In Bitcoin investieren

janpaul
Aprycot Media
Published in
10 min readMay 15, 2020

Bitcoin für Skeptiker, Teil IV

Übersetzung von “Investing in Bitcoin” von Su Zhu und Hasu

In unserem Blog schreiben wir selten über den Preis, aber heute werden wir eine Ausnahme machen und zeigen, wie man Bitcoin mit einem einfachen Modell bewerten kann. Wir werden drei signifikante globale Trends herausarbeiten und aufzeigen, wie jeder einzelne davon zu einer steigenden Nachfrage nach einem neutralen, privaten Geld führen könnte.

Wie man Bitcoin bewertet

Wenn der Zeithorizont ausreichend groß ist, ist die Bewertung von Bitcoin relativ einfach. Der Markt findet einen Preis anhand von verfügbarem Angebot und Nachfrage. Wenn mehr Menschen Bitcoin kaufen als verkaufen möchten, geht der Preis nach oben — und umgekehrt. Für die meisten Güter gilt, dass ein steigender Preis die Hersteller dazu bewegt, mehr von dem Gut herzustellen, was den Preis letztlich wieder nach unten drückt. Analog führt ein sinkender Preis zu einer Reduzierung der Angebotsmenge, was wiederum den Preis nach oben treibt. Das führt dazu, dass die meisten Güter relativ preisstabil nahe bei den Produktionskosten zu kaufen sind.

Bitcoin hat eine fixierte Angebotsmenge. Es wird einmal 21 Millionen Einheiten geben und wir wissen zu jeder Zeit, wie viele existieren. Der Markt kann zwar versuchen, “Ersatzgüter” zu schaffen (andere Kryptowährungen mit ähnlichen Eigenschaften), um die Angebotsseite zu vergrößern. Wir gehen auch fest davon aus, dass dies (weiterhin) passieren wird; aber Geld hat einen immensen “Markenwert” in der Form von Netzwerk-Effekten, Liquidität und Integration in eine existierende Finanz-Infrastruktur. Das Angebot an Bitcoin ist demnach nicht gänzlich unelastisch bei Änderungen auf der Nachfrageseite, aber sicher viel weniger elastisch als andere Güter. Das bedeutet, dass die bestehenden Besitzer die möglichen Gewinne einfahren, und nicht die Hersteller von Ersatzgütern.

Das Ergebnis der Multiplikation aller Bitcoins mit ihrem Preis nennt man die Marktkapitalisierung. Die Marktkapitalisierung von Gütern wie Fiat-Währungen, Immobilien, Aktien oder Rohstoffen gibt uns einen Einblick darin, wie viel Wert die Menschen zu jedem gegebenen Zeitpunkt in diesen Gütern speichern. Bitcoins Marktkapitalisierung beträgt 80 Mrd. US-Dollar, was klein ist im Vergleich zum potenziellen Zielmarkt, den Bitcoin anvisiert:

  • US Dollar-Banknoten im Ausland: etwa 1 Billionen US-Dollar, darunter mehr als 75% aller existierenden 100 Dollar-Banknoten (Quelle)
  • Globale Geldbasis: 19,6 Billionen US-Dollar (Quelle)
  • Gold als Investment: etwa 1,1 Billionen US-Dollar in privater Hand (ohne Schmucksachen) und 1,3 Billionen US-Dollar in der Hand von Zentralbanken (Quelle)

Da die Angebotsseite von Bitcoin (und seiner Ersatzgüter) weniger auf Änderungen auf der Nachfrageseite reagiert, erwarten wir, dass eine steigende Nachfrage sich in einem höheren Wechselkurs niederschlagen wird. Wir sehen dabei drei primäre Quellen für die zukünftige Nachfrage.

Die Nachfrage nach digitalem Bargeld

90% allen Geldes heutzutage existiert nur noch virtuell. Es wird geschaffen, wenn jemand einen Kredit aufnimmt, und lebt von da an auf einem Bankkonto — bis die Schuld beglichen und das Geld vernichtet ist, oder es als Bargeld abgehoben wird.

Der zunehmende Trend weg vom physischen Bargeld hin zu digitalem Zahlungsverkehr ist nachvollziehbar. Geld hat die lästige Eigenschaft, dass man sich für einen Tausch an ein und demselben Ort einfinden muss. Die meisten von uns werden heute digital für ihre Arbeit bezahlt; wenn man dann in Bargeld bezahlen möchte, muss man ständig sein Portemonnaie wieder auffüllen.

Länder, die den Gebrauch von Bargeld vollständig aufgegeben haben, nennt man “bargeldlos”. Dies kann ohne Zwang geschehen, wie in Schweden. In Ländern wie zum Beispiel Indien hat die Regierung Geldscheine mit hoher Denominierung aus dem Verkehr gezogen. In China dienen digitale Zahlungen als Instrument der sozialen Kontrolle und bilden das Rückgrat eines neuartigen Sozialkredit-Systems.

Zentralbanken auf der ganzen Welt sind begeistert von der Idee negativer Zinsen — der ultimative heilige Gral monetärer Kontrolle. In einer bargeldlosen Gesellschaft können sie die Bankkonten der Bevölkerung unmittelbar besteuern, mit der Absicht jeden Anreiz zum Sparen zu untergraben und “gesamtwirtschaftliche Ausgaben” in Form von Konsum und Investitionen zu fördern.

Digitale Zahlungen sind sehr effizient und bequem, aber wenn man die Eigenschaften einmal genauer unter die Lupe nimmt, sind sie nicht “Geld”, wie es unsere Eltern und deren Eltern noch kannten. Es ist eine neue Form von Geld mit ganz konkreten Abstrichen. Digitale Zahlungen ziehen ihre Effizienzgewinne aus der Einbindungen einer dritten Partei, der bei allen Zahlungen vertraut werden muss. Diese dritte Partei führt ein zentrales Kontenbuch, das sie ganz leicht aktualisieren kann, wenn sie dazu aufgefordert wird. Das Arrangement kommt aber nicht ohne Nachteile: Der Intermediär beobachtet alle finanziellen Aktivitäten, kann unliebsame Transaktionen verweigern oder auch Geldmittel konfiszieren.

Bargeld hingegen wird direkt zwischen Menschen ausgetauscht (peer-to-peer). Die Transaktionen sind erlaubnisfrei, privat und unmittelbar final (man kann sie nicht nachträglich umkehren).

Je mehr wir uns auf die finanziellen Intermediäre verlassen müssen, desto wichtiger ist die Kontrolle über sie. Heute hat eine kleine Zahl von Zahlungsdienstleistern einen überproportional großen Einfluss darauf, zu definieren, was online gesagt werden darf und welche Geschäfte erlaubt sein sollen. Geld ist der Lebenssaft der Wirtschaft — wem der Zugang zu den Zahlungsdienstleistern abgeschnitten ist, verliert seine Autonomie und hat eigentlich keine Chance, sein Geschäft zu betreiben.

Mit jedem Jahr geht die Welt weitere Schritte in Richtung “bargeldloser” Gesellschaften. Unserer Meinung nach ist der Grund dafür, dass die Vorteile digitaler Zahlungen für die Nutzer unmittelbar spürbar sind, während die Nachteile so lange verborgen bleiben, bis es zu spät ist. Das globale Angebot an physischem Bargeld wird deshalb weiter sinken. Das Sinken der Bargeldmenge spiegelt aber nicht den tatsächlichen Bedarf nach Bargeld wider. Regierungen, Zentralbanken und große Konzerne haben ein Interesse daran, die bargeldlose Gesellschaft zu befördern (auch wenn es nicht alle tun), während Bargeld kein koordiniertes kommerzielles Interesse hinter sich hat. Der tatsächliche Bedarf an Bargeld ist so lange nicht korrekt widergespiegelt, wie auf die finanziellen Intermediäre Verlass ist, was aber ganz sicher nicht auf ewig garantiert ist. Bargeld scheint so unnötig zu sein wie eine Feuerversicherung — bis es brennt.

Bitcoin ist die erste und einzige Form von Geld, das bargeld-ähnliche Eigenschaften bietet und zudem digital gespeichert und transferiert werden kann. Wenn Regierungen kein physisches Bargeld mehr drucken, könnte die Nachfrage nach einem Asset mit bargeld-ähnlichen Eigenschaften über alle Maßen steigen und nach einem Ventil suchen — Bitcoin ist hier in der einzigartigen Position, genau dies anzubieten.

Die Nachfrage nach einem globalen, neutralen Zahlungsnetzwerk

Digitale Zahlungen funktionieren gut für Parteien, die einen vertrauenswürdigen Mittelsmann haben. Seit dem zweiten Weltkrieg waren die USA für den Großteil der entwickelten Welt dieser vertrauenswürdige Mittelsmann. In letzter Zeit haben sich die USA aber geneigt gezeigt, das Finanzsystem als Waffe ihres politischen Willens einzusetzen (indem sie als Teil ihrer Sanktionsmaßnahmen die SWIFT unter Druck setzten, Russland und Iran auszusperren). Die Verbündeten der USA haben diese Maßnahmen nicht gut geheißen.

Die politische Stimmung in vielen Ländern wendet sich gerade dem Isolationismus zu, in Europa (Brexit, Revolten in Frankreich) wie in den USA (Handelskrieg mit China; die Drohung, das Atomwaffen-Abkommen mit Russland aufzukündigen). Die Soft Power-Institutionen unter der Führung der USA wie Weltbank, Internationaler Währungsfond und Welthandelsorganisation verlieren zunehmend an Einfluss. Sie waren eines der wichtigsten Werkzeuge der USA, um Macht und Einfluss in der Welt zu sichern. Ihre Entmündigung wird ein Machtvakuum und mehr Unsicherheit hinterlassen. Wir glauben, dass wir derzeit den Übergang von einer Welt mit einem vertrauenswürdigen Beschützer und Intermediär zu einer multipolaren Weltordnung erleben.

Wenn die Spannungen zwischen den Weltmächten zunehmen, wird gleichzeitig die Bereitschaft schwinden, einer finanziellen Infrastruktur unter fremder Kontrolle vertrauen zu müssen. Das fördert die Nachfrage nach einem finanziellen Netzwerk, das nicht unter der Kontrolle einer einzelnen Partei steht, sondern politisch neutral ist. Zensur, auch online, nimmt immer weiter zu. Chinas Internet ist fast vollständig vom Rest der Welt abgeschnitten, und Russland plant, es China gleich zu tun.

Bitcoin erfüllt die Anforderung, neutral und zensurresistent zu sein. Während in der Vergangenheit noch illegale Aktivitäten ein Zuhause bei Bitcoin fanden (Silk Road und Wikileaks), könnte die Welt sich schon bald der Vorteile der Zensurresistenz bewusst werden und sie als eine positive Eigenschaft ansehen, die nicht mehr “nur für Kriminelle” nützlich ist.

Die Nachfrage nach einer Absicherung gegen den Zusammenbruch des gegenwärtigen Systems

Viele Menschen sind besorgt über die hohe Verschuldung der Weltwirtschaft und unseres Finanzsystems. Die Schuldenstände von Verbrauchern und Staaten sind, relativ zum BIP, so hoch wie noch nie, während die Zinsen, insbesondere in Europa und Japan, bei Null liegen. Wenn die Wirtschaft mal wieder abkühlt, haben die Zentralbanken nicht mehr viele Mittel an der Hand, um die Schmerzen zu lindern und die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Darüber hinaus hat eine umfassende Verschiebung in den Demographien dafür gesorgt, dass sich in naher Zukunft eine massive Lücke zwischen den Verbindlichkeiten einer Regierung und seinen Steuereinnahmen auftun wird. Die US-Regierung beispielsweise hat nicht nur Staatsschulden in Höhe von 20 Billionen US-Dollar, sondern etwa zehnmal so viel an inländischen Verbindlichkeiten in der Form von Renten- und anderen Leistungsansprüchen. Nicht wenige glauben, dass es in dieser Situation nur eine Möglichkeit für die Bezahlung der Schulden gibt: den US-Dollar vor die Hunde gehen zu lassen und zu entwerten, um wenigstens die nominalen Verbindlichkeiten zu erfüllen.

Zugegebenermaßen ist das ein Szenario wie der Tag des jüngsten Gerichts und es macht nicht wirklich Freude, darüber nachzudenken. Aber es ist eine Realität, die Investoren ins Auge fassen müssen. Traditioneller Weise war Gold der Anker, nach dem Investoren bei ihrer Flucht aus Fiat-Währungen griffen. Aber Gold ist bereits zum großen Teil von Regierungen in Besitz genommen, so dass es schwierig geworden ist, es zu sichern und in die Heimat zurückzuführen — was manche Länder heute schmerzlich erfahren müssen. Wir glauben, dass Bitcoin auf absehbare Zeit zum Geld der Internet-nativen Generation werden kann und seinen Platz als Absicherung gegen den Zusammenbruch von Regierungen und Zentralbanken einnehmen wird.

“Bitcoin als Versicherung für den Tag des jüngsten Gerichts” ist ein Narrativ, das zunehmend an Fahrt gewinnt und das heute sogar von Skeptikern wie Ken Rogoff als primärer Anwendungsfall von Bitcoin angeführt wird. Je mehr Menschen besorgt sind über die systemischen Risiken, desto mehr könnte der Bedarf nach Bitcoin als “Versicherungs-Police” steigen.

Dass Bitcoin heute schon tatsächlich als Ausweg aus schwachen lokalen Währungen verwendet wird, kann man in Venezuela und anderen süd- und mittelamerikanischen Staaten beobachten, wo Bitcoin “auf der Straße” zunehmend als Alternative zum US-Dollar wahrgenommen wird. Eine kürzlich erschienene Studie mit globalen Daten von der peer-to-peer-Börse LocalBitcoins fand heraus, dass “im vierten Quartal 2018, als der Preis von Bitcoin und das Interesse daran eine Flaute erlebten, LBC in 23 Ländern seine bisher besten Quartalsergebnisse erzielen konnte. Fast alle diese Länder waren Entwicklungsländer.”

Der US-Dollar ist immer noch die am meisten gefragte Schwarzmarkt-Währung, aber Bitcoin ist für manche Verwendungen einfach besser geeignet, was es für die Menschen in Entwicklungsländern zu einer attraktiven Alternative macht. Es ist leichter vor Konfiszierung zu schützen (indem man ein Brain Wallet benutzt) und digital transferierbar — insbesondere beim Überschreiten von Landesgrenzen. Skeptiker von Bitcoin scheinen zu vergessen, dass der Währungswettbewerb wie das Wegrennen von einem Bären ist — man muss nur den langsamsten seiner Freunde hinter sich lassen. Bitcoin, in seiner aktuellen, unreifen Form steht im Wettbewerb mit den schwächsten Fiat-Währungen, nicht mit dem US-Dollar, dem Euro oder dem japanischen Yen, und ist trotz seiner Preisvolatilität erfolgreich.

Ist Bitcoins Volatilität ein Problem?

Wir werden oft gefragt, ob Bitoins volatiler Preis nicht eine breite Adoption verhindern wird. Bitcoin ist aus zwei Gründen volatil. Erstens ist das Angebot an Bitcoins fix und reagiert nicht auf Änderungen auf der Nachfrageseite. Zweitens ist es als junge Währung hauptsächlich ein Spekulationsobjekt. Sein Preis ist eine Funktion zukünftiger Wachstumserwartungen (und der Erwartung an die Erwartungen anderer, und so weiter), die sich alle jederzeit ändern können. Am besten denkt man sich Volatilität als temporäre Transaktionskosten. Wenn Bitcoins Marktkapitalisierung wächst, wird sein Wert weniger von der Spekulation bestimmt (weil es in Zukunft weniger Wachstumspotenzial gibt, auf das man spekulieren könnte) als von seinem tatsächlichen Gebrauch. Das wird Bitcoins Volatilität reduzieren und es günstiger in der Verwendung machen.

Man kann dies anfangs vielleicht als ein Henne-Ei-Problem ansehen — Bitcoin braucht mehr Adoption um preisstabil zu werden, aber viele Adoptionsformen setzen Preis-Stabilität voraus. Bitcoin zu benutzen hat aber für verschiedene Menschen einen unterschiedlichen Wert. Der Erfolg von Bitcoin als Geld sollte deshalb nicht daran gemessen werden, wie gut es sich als Zahlungsmittel für Verbraucher eignet. Stattdessen wird Bitcoin zuerst von denen angenommen, die die Kosten ertragen können, weil es ihnen mehr nutzt als die bestehenden Alternativen — oder weil es schlicht keine Alternativen gibt. Mit jeder weiteren Gruppe von Bitcoin-Nutzern wird Bitcoin weniger volatil und billiger zu nutzen, was es wiederum attraktiver macht für weitere Anwendungsfälle, die noch etwas preis-sensibler sind. Ein sich selbst verstärkender Kreislauf! Dass bereits heute Bitcoin trotz seiner Volatilität und Komplexität genutzt wird, ist faszinierend und sollte als uneingeschränkte Vertrauensbekundung des Marktes wahrgenommen werden.

Zusammenfassung

Bitcoin ist ein neues finanzielles Netzwerk mit einem Token (der ebenfalls Bitcoin genannt wird), der sich aktuell in der Monetarisierungs-Phase befindet. In dieser Phase bestimmt sich sein Preis vorrangig aus Erwartungen an zukünftiges Wachstum — es ist deshalb vorhersehbar, dass Bitcoin volatil ist. Trotz der Kosten und der Komplexität nutzen bereits heute Menschen in den Entwicklungsländer Bitcoin, um online unaufhaltbare Transaktionen durchzuführen. Je mehr Menschen es benutzen, desto weniger volatil wird es werden, was wiederum die weitere Adoption beflügelt.

Weil Bitoins Angebotsmenge fix ist (und Ersatzgüter nur sehr schwer herzustellen), ist der Preis heute maßgeblich eine Funktion der Nachfrage, es zu haben. Wir haben drei große globale Trends identifiziert, die auf lange Sicht eine signifikante Nachfrage befördern. Eine Nachfrage, die Bitcoin sehr gut bedienen kann — häufig als einziger Wettbewerber — und der zu einem signifikanten Gewinn für die heutige Besitzer führen könnte.

Danksagung: Vielen Dank an Nic Carter für seine wertvollen Kommentare.

Dieser Artikel ist Teil der Artikel-Serie “Bitcoin für Skeptiker”.

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