“Written to the moment”– die Literatur im Erlebnis-Modus

Tamara Keller
Solettres | Universität Basel
2 min readMay 5, 2016
flickr.com/Christian Gonzalez/CC BY 2.0

Ein Text von Alexander Honold

Zugegeben, die Literaturtage Solothurn sind komprimierter Lesestoff für mindestens sieben Leben. Da werden in umfangreichen Werken grosse Erzählbögen geschlagen, da werden dunkle Familiengeheimnisse ausgeleuchtet oder es wird hinter die Kulissen des (Schweizer) Medienbetriebes geschaut. Die Lyrik wirft ihre ganz eigene Vielstimmigkeit in die Waagschale, und manche Entdecker sind auch im Medium der Graphic Novels unterwegs. Sich selber einen Weg durch diesen Dschungel der lautstarken Ankündigungen und versteckten Fundplätze zu bahnen, wird für jede und jeden zur produktiven Herausforderung.

Wer liest, weiss genau, dass Texte viel Zeit brauchen. (Und wer schreibt, kennt das Problem erst recht…) Darum ist Literatur eigentlich eine Sache für die Langzeit-Beschäftigung. Romane und Gedichte warten geduldig, bis sie von ‚ihren‘ Lesern gefunden werden. An einem Literaturfestival wie diesem steht die Sache umgekehrt. Was jahrelang geschrieben und monatelang vorbereitet wurde, muss sich in zwei, drei Viertelstunden seinen Weg zum Publikum bahnen. Kaum sind alle richtig angekommen, ist das Meiste schon wieder vorbei. Was für ein riesiger Aufwand an Kreativität, der da in jedem dieser Auftritte und Podien innert Minuten an uns vorbeirauscht! Das Dichtgedrängte, die Zuspitzung komplexer Werke auf den kurzen Moment hin macht den Reiz dieser drei Tage aus. Denn wo und wie man einem Text das erste Mal begegnet, brennt sich dem Gedächtnis bei einem Festival viel stärker ein als sonst.

Das ist es, was auch dieses Experiment der mitlaufenden Literaturbeobachtung so spannend macht: wenn Erfahrungen des Schreibens und Lesens im Licht einer ganz besonderen Situation entstehen. Für die hier mitgeteilten Eindrücke und Kommentare zum ‚laufenden Betrieb‘ der Literaturtage 2016 gilt, dass sie, trotz langer Vorbereitung, aus dem besonderen Augenblick heraus entstanden sind, „written to the moment“.

Professor Dr. Alexander Honold ist Ordinarius für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel. Auf seine Initiative hin, gehen wir — eine Gruppe von 36 Studenten — an die Solothurner Literaturtage und versuchen hier auf diesem Blog, Spuren unserer Erlebnisse zu hinterlassen.

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