Stadtwerke und Fachkräftemangel: Über eine Dekade des scheinbaren Stillstands

Finn Faust
QLab Think Tank GmbH
4 min readJun 20, 2022
Photo by Dirk Erasmus on Unsplash

Die deutsche BBH-Gruppe, ein Beratungsunternehmen für kommunale und mittelständische Unternehmen, identifizierte 2013 den Fachkräftemangel als eine der größten Herausforderungen für Stadtwerke. Damals berichtete BBH, dass ein Drittel der Stadtwerke-Mitarbeitenden bis 2023 in den Ruhestand gehen würden, während junge Fachkräfte in die Privatwirtschaft gezogen werden und öffentlichen Unternehmen somit verloren gehen.

Neun Jahre später, im Jahr 2022, beschrieb Rödl & Partner (ebenfalls ein Beratungsunternehmen) dieselben Probleme, als hätte sich seit 2013 nichts geändert. Offenbar leiden 46% der Stadtwerke unter Fachkräftemangel.

Wenn man bedenkt, dass dieses Problem vor einem Jahrzehnt bereits bekannt war und nach nahezu einer Dekade eher noch drängender ist, scheint es an der Zeit, das Bewusstsein der Stakeholder durch weitere Diskussionen über das Thema zu schärfen. Dieser Artikel informiert Stadtwerke über die Erkenntnisse der deutschen Stadtwerke-Netzwerke und mögliche Schritte, um dieser Sackgasse zu entkommen.

Warum öffentliche Energieversorger wichtige Akteure der Energiewende sind
In Deutschland wird Energie über die Netze der Stadtwerke verteilt. Während kleinere Stadtwerke den gesetzlich festgelegten Energiemix hauptsächlich über die Europäische Energiebörse in Leipzig (DE) von den Erzeugern kaufen, stellen die Stadtwerke der größeren Städte das Netz nur für Energie zur Verfügung, die direkt von verschiedenen Erzeugern stammt.
Als nächstes lesen: Wie Stadtwerke die Energiewende vorantreiben können und was sie daran hindert, ihr volles Potenzial zu realisieren.

Warum leiden deutsche Stadtwerke unter (Fach-)Arbeitnehmermangel?

Wie bereits erwähnt, verfügen viele deutsche Stadtwerke nicht über das Wissen oder die Kapazität, um effektiv mit neuen Nachhaltigkeitsanforderungen umzugehen, was möglicherweise auf einen Mangel an qualifizierten Mitarbeitenden zurückzuführen ist. Eine Vielzahl von Faktoren führt zu diesen Problemen. Darunter sind:

• Die alternde Belegschaft.

• Die Unattraktivität des öffentlichen Sektors im Vergleich zum privaten Sektor für Berufseinsteigende.

• Diversifizierte Verantwortlichkeiten durch die Energiewende.

Alternde Belegschaften.
Aus einer Umfrage von Rödl & Partner (2019) ging hervor, dass 83% der Stadtwerke erwarten, dass 10–25 % ihrer Mitarbeitenden in den kommenden 10 Jahren in den Ruhestand gehen werden. In einigen Fällen wird sogar erwartet, dass 25–50 % der Mitarbeitenden gehen. Laut dem Magazin Energate ist dies zum Teil das Ergebnis des erhöhten Wettbewerbsdrucks durch die zunehmende Marktliberalisierung: Schwindende Stellen werden nicht mit jungen Fachkräften besetzt, um Kosten zu senken. Dementsprechend steigt das Durchschnittsalter der Belegschaften in vielen deutschen Stadtwerken stetig an.

Öffentliche versus private Unternehmen.
Für viele Berufseinsteigende bietet der öffentliche Sektor einfach keine konkurrenzfähigen Karriereperspektiven. Neben den eingeschränkten Aussichten auf die eigene professionelle Entwicklung ist für viele das deutlich bessere Gehalt in der Privatwirtschaft attraktiv. Fachleute können im privaten Energiesektor ein um 5–15% höheres Gehalt erwarten als im Stadtwerke-Sektor, und der Unterschied wird in höheren Positionen noch dramatischer.

Diversifizierte Verantwortlichkeiten durch die Energiewende.
Darüber hinaus stellt die Energiewende hin zu nachhaltigeren, grünen Energie- und Heizlösungen neue Anforderungen an Wissen und Fähigkeiten. Problematischerweise wurde das Thema von vielen Stadtwerken und den politischen Strukturen, die auf diese Trends hätten reagieren können, zu lange ignoriert. Nach Angaben des Fraunhofer-Instituts fehlen in deutschen Stadtwerken häufig die erforderlichen dynamischen Fähigkeiten, um Lösungen zu finden. Mitarbeitende, die effektiv auf diese neuen Herausforderungen reagieren können, sind knapp.

Änderung der Verantwortlichkeiten.
Viele Verbesserungen der Energie-Effizienz erfordern eine Digitalisierung des Sektors. Der allgemeine Trend zu Smart Cities, die Bürger vernetzen und versorgen, erfordert, dass TechnikerInnen und IT-SpezialistInnen auf dem neuesten Stand sind. Durch diese Entwicklungen haben sich die Aufgaben der Stadtwerke in den letzten Jahren von der Aufrechterhaltung eines zuverlässigen Energienetzes hin zur Bereitstellung nachhaltiger, zuverlässiger und bedarfsorientierter Netze diversifiziert. Diese Bedürfnisse umfassen den weit verbreiteten Wunsch nach bezahlbarer, grüner Energie und den Bedarf an Informationen über private Photovoltaik-Investitionen, alternative Heizlösungen und mehr. Diese benötigten Lösungen erfordern weitere Fähigkeiten, die für Stadtwerke lange nur von peripherer Bedeutung waren und derzeit unterrepräsentiert sind.

Was können Stadtwerke tun, um dieser Sackgasse zu entkommen?

Änderung der Beschäftigungsstruktur.
Während in Zukunft mehr qualifizierte Mitarbeitende benötigt werden, werden viele Büroarbeitsplätze aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung überflüssig. Stadtwerke sollten ihre Beschäftigungsstruktur entsprechend anpassen. Daher müssen Personalmanager erkennen, dass die bloße Verwaltung ihrer Belegschaft nicht mehr ausreicht; ein aktives Management und Anpassen der Beschäftigungsstrukturen ist von entscheidender Bedeutung.

Steigerung der internen Attraktivität für ausgebildete Berufseinsteigende.
Durch das Angebot flexibler Beschäftigungsmöglichkeiten und Arbeitszeiten, wettbewerbsfähigerer Gehälter, die Fokussierung auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden und die Förderung wünschenswerter Unternehmenswerte und -umgebungen können Stadtwerke den Verbleib im öffentlichen Sektor für junge Fachkräfte attraktiver machen, sagt Rödl & Partner. Durch die Nähe zu ihren KundInnen und die Fähigkeit, die lokale Energiewende zu steuern, könnten Stadtwerke ein bei Fachkräften erwünschtes nachhaltigkeitsfokussiertes Image annehmen.

Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit.
Darüber hinaus betonen Rödl & Partner die Wichtigkeit starker externer Beziehungen durch Kooperationen mit Partneruniversitäten, Social-Media-Marketing, um ein jüngeres Publikum zu erreichen, und die Verbesserung der öffentlichen Beziehungen zu anderen Interessengruppen und KundInnen. Stadtwerke sollten interne Studien- und Qualifizierungsprogramme anbieten, um Fachleuten die Möglichkeit zu geben, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Take-Away und Ausblick

Mit der Energiewende stehen europäische Stadtwerke vor erheblichen neuen Herausforderungen. Es entstehen jedoch Wissensnetzwerke, die Orientierung bieten und Stadtwerken dabei helfen, diese zu erkennen und praktische Lösungen zu finden.

Das QLab ist einer dieser Experten. Kürzlich haben wir ein Beratungsprojekt mit einem deutschen Stadtwerk abgeschlossen: Wir werden die Ergebnisse bald auf der QLab-Website und LinkedIn veröffentlichen. Folge uns, um sie zuerst zu sehen!

In den folgenden Artikeln gehen wir tiefer auf Fragen rund um das Potenzial von Stadtwerken ein. Teile diesen Artikel und abonniere unsere Publikation, um nie die neuesten QLab-Insights zu verpassen!

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Finn Faust
QLab Think Tank GmbH

I’m an author of the QLab Think Tank blog, and I believe that empirically founded information is essential to prepare stakeholders for climate action.