Macht macht nichts — Verantwortung hat jeder

Anja Wittenberger
8 min readOct 1, 2017

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So wie man nicht nicht kommunizieren kann, kann man auch nicht nichts mit Macht zu tun haben. Manche lieben sie, manche verteufeln sie und manche leiden unter ihr.

Schaut man sich in der Welt da draußen, in der Gesellschaft und in Organisationen um, gibt es gar nicht genug Gründe dies zum Thema zu machen. Ich gebe jedem Brief und Siegel dafür, dass er sein ganz eigenes Verhältnis zu Macht hat.

Macht gilt als Tabu. Daher wollen manche mit Macht erst gar nichts zu tun haben. Andere hingegen verhalten sich ungeschickt im Umgang damit. Aber Macht an sich ist neutral und ein unverzichtbares Mittel für jeden, der etwas in seinem Leben erreichen will. (Quelle: Teaser einer Key-Note)

https://perspective-daily.de/article/324/QasUydWI

Inspiriert zu diesem Artikel hat mich ein Beitrag von Maren Urner bei Perspective Daily, den ich Dir lieber Leser hier gern zugänglich machen möchte. Maren Urner beschreibt u.a., dass es in unserer Biologie begründet ist, dass wir sobald wir Macht bekommen, nicht mehr klar denken und umsichtig handeln können.

Macht ist demnach berauschend und trübt unsere Sinne. Ok, ok … ist das jetzt eine biochemische Entschuldigung für Machtmissbrauch oder fehlende Verantwortungsübernahme?

Die Macht oder mehrere Mächte?

Mein persönliches Verhältnis zu Macht hat sich in den letzten Jahren durch vielfältige Erfahrungen und die Befreiung aus alten Mustern verändert. Aber eins nach dem anderen.

Macht zu nutzen, heißt für mich heute Einfluss zu nehmen und damit Wirksamkeit zu erfahren. Es tut gut Dinge voranzubringen, die mir wichtig sind.

Macht zu nutzen, heißt für mich Mut zu haben und risikobereit voranzugehen. Auch wenn das bedeuten kann Fehler zu machen und eventuell zu scheitern.

Macht zu bekommen, heißt für mich Verantwortung zu haben. Verantwortung für mein Handeln, für den Umgang mit anderen Menschen und für Entscheidungen, die ich in dem Zusammenhang treffe.

Gefangen im Strudel der Opfer und Täter

Das menschliche Zusammenleben und vor allem die Mehrheit der Organisationssysteme, in denen wir uns als Homo Sapiens bewegen, zeigen ein Phänomen, welches als Handlungsmuster nicht in Stein gemeißelt und unveränderbar ist.

Wenn Macht negativ bewertet wird, geht es häufig darum, dass jemand Macht über andere Menschen hat (z.B. Regierung über das Volk, Chef über Mitarbeiter) oder wir jemandem Macht über uns geben (z.B. Missbrauch, Unterwürfigkeit). Wie man es dreht oder wendet, tauchen in dieser Betrachtungsweise sehr schnell Opfer- und Täterrollen auf.

Schaut man aufmerksam hin, ist zu erkennen, dass dieses s.g. Dramadreieck gern rhetorisch von Populisten genutzt wird, die sich als Retter aufspielen und ihre Anhänger als leidende Opfer anerkennen, indem sie ein Feindbild kreieren, was als Täter herhalten kann. Und schon schnappt sie zu die Falle.

http://karrierebibel.de/macht-paradoxon/

Im Arbeitsalltag in Organisationen wird dieses Beziehungsmuster von zwei, drei oder mehr Personen ebenfalls gern bedient. In der ein oder anderen Konstellation, hat es vermutlich jeder von Euch schon mal erlebt. Z.B. wenn man dem armen Kollegen beipflichtet, dass er ja nichts dafür kann und man sich so mir nichts dir nichts gegen den ach so fiesen Chef verbündet und ihn somit als Täter abstempelt. Ich kenne solche Verstrickungen sehr gut und hab mich in der Vergangenheit nur all zu oft verführen lassen, den Retter zu spielen. Ich bin überzeugt davon, dass niemand davor gefeit ist in diese Rollen hineinzuschlittern.

“Was hat das jetzt mit Macht zu tun?” fragt ihr berechtigt.

In dieser Konstellation begibt sich der Mensch, der an sich erstmal machtvoll handeln könnte in eine Ohnmachtshaltung und geht aus der Verantwortung heraus, die er als erwachsener Mensch prinzipiell übernehmen kann. Und der Täter bekommt, ob er will oder nicht, Macht über das Opfer zugeschrieben. Ein Mediator, der von außen auf diese Konstellation schaut und zur Lösung des festgefahrenen Konflikts hin moderieren darf, ist da echt Gold wert.

Macht berauscht und hat Konsequenzen

Story 1: Filme machen ist nicht schwer …

Bei der Umsetzung meines Herzensprojektes “Tanz des Feuers” (Fantasiekurzfilm) vor ca. 12 Jahren war ich in zwei Rollen aktiv. Mein Verantwortungsbereich war die Produktion und ich führte Regie. Alle anderen Gewerke wie Licht, Schauspiel, Musik, Kostüm waren mit zumeist begeisterten Freiwilligen besetzt, wie das so üblich ist in dieser Branche und bei solch einem künstlerischen Vorhaben ;-).

Das Team schwankte zwischen einer Größe von sieben bis 35 Personen, da ja erst am Set des Drehs die meisten Talente und helfenden Hände zusammenkommen.

Kampfszene zwischen Magier und Narr

Während der Produktion überkam mich am Set in einer stillen Minuten mit Blick über die Szenerie von einer Minute auf die andere ein Schauer. Mir wurde plötzlich bewusst, wieviel Macht ich hatte. Alle die da unten in dieser Sandgrube herumwuselten und Großes vollbrachten, folgten meinen Entscheidungen. Es ist schön, überwältigend und ja es versetzt Dich in einen Rausch. Und gleichzeitig erschrak ich, weil mir mit einem Schlag die Verantwortung bewusst wurde, die damit einhergeht.

Kurze Zeit später erfuhr ich schmerzlich, was es bedeuten kann, in einer machtvollen Rolle eine Gruppe zu führen.

Ein Gewerk der Produktion lieferte nach wiederholten Versuchen nicht die Qualität und benötigten Fortschritte, die wir als Crew für den weiteren Verlauf der Produktion dringend brauchten. Der nächste Dreh war plötzlich in Gefahr. Meine Verantwortung für die Produktion, meine Verantwortung für das Gesamtwerk und letztlich für das Team, was zuverlässig und engagiert am gemeinsam Ergebnis schraubte, schrie nach Handeln.

Und hier wurde mir bewusst, dass es wichtig ist, Macht die einem gegeben wird umsichtig, zum Wohle der Sache und mit Respekt den Menschen gegenüber einzusetzen.

Mit der Entscheidung die ich treffen musste, war ich komplett allein. Und ja es hat mich in dem Moment echt Mut gekostet. Sich in diesem Moment von den Personen zu trennen und kurz vor knapp noch nach einer Alternative zu suchen, war für mich der einzig sinnvolle Weg. Am Ende wurden wir mit einer tollen Schlussszene für den Film belohnt :-)

Story 2: Oh, oh … pass auf was Du sagt.

Wenn man “was zu sagen hat”, aufgrund der eigenen Erfahrung oder einer speziellen Fachexpertise kommt es vor, dass man mit Kollegen im Austausch Themen diskutiert und auch mal die ein oder andere Idee mit hinein gibt.

Doch kürzlich erschrak ich, als ich von jemandem meine Worte zu 100 Prozent gleich, als Aussagen eines Anderen hörte.

Das ist zum Einen schön und streichelt das Ego.

Wow, wenn ich soviel Wirkung bei jemandem Anderen hinterlasse, dann muss ich echt aufpassen, was ich laut denke.

Das fordert mich jedoch sofort innerlich zu dem Gedanken auf:

Bitte, bitte unbedingt selber denken. Ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Unbedingt auch in Frage stellen und sich seine eigene Meinung bilden.

Machtvoll handeln heißt machen

Bei New Work spricht man sehr oft von Selbstwirksamkeit. Diese bedingt, dass man loslegt und sich traut. Das Schöne ist, dass sich schrittweise mehr Organisationsformen verbreiten, die es jedem Kollegen im Unternehmen ermöglichen machtvoll zu handeln. Frederique Laloux hat dies vor allem bei Organisationen beobachtet, die in dynamischen Märkten schnell wachsen und die Fähigkeit besitzen, sich bei Krisensituationen zügig anzupassen. Die sog. integral evolutionäre Organisation hat Strukturen und gelebte Praktiken, die es jedem ermöglichen Verantwortung für die Sache zu übernehmen und etwas zu bewirken. Keiner hat Macht über den anderen. Jeder kann machtvoll agieren.

Bei AviloX leben wir die Zusammenarbeit in genau dieser Form, d.h. jeder hat das Recht eine Sache vorzuschlagen und voranzubringen, solang die anderen nicht das Gefühl haben, dass für die Organisation ein Schaden entstehen kann. Um dies zu ermöglichen, braucht es Mechanismen die laute und leise Menschen zu gleichem Maße nutzen können. Nur so stellt man sicher, dass alle gehört werden. Durch moderierte Besprechungsformate schaffen wir den Raum dafür und dann liegt es an jedem Einzelnen, ob er den Mut hat, sich aus seiner Komfortzone heraus zu bewegen. Machtvoll handeln zu können ist ein Angebot, was man nicht wahrnehmen muss. Es setzt einen nicht unter Handlungsdruck, doch nimmt einem die Möglichkeit sich hinter einer Fassade von Ohnmacht und “Opferrolle spielen” zu verstecken. Jeder ist aufgefordert für sich und sein Tun im Unternehmen Verantwortung zu übernehmen und sich einzubringen. Der Lohn dafür sind Entwicklungschancen, die Unterstützung erfahrener Kollegen und die Wertschätzung für das eigene Tun.

Das klingt immer alles so rosig, doch was mir als Beobachter und Moderator solcher Prozesse auffällt: Wir alle sind in Systemen aufgewachsen, die uns geprägt und Handlungsmuster konditioniert haben, dass es schwer ist diese einfach so hinter sich zu lassen.

Autoritäten in Frage zu stellen hieß und heißt vielerorts, dafür bestraft zu werden. Widersprich deinem Vater und Du bekommst … Stell die Aussage deiner Lehrerin in Frage und Du wirst als Unruhestifter abgestempelt … Hinterfrag “die Wahrheiten” deines Chefs und Du erlebst …

Das Spannende ist, dass genau diese Status Quo Verweigerer (Begriffsdefinition zu New Work von Bastian Wilkat) es sind, die wir brauchen, um Unternehmen in komplexen und dynamischen Umfeldern mit hoher Flexibilität und Innovationskraft voranzubringen. Und glaubt mir, ich kenne inzwischen beide Seite und es ist harte Arbeit sich auf Augenhöhe mit Kollegen auseinanderzusetzen. Doch es ist jedes erhitzte Fachgespräch und in Frage stellen der eigenen Lösung wert, wenn am Ende jeder von uns, das voranbringen kann wo er am Besten ist und was er am Besten kann. Leidenschaft, Mut und Freude sind es, die uns gemeinsam zum Erfolg führen.

Macht und Verantwortung sind untrennbar miteinander verwoben

Wenn eine Führungskraft per Entscheidung von oben oder durch die Wahl bzw. das Verhalten ihrer Mitarbeiter Macht bekommt, kann sie die Verantwortung die damit einhergeht nicht ignorieren. Dabei unterscheide ich Verantwortung für Inhalte bzw. fachliche Ergebnisse von der Verantwortung für Menschen, die sich gemeinsam für das voranbringen der Sache einsetzen bzw. auch nicht einsetzen. Und genau an der Übernahme dieser Verantwortung sollte man Führungskräfte zusätzlich zu betriebswirtschaftlichen Ergebnissen messen.

Ein fiktives Beispiel: Ein Bereichsleiter hat super Ergebnisse im Auftragseingang und Umsatz im Jahr eingefahren. Seine Leute sind jedoch hochgradig unzufrieden, das Team weist einen hohen Krankenstand auf und zwei Mitarbeiter haben gekündigt. Dann muss der Chef beim Bereichsleiter nachfragen und seiner Verantwortung nachkommen. Letztlich ist gesundes und verantwortungsbewusstes Wirtschaften nur möglich, wenn das erreichte Ergebnis, die dabei eingesetzten Mittel und Wege sowie das respektvolle Miteinander im Einklang sind.

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Anja Wittenberger

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