Kreativ werden

Kai Lanz
Zukunftsmusik
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4 min readMay 17, 2020
Photo by Clark Tibbs

Schon oft habe ich von Personen gehört, dass sie nicht kreativ seien— und das habe auch ich über mich gesagt. Warum ich jetzt eine andere Meinung habe, wie man Kreativität lernen kann, wieso das wichtig ist — und warum das Ganze viel mit Unternehmertum zu tun hat.

10 Stunden vor Launch der Plattform krisenchat.de hatten wir folgendes Problem: Unsere technische Lösung, die wir 2 Wochen lang gebaut haben, war nicht einsatzbereit. Der Grund: Der Betreiber WhatsApp hat uns noch nicht verifiziert. Deshalb mussten wir kreativ werden und haben kurz vor knapp drei verschiedene Lösungen gesucht, wie Hilfesuchende uns doch schreiben können und Krisenberater*innen ihnen helfen können. Letztendlich haben wir eine “kreative” Lösung umgesetzt: Wir haben auf einem alten Handy mit SIM-Karte WhatsApp installiert und den Krisenberater*innen im 2-Stunden-Wechsel Zugang zu WhatsApp-Web gegeben. Nicht skalierbar und unbequem, aber funktionell.

Ich habe mich selbst nie als eine besonders kreative Person gesehen. Ich habe nie wirklich “klassische” kreative Künste praktiziert — also Malen, Zeichnen, Musizieren oder ähnliches.

Als ich dann ein eigenes Startup gegründet habe, musste ich auf einmal zwangsweise kreativ werden. Nur durch Kreativität können innovative Lösungen für Probleme gefunden werden (wie bei unserem WhatsApp-Problem) — und nur so kann man erfolgreich sein. Die grundlegenden Lösungsansätze kann man vielleicht kopieren (à la Rocket Internet), aber auf die Probleme im Unternehmensalltag muss man trotzdem individuell — kreativ — reagieren.

Was ist Kreativität?

Ich habe Kreativität immer so verstanden, dass man viele neue Ideen hat. Aber ist das wirklich Kreativität? Oder gehört da noch mehr dazu?

Das Wort Kreativität entstammt aus dem Lateinischen “creare” — “etwas (er-)schaffen”. Das entspricht aber nicht meiner bisherigen Vorstellung von Kreativität: Habe ich es immer als “Imagination” verstanden? Das kommt aus dem Lateinischen “imaginarius” — “nur in der Vorstellung bestehend”. Mit anderen Worten: Wenn man nur Ideen hat und diese nicht umsetzt ist man imaginativ — aber nicht kreativ.

Zu Kreativität gehört also viel mehr: Es geht darum etwas zu unternehmen. Nur so kann Wert geschaffen werden. Imagination an sich ist wertlos.

Warum Kreativität in Zukunft viel wichtiger wird

Letztes Jahr hat das Weltwirtschaftsforum Kreativität als drittwichtigste Fähigkeit genannt, die man braucht, um während der “vierten industriellen Revolution” erfolgreich zu sein. Platz 1 und 2 belegten “complex problem solving” und “critical thinking”. Auch beides Punkte die sehr stark mit Kreativität zusammenhängen.

Wieso ist das so wichtig?
Menschen haben zwei Wege, Arbeit auszuführen: Mit dem Körper und mit dem Verstand.

Während der industriellen Revolution wurden viele der körperlichen Arbeiten automatisiert — insbesondere das Arbeiten in Fabriken. In der Dienstleistungsindustrie, die zumindest in den ökonomisch weit entwickelten Ländern die größte Anzahl an Arbeitsplätzen ausmacht, ist vor allem geistige Arbeit gefragt. Aber auch geistige Arbeiten, die wiederholt nach einem bestimmten Muster oder eine Regel ausgeführt werden müssen (z.B. das Rechnen oder sogar das Autofahren), werden immer weiter automatisiert. Durch kreative Aufgaben, bei denen neue Dinge geschaffen werden, kann der Mensch sich noch klar durchsetzen.

Kreativ werden

Kann man Kreativität lernen? Oder ist das eine angeborene Sache? Ja — Kreativität kann man lernen. Im Buch “The Innovators DNA” hat der Harvard Business School Professor Clayton Christensen seine Funde geteilt: Fünf Fähigkeiten, die die besten Innovatoren teilen.

  1. Associating: Das Verbinden von Fragen, Problemen oder Lösungen aus unterschiedlichen Feldern. Dazu passt Steve Jobs:

“Creativity is just connecting things”

2. Questioning: Das Hinterfragen vom Status Quo. Ist das die richtige, die beste Art, auf die die aktuellen Probleme gelöst werden können?

3. Observing: Wie verhalten sich die Menschen? Wie werden Probleme heute gelöst, wie in der Vergangenheit?

4. Experimenting: Wie reagieren Leute auf neue Lösungen? Was kommt gut an — was nicht?

5. Networking: Leute mit verschiedenen Ideen und anderen Perspektiven kennenlernen. Durch das Zusammenwirken können Wunder entstehen.

Ich habe für mich vor allem den letzten Punkt gespürt: Seit ich viel mehr Zeit mit “kreativen” Leuten verbringe — mit Machern — habe ich das Gefühl, dass ich selbst deutlich mehr neue Ideen habe.

Meiner Erfahrung nach ist gerade das Verarbeiten von Gedanken und Informationen extrem wichtig — gerade im digitalen Zeitalter. Wenn wir ständig nur konsumieren und keine Zeit haben und uns darüber Gedanken zu machen, haben wir auch keine Möglichkeit eigene Ideen zu entwickeln. Weitere Gedanken dazu gibt es auch in meinem Post über die Wichtigkeit des Alleinseins im digitalen Zeitalter.

Kreativität ist also eine Fähigkeit, bei der mehr dazugehört, als einfach Ideen zu haben — es geht darum, Dinge zu erschaffen. Um in der Arbeitswelt der Zukunft Relevanz zu haben, ist es extrem wichtig, diese Fähigkeit zu haben. Und Kreativität kann man sich aneignen: Zum Beispiel mit Hilfe der Punkte von Clayton Christensen, die schon Steve Jobs und Jeff Bezos geprägt haben.

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Kai Lanz
Zukunftsmusik

Berliner, Learner, Co-Founder of krisenchat. Enthusiastic about startups, books, politics,…