Fiat-Geld: Eine ehrliche Bestandsaufnahme

janpaul
Aprycot Media
Published in
6 min readMay 4, 2020

Bitcoin für Skeptiker, Teil I

(Übersetzung von “An Honest Account of Fiat Money” von Hasu und Su Zhu)

Image credit: Pexels

Diskussionen über Bitcoin beginnen meistens mit der Annahme, dass Fiatgeld ganz furchtbar und überhaupt gegen den Willen des Volkes sei. Wir denken, dass Diskussionen über Geld und Bitcoin damit beginnen sollten, erstmal das Gute wie das Schlechte des Fiatgeld-Systems anzuerkennen.

Bitcoin übt eine immense Anziehungskraft auf Kritiker des gegenwärtigen Fiatgeld-Systems aus. Die meisten Bitcoiner sind Verfechter von “hartem Geld” — sie bevorzugen ein Geld, das nicht von einer zentralen Partei erschaffen und zerstört werden kann; sie bevorzugen eine verbindlich festgelegte oder wenigstens vorhersagbare Geldmenge (wie bei Gold) an Stelle einer Geldmenge, die von einer Regierung kontrolliert werden kann.

Es kann nicht geleugnet werden, dass souveränes Geld schon viel zu oft missbraucht wurde; deutlich erkennbar in den vielen Fällen von Hyperinflationen, willkürlichen Konfiszierungen oder Kapitalverkehrskontrollen. Aber das Fehlen jeglicher Kontrollmöglichkeiten bringt seine eigenen Probleme mit sich. Ein gutes Beispiel sind die Euroländer, die eine monetäre Union ohne eine fiskalische Union eingegangen sind. Das Ergebnis ist eine Währung, die Export-orientierten Ländern wie Deutschland viele Vorteile bringt, während Netto-Importeure wie Griechenland und Portugal darunter leiden.

Fiat ist unübertroffen zweckmäßig, wenn ein Volk für sein Land monetäre Souveränität wünscht. Gibt man aber die Kontrolle über das Geldangebot an eine auswärtige Institution ab (indem man sich zum Beispiel an ein Asset wie Gold oder Bitcoin bindet, das nicht kontrollierbar ist), nimmt man sich die Möglichkeit, durch maßgeschneiderte monetäre und ökonomische Konzepte den Bedarf nach Geld in der Wirtschaft zu bedienen.

Vorteile eines souveränen Geldes

Befürworter von Fiat vertreten, dass jedes Land seine eigenen wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen hat, die jeweils individuelle Lösungen brauchen. Aus diesem Grund sind das Vereinigte Königreich, Norwegen und Schweden nie dem Euro beigetreten und die meisten südeuropäischen Länder bereuen diesen Schritt heute.

Monetäre Souveränität bringt für die Länder bestimmte Vorteile mit sich:

  1. Die Regierung kann durch das Drucken von mehr Geld große soziale Projekte und Leistungen leichter finanzieren, was den Bezugsberechtigten in einem solchen Wohlfahrtsstaat zugute kommt.
  2. Die Regierung kann relativ einfach Geld aus dem Verkehr nehmen oder Vermögen einfrieren, was gut ist für die Kriminalitätsbekämpfung (die meisten sind ja keine Kriminellen, wollen aber vor Verbrechen geschützt werden).
  3. Die Regierung kann die Fiat-Liquidität steuern, um die Wirtschaft im Notfall anzufeuern oder um Konjunkturzyklen zu glätten.
  4. Die Regierung kann ihre Währung stabil gegen eine Warenkorb aus Gütern und Dienstleistungen halten, um seine Nutzbarkeit in der Wirtschaft zu verbessern.
  5. Länder können ihre Währung im internationalen Handel entwerten, um ihre Exporte zu stärken und ihr Handelsdefizit zu reduzieren.

Umstrittene Inflation

Weil Regierungen dazu neigen, mehr Geld zu drucken als zu vernichten, verliert Fiatgeld über längere Zeit gesehen gegenüber allen anderen Vermögenswerten an Wert. Und weil neues Geld zu drucken keinen neuen Wohlstand schafft, kann das Privileg, neues Geld als erster ausgeben zu können (Seignorage), als eine implizite Steuer für alle anderen Besitzer von Geld angesehen werden. Dass es immer ein wenig Inflation gibt, ist keineswegs nur ein Nebeneffekt von Fiatgeld, sondern ein von den Zentralbanken pro-aktiv verfolgtes Ziel.

Inflation setzt Anreize für Firmen und Privathaushalte, in produktive Unternehmen zu investieren, und hilft den Regierungen dabei, ihre zukünftigen Verbindlichkeiten zu bedienen: die nominalen Schulden werden mit der Zeit leichter zu begleichen, wenn die Geldeinheiten nach und nach an Kaufkraft einbüßen. Es ist auch eine hervorragende Methode, um die Schattenwirtschaft zu besteuern, insbesondere in Ländern, in denen nur wenige die Steuergesetze beachten und Besteuerung schwierig ist (denken sie an Indien, große Teile Afrikas und Südamerikas).

Ist Fiat unausweichlich?

Besteuerung durch Inflation ist mehr als bloß ein Werkzeug zur Umverteilung des Wohlstandes in einer Wirtschaft. Sie kann auch eingesetzt werden, um sich einen Vorteil im internationalen Wettbewerb zu schaffen. Wenn China durch Drucken von Geld unendlich viele Ressourcen für ihre militärische Aufrüstung bereitstellen könnte, während die USA die Mittel für sein Militär nur durch Besteuerung einnehmen könnte, würde dies in einem für die USA aussichtslosen Kampf enden. In einem solchen Szenario würde China sich durch die implizite Besteuerung Geld von seinen Bürgern leihen, dieses Geld würde aber in die Wirtschaft mit der Beute eines gewonnenen Kriegs zurückfließen.

Die Sorge der Hartgeld-Befürworter, dass eine Abschaffung des Gold-Standards zu mehr und anhaltenden Kriegen führt, ist nicht unbegründet, aber wir müssen uns die Situation eher wie ein Abschreckungsszenario vorstellen. Es mag zwar für die Welt im Ganzen besser sein, einen Hartgeld-Standard zu haben (oder keine Atombomben zu haben), aber das Gleichgewicht wäre instabil: sobald sich nur einer dazu entschließt, den aktuellen Gleichgewichtszustand zu verlassen, zwingt er alle anderen dazu, es ihm gleich zu tun, und ein neues, minderwertiges Gleichgewicht herzustellen.

Eine weitere Parallele ist der Aufstieg der Nationalstaaten, die sich schon bald als militärisch stärker als die Feudalstaaten erwiesen, da deren Herrscher nationale Armeen auf die Beine stellen konnten. Die sich neu formenden Nationalstaaten dominierten alle anderen politischen Herrschaftsformen, was die verbliebenen Akteure dazu zwang, sich in Nationalstaaten zu zentralisieren.

Fundamentale Probleme

Auch wenn das Fiat-System viele Vorteile mit sich bringt, sind doch in den vergangenen Jahrzehnten einige fundamentale Probleme zu Tage getreten. Denn wenn man sein Geldangebot flexibel halten möchte, muss man auch entscheiden, wer es managen darf.

In unserem System haben Zentralbanken und Regierungen die Schöpfung und Vernichtung von Geld an kommerzielle Banken ausgelagert. Neues Geld wird erschaffen, wenn diese Banken Kredite auf einem Darlehenskonto gutschreiben, ohne dabei jemand anderes zu belasten. Für die Verbindlichkeiten gegenüber ihren Kunden müssen sie nur einen Bruchteil an tatsächlichen Einlagen in ihren Büchern haben. Das nennt man das Mindestreserve-Bankwesen.

Leider führt es dazu, dass die wichtigsten Funktionen eines Finanzsystems, die da sind

  1. Zahlungen zu ermöglichen,
  2. Investments/Kredite zu vermitteln,
  3. Absicherungen anzubieten,

hoffnungslos ineinander verwickelt sind. Wenn zu viele Kreditnehmer mit ihrer Tilgung in Verzug geraten, könnte das ganze System inklusive des Zahlungsverkehrs zusammenbrechen, und dann auch Kunden betreffen, die zu keiner Zeit zugestimmt hatten, dass ihre Einlagen für solch riskante Investments verwendet werden dürfen.

Es führt auch zu einer Entkoppelung von Risiko und Belohnung im Finanzsektor. Wenn auf der Bilanz, auf der auch das Zahlungssystem und weitere kritische Bestandteile unserer Finanzinfrastruktur beruhen, gezockt werden darf, dann rutschen Regierungen schnell in die Verpflichtung, Banken zu retten, die wegen ihrer riskanten Darlehensaktivitäten in Schwierigkeiten geraten sind. Das wiederum veranlasst die Banken zu noch riskanterem Verhalten, denn sie wissen, dass größere Volatilität ihre Gewinne erhöhen kann, aber ihre möglichen Verluste begrenzt sind.

Ein neuer Gedankenaustausch über Geld

Befürworter von Fiat werden zugeben, dass wir fundamentale Probleme in unserem gegenwärtigen Finanzsystem haben. Es gibt systemkritische Unternehmen, die nicht pleite gehen dürfen, weil die verschiedenen Bestandteile des Systems eng miteinander verzahnt und nicht modular sind. Eine Krise in einem Teil des Systems kann schnell in den Rest der Wirtschaft hinüberschwappen und das ganze System gefährden. Das ist sicher nicht die beste Architektur für eine globale kritische Infrastruktur.

Das ist mein bevorzugter Ausgangspunkt für das Nachdenken über Bitcoin. Es geht um mehr als „Fiat vs. Hartgeld“. Befürworter von Bitcoin sind angetrieben von dem gemeinsamen Interesse zu erforschen, wie wir ein Geld für eine bessere Gesellschaft entwickeln können. Und davon, wie wir das globale Finanzsystem stabiler und breiter aufstellen können. Die Erfinder von Bitcoin sahen keine Möglichkeit, wie sie einen Beitrag zum Stopfen der Löcher im aktuellen Finanzsystem leisten können, denn mächtige Platzhirsche haben ein großes Interesse daran, den Status Quo aufrecht zu erhalten. Also erfanden sie einfach eine Konkurrenz.

Aber es ist nicht der Versuch einer feindlichen Übernahme. Bitcoins Ziel ist es nicht, zu zerstören, sondern uns Freiheit und eine Wahlmöglichkeit anzubieten. Es kann dabei eine Diskussion auslösen über das Wesen des Geldes und seine Schlüsselrolle in unserer Gesellschaft.

Teil II finden sie hier: Bitcoins Gesellschaftsvertrag

Dieser Artikel ist Teil der Artikel-Serie “Bitcoin für Skeptiker”.

Danksagung
Danke an Nic Carter, Ataraxia Invest und Joe Kendzicky für ihr Feedback.

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