I tweet, therefore I am

Sonja
BeChange
Published in
2 min readDec 4, 2018

Evas #1 Erkenntnis aus ihren Erfahrungen im Change-Management? Die Veränderung fängt bei dir an! Auch Martha beginnt ihre Lernreise mit der Frage nach den verschiedenen Persönlichkeitstypen. Im Zentrum einer Veränderung steht oftmals die Suche nach dem eigenen Ich. Können uns digitale Technologien bei dieser Suche helfen?

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Die Kunst des Alleinseins

Ob professionelle Persönlichkeitstests oder esoterische Selbstfindungsworkshops — Unterstützung wird in verschiedensten Formaten angeboten. Doch Selbstreflektion erfordert vor allem eins: Alleinsein. Wie viel Zeit nehmen wir uns, um bewusst alleine zu sein? Nicht viel, sagt der Wirtschaftspsychologe Tony Crabbe. Vor allem Mobiltelefone haben dazu geführt, dass wir jede Minute des Tages mit Aktivität füllen: in der Bahn, in der Schlange im Supermarkt, im Wartezimmer unseres Zahnarztes.

Zur Verarbeitung von Informationen benötigt der Mensch aber auch Phasen des Nichtstuns. Die Soziologin und Persönlichkeitspsychologin Sherry Turkle sagt, dass wir nur so ein stabiles Selbstgefühl entwickeln können. Auch das persönliche Ikigai findet sich nur mit Geduld und Zeit zur Reflektion. Nur wenn wir auf keinerlei äußere Reize reagieren müssen, aktivieren wir den Teil des Gehirns, der eine Wahrnehmung unserer autobiographischen Vergangenheit aufbaut. In der Neurowissenschaft wird diese Region als Default Mode Network bezeichnet.

Algorithmische Selbstanalyse

Laut Turkle gibt es durch soziale Medien eine Verlagerung von Selbstreflektion zur Selbstpräsentation. “I tweet, therefore I am”, entspricht also nicht der ganzen Wahrheit. Wir teilen nur eine Version von uns, die spiegelt, wer wir sein wollen. Dabei laufen wir laut der Psychologin Gefahr, ein falsches Selbstbild aufzubauen.

Möchte ich mich verändern, zeigen mir meine sozialen Kanäle ein permanentes Archiv meiner Vergangenheit. Die Daten, die wir online hinterlassen, bieten auch Möglichkeiten, mehr über uns selbst herauszufinden. Eine ganze Reihe von Apps wie Questions Diary oder Reflecty versprechen, Aufschluss über das wahre Selbst und unseren Gesundheitszustand zu geben. Anhand von Instagram-Daten wollen Forscher sogar Depressionen vorhersagen können.

„Our quantitative selves leave data trails that are the beginning of our stories, not the results, not the conclusions.“ — Sherry Turkle

Ein Algorithmus als der bessere Psychologe?

Nicht wirklich, findet Turkle. Eine App kann uns Zahlen, Daten und Fakten liefern. Es gehe aber vor allem darum, Narrative zu finden und diesen Daten Bedeutung und Kontext zu geben. Es gehe eben nicht darum, die eigenen Aussagen wortwörtlich zu nehmen, sondern Geduld zu haben und sie weiterzudenken. Digitale Technologien bieten keine Abkürzung zur Selbsterkenntnis oder Veränderung, lediglich eine Unterstützung. Den schwierigen Teil können sie uns nicht abnehmen: Zeit und Disziplin.

Weiterführende Literatur

Crabbe, Tony (2015): Busy: How to Thrive in a World of Too Much, New York: Grand Central Publishing.

Turkle, Sherry (2016): Reclaiming Conversation: The Power of Talk in a Digital Age, New York: Penguin Books.

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