Braunschweig: Zu gut für Liga 3 (und 2)

Von der einfachen Buchung bis hin zum Gesamterlebnis — Eintracht Braunschweig hat das Thema “Inklusion” voll auf der Karte und setzt die Messlatte für Barrierefreiheit in Fußballstadien hoch an.

Ich bin Tyll, Fußballfan und Rollstuhlfahrer und dokumentiere hier meine Reise vom Besuch aller 36 Fußballstadien der 1. und 2. Bundesliga in 24 Monaten.

Braunschweig ist nach München und Düsseldorf meine dritte Station.

Getestet wurde am 30.03.2024 im Mittagsspiel der 2. Bundesliga gegen den SV Elversberg, Endergebnis 5:0.

Prolog

Braunschweig gehört definitiv zu den Stadionbesuchen, auf die ich mich mehr freue, als auf andere. Weil Braunschweig eine Stadt ist, die ich andernfalls vermutlich nie aktiv besucht hätte und die mich daher nur positiv überraschen kann. Ansonsten habe ich keine Verbindungen nach Braunschweig und ehrlich gesagt auch kein großartiges Bild von Stadt und Verein (geschweige denn vom Stadion) in meinem Kopf.

Die Infos im Vorfeld

Eintracht Braunschweig stellt auf jeden Fall die wichtigsten Infos bereits im Vorfeld auf der Internetseite bereit. Breit überschrieben mit dem Foto und den Kontaktdaten des Behindertenfanbeauftragten. Das schafft Sicherheit und ein Gefühl der Verlässlichkeit, weil eine solche klar benannte Ansprechperson bei anderen Vereinen (wie beispielsweise dem FC Bayern) eben fehlt.

Neben Anzahl und Lage der Rolliplätze gibt es hier auch einen Service für Sehbehinderte und einen besonderen Service der Stadionbegleitung;

„Eintracht Braunschweig möchte Fans mit Handicap oder anderen Einschränkungen mit Beginn der Saison 2019/2020 den Besuch der Heimspiele im Eintracht-Stadion mit Unterstützung ermöglichen.“

Die Infos sind nicht überschwänglich umfassend, bieten aber einen guten ersten Eindruck. Ich hätte mir vielleicht noch Infos zur Anfahrt, zu Hinweisen auf dem Stadiongelände und im Stadion gewünscht (dass ich mich zum Beispiel im Stadion leider nicht selbstständig mit Essen oder Trinken versorgen kann, hätte ich im Sinne einer guten Planung des Besuches zum Beispiel gerne im Vorfeld gewusst).

Sehr lohnend ist ein Blick in den Bundesliga-Reiseführer, den Braunschweig auch verlinkt, der dann viele weitere Infos bereit hält:

“Die Plätze für Fans im Rollstuhl sind komplett überdacht. An jedem Platz ist eine Steckdose, die zum Laden eines E-Rollis genutzt werden kann. In der kalten Jahreszeit können sich Fans im Rollstuhl entweder eine Thermodecke oder eine elektrische Heizdecke (begrenzte Anzahl) ausleihen. Für Notfälle steht ein Faltrollstuhl zur Verfügung und kann geliehen werden.”

Zur Verpflegung finde ich hier zwar auch nichts, in der Regel ist man ja aber auch mit einer mobileren Begleitung unterwegs, die das dann für einen übernehmen kann. Zumindest Anreise und Stadionplan sind hier gut sichtbar.

„Die Plätze für Fans im Rollstuhl sind komplett überdacht.“ heißt es im Reiseführer.

Ob die Plätze hingegen wirklich komplett überdacht sind, konnte ich bei meinem Besuch bei bestem Sonnenschein zwar nicht testen, würde ich aufgrund der Nähe zum Spielfeld und der wenig überstehenden Überdachung aber zumindest einmal bezweifeln.

Ein Bild des gering überstehenden Stadiondaches in Braunschweig
Wie sehr dieses Dach vor der Witterung schützt, konnte ich aufgrund des Sonnenscheins nicht bewerten, würde aber nicht von einer vollständigen Überdachung sprechen.

„Die Karten für Rollstuhlfahrer können an allen bekannten Vorverkaufsstellen erworben werden“ heißt es auf der Seite von Eintracht Braunschweig, ein Satz, der runtergeht wie Öl!

Das Shearepic zu den Infos mit einem Foto des Braunschweiger Busses sowie einem Stadionplan; vier von fünf Punkten gibt es für die Infos im Vorfeld

Die Buchung

Die Buchung ist immer wieder eine besondere Geschichte (so auch im nächsten Stadionbesuch! 👀) und eines der Anlässe, warum ich dieses Projekt überhaupt gestartet habe; Kontingente und Verfügbarkeiten sind oft unklar, spontan sein geht gar nicht, häufig muss man irgendwo anrufen, manchmal sogar kostenpflichtig, meistens sogar noch weit im Vorfeld einen Account erstellen und diesen zusätzlich für die Rolli-Platz-Buchung separat freischalten lassen und die Möglichkeit, Restkarten oder einen Zweitmarkt zu nutzen, gibt es kaum.

Eintracht Braunschweig jedoch wirbt mit dem oben benannten Satz, der mich erst einmal hellhörig werden ließ.

Also auf zum Online-Shop! Und tatsächlich: Ich kann hier, wie jeder andere auch, mein Ticket ganz regulär kaufen! Ich kann im Stadionplan hin und her navigieren, unter Kategorien einen Rollstuhlplatz finden und dann sogar den einzelnen freien Platz auswählen. Das wirkt wie eine Kleinigkeit und ist für viele Fans, die nicht darauf angewiesen sind, wahrscheinlich nicht verständlich, aber meine Karten so buchen zu können, ist das schönste Gefühl überhaupt. Ich kann spontan entscheiden und Tag und Nacht nachschauen, ob es noch Tickets gibt, ich kann mit allen gängigen Bezahlarten bezahlen und muss nicht in einem windigen Formular meine Kreditkarten-Daten übermitteln, ich bekomme mein Ticket als E-Ticket; wie jeder andere auch!

Das i-Tüpfelchen ist dann, wenn man regulär über das System bucht, dass man auch die Spieltagsinformation im Vorfeld bekommt. Wirkt womöglich ebenfalls lapidar, aber das ist das erste Mal seit langem, dass ich mich bei einem Ticketkauf „normal“ gefühlt habe.

Im Hintergrund, ein Blick ins Impressum verrät es, steht ein System, welches von Eventim bereitgestellt wird. Ironisch! — ist doch gerade Eventim meiner Erfahrung nach ein Anbieter, der bei den eigenen Events Rollstuhlfahrern immer noch große Steine in den Weg zur erfolgreichen und einfachen Buchung legt. Aber darum soll es hier nicht gehen. Ich konnte also schnell einen der noch wenig verfügbaren Plätze auswählen und erhielt sogleich die Bestätigung.

Sicherlich, wie ich in persönlichen Gesprächen erfuhr, ist auch dieses System im Hintergrund nicht perfekt, aber für mich als Fan und Kunden im Rollstuhl ideal.

Braunschweig hält es hier, wie mittlerweile viele andere auch, mit der Verifizierung der Berechtigung so, dass man erst beim Eingang ins Stadion nachweisen muss, dass man die entsprechende Berechtigung zum Erwerb in dieser Kategorie hat (in meinem Falle als Rollstuhlfahrer ist dies offensichtlich und so können auch Menschen, die nach einem Unfall oder Verletzung vielleicht temporär im Rollstuhl sitzen und keinen Ausweis haben, davon Gebrauch machen, super!).

Ob es hingegen zu Missbrauch kommen kann, was andere Veranstalter bei dieser Diskussion immer ins Feld führen, kann ich an dieser Stelle natürlich nicht abschließend festhalten (was ich damit meine: Ticketkauf der Kategorie “Rollstuhlfahrer”, ohne selbst bedürftig zu sein, und sich dann einen anderen Platz im Stadion suchen).

Für alle Menschen, die sich unberechtigt an Rolli-Karten bedienen, ist aber ohnehin ein besonderer Platz in der Hölle reserviert!

Bis dahin von mir 5 von 5 Punkten für Braunschweig in Sachen Ticketkauf.

Das Sharepic zur Buchung mit einem Screenshot des einfachen Buchungssystems. Es gibt nichts negatives, daher 5/5 Punkten

Barrierefreiheit

Natürlich ist das Eintracht Stadion (geiler Name übrigens) nicht von den Bedingungen und Größen einer 75.000er-Arena gebeutelt. Manchmal hat es eben auch Vorteile, kleiner zu sein.

Rund zwei Stunden vor dem Spiel konnte ich ganz entspannt mit der Straßenbahn von der Innenstadt zum Stadion fahren, dort angekommen, ist alles auf einer Ebene; Fanshop, Verpflegungsstand vor dem Stadion und Eingang.

Es gibt einen barrierefreien und breiten Eingang auf das Gelände, der mit zwei Ordner*innen ausgestattet ist. Leider ist dieser Eingang jedoch nur vorne mit einem kleinen Pfeil ausgeschildert, sodass dem neuen Gast nicht sofort auf Anhieb klar ist, dass er hier richtig ist.

Zu meinem Platz sollte ich dann über den Eingang „Nord“, allerdings war der Platz davor abgesperrt. Ich habe mich also, auch weil gerade der Mannschafts-Bus kam, den ich fotografieren wollte, Richtung Süd aufgemacht. Dort wurde ich auch gleich von Patrick, dem Behindertenfanbeauftragten, abgefangen und unter der Haupttribüne hindurch zu meinem Platz gelotst. Die Aufmerksamkeit und persönliche Ansprechbarkeit, wie oben beschrieben, ist hier wirklich etwas Besonderes, auch wenn es natürlich extra barrierefrei gewesen wäre, wenn der Weg sofort klar und eigenständig bewältigbar wäre.

Über eine kleine Rampe geht es dann zu den Rolliplätzen, die vor dem eigentlichen Block liegen. Dadurch kommen hier wirklich nur berechtigte Personen durch und es handelt sich nicht um einen Durchgangsblock. Außer ein paar Ordnern, die regelmäßig vor einem durchlaufen, hat man also freie Sicht aufs Spielfeld.

Ganz ideal wäre es, wenn die Rollis vorne stünden und die Ordner hinten lang gingen, dann wäre man aber weiter von seiner hinter einem sitzenden Begleitperson entfernt und alle E-Rollis könnten natürlich erschwerter Gebrauch von den Steckdosen machen. Insofern musste man hier eine Entscheidung treffen, deren Ergebnis zumindest nachvollziehbar ist.

An der Seite gibt es dann zwei barrierefreie und geräumige Toiletten, die gut nutzbar sind und zu den richtigen Zeiten auch absolut ausreichen für die, wie ich das verstehe, rund 30 Rolliplätze pro Seite.

Ich habe mich hier noch mit Patrick unterhalten können, der auch eine gute Präsenz und persönliche Repräsentanz dargestellt hat — das war sehr angenehm.

Einziges Manko, was hier anzubringen wäre, ist, dass man, wie oben beschrieben, sich als Rollstuhlfahrer leider nicht selbstständig verpflegen kann, da die entsprechenden Stände oberhalb des Blockes sind, wo man als Rollstuhlfahrer eben nicht selbständig hin kommt. Da man von der Nordseite der Westtribüne auch einen langen Weg vor das Stadion hat, muss man sich im Vorfeld gut eindecken oder eben eine Begleitperson dabei haben, die man losschicken könnte, um Besorgungen zu machen.

Das Sharepic zur Barrierefreiheit mit einem Foto einer kleinen Ausschilderung zum Eingang und einem Foto mit Blick aufs Spielfeld; 4 von 5 Punkten

Aktuell hat Eintracht Braunschweig laut DFL-Reiseführer 60 Rollstuhlfahrer-Plätze und damit mehr, als die von der DFL empfohlenen 50 Plätze bis zu einer Kapazität von 30.000 (das Stadion hat aktuell eine Gesamt-Kapazität von 25.000 Menschen; zu den Hinweisen siehe im Dokument Seite 36); laut der MVStättVO müssten es jedoch 150 Plätze sein (siehe ebd., “Barrierefrei im Stadion”, S.35), von den UEFA-Anforderungen müssen wir in diesem Falle nicht reden, das der Verein weit von internationalen Spielen entfernt ist.

Gesamterlebnis

Alles in allem kann ich ein überaus positives Gesamterlebnis zeichnen. Die Buchung ist einfach, die Stimmung in der beschaulichen Stadt und am Stadion ist familiär und persönlich. Man fühlt sich zu allen Zeiten gut aufgehoben, was natürlich auch durch die persönliche Präsenz von Patrick (weiterhin der Behindertenfanbeauftragte) an allen Orten, begonnen bei der online Information vorab, liegt.

Die Plätze sind durchdacht, bieten zusätzliche Services wie Steckdosen und Decken im Winter und eine tolle und beinahe störungslose Sicht aufs Spielfeld. Während des Spiels gab es dann noch einen Gutschein für ein Getränk und einen kleinen Schokoosterhasen als Geschenk, was das oben beschriebene Gefühl nur verstärkt. Zwar kann man sich nicht selbst verpflegen, aber ich bin sicher, im Notfall gäbe es hierfür eine gute Lösung.

Epilog

Ich konnte mich auch mit Simon aus dem Braunschweiger Marketing unterhalten, der meine Berichte ebenfalls verfolgt und mir als kleine Begrüßung einen Eintracht Schal zukommen ließ. Er sei an dieser Stelle herzlich gegrüßt, alle Berichte und Einschätzungen habe ich natürlich dem zum Trotz unvoreingenommen und so realistisch geschildert, wie ich es an diesem Tage erlebt habe.

Simon hat mich aber auch nochmal auf die allgemeinen Bemühungen des Vereins hingewiesen, so gibt es drei vorproduzierte Videos, die im Stadion gezeigt werden, die auch mit Gebärdensprache bereits ausgestattet sind und alle Fans somit barrierefrei begrüßen. Natürlich ist auch hier nicht nicht alles perfekt, aber man tut bereits viel, um ein ganzheitliches Erlebnis für alle Fans zu ermöglichen und das spürt man auch!

Auch die eigene App, so verriet mir Simon, habe man zusammen mit dem Dienstleister so gestaltet, dass sie möglichst barrierearm sei, zusammen mit Hinweisen von Fans sei man immer wieder dabei, diese weiter zu verbessern und alle Infos für regelmäßig wiederkehrende Fans so zu bündeln, dass jede und jeder diese nutzen könne.

Sowas darf man gerne auch auf der Webseite darstellen finde ich. Ebenso wie die Präsenz des Fanclubs „Eintracht Inklusiv“. Klar, offiziell hat dieser vermutlich nicht viel mit dem Verein zu tun, aber da dieser, wie mir scheint, sehr präsent ist, viel macht, in alle Behinderungsbilder und die Stadt hinein wirkt, könnte man auch diesen prominenter platzieren. Vor allem, da der Behindertenfanbeauftragte hier auch häufiger Gast in den eigens produzierten Beiträgen und Podcasts ist und selbst wiederum durch ein Mitglied des Fanclubs bei seiner Arbeit unterstützt wird.

In diesem Sinne ist Braunschweig eben wahrhaftig zu gut für die dritte Liga, in die der Verein aktuell abzurutschen droht — und gehört, gemessen an der erlebten Barrierefreiheit, definitiv in Liga 1; alles gute für den Rest der Saison!

Eintracht Braunschweig führt die Gesamttabelle mit 18 Punkten vor Düsseldorf und München an

Du hast auch eine Behinderung und möchtest Deine Stadionerfahrung aus dem Eintracht Stadion oder anderen Stadien teilen?

Dann melde Dich gerne bei mir!

Wenn Du mich suchst, dann findest Du mich hier:

weitere Infos für die Barrierefreiheit bei Eintracht Braunschweig:

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Nickfried - BehindertNichtDenFußball
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