Die Erforschung des Forschungszyklus: Teil 1

Jan Seifert
researchops-community-de
8 min readJul 11, 2023

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[Dies ist die Übersetzung des Artikels: Researching the Research Cycle: Part 1 im Original veröffentlicht am 9. Dezember 2020 von Mark McElhaw and Dana Chrisfield].

Bild mit dem Wort “Research” (auf Deutsch: “Forschung”)

Research über Researcher ist sooo “meta”. Wir haben selten die Gelegenheit, unseren Prozess zu reflektieren, ganz zu schweigen von uns gegenseitig zu Gegenstand zu machen. Dieser Artikel betrachtet den Research-Prozess und dessen Verbindung zu den Tools, die wir einsetzen, indem wir unseren Fortschritt festhalten und fragen, wie es weitergeht.

In 2019 hat die ResearchOps Community in der Auseinandersetzung mit Research Repositories ein neues globales Projekt gestartet.Es hat länger gedauert als erwartet, einerseits wegen des Umfangs und wegen des Jahres 2020 — das aus der Zeit gefallen scheint. Zum Beispiel war eine globale Workshopserie geplant und fertig vorbereitet und als Covid-19 zuschlug, wollten wir ins Virtuelle ausweichen. Leider waren Termine mit Zoom mit einmal das Gegenteil von exotisch und zusätzliche Zeit wurde für wertvolle Begegnungen eingeplant oder einfach nur für ein wenig Ruhe.

Stattdessen beschlossen wir, uns auf einige der “Value Propositions” zu konzentrieren, die entweder absichtlich oder zufällig aufgetaucht waren. Dass das Projekt verlangsamt wurde, brachte auch Glücksfälle mit sich und einer davon war, dass wir mehr Zeit hatten, unsere Gedanken zu sortieren. Und einer der Bereiche, der unerwartet unser Interesse geweckt hat, war der Forschungsprozess. Ist der diskret oder kontinuierlich? Und wie wirkt sich die Art und Weise, wie wir Research dokumentieren, speichern und weitergeben, auf deren Nutzen und Wirkung aus? Aber fangen wir mit einer Analogie an.

Rechenleistung und -geschwindigkeit befinden sich in einem scheinbar endlosen Aufwärtstrend und am Horizont sind bereits die Quantenrechner auszumachen. So war das nicht immer. Im 19. JH hatte man nur ein bruchstückhaftes Verständnis von Maschinen. Die Differenzmaschine (Anm. des Übersetzers: die difference engine no. 2 von Charles Babbage) war dabei eine der bekanntesten. Ein funktionierender Prototyp erblickte allerdings erst in den 1980ern das Licht der Welt und ist nach modernen Maßstäben eine entzückende klickende und klackende Konstruktion. Wenn man ihr beim Surren zuschaut, kann man sich ihre Funktionsweise gerade noch erschließen. Eine soziotechnische Perspektive einnehmend ist klar, dass Research stark durch unsere Tools beeinflusst wird. Research repositories befinden sich an einem ähnlichen Punkt ihrer Entwicklung wie die Differenzmaschine; es wird noch einige Zeit dauern, bevor sie reibungslos funktionieren. Daher brauchen wir einen Forschungszyklus, der uns das Nachdenken darüber ermöglicht, wie wir Research dokumentieren, speichern und teilen, um dorthin zu gelangen.

Impliziter Bias

Wer mal schnell nach “Forschungsprozess” sucht, erhält eine Unmenge an Diagrammen und jedes davon ist beeinflusst durch die eigenen Interessen des jeweiligen Autors und sich entweder auf diskrete oder kontinuierliche Prozesse konzentrieren.

Der Artikel The researcher’s journey von Dave Hora ist ein guter Ausgangspunkt. Er war die Basis für ein anderes ResearchOps Projekt, dem Research Skills Framework. Das wäre ein klassisches Beispiel für ein diskretes Forschungsvorhaben.

Zeigt einen klassischen linearen Forschungsprozess mit den Schritten: Frage, Ansatz, Durchführung, Analyse, Synthese, Wirkung.
Modell eines Forschungsprozess

[Bild: Modell eines Forschungsprozess]

Ein gutes Beispiel für kontinuierlichen Research wäre Blooms Taxonomie kognitiver Lernziele. Jede Stufe ist erforderlich, um die nächste darauf aufzubauen. Das wird oft als eine Pyramide beschrieben, bei der jede nachfolgende Stufe ein höheres Maß an Fähigkeiten erfordert. Auch wenn diese Sichtweise nicht unumstritten ist, kann sie doch die Unterscheidung zwischen diskreter und kontinuierlicher Forschung verdeutlichen. Das Modell des Forschungsprozesses (Abb. 1) steht im Gegensatz zu einer solchen Entwicklungsperspektive, bei der sich die Herausforderungen von der Mitte her ausstrahlen, sodass für Anfang und Ende jeweils fortgeschrittenere Fähigkeiten/Erfahrungen erforderlich sind.

Bloom’s Taxonomie (in seiner revidierten Form) mit den Stufen: Erinnern, Verstehen,  Anwenden, Analysieren, Evaluieren, Kreieren.
Bloom’s revidierte Taxonomie

[Bild 2 Bloom’s revidierte Taxonomie von Anderson und Krathwol, 2001]

In den beiden vorigen Beispielen ging es um den Forschungsprozess, aber was ist mit der Art und Weise, wie Forschungsergebnisse dokumentiert und vor allem wiederverwendet werden? Die Tools sind so einfach verfügbar, dass es uns nicht in den Sinn kommt, sie könnten unsere Forschung beeinflussen. Dies steht im Widerspruch zu Aktivitätstheorien, die postulieren, dass jede Aktivität unter anderem durch Werkzeuge, Regeln, Gemeinschaft und Arbeitsteilung moduliert wird. Dieses Versäumnis hat erhebliche Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Research betrieben wird, und auf den Nutzen der Forschungsergebnisse.

Wir brauchten einen Forschungsprozess, der …

  • das Wissensmanagement ebenso berücksichtigt,
  • wie auch alle Touchpoints mit dem Repository im Research,
  • eine Vielzahl von Forschungsperspektiven berücksichtigt, die die Menschen, die mit diesen Systemen interagieren, haben könnten.

Das erste Thema, das in den Blick kam, war das Verhältnis zwischen Primär- und Sekundärforschung, aus dem der Q-Kringel (curly Q) entstand. Als Forscher, die über Forscher forschen, sind wir der Neigung erlegen, die Primärforschung — das Sammeln von Daten aus erster Hand im Verlauf von Forschungsvorhaben — als üblichen und häufigsten Fall zu fokussieren. Doch alsbald wurde uns klar, dass Sekundärforschung den Hauptanwendungsfall im Zusammenhang mit Repositories ausmacht und damit die Arbeit der meisten Menschen.

Spiralförmiger Forschungsprozess mit dem Spitznamen Q-Kringel (Englisch Curly Q).
Der Q-Kringel (curly Q)

[Bild: Der Q-Kringel (curly Q)]

Mit Primärforschung entstehen neue Datensätze. Aber Sekundärforschung (auch Desk Research genannt) umfasst alle Tätigkeiten bei der Suche, dem Auffinden und der Verwendung von Daten und Erkenntnissen, die zuvor gesammelt oder generiert wurden, und interpretiert sie in einem neuen Kontext. Die Ironie will es, dass Sekundärforschung die häufigste Form von Forschung ist, den die meisten durchführen. Wir alle tun das. Secondary research ist der Grund, warum wir einen durchdachten Ansatz zum Speichern von Forschungsdaten benötigen. Sekundärforschung ist der Grund, warum wir Repositories benötigen.

Die Perspektive von Research und Repositories

Wir haben uns für ein Diagramm entschieden, das wir als “Tube Map” bezeichnen, weil es (irgendwie) so aussieht. Inspiration dazu war die Karte der Glasgow Tube (U-Bahn), falls das von Interesse ist.

Iterativer Forschungsprozess mit dem Spitznamen “The Tube”, die zwei iterative Prozesse miteinander in Form einer liegenden 8 verbindet. Links die Sekundärforschung und rechts die Primärforschung.
Die U-Bahn Karte

[Abb. 4: die U-Bahn Karte]

Jetzt sind wir in der Lage, primäre und sekundäre Forschung klar zu trennen. Die rechte Seite stellt (wie unschwer zu erkennen ist) den Ablauf in der Primärforschung dar. Die linke Seite zeigt eine separaten Kreislauf, von Konsum, Wiederverwendung und Deutung, der außerhalb eines klassischen Research-Projekts mit Anfang und Ende stattfindet, und beschreibt die Art, wie Primärforschung durch Product Owner, Kunden und andere Abteilungen aufgenommen, bearbeitet, redigiert, reformuliert und dargestellt wird.

Vergiss Primär- und Sekundär! Lang lebe Sammeln und Deuten

So sinnvoll die Unterscheidung in primäre und sekundäre Forschung ist, so gibt es doch auch Überschneidungen. Viele akademische Forscher erzeugen mit ihrer Primärforschung Datensätze, mit denen sie selbst und andere auch sekundär arbeiten. In der Regel wird dieser Datensatz streng bewacht, da er Auslöser für weitere Feldarbeit sein kann. In der akademischen Welt geht es vor allem darum, zu publizieren und zitiert zu werden. Wenn wir auf die primären und sekundären Zyklen schauen, stellen wir fest, dass Analyse und Synthese in Wirklichkeit Teile einer breiteren Kategorie sind, und das ist das Deuten. Darüber hinaus fanden wir in unseren Interviews heraus, dass Leute einen erheblichen Teil ihrer Zeit damit verbringen, Material in verschiedenen Quellen in Bibliotheken und im Internet zu suchen. Wir sind uns dessen gar nicht bewusst, wie viel Zeit wir mit Sekundärforschung verbringen. Ein großer Teil der Interpretation von Primärforschung basiert auf Erkenntnissen und Verknüpfungen, die durch Sekundärforschung gewonnen wurden. Das führt zu der Schlussfolgerung, dass primäre und sekundäre Forschung nicht wirklich zur modernen Research in Unternehmen passen. Tatsächlich sammeln die Leute Daten oder sie deuten diese. Das tun sie in wiederholten Iterationen, die mehr einer Endlosschleife ähneln.

Forschungsprozess in Form eines Unendlichkeitssymbols mit den zwei Schleifen Erheben und Deuten.
Die Endlosschleife

[Abb. 5: Die Endlosschleife]

Q, U oder Schleife?

Wir haben festgestellt, dass Leute ein bevorzugtes Schaubild haben. Auch hier scheint das davon abzuhängen, wofür das Schaubild eingesetzt wird und welche Sichtweise die Leute haben. Was uns zu der Anekdote vom Anfang zurück bringt. Am Ende dieses Abenteuers denken wir, dass wir von einer Endlosschleife sprechen (Abb. 5), die im Big Data Ansatz Daten sammelt, und Systemen, die laufend und in Echtzeit die Deutung vornehmen. Aber das würde weder Researchern helfen, noch der aktuellen Weiterentwicklung von Research Repositories. Und das ist der Punkt. Research Repositories haben, was Reife angeht, noch einen langen Weg vor sich.

Fürs Erste brauchen wir etwas Gröberes. Etwas, mit dem wir uns auseinandersetzen können und das aufzeigt, wo die Probleme im aktuellen Service- und Produktdesign liegen, so dass wir beides verbessern können. Die Tube Map hilft uns dabei, indem sie eine Vielzahl von Dingen hervorhebt, wie zum Beispiel:

  • Die Effizienz des Researchprozesses,
  • das Ausmaß an Governance,
  • die Qualität von Researchergebnissen,
  • die Fähigkeiten der Organisation,
  • die Reife des Research Repositories.

Wir haben begonnen, alle am Forschungsprozess beteiligten Vorgänge abzubilden. Daraus hat sich ein neues Feld entwickelt, nämlich KnowledgeOps. Es bezieht sich auf den Bereich des Wissens- und Informationsmanagements. KnowledgeOps erfasst die Bandbreite der Speichersysteme von einer Dokumentenbibliothek (Informationsmanagement) bis zu einem Wissensspeicher (Wissensmanagement). Dies trägt auch dazu bei, eine in Interviews geäußerte Dichotomie zwischen der Speicherung von forschungsspezifischen und projektweiten Informationen aufzulösen. Betrachten Sie dies als eine Art Grundstein, denn es ist unmöglich, diesen beiden Feldern in einem einzigen Absatz gerecht zu werden.

Der Forschungszyklus aus der Research+Ops Community umfasst zwei ineinander geschachtelte liegenden Achten. Die innere acht beschreibt den eigentlichen Research mit Sekundärforschung links und Primärforschung rechts. Die äußere Acht unterstützt den Research durch Operations mit KnowledgeOps links und ResearchOps rechts.
Der Research+Ops Zyklus

[Abb. 6: der Research+Ops Zyklus]

Denkanstöße

Natürlich gehen wir davon aus, dass sich dies ändern und auf weitere Ebenen aufteilen wird, z. B. Governance oder Vorlagen. Jeder Schritt kann auch ein eigenständiger Zyklus sein. Zum Beispiel hat das Tagging einen eigenen Verwaltungsprozess für die Pflege von Elementen in einer Taxonomie.

Wir haben auch die Lizenzierung als wichtigen Schritt hinzugefügt. Das Aufkommen von Research Repositories verändert grundlegend auch die Art und Weise, wie wir über die Einwilligung in der Forschung denken. Eine Einwilligung ist nicht mehr an einen einzigen Zeitpunkt gebunden (d. h. an die Primärforschung), sondern wird zu etwas Fließendem, bei dem die Wiederverwendung von Daten vom Kontext und Zweck abhängt.

Stellen Sie sich die Einwilligung als eine Distributionsrecht vor, auf die Personen je nach Verwendungszweck in unterschiedlichem Umfang Zugriff haben werden. Am wichtigsten ist, dass der Teilnehmer entscheidet, was weitergegeben wird, nicht die Organisation.

Schließlich sollte man sich Gedanken darüber machen, wie sich Primär- und Sekundärforschung voneinander unterscheiden. Die Blooms-Taxonomie scheint ein guter Ausgangspunkt für Sekundärforschung zu sein. Ist Forschung nicht eigentlich nur ein anderes Wort für Lernen? Auch ist das Modell des Forschungsprozesses (Abb. 1) eine gute Grundlage für die Primärforschung. Vielleicht lassen die beiden sich miteinander verknüpfen, vielleicht auch nicht. Aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel. Dies hier ist nur die Summe unserer Überlegungen am Ende dieser Phase des Projekts der Research Repositories.

Zurück zur Metanosität… solange wir Research bleiben, erforschen wir den Forschungsprozess von Forschern. Do you have a preference? Welche Entwicklung würden Sie gerne sehen? Zur Unendlichkeit und darüber hinaus? Oder eine Klick-Klack-Karte, die Verzögerungen, Flaschenhälse, Schwachstellen oder Prüfketten für die tägliche Arbeit aufzeigt? Sind KnowledgeOps ein Thema? Reden wir überhaupt von einem Zyklus?

Besonderen Dank an Brigette Metzler (aka the knowledge), sowie Benson, Brigitta Norton, Dorthe-Maj Jacobsen, Holly Cole, Ian Hamilton, Tomomi Sasaki und Kim Porter, die mit uns den Faden weitergesponnen und die Kringel entwirrt haben.

Übersetzung 2023 durch Jan Seifert (LinkedIn) und andere Community Mitglieder der ReOps+ Community.

Bild mit dem Wort “Research” (auf Deutsch: “Forschung”)

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