Teil 2: Von der Industrie- zur Wissensgesellschaft

Aileen
Die Zukunftsbauer — was ist deine Mission?
4 min readJun 25, 2019

Im zweiten Teil unserer Wissensreise möchten wir genauer darauf eingehen, wie unsere spätmoderne Gesellschaft enstanden ist. Wir leben in einer “Wissensgesellschaft”, die sich aus der “Industriegesellschaft” entwickelt hat. Wie kam es dazu?

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Der Begriff der Industriegesellschaft

Mit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte sich auch die Gesellschaft nachhaltig. Bezeichnend für die Industriegesellschaft ist eine kontinuierliche Steigerung der Produktivität von Arbeit sowie der Arbeitsteilung. Die Städte als Lebensraum wurden immer bedeutender, Arbeitskräfte verließen die Provinzen, um sich in den Industriezentren zu verdingen. Mit der Bedeutung der Wissenschaften stieg das Streben nach Fortschritt, Leistung und Erfolg, was auch heute noch die Grundlage für den auf Wachstum basierenden Kapitalismus ist.

Die industrielle Revolution wurde ausgelöst durch die Erfindung der Dampfmaschine, einer Basisinnovation, auf der weitere technische Entwicklungen aufbauten. Im weiteren Verlauf der Geschichte haben immer wieder solche Basisinnovationen wichtige wirtschaftliche Entwicklungen angestoßen. Der Ökonom Nikolai Kondratieff identifiziert folgende fünf Basisinnovationen, die neue Wellen des Wandels im Abstand von 40 bis 60 Jahren angestoßen haben:

Quelle: Nach BpB 2016 in Anlehnung an Kondratieff 1926.

Jede neue Basisinnovation seit Beginn der Industrialisierung führte dabei zu tiefgreifenden Veränderungen des damaligen Lebens und prägte neue Strukturen innerhalb der Gesellschaft, die sich so zunehmend aus der klassischen Industriegesellschaft herauslöste. Mitte des 20. Jahrhunderts tauchte hier erstmals der Begriff der postindustriellen Gesellschaft auf.

Der Begriff der Wissensgesellschaft

Eine der zentralen Theorien der postindustriellen Gesellschaft stellt die Idee der Wissensgesellschaft dar. Eine umfangreiche Studie hierzu legte der Soziologe Daniel Bell in seinem 1973 erschienenen Werk „The Coming of Post-Industrial Society“ vor. Darin zeichnet er eine gesellschaftliche Klasse, die weniger Wert auf Kapital, sondern vielmehr auf Wissen legt. Er stellt fest, dass die Gesellschaft immer mehr auf Neuerungen aufbaut, die durch Forschung und Entwicklung entstehen. Gleichzeitig wird der Sektor, der vor allem mit Wissen und Können wirtschaftet, der Dienstleistungssektor, gesamtwirtschaftlich immer relevanter.

Was ist mit “Wissen” gemeint?

Der Kulturwissenschaftler Nico Stehr beschreibt ”Wissen” als die wesentliche „Fähigkeit zum (sozialen) Handeln“. Wissen stelle demnach die wesentliche Grundlage unseres täglichen sozialen und ökonomischen Zusammenlebens dar, denn Wissen ermöglicht es, etwas „in Gang zu setzen“. Laut Stehr stellt Wissen jedoch zunächst nur ein Handlungsvermögen dar und erfüllt erst dann eine aktive Funktion, wenn es Entscheidungsspielräume oder -notwendigkeiten gibt.

Die Entstehung der Wissensgesellschaft

Der Auslöser für die Entwicklung der Wissensgesellschaft und die daraus resultierende steigende Bedeutung von Wissen ist, so sehen es viele Soziologen, in der Regel der technischem Fortschritt, sprich die oben bereits angesprochenen Basisinnovationen. Für die Informations- und Kommunikationstechnologien (ITK) war dabei die Entwicklung des Mikrochips als Basisinnovation von großer Bedeutung.

Den Kern der Wissensgesellschaft sehen viele weniger im Wissen selbst, als in dessen rasanter Ausbreitung. Der Philosoph Richard David Precht spricht von einer exponentiellen Steigerung des Wissens, die durch die digitale Revolution seit 2002, als es erstmals möglich war mehr Informationen digital als analog zu speichern, ermöglicht wurde. Denn, je fortschrittlicher eine Gesellschaft ist, desto mehr Wissen erzeugt sie.

Leben in der Wissensgesellschaft

Eine erfolgreiche Wissensgesellschaft bietet ihren Mitgliedern nicht nur die Möglichkeit zivilisiert zu leben, sondern auch einen kultuivierten Zustand zu erreichen. Über die letzten Jahre hinweg hat sich Wissen immer mehr zu einer zentralen Ressource entwickelt. So schreibt der Erziehungswissenschaftler Gerhard de Haan, dass Lebenschancen des Einzelnen und die Chancen einer guten Entwicklung der Gesellschaft mittlerweile vor allem wesentlich vom Zugang zu zukunftsfähigem Wissen abhängen. Wissen hat im 21. Jahrhundert daher folgende vier Funktionen:

  1. Zuteilung von Lebenschancen
  2. Prosperität von Wirtschaft gewährleisten
  3. Wohlfahrt gewährleisten
  4. Entscheidungen rational gestalten

Weiter lassen sich bei de Haan verschiedene Bedeutungsebenen finden, die zeigen, wie gegenwärtig die Wissensgesellschaft ist. Hierzu gehören u.a. die mittlerweile hohe Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien, neue vor allem kommunikationsintensive Dienstleistungen, neue Formen der Wissensproduktion, die zunehmende Bedeutung von Aus- und Weiterbildung, die verstärkt auf innovativem Wissen basierende Güterproduktion sowie das Wissen, das immer mehr selbst zu einem Gut wird.

De Haan identifiziert aber auch Probleme in der Wissensgesellschaft. Darunter:

  1. Dem Einzelnen stehen immer mehr Möglichkeiten zur Verfügung, wodurch Differenzierungsprozesse gefördert würden und eine gemeinsame Basis zunehmend schwinde
  2. Durch Wertungshierarchien unterschiedlicher Wissensarten, z. B. praktisches Erfahrungs- vs. akademisches Wissen drohe ein „Akademisierungswahn”
  3. Spezialwissen berge die Gefahr der Abhängigkeit und führe zu Expertokratie
  4. Es gäbe kaum ein Recht auf „sanktionsfreies Nichtwissen“
  5. Wissen werde immer mehr zu einem Produktionsgut und die Ökonomisierung von Wissen gefährde Wissen als kulturelles Allgemeingut, z. B. Profit auf der Basis von Wissensvorsprüngen
  6. Das Welt- und Orientierungswissen werde immer komplexer
  7. Neue Wissensformen wie Bedeutungs- und Regelwissen werden wichtig, da Orientierungen und Handlungen vom Wissen und nicht mehr rein von der Übernahme der Tradition abhängig sind
  8. Bildung nimmt immer mehr eine Form der Lebenserfüllung ein und die Einschränkungen von Bildungsmöglichkeiten sei in der Wissensgesellschaft skandalöser als das Vernichten von Arbeitsplätzen.

Denn im Konzept der Wissensgesellschaft gelte vor allem Bildung und nicht Wissen allein als die „entscheidende Voraussetzung modernen Wirtschaftens“, wie es bei Poltermann hierzu heißt.

Der Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft wird dabei am deutlichsten im Bereich Arbeit. Der Wandel der Arbeitswelt prägt unsere Gesellschaft seit Mitte des 20. Jahrhunderts nachhaltig. Wie aber sieht dieser Wandel der Arbeit aus? Und warum wird das Thema aktuell so stark medial fokussiert, wenn die Transformation der Arbeitswelt doch schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts eingeleitet wurde? Dafür muss zunächst verstanden werden, was Arbeit ist und wie sich diese bereits innerhalb der Moderne verändert hat.

Die Zukunftsreise und die Wissensgesellschaft

In unserer Zukunftsreise zeigen wir jungen Menschen was es bedeutet, in einer Wissensgesellschaft zu leben und fördern die Auseinandersetzung mit neuen Wissensformen und Wissensfeldern.

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis senden wir dir gern zu. Diese Inhalte des Artikels entstammen der Masterarbeit der Gründerin Aileen Moeck, die 2018 am Institut Futur der FU Berlin veröffentlicht wurde.

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Aileen
Die Zukunftsbauer — was ist deine Mission?

Futurist, visionary & strategic mind, founder & activist, transformation, innovation and imagination @dieZukunftsbauer & @DasZukunftsbauerInstitut