New Work braucht Inner Work, Teil 4: Zugehörigkeit und Sein im Team — die Perspektive der Organisationsentwicklung

bettina rollow
New Work braucht Inner Work
7 min readNov 11, 2016

Nachdem im 3. Teil Joana berichtete, wie sie ihrerseits als LaBoss versuchte ein ausreichend gutes „Belonging“/Zugehörigkeitsgefühl im betterplace lab Team bereitzustellen, hören wir hier von Bettina, der Organisationsentwicklerin. Welche Schritte waren nötig um im Team eine stabile Basis aufzubauen und Joanas Rolle zu ersetzen?

Für den Team Transformer begleite ich das betterplace lab Team seit über 2 Jahre mit einer Reihe von Workshops und Einzelcoachings. Von Hause aus bin ich klassisch ausgebildet — Betriebswirtin und Gestalttherapeutin — und habe auch die meiste Zeit meines Berufslebens in konventionellen Konzernkontexten gearbeitet. Gleichzeitig habe ich mich in meiner Freizeit auch mit vielem Unkonventionellen beschäftigt: vor allem Meditation und Bewußtseinsentwicklung interessieren und inspirieren mich zutiefst.
Auch beruflich über das Klassische und Konventionelle hinaus zu gehen, stand schon immer auf meiner To-Do Liste. Vor zwei Jahren war mir dann klar: ich mache mich selbstständig. Neue Formen der Führung und Zusammenarbeit zu kreieren und die dazugehörigen neuen Kompetenzen aufzubauen ist der Schwerpunkt meiner Arbeit als selbstständige Organisationsentwicklerin. Als Joana vor 2 Jahren auf mich zukam und fragte, ob ich Sie und Ihr Team unterstützen möchte Ihren Rollenwechsel auf Basis von Laloux umzusetzen, war meine spontane Antwort sofort: Ja! Was für ein interessantes Experiment! Ohne genau zu wissen, was wir da denn jetzt genau machen würden.

Das Experiment

Ich habe den Prozess mit dem Team zweistufig konzipiert: Wir sind mit verschiedenen grundlegenden Strukturanpassungen stark basierend auf Laloux gestartet und fingen in einem zweiten Schritt damit an, gezielt verschiedene Kompetenzen im Team zu entwickeln. Die veränderte Teamkultur ist ein Produkt dieser beider Schritte. Im Verlauf des Prozesses überprüften wir immer wieder gemeinsam, welche der Strukturen bereits vom Team als Haltung internalisiert und damit nicht mehr im Außen gebraucht wurden. Vor jedem Prozessschritt entschieden wir neu, wo das Team mich als Beraterin/Coach braucht und wo es eigenständig weitergehen kann. Mir war es wichtig einen Transformationsprozess zu konzipieren, der dem Entwicklungsrhytmus des Teams entsprach und sich nicht von mir als Beraterin abhängig macht.

Alle unsere gemeinsamen Workshops besaßen eine starke Selbsterfahrungskomponente. Ich bin davon überzeugt, dass Erfahrungen, die über das mentale Verstehen hinausgehen, für die Teamentwicklung wesentlich wirksamer und nachhaltiger sind. Dafür ließ ich das Team immer wieder zwischen Kleingruppensettings (3 Personen tauschen sich zu einem Thema gemeinsam aus) und der Großgruppe (bis zu 12 Teilnehmern) wechseln. In einer Kleingruppe kommt jeder zu Wort, das Setting ist intimer und Teilnehmer trauen sich auch Schwieriges anzusprechen. Das in den Kleingruppen herauskristallisierte Essentielle konnte dann in der Großgruppe direkt und offen besprochen werden.

Damit ein Team selbstorganisiert und mit kompetenzbasierter, flexibler Führung arbeiten kann, müssen bestimmte neue Kompetenzen entwickelt werden. Eine neue Kompetenz (z.B. empathisch zuhören) führt zu neuen Kapazitäten im Team (höheres Vertrauensniveau). Die Auswahl der wesentlichen Kapazitäten wiederum basiert auf bestimmten Prinzipien, die ich als Voraussetzung für „New Work“ sehe. Eine dieser zentralen Prinzipien ist die oben schon Joana angesprochene Polarität zwischen „Zugehörigkeit/Sein“ und „Inspiration/Werden“

Zugehörigkeit und Sein

In diesem Absatz geht es um den ersten dieser Pole.
Eine „New Work“ Organisation braucht ein solides und jederzeit abrufbares Zugehörigkeitsgefühl. Dieses schafft die Basis, den Container, in dem sich Kreativität entfalten kann, Entscheidungen produktiv getroffen und Spannungssituationen gut gehalten werden können. Ohne einen Chef, der diesen Container für Mitarbeiter bereitstellt, müssen alle Mitarbeiter sich mit dem Team wirklich identifizieren und den gemeinsamen Bezugsraum aktiv gestalten und halten. Ein Team, das einen solchen Container bereitstellt ist auch in der Lage Führung flüssig immer an den zu übergeben, der gerade die höchste Kompetenz besitzt.

Bei meinen ersten Begegnungen mit dem Team erlebte ich eine Gruppe inspirierter, motivierter Menschen, die auf den anstehenden Transformationsprozess jedoch unsicher reagierten, ohne darüber miteinander zu sprechen. Es wurde deutlich, dass die meisten Teammitglieder primär auf Joana bezogen waren. Kam es zu Spannungen war sie die erste Ansprechpartnerin. Ohne sie tendierte das Team dazu bei Konflikten auseinanderzufallen und Fronten zu bilden. Das Team hatte keine gemeinsame, von LaBoss unabhängige, Vision und Strategie. Einzelne Teammitglieder beklagten, sie wüssten eigentlich gar nicht so recht, wofür ihre Organisation genau stünde. Unterschiedliche Mitarbeiter brachten ihre jeweils eigenen Kompetenzen und Besonderheiten mit ein, ohne dass diese sich zu einer kollektiven Teamstruktur synchronisierten. Joanas Führungsstil war sehr darauf ausgerichtet Innovation, „Spark“ und „Edgyness“ zu fördern. Da sie selbst ein starkes Autonomiebedürfnis hat, ging sie auf die unterschiedlichen Zugehörigkeits- und Sicherheitsbedürfnisse einzelner Teammitglieder nicht besonders ein.

Mit dem Team Transformer gewannen die oben genannten Fragmentierungstendenzen eine neue Relevanz. Wir mussten einen Bezugsraum, einen gemeinsamen Container erarbeiten, der Selbstorganisation und eine flexible kompetenzbasierte Führung ermöglichte.

Wie würde eine gelungene Transformation aussehen? Jedes Teammitglied fühlt sich der Organisation zugehörig, kennt seinen Platz und ist gleichzeitig flexibel genug um Veränderungen mitzumachen. In der Gruppe herrscht Vertrauen; jeder fühlt sich sicher genug, um sich mit seiner ganzen Kompetenz, aber auch mit seinen Limitierungen einzubringen. Jeder kann also als ganzer Mensch auftauchen. Das Team ist dialogfähig: die Kommunikation ist wertschätzend, offen, direkt und ehrlich. Meetings sind bereichernd und belebend. Es gibt eine gemeinsam erlebte und getragene Vision und Strategie, die jedes Teammitglied individuell für sich ausgestalten und nach außen vertreten kann. In Konflikten und Spannungssituation bleibt das Team stabil, klar und weitsichtig.

Welche neuen Kompetenzen braucht es?

Um sich sicher und zugehörig zu fühlen, bedarf es sowohl individueller Fähigkeiten des Mitarbeiters, als auch einer unterstützenden Teamkultur. In unseren Workshops arbeiteten wir an beiden Ebenen. Auf individueller Ebene ging es dabei um vier Aspekte:

das „Grounding“ des Einzelnen zu stärken

  1. die Fähigkeit mit sich selbst in einem guten Kontakt zu sein
  2. die Fähigkeit mit dem anderen in gutem Kontakt zu sein (Empathie) und
  3. die Fähigkeit zur Multiperspektivität

Auf Teamebene ging es hauptsächlich darum, das gegenseitige Vertrauen zu stärken und eine offene und vertrauensvolle Kommunikationskultur zu üben.

Die ausgewählten Fähigkeiten basieren auf den Prinzipien der Transparenten Kommunikation nach Thomas Hübl. Transparente Kommunikation ist für mich der innere Prozess, der dem zugrunde liegt, was Laloux als Fähigkeit bezeichnet in Gruppen als „ganzer Mensch aufzutauchen“. Die Fähigkeit des Einzelnen sich seiner selbst bewusst zu sein und aus diesem Bewusstsein heraus mit der Welt in Kontakt zu treten. Transparente Kommunikation liefert hierzu eine Methodik und zahlreiche Übungen (s. Kasten), die wir im Team Transformer erfolgreich genutzt haben.

Hier stelle ich eine Reihe der Basisübungen, die wir im Team Transformer genutzt haben vor. Alle basieren auf Transparenter Kommunikation nach Thomas Hübl. Alle Übungen steigern die Transparenz, Konfliktfähigkeit und die Qualität des Dialogs im Team. Dadurch wird der Container und das Vertrauen gestärkt, was wiederum Innovation und Flexibilität entfaltet.

Übung: Grounding
Grounding ist meine Fähigkeit mit meiner Basis verbunden zu sein und stabil im Leben zu stehen. Um an dem eigenen Grounding arbeiten zu können, ist es notwendig zu wissen, wie gegroundet ich gerade bin. Dafür starten wir in Meetings und Workshops mit einer fünf minütigen Stille. Jeder ist für sich und spürt in seinem Körper nach, wie er gerade sitzt/steht/liegt. Erlebst Du in Dir ein Gefühl von Ruhe, Gelassenheit, Wärme oder fühlst Du Dich wackelig, gehetzt oder fällt es Dir schwer Dich zu fokussieren? Im zweiten Schritt spürt jeder in seine Füße und/oder sein Becken und achtet darauf tief zu atmen. Für die meisten Menschen setzt dadurch Entspannung und Grounding ein. Meetings, die so beginnen sind tendenziell fokussierter und die einzelnen Teilnehmer haben eine gute Basis für Kontakt — mit sich selbst und den anderen.

Übung: Selbst-Kontakt — Listening-Circles in 2 Runden
Die Gruppe wird in 3er, 4 er oder 6er Gruppen eingeteilt. In der ersten Gesprächsrunde geht es um die Selbstverortung: Z.B. Wie geht es mir gerade im Team? Wie stabil ist der Team Container und was benötige ich von ihm? Wie empfinde ich das Projekt an dem ich arbeite? Der Listening Circle startet mit 2 Minuten stiller Selbstreflektion. Danach beantwortet jeder 2–6 Minuten (je nachdem wieviel Zeit in die Übung investiert werden kann) die jeweilige Frage und die anderen hören nur aufmerksam zu.
In der zweiten Runde erzählt jedes Teammitglied wie sie die erste Runde erlebt hat. Wie ist es mir dabei ergangen? Was war meine größte Erkenntnis etc.? Die anderen hören wieder nur zu.
Ziel der Übung ist es, dass jedes Teammitglied sich selber in Bezug auf zentrale Themen selbst reflektiert und diese Erkenntnisse mit den anderen teilt. Alle werden gehört und alle hören allen zu.

Übung: Empathie — Sharing Circles
Um Empathie im Team zu fördern wird die oben beschriebene Listening Circle Übung um ein Sharing bzw. Feedback erweitert. D.h. die Gruppe wird wieder in Kleingruppen unterteilt und jeder spricht zu einem ausgewählten Thema. Dieses Mal gibt es weiter 2–6 Minuten in denen die Übungspartner sich entweder dazu äußern, was in ihnen vorgegangen ist, während sie zugehört haben (Sharing) oder dem Sprechende ein Feedback geben (eine Beobachtung oder neue Information, die unabhängig vom eigenen Erleben wahrgenommen wurde). Die Sharing Circles erweitern den Kontakt im Team vom Selbstkontakt zum Kontakt mit dem anderen auf eine empathische und rezeptive Art und Weise.

Übung: Multi-Perspektivität
Übungen zu Multiperspektivität sind für Teams, die bereits eine gute Basis in Selbstkontakt und Empathie haben. Die Gruppe teilt sich wieder in Kleingruppen und es wird wieder ein Thema zur Reflektion ausgesucht. Innerhalb der Kleingruppe (z.B. in einer Triade) werden Personen A, B und C ausgesucht. Person A reflektiert ein Thema. Die anderen hören zu. Dann soll Person B wiedergeben, was er/sie aus der Perspektive von Person A über das Thema sagen kann. Ziel ist es nicht inhaltlich das Gehörte zu wiederholen, sondern sich in Person A hinein zu versetzen und die Welt aus deren Augen zu sehen und aus deren Perspektive zu sprechen. Oft entstehen hier für Person A nochmal neue Erkenntnisse zum Thema. Person C gibt ein Feedback dazu, in wiefern es Person B gelungen ist, die Perspektive zu wechseln. Dann wechselt das Setting zu Person B spricht, Person C wechselt die Perspektive und Person A gibt Feedback usw.. Ziel dieser Übung ist ein Bewusstsein dafür zu schärfer:

  1. Wie schwer es ist abseits der Sachebene sich wirklich in den anderen hineinzuversetzen und wie oft wir das, was wir hören mit unserem eigenen mischen.
  2. Wenn wir wirklich multi-perspektivisch mit einander interagieren, welche neuen Informationen uns um Teamprozess zur Verfügung stehen.

Im nächsten und 5. Teil unserer Artikelserie beschreibt Bettina die hier skizzierten Kompetenzen noch mal im Detail.

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