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Finanzen in China: Geld als soziales Event

Interview mit SkillRoad

Finanzguru Team
Finanzguru

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Was die Finanzen seiner Bewohner anbelangt, ist China ein Land der Gegensätze: Ausgelassener Konsum steht hier Seite an Seite mit hohen Sparquoten — und mit zunehmender Überschuldung der Privathaushalte, insbesondere in den jüngeren Generationen.¹ Wie das alles zusammenpasst? Wir haben uns mit Robert Reinartz und Fabian Hiller von SkillRoad unterhalten. Als Experten für Human Resource und interkulturelle Kommunikation haben sie sich auf die Vermittlung zwischen Deutschland und China spezialisiert.

Ein Gespräch über Konsum-Kultur im deutsch-chinesischen Vergleich, über finanziellen Familienzusammenhalt und den sozialen Aspekt des Geldausgebens.

Finanzguru: Bekanntermaßen haben die Deutschen ein sehr spezielles Verhältnis zu ihrem Geld. Wie erlebt ihr das während eurer China-Aufenthalte und in der Arbeit mit chinesischen Fach- und Führungskräften, die nach Deutschland kommen: Ist der Umgang mit der Thematik in China ähnlich — oder ist der Kulturschock in dieser Hinsicht doch eher stark?

Robert Reinartz: In China wird die Geldfrage recht schnell gestellt. Für uns ungewohnt schnell — und auch ohne dass es ein „großes“ Thema wäre. Im Gegenteil: Finanzen sind für Chinesen Teil des Smalltalks.

Fabian Hiller: Für ausländische Studenten in China ist das Taxifahren eine gute Gelegenheit, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Klar, das Gespräch beginnt da mit: „Wo willst du hin?“ Aber dann folgt meistens auch schon so etwas wie: „Wo kommst du her? Bist du verheiratet? Und sag mal, wie viel Geld verdienst du?“

Finanzguru: Wusstet ihr das im Vorfeld eures ersten China-Aufenthalts, oder habt ihr an dieser Stelle gemerkt, wie anders die Thematik in Deutschland behandelt wird?

Robert Reinartz: Na ja, wir waren Studenten, als wir zum ersten Mal nach China gereist sind. Da war die Frage nach dem Einkommen schnell beantwortet. (lacht)

Fabian Hiller: Was mich immer wieder amüsiert, ist, dass unsere Einstellung zum Geld eigentlich viel eher kommunistischen Idealen entspricht als die der Chinesen. In China werden Leute nicht um ihr Geld beneidet, und eine Diskussion über soziale Gerechtigkeit, die für uns ja so eng mit dem Thema Finanzen verbunden ist, wird auch nicht angestoßen.

Robert Reinartz: Viel Geld zu haben und das auch zu zeigen, das ist in China nicht verpönt, sondern gesellschaftlich anerkannt. Angesehen sogar. Das iPhone oder der Porsche gehören als Zeichen des Wohlstands einfach dazu.

Finanzguru: Das klingt nach einem starken Kontrast zur Entwicklung, die wir im Westen beobachten. Das Ansammeln klassischer „greifbarer“ Statussymbol scheint für uns ja immer mehr ausgedient zu haben …

Fabian Hiller: Im Vergleich dazu ist die chinesische Gesellschaft ultramaterialistisch. Aber die Statussymbole der Anderen sind dabei nichts, was belächelt oder direkt mit Neid betrachtet wird. Im Gegenteil: Sie werden oft sogar sehr positiv gedeutet. Angenommen, der Geschäftsführer einer Firma kauft sich ein neues Auto. Da würden die Angestellten niemals sagen: „Wie kann er nur! Soll er doch lieber unseren Lohn erhöhen!“

Robert Reinartz: Stattdessen heißt es: „Wow, unser Chef hat sich schon wieder ein neues Auto gekauft!“

Fabian Hiller: Das hat fast schon Barometer-Funktion: Wenn es dem Chef gut geht, geht es der Firma gut. Und wenn es meiner Firma gut geht, dann geht es mir ja auch gut!

Finanzguru: Zugegeben, für Angestellte ist es angenehm, zu wissen, dass ihr Arbeitsplatz sicher ist. Die Zahl der Geschäftsführer und Inhaber ist aber in Relation zur Gesamtbevölkerung eher übersichtlich. Wie kommuniziert die breite Bevölkerung ihre Finanzen?

Robert Reinartz: Genauso offensiv. Der Umgang mit Geld ist in China ein regelrechtes soziales Event. Wenn man zum Beispiel essen geht, ist das Begleichen der Rechnung eine Ehre, um die man sich richtig streiten kann. Wenn ich für alle bezahle, sendet das ja eine eindeutige Message: „Ich kann es mir leisten, mich um alle zu kümmern.“ Und das will natürlich jeder zeigen, unabhängig vom tatsächlichen Einkommen.

Fabian Hiller: Da kann es vorkommen, dass ein Angestellter, der umgerechnet fünfhundert Euro netto verdient, versucht, tausend Euro zu übernehmen. Auch wenn eigentlich alle wissen, dass er sich das nicht leisten kann, greift er nach der Rechnung. Einfach nur, um das Gesicht zu wahren.

Finanzguru: Aber am Ende würde diesem Angestellten vermutlich doch jemand die Rechnung abnehmen, der es sich auch wirklich leisten kann, sie zu begleichen, oder?

Robert Reinartz: Absolut. Alle achten darauf, dass sich die Kosten angemessen verteilen. Wenn eine Gruppe von Freunden, Kollegen oder Geschäftspartnern regelmäßig gemeinsam essen geht, zahlt früher oder später jeder einmal. Aber nach der Rechnung greifen eben trotzdem jedes Mal alle Anwesenden gleichzeitig. Das ist einfach ein Ritual.

Finanzguru: Sich so eindeutig als vermögend zu inszenieren, das klingt nach einem sehr viel zeigefreudigeren Umgang mit den eigenen Finanzen als wir ihn gewohnt sind.

Robert Reinartz: Das geht so weit, dass viele Chinesen ihr eigenes Ausgabeverhalten auch ganz groß zur Schau stellen, offline und online. Ein Paradebeispiel dafür ist Shuangshiyi (双十一), der sogenannte Singlesʼ Day am 11. November.

Robert Reinartz: Shopping-„Feiertage“ werden in China insgesamt sehr gut angenommen, aber der Singlesʼ Day ist nicht nur national, sondern auch weltweit das größte Konsum-Event. Um Längen größer als Black Friday.

Finanzguru: Allein dieses Jahr hat die Handelsplattform Alibaba am Singlesʼ Day umgerechnet 38,4 Milliarden US-Dollar Umsatz verzeichnet. Zum Vergleich: Über das gesamte Thanksgiving-Wochenende 2018 — also über Black Friday und Cyber Monday zusammen! — wurden in den gesamten USA im Onlinehandel nur 14,2 Milliarden US-Dollar umgesetzt.² Wie kommt es am Singlesʼ Day zu solchen Rekorden?

Fabian Hiller: Das hängt einerseits mit der chinesischen Einstellung zum Konsum insgesamt, andererseits aber auch sehr stark mit dem sozialen Aspekt des Geldausgebens zusammen. Die Mobile-Payment-Apps, über die in China inzwischen nahezu alles bezahlt wird, erstellen für diesen Tag eigene Leaderboards. Auf denen kann man dann einsehen, wer in welchem Viertel oder in welcher Stadt am meisten ausgegeben hat.

Robert Reinartz: Da kann man sich mit Freunden und Nachbarn messen und auch herausfinden, an welcher Stelle der Rangliste man gerade steht — und wie viel man noch ausgeben muss, um weiter aufzusteigen. Sicher gibt da mancher auch mehr Geld aus als ursprünglich geplant, nur um noch ein paar Ränge nach oben zu rutschen und zu zeigen, wie gut es ihm geht.

Fabian Hiller: Ich habe Shuangshiyi vor zwei Jahren zum ersten Mal in China miterlebt. Da saß ich schon morgens etwas ungläubig vor meinem Smartphone und hab mich durch Social-Media-Posts gescrollt, in denen Leute erzählt haben, was sie ausgegeben haben. Dem Schwaben bluten da regelrecht die Augen. (lacht)

Finanzguru: Wie sieht es dann umgekehrt mit dem Sparen aus? Nach allem zu urteilen, was man so liest, scheint China doch eine recht hohe Sparquote zu haben. Sie sinkt zwar insgesamt allmählich,³ liegt aber doch immer noch etwa gleichauf mit der Sparquote der Deutschen.Wie passt mit dem Ausgabeverhalten zusammen?

Fabian Hiller: Gute Frage! Wir beschäftigen uns inzwischen ja schon lange mit China und sind regelmäßig vor Ort. Außerdem ist meine Frau Chinesin, sodass ich die kulturellen Unterschiede oft auch in Deutschland live und in Farbe erleben kann. Und trotzdem muss ich sagen, dass mich dieses Nebeneinander von Konsum und Sparen immer wieder verblüfft. Es passt so gar nicht zu dem, was man im Alltag erlebt.

Robert Reinartz: Zumindest teilweise lässt sich dieses scheinbare Paradox dadurch erklären, dass Eltern ihre Kinder finanziell unterstützen — bis ins Berufsleben hinein. Das ist in China ganz normal und sorgt sicher für einen gewissen Geldfluss. Außerdem wandeln sich die Gehälter ganz anders als bei uns. 5–10% Anstieg pro Jahr sind in China nicht ungewöhnlich.

Finanzguru: 5–10%? Von einem so rasanten Anstieg können die meisten deutschen Berufseinsteiger nur träumen.

Robert Reinartz: Die Startgehälter liegen dafür aber auch entsprechend niedrig. Die am besten ausgebildeten Leute im Land, die direkt von den Universitäten in den Beruf einsteigen, verdienen im Schnitt etwa 1.200 Euro im Monat.

Fabian Hiller: Gleichzeitig liegt aber die Miete für eine Einzimmerwohnung in Peking auch bei 800 Euro für 30m². Peking oder Shanghai sind in dieser Hinsicht teurer als München. Viel teurer. Eine Wohnung, die deutschem Standard entspricht, kostet schnell 2.500 Euro. Und da reden wir immer noch von 30m².

Robert Reinartz: Wer günstiger wohnen will, muss raus aus der Stadt. Was dann leicht zu zwei Stunden Pendelzeit jeden Morgen und Abend führt. Viele Berufseinsteiger wohnen deshalb bei ihren Eltern, bis sich ihre Gehälter stabilisiert haben. Und in den Großstädten wird die Wohnung oft von der Familie bezahlt, weil das sonst nicht zu stemmen wäre.

Robert Reinartz und Fabian Hiller, Skillroad

Robert Reinartz und Fabian Hiller sind zwei der Gründer von SkillRoad. Sie helfen Unternehmen dabei, die passenden Fach- und Führungskräfte mit China-Bezug zu finden, insbesondere im Bereich Ingenieurwesen und IT. Die Gründer von SkillRoad sind bestens in der chinesischen und China-bezogenen Community in Deutschland und natürlich auch vor Ort in China vernetzt. So können sie über eine Vielzahl von Akquisekanälen je nach Bedarf sowohl Chines*innen als auch Deutsche mit China-relevanten Kenntnissen und Erfahrungen vermitteln. Darüber hinaus trägt SkillRoad durch interkulturelle Trainings für Unternehmen in beiden Ländern dazu bei, Geschäftsbeziehungen und Zusammenarbeit zwischen Chinesen und Deutschen erfolgreich aufzubauen, nachhaltig zu verbessern und langfristig produktiv zu gestalten.

¹ Vgl. bpsw. https://www.handelsblatt.com/politik/international/serie-global-risk-chinesen-leben-zunehmend-auf-pump/24423958.html?ticket=ST-39986934-FplIbj6NYacX7uWbvP2x-ap1, zuletzt abgerufen am 21.11.2019, 11:08 Uhr.

² Vgl. https://de.statista.com/infografik/11807/umsatz-singles-day-thanksgiving-weekend-im-vergleich/, zuletzt abgerufen a, 26.11.2019, 14:02 Uhr

³ Vgl. https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche,t=verschuldung-privater-haushalte-in-china-steigt-rapide,did=2294768.html, zuletzt abgerufen am 25.11.2019, 18:21 Uhr.

⁴ Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/168325/umfrage/sparquote-privater-haushalte-in-laendern-europas/, zuletzt abgerufen am 25.11.2019, 18:33 Uhr.

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