Tom Kaiser
Marcau Partners
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5 min readApr 3, 2020

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CVC-Serie Kapitel 1: Corporate Venturing vor, während und nach der Krise — «plant the seeds now»

Source: Shutterstock

Historiker, Volkswirte und neuerdings auch Virologen haben eines gemeinsam: sie können hinterher immer gut erklären, warum etwas genauso geschah, wie es geschehen ist. Leider geschieht dies häufig ohne jede Prognosequalität für die Zukunft. Das Geschäft und die Lebensberechtigung eines VCs ist jedoch das Antizipieren der Zukunft oder wie es Albert Einstein treffend ausdrückte: «Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben».

In einigen Jahren werden wir auch zurückblicken und analysieren, um wieviel Prozentpunkte die Investitionen in die Startup-Ökonomie aufgrund der COVID19-Krise zurückgegangen sind. Man braucht nicht Albert Einstein zu sein, um einen Rückgang vorherzusehen. Interessanter wird jedoch rückblickend sein, welche Investorengruppe sich am stärksten zurückgezogen hat und welche die Krise als Chance genutzt hat.

Eine vor kurzem publizierte Crunchbase-Analyse zeigt auf, dass sich in der Finanzkrise 2008 gerade die Gruppe der Corporate Venture Capital Investoren (CVC) stärker und schneller aus dem Markt zurückzog als andere Investorengruppen. Etablierte VCs mit langjähriger Erfahrung hingegen reduzierten ihre Investmentaktivitäten weniger stark oder konnten sogar neue Fonds mitten in der Krise etablieren.

Zwölf Jahre später ist das Feld der CVC wesentlich breiter, das Deal-Volumen im letzten Jahrzehnt kontinuierlich gewachsen. Global erreichte das dokumentierte CVC Deal-Volumen gemäss CBInsights im Jahr 2019 stattliche USD 57 Mrd., eine Verdreifachung seit 2014. Die Zahlen dürften aufgrund nicht publizierter Transaktionen noch höher liegen. Viele dieser CVC-Vehikel sind sehr jung und wenig etabliert. Entsprechend wird sich jetzt die Spreu vom Weizen trennen oder wie es Pradeep Tagare, Leiter des USD $250 Mio. Corporate Venture Fonds von National Grid ausdrückt: «”This is a time when we’ll separate serious corporate investors from what are referred to as tourist CVCs».

Was zeichnet einen Corporate Investor, der es ernst meint, also aus?

Alles beginnt mit den Zielen und Erwartungshaltungen. Wer eine CVC Aktivität in Angriff nimmt, hat erkannt, dass die von aussen auf ein Unternehmen einwirkende Innovationskraft mindestens genauso wichtig ist wie die internen Corporate Development Aktivitäten. Es gibt inzwischen keine Industrie mehr, die nicht die disruptive Kraft, die von neuen Wettbewerbern ausgeht, zu spüren bekommt. Viele dieser Wettbewerber erschienen bis vor kurzem auf keinem einzigen Strategiechart der etablierten Unternehmen. Der Fokus der Corporate Innovation liegt häufig bei sogenannten erhaltenden und sehr selten bei disruptiven Innovationen. Wer von Clayton Christensen’s «The Innovator’s Dilemma» schon genug gelesen hat, dem empfehlen wir einen in 2014 publizierten Artikel von E. Simoudis, der treffend die verschiedenen Innovationstypologien beschreibt.

Über das Zusammenspiel der verschiedenen Innovationsinstrumente oder das Verhindern der Kakaphonie

Es gilt, ausgerichtet auf die gesteckten Ziele die richtige «Orchesteraufstellung» zu finden und die finanziellen Mittel entsprechend zu allozieren. Eine gute Übersicht dazu findet sich in einer BCG-Publikation:

Gerade bei grösseren Unternehmen ist zu beobachten, dass man sehr schnell versucht, auf allen Instrumenten gleichzeitig zu spielen. Die Geschäftsleitung kommt inspiriert von einem Trip aus dem Silicon Valley (oder neuerdings China) zurück, und versetzt das Unternehmen in Aufruhr. In Zeiten, wo die Cashflows im traditionellen Geschäft noch sprudeln, werden planlos Akquisitionen getätigt, intern digitale Transformationsprojekte gestartet, Joint Ventures gegründet, digitale Akzeleratoren und eigene VC-Abteilungen aus der Taufe gehoben. Die perfekte Kakaphonie. Dann kommt die nächste Krise und ein Instrument nach dem anderen verabschiedet sich von der Bühne.

Es empfiehlt sich, schrittweise vorzugehen. Trotz aller disruptiven Kräfte, eine Industrie verändert sich nicht von heute auf morgen. In der Medienindustrie als Beispiel begann die digitale Transformation fast gleichzeitig mit der Ankunft des ersten Webbrowsers Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Es dauerte dann weitere 10–15 Jahre bis Google, Facebook und v.a. auch die Smartphone Technologie — allen voran Apple’s iPhone — die traditionellen Medien-Geschäftsmodelle in arge Bedrängnis brachten. Die europäischen Medienunternehmen, die frühzeitig und kontinuierlich in die digitale Transformation und Diversifikation investierten — gerade auch in Krisenzeiten — gehören heute zu den Gewinnern: Schibsted/Adevinta, AxelSpringer, Bertelsmann, Bonnier, Hubert Burda Media, Ringier, TX Group etc. (s. dazu auch CVC-Serie Kapitel 3: Ringier Digital Ventures — Teil der digitalen Transformation eines Medienunternehmens)

Viele der heutigen Ertragssäulen dieser Unternehmen wurden über Akquisitionen zugekauft. Die nach dem Platzen der Dotcom-Blase und der 9/11-Krise überlebenden, zusehends reiferen Classifieds-Marktplätze waren willkommene Übernahmeziele, deren Wert sich in den letzten 10 Jahren vervielfacht hat. Strategische Akquisitionen standen dabei im Vordergrund. Der Aufbau von professionellen M&A Abteilungen und die Fähigkeit, über Partnerschaften Konsolidierungschancen wahrzunehmen, waren das Gebot der Stunde. Die auch bei Medienunternehmen zahlreichen intern gestarteten Transformationsinitiativen oder Akzelerator-Projekte blieben vielfach fruchtlos und wurden schnell zurückgefahren.

Professionell geführte CVC Einheiten waren nach einer Phase der strategischen Akquisitionen eine logische nächste Entwicklungsstufe. Dahinter stehen drei Haupttreiber:

- Wachsende Konkurrenz bei der Übernahme von attraktiven Wachstumsunternehmen mit steigenden Transaktionspreisen. Reorientierung in Richtung Frühphasen-Beteiligungen.

- Ausbau der Online-Marktplätze zu digitalen Ökosystemen mit sich ergänzenden Services und Funktionen. Kennenlernen und Anbinden von spannenden Partner-Startups.

- Disruptive Marktkräfte bei den eigenen reiferen Digitalunternehmen (v.a. auch bei den Online-Marktplätzen). Frühes Kennenlernen der neuen Geschäftsmodelle.

Kontinuierliche und fokussierte Investitionen stellen dabei ein wichtiges Erfolgsrezept dar. M&A Abteilung und CVC-Einheit stimmen sich eng ab. Der Zweiklang der beiden Instrumente M&A und CVC sowie die fein kalibrierte Abstimmung auf die immer wieder angepasste Unternehmensstrategie sind dabei wichtige Erfolgsrezepte (s. dazu auch CVC-Serie Kapitel 2: Aufbau einer erfolgversprechenden CVC-Einheit). Selbstredend aber nicht selbstverständlich, dass neben der Professionalität der Ausführung durch die für diese Aktivitäten verantwortlichen Personen auch die Kontinuität eine wichtige Rolle spielt. Hier ist die Unterstützung durch die jeweilige Geschäftsleitung, gerade in Krisenzeiten häufiger aber auch durch ein langfristig orientiertes Aktionariat, von zentraler Bedeutung.

Corporate Venturing — jetzt erst recht!

Im Unterschied zur Situation nach den letzten Krisen rund um die Jahrtausendwende und in den Jahren 2007/2008, sind die Erkenntnisse, welche digitalen Geschäftsmodelle funktionieren, heute deutlich gefestigter. Wesentlich mehr Industrien sind inzwischen von der digitalen Transformation betroffen. Nach einer Phase von sehr stark «Bildschirm-basierten» Geschäftsmodellen («App-Ökonomie») folgen nun industriell getriebene Lösungen (IoT, autonomes Fahren, Building Solutions etc.). Industrien rücken in Ökosystemen zusammen (Smart Cities/Villages/Homes). Das bedeutet, dass Startups auf sich allein gestellt häufig weniger schnell vorankommen, als wenn sie dies im Schulterschluss mit Industriepartnern tun. Eine Riesenchance für unternehmerisch getriebene CVC-Aktivitäten!

Der Begriff «Venturing» bedeutet «etwas zu wagen». Die Zukunft ist immer ungewiss. Wer aber gute Planung, Kontinuität sowohl bei den eigenen Unternehmungen als auch bei den handelnden Personen mit stetem mutigem Voranschreiten verbindet, wird nach einer Krise umso besser dastehen. Oder wie es Robert Louis Stevenson ausdrückte: «Don’t judge every day by the harvest you reap but by the seeds you plant».

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