New Work Braucht Inner Work, Teil 3: Sein in Führung

joana breidenbach
New Work braucht Inner Work
4 min readNov 9, 2016

Im ersten Teil dieser Artikelserie beschrieben wir, warum das betterplace lab Team eine Transformation zu einer selbstorganisierten Organisation mit einer flexiblen, kompetenzbasierten Hierarchie anstrebte. Im zweiten Teil beschrieb Joana, welche Aspekte sie durch ihre Rolle als LaBoss abdeckte. In diesem dritten Teil geht es darum, wiederum aus Joanas Perspektive als Gründerin, genauer zu beschreiben, wie sie während ihrer Zeit als Leiterin das Zugehörigkeitsgefühl im Team festigte.

Ich denke, ich bin von meiner Persönlichkeitsstruktur jemand, der sich gut selbst Halt geben kann. Außerdem habe ich im Laufe meines Lebens eine Reihe von Therapien gemacht und meditiere seit sechs Jahren täglich. U.a. mache ich am Anfang vieler Meditation die 3-Synch Praxis, die weiter unten beschrieben wird. Dadurch haben sich mein Selbstkontakt und meine Selbstkenntnis noch weiter entwickelt.

Erst in intensiven Diskussionen mit anderen Menschen, die viel Energie darauf verwenden ihr negatives Selbstbild zum positiven zu wenden, ist mir klar geworden, dass einer meiner größten Kraftfaktoren offenbar darin besteht, dass ich mich selbst grundsätzlich mag. Zudem kann ich bei extremen Gefühlszuständen, wie große Angst oder Panik, meist eine kritische Distanz bewahren und werde selten von ihnen ganz überflutet. Beides, die Selbstakzeptanz und die –distanz lernt man natürlich insbesondere in der Achtsamkeits- oder Meditationspraxis.

Da ich im Laufe meines 50jährigen Lebens schon oft mit Spannungen und Herausforderungen konfrontiert war, gelingt es mir mittlerweile ganz gut Unsicherheiten auszuhalten (auch in schlaflosen Nächten.) Verglichen mit vielen anderen in meiner Umgebung scheine ich eine relativ hohe Toleranzgrenze zu haben: Ich bin sehr gerne mit Menschen zusammen, genieße aber auch Zeit mit mir ganz allein. Es gibt wenige Verhaltensweisen, die mich triggern und ich empfinde mich als ziemlich flexibel.

Für meine Rolle als LaBoss war es wichtig, dass ich selbst immer für mich in Anspruch genommen habe, als ganzer Mensch im Arbeitsumfeld aufzutauchen, statt nur eine spezielle, wohlpolierte Rolle zu spielen. Meine Mitarbeiter sahen, dass ich meine Kinder ins Berufsleben integrierte. Sie haben mit als erste erfahren, als ich vor zwei Jahren mit einer Krebserkrankung diagnostiziert wurde. Sie bekamen mit, was mich freute, verärgerte oder sorgte.

Multiperspektivität

Um ein Team zusammenzuhalten bedarf es natürlich auch der Empathie und Multiperspektivität. Belonging in einem Unternehmen herzustellen ist, wie ich oben geschrieben habe, nicht meine größte Stärke. Ich würde sagen, ich bin da „gut genug“. Ich erwarte von anderen, dass sie sich selbst halten können und bin oft unwillig, wenn es darum geht andere „zu babysitten“. Unser Coach Bettina würde sagen, ich gehe nicht gerne in mir an den Platz, der verletzlich ist und habe deshalb auch nur reduzierte Empathie für die Verletzlichkeit anderer.

Als Kulturanthropologin bin ich seit langem jedoch damit konfrontiert, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Perspektiven haben. In meiner Familie gibt es den Spruch: “‘Normal’, gibt es nicht. Es gibt nur ‚anders’“. Dennoch ist Multiperspektivität für mich auch immer wieder eine Herausforderung. Ich versuche eine Situation oder ein Verhalten nicht gleich zu bewerten, sondern erst mal zu verstehen. Um für unsere betterplace Mitarbeiter ein wirkliches Verständnis zu entwickeln, ist der Verstand aber oft gar nicht die beste Instanz. Mit den Jahren habe ich gelernt, dass es oft besser ist ein Team und seine Dynamik intuitiver zu erfassen. Dafür rufe ich mir zum Beispiel die einzelnen Teammitglieder vor mein inneres Auge und versuche mich in sie hinein zu fühlen. Ich gehe mit einem Stück meiner Aufmerksamkeit von mir weg und öffne mich für das Gegenüber. Vielleicht sehe ich, dass der Mitarbeiter gerade voll unter Leistungsdruck steht. Oder jemand gar nicht in der Lage ist das Team als Ganzes zu erfassen, sondern nur seine eigene Perspektive mitbekommt.

Um das Team enger zusammenzuschließen und einen sicheren Rahmen für unsere Arbeit zu schaffen, sind unsere Retreats in Frankreich ein wichtiges Element. Zweimal jährlich verbringt das ganze Team eine Woche in meinem Haus in Südfrankreich; eine Zeit, in der wir miteinander arbeiten, kochen, joggen und uns über weit mehr als nur unsere Arbeit unterhalten. Manchmal nehmen wir auf diese Retreats auch die Partner und kleinen Kinder der Teammitglieder mit, was noch einmal auf einer anderen Ebene Verständnis schafft.

Team-Retreats in La Haute Carpenee

Zugehörigkeit entstand im betterplace lab Team auch dadurch, dass ich als Gründerin eine starke Vision unserer Arbeit vorlebte und sich Menschen offenbar von diesem Energiefluss angezogen fühlten und an ihn „andocken“ konnten. Auf dieses Element von Führung kommen wir später noch einmal zurück, wenn es darum geht das „Werden/Becoming“ unter die Lupe zu nehmen.

Übung: 3-Synch Meditation

Diese Übung kann zu Beginn einer Meditation, aber auch für sich alleine stehend, durchgeführt werden: Richte Deine Aufmerksamkeit auf drei verschiedene Erfahrungsebenen: Wie fühlt sich Dein Körper gerade an — verspannt, blockiert, weit, offen etc.? Welche Gefühle bewegen Dich gerade — Freude, Ärger, Angst, Leere etc. ?. Und wie steht es um Deinen Verstand — angeregt, inspiriert, eng, wirr etc. ?

Nimm einfach nur wahr, was ist. Versuche nichts zu bewegen, verändern oder analysieren. Mach Dir bewusst inweit Du die drei Ebenen wirklich in Dir differenzieren kannst? Und: Fühlst du sie oder denkst du darüber nach?

Übung: Empathie Kartenspiel Mitarbeiter

Der schwedische Autor und Filmregisseur Kay Pollak erzählt wie es ihm gelingt ein ganzes Arbeitsteam zu koordinieren: jeden Morgen vor der Arbeit nimmt er sich ein selbstgemachtes Kartenspiel vor. Auf den Karten sind Fotos der Teammitglieder. Diese kontempliert er jeweils kurz und stimmt sich auf einen nach dem anderen energetisch ein. Indem er sich auf diese Art das ganze Team auf den inneren Bildschirm holt, kann er wesentlich konstruktiver mit großen Teams arbeiten.

Im nächsten, dem 4. Teil, schildert Bettina, aus ihrer Sicht als Organisationsentwicklerin, wie sie „Sein“ im neuen Team entwickelte, d.h. wie die Zugehörigkeit der Teammitglieder untereinander gestärkt wurde, um Joana als zentrale Führungsperson zu ersetzen.

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joana breidenbach
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