Status Quo auf Bundesebene wie er ist, müssen meine Kolleg*innen und ich uns weiterhin in einem grossen Spannungsfeld zwischen hochgesteckten strategischen Zielen, weiter wachsenden Erwartungen der Nutzer*innen und beschränkter rechtlicher Handhabe bewegen. Ich selbst mag mir das vielleicht noch antun — der grossen Herausforderung willen — viele andere aber haben es (verständlicherweise) bereits wieder aufgegeben oder werden dies noch tun.

Der Druck der Öffentlichkeit, die Erwartungen unserer Nutzenden, Bürger- und Nicht-Bürger*innen auf uns aber nimmt nichtsdestotrotz weiter zu. Und das zurecht.

3. Nicht verfügbare Daten schränken unsere Zukunft ein.

Die Probleme, die wir schliesslich lösen sollten, lösen sich nicht in Luft auf.

Haben wir keine oder zuwenig Daten verfügbar, fällen wir nicht die richtigen Entscheidungen. Wir in der Verwaltung nicht, sie in der Politik nicht, unsere Exekutiven nicht — unsere Unternehmen nicht, unsere zivilgesellschaftlichen Akteure nicht — wir alle als einzelne Mitglieder unserer Gesellschaft nicht.

So einfach ist es letztlich.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und erwarte Ihre Fragen in der Diskussion.

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Andreas Amsler
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