Die deutschsprachigen Servicestandards sind da

Vorlagen für verbindliche Qualitätsstandards für ganzheitlich entwickelte Verwaltungsservices

Martin Jordan
Public Service Lab
5 min readDec 28, 2018

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Standards sind entscheidend, um gleichbleibend hohe Qualität sicherzustellen. Gute Standards für digitale Services sind holistisch. Sie beschränken sich nicht ausschließlich auf Sicherheit, Datenschutz oder technische Architektur. Sie beschreiben außerdem Nutzerinvolvierung, Arbeitsweisen, Teamzusammensetzung, Offenheit und Wirkungsanalyse. Servicequalitätsstandards können helfen öffentliche Dienstleistungen wie das Erneuern des Personalausweises, Anmelden des Autos oder Beantragen des Kindergeldes einfacher, verständlicher und schneller zu machen.

Übersetzte Servicestandards aus anderen Ländern diskutiert in einem Workshop

Vor einigen Monaten schrieb ich über die Rolle von ganzheitlichen Servicestandards. Dazu boten wir ein Workshop-Paket an, das helfen kann, eigene Qualitätsstandards auf kommunaler oder Landesebene zu erarbeiten. Das Paket enthält 82 Karten mit den ins Deutsche übertragenen Standardpunkten aus Australien, Finnland, Großbritannien, Kanada und den USA. Diese Karten nutzten wir bereits in Workshops mit Städten, Kommunen und Ländern in Deutschland. Auch kamen sie im Juli während des Public Service Lab 2018 zum Einsatz. Dort diskutierten in zwei Gruppen TeilnehmerInnen für 60 Minuten, welche Standardpunkte aus dem Ausland für ihre Kontexte relevant sind und ähnlich übernommen werden sollen, welche Punkte eine Anpassung oder nähere Betrachtung bedürfen und welche nicht in Erwägung gezogen werden sollten. Zudem konnten die TeilnehmerInnen weitere Standardpunkte vorschlagen.

Im Kanton Zürich hat die Fach- und Koordinierungsstelle für Open Government Data das Workshop-Material genutzt, um 11 handlungsleitende Prinzipien zu erarbeiten. Jene helfen dem dortigen Team, Angebote zu entwickeln, die einfach, verständlich und schnell sind für ihre NutzerInnen. Die Prinzipien fußen maßgeblich auf den Standards aus dem Vereinigten Königreich, Finnland und den USA. Die Zürcher Prinzipien sind auf der Webseite der Fach- und Koordinierungsstelle OGD einsehbar. Einen hintergründigen Einblick in die Arbeit gibt der Leiter Andreas Amsler in einem kürzlich veröffentlichten Blogbeitrag.

In den vergangenen Monaten hatte ich selbst die Möglichkeit, mit einem Stadtstaat in Deutschland zu arbeiten und mit diesem einen Entwurf eines ganzheitlichen Qualitätsstandards zu testen. Nachdem wir basierend auf dem ersten Workshop die Eckpunkte des Standards erarbeitet hatten und eine testbare Version vorlag, nutzten wir diese, um deren Implikationen abzuschätzen. Angewandt auf den dortigen Entwicklungsprozess von digitalen Verwaltungsservices, diskutierte ein multidisziplinäres Team mit Hintergrund in Technologie, Jura, Management, Verwaltungswissenschaften und Kommunikation zentrale Fragen: Wann im Entwicklungsprozess wird die Einhaltung von Standardpunkten erstmalig abgefragt? Muss jeder Punkt in jedem Prozessschritt reflektiert sein? Warum? Warum nicht? Wie sähe ein nur unzureichender Fortschritt für einen Standardpunkt in einem Prozessschritt aus? Was sollte die Konsequenz sein? Wie sollte die Nichteinhaltung der Qualitätskriterien geahndet werden?

Die Fragen zeigten auf, dass es vergleichsweise einfach ist, einen Standard zu formulieren. Die Einführung, Anwendung und Durchsetzung dagegen bedarf detaillierter Planung, Konsultation mit den service-entwickelnden Teams und in Folge iterierende Testläufe.

Ein Verwaltungsmitarbeiter in einem Workshop zur praktischen Anwendung eines Servicestandards für den Entwicklungsprozess von digitalen Services

Beim Public Service Lab-Workshop im Sommer vertreten waren auch MitarbeiterInnen des Nationalen Kontrollrats. Der Bundeskanzlerin unterstellt, unterstützt der Normenkontrollrat als unabhängiges Beratungsgremium Bürokratieabbau sowie bessere Rechtssetzung in Deutschland. Bereits in seinem Jahresbericht 2016 hatte der Rat den Erlass eines digitalen Servicestandards für Deutschland gefordert. Deutschland habe kein Erkenntnisproblem, aber ein Umsetzungsproblem, wurde damals attestiert. Der Einwand Staaten wie Estland, Österreich, Dänemark und Großbritannien seien anders oder kleiner sei angebracht, jedoch keine Weiter so!-Mentalität. Ein E-Government-Pakt werde gebraucht und ein verbindlicher digitaler Servicestandard für Deutschland müsse festgelegt werden. Damals schrieben die AutorInnen: „Alle E-Government-Aktivitäten bei Bund, Ländern und Kommunen müssen auf diesen digitalen Servicestandard ausgerichtet sein. Sie müssen in höchstem Maße nutzerfreundlich sein und standardisierte Schnittstellen und Komponenten wiederverwenden, damit die Kommunikation auch über die föderalen Ebenen hinweg reibungslos funktioniert.“ Dieser und weiteren Kernbotschaften folgten jedoch kaum praktische Taten.

In seinem Jahresbericht 2018 im Oktober wiederholte der Normenkontrollrat daher die Forderung nach einem digitalen Servicestandard. Ein solcher würde einen fach- und ebenenübergreifenden Rahmen bilden und insbesondere Nutzerorientierung bei der Umsetzung des Onlineszugangsgesetzes verankern. „Nutzerorientierung“, schreiben die AutorInnen, „ist die entscheidende Voraussetzung für Akzeptanz und Erfolg jeglicher Digitalangebote und damit auch für die Umsetzung des OZG. Jede Verwaltungsleistung muss vom Bürger her gedacht werden.“

Zum ersten Mal legt ein der Bundesregierung unterstelltes Gremium damit einen Entwurf eines holistischen Qualitätsstandards vor und verweist explizit auf die Existenz ähnlicher Standards im Vereinigten Königreich und vielen anderen Ländern. Die 15 Standardpunkte des digitalen Servicestandards für Deutschland umfassen die Themenfelder Nutzerorientierung, Vorgehen, Zusammenarbeit, Offenheit, Betrieb und Wirkungungskontrolling.

Posterversion des vom Nationalen Normenkontrollrat vorgeschlagenen digitalen Servicestandards für Deutschland

Aus der Tabelle des Jahresberichts haben wir den Standardentwurf des Normenkontrollrates in ein praktisches Poster überführt. Auch wenn der Standard nicht verbindlich verabschiedet ist, wie der Jahresbericht es fordert, eignet sich das Poster für Diskussionen über Qualitätsziele für die Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes. Auch können sich Kommunen und Länder dem Standard selbst verpflichten. So ist es auf kommunaler Ebene in Großbritannien üblich geworden. Dort hat auf Gemeindeebene der digitale Servicestandard der Zentralverwaltung formal keine Wirkung, doch fanden Dutzende Gemeinden diesen nützlich. So entwickelten sie basierend auf dem nationalen Standard den Local Government Digital Service Standard und verpflichteten sich diesem verbindlich mit einem Prüfungsverfahren.

Wie zuvor geschrieben, braucht es für die erfolgreiche Umsetzung und Einhaltung von Qualitätsstandards neben einem Gutachtenprozess zur Überprüfung des Standards ebenso unterstützende Formate. Die Einhaltung von neuen Qualitätsstandards ist nicht immer einfach, denn sind sie oftmals mit einer Veränderung von Arbeitsweisen, zugrundelegenden Methoden und übergreifenden Denkweisen verbunden. Es bedarf Hilfestellungen und Förderung. Dies können zum einen Weiterbildungsprogramme wie Trainings sowie ein kontinuierlicher fachlicher Austausch sein, die helfen zu verstehen wie der Standard erfüllt werden kann. Zum anderen helfen praktische Anleitungen, Richtlinien und gut dokumentierte Fallbeispiele dabei, die Fähigkeiten und Kenntnisse in der Verwaltung zu erhöhen.

Mit nunmehr drei deutschsprachigen Servicestandards aus Zürich, vom Bund und einem Stadtstaat gibt es mehr Blaupausen denn je, um Qualität auf verbindliche Weise in der Digitalisierung von Verwaltungsservices und Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes sicherzustellen. Der erste Schritt dahin kann sein, das existierende Material zu nutzen, um mit KollegInnen und Vorgesetzten in einen Dialog zu treten. Die Posterversion des digitalen Servicestandards für Deutschland, entwickelt vom Nationalen Normenkontrollrat, können Sie als PDF-Datei herunterladen und sich in beliebiger Größe ausdrucken.

Wir sind gespannt zu hören, welche Diskussionen Sie haben und wer den nächsten Schritt zur Implementierung von Qualitätsstandards macht — auf welcher Verwaltungsebene auch immer.

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Martin Jordan
arbeitet als Head of Service Design beim Government Digital Service (GDS) im britischen Cabinet Office. Mit dem Public Service Lab unterstützt er eine nutzerorientierte Transformation von Verwaltungsservices in Deutschland.

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Martin Jordan
Public Service Lab

Making services work better for all people; Head of Design at German govt’s Digital Service, former Head of Service Design at UK Gov; Service Gazette co-editor