New Work braucht Inner Work, Teil 6: Wie bringe ich Neues in die Welt?

joana breidenbach
New Work braucht Inner Work
4 min readNov 11, 2016

In den beiden vorherigen Artikeln (4 und 5) beschrieb Bettina, die Organisationsentwicklerin, welche Arbeit notwendig war, um dem betterplace lab Team eine gute Basis zu geben. Diese ist Grundvoraussetzung für die Innovation und Kreativität, die die Arbeit des betterplace labs ausmacht. In diesem 6. Teil schildert Joana, wie sie diese Aspekte während ihrer Zeit als LaBoss erfahren hat.

Wie werde ich innovativ?

Ich hatte weiter oben erwähnt, dass eine wichtige Basis für den Zusammenhalt im betterplace lab meine klare Ausrichtung auf unsere Mission und Vision war. Dazu kam, dass es uns offensichtlich gelungen war, gute Ideen zu entwickeln und diese so umzusetzen, dass sie eine Strahlkraft entwickeln konnten.

Becoming/Werden geschieht in Stufen: zuerst gibt es einen Visionsprozess, auf den dann die Umsetzungsphase folgt. Beides ist enorm wichtig um Neues in die Welt zu bringen und Zukunft zu gestalten. In meiner Biographie sieht es rückblickend so aus, als ob ich sowohl fortlaufend neue Ideen gehabt hätte, als auch diese konkret in Projekte und Produkte umsetzen konnte. Dabei vergisst man dann leicht die vielen versandeten Ideen und gescheiterten Projekte. Aber hier soll es ja um positive Kapazitäten gehen

Inspiration, Ideengenerierung

Wie sieht der Schritt der Inspiration konkret aus? In meiner Tätigkeit als Anthropologin hatte ich ein gutes Gespür dafür Themen frühzeitig zu identifizieren, darüber zu forschen und schreiben (Kulturelle Globalisierung, Nicht-westlicher Massentourismus etc.). Auch im betterplace lab fiel es mir nicht schwer neue Themen zu sehen. Ich beobachte konkrete Phänomene in meiner Umgebung, z.B. dadurch, dass ich in bestimmten Themenfeldern viel und divers lese, d.h. den Informationstrichter weit öffne. Aus der Vielfalt der Themen und Formate gibt es bestimmte, die in mir einen Sog erzeugen. Wenn ich einen Text lese, jemandem zuhöre etc. merke ich ziemlich schnell, ob es mich „zieht“ oder nicht. Wenn sich die Dinge, mit denen ich in Resonanz gehe, häufen, setzt sich eine Schicht über die andere. Wie bei einem Boden entstehen verschiedene Sedimente und ab irgendeinem Punkt entsteht eine neue konkrete Idee, die oft auf den angesammelten „fremden“ Ideen aufbaut, diese erweitert oder verändert.

Eigene Ideen entstehen meist in Situationen, in denen das sogenannte „lockere Denken“ vorherrscht. Das sind meistens unstrukturierte Zeiten — klassischerweise unter der Dusche, beim Spazierengehen, Tee zubereiten oder meditieren. Momenten, in denen viel Freiheit und Raum für Assoziation herrscht. Thomas Hübl spricht davon, dass jeder Mensch seine individuelle Balance zwischen Struktur und offenem Raum hat. Struktur bezieht sich auf meine habituellen Gedanken, meine Gewohnheiten und Konditionierungen — alles was aus der Vergangenheit kommt und mir Stabilität und Sicherheit gibt. Offenere Raum, auf der anderen Seite, ist meine intuitive Fähigkeit dem Leben, Augenblick für Augenblick, auf frische und neue Art zu begegnen. Im offenen Raum entstehen neue Ideen wie Aha-Momente, “geniale” Einfälle, überraschende, wirklich neue Eingebungen — hier bin ich nicht von meiner Vergangenheit geprägt, sondern kommuniziere quasi mit der Zukunft.

Die Idee zum betterplace lab Trendradar entstand während eines Gesprächs mit meinem Mann Stephan in den Ferien in Frankreich, das Lab Around The World tauchte vor meinem inneren Auge beim Lesen eines Artikels in einem Cafe in Portland auf. Diese Ideen tauchen ohne Vorwarnung in meinem Kopf auf. Das heißt aber nicht, dass sie völlig planlos sind. Ich kenne einige Voraussetzungen für Inspiration und achte darauf, dass mein Leben dafür ausreichend Platz hat: Dazu gehört das breite und „wilde“ Lesen von Blogposts und Büchern, ebenso wie das Hören von Podcasts während des Joggens und in der S-Bahn.

Guter Ort für Inspiration: Lobby des Ace Hotels in Portland, Oregon

Als sehr produktiv hat sich auch meine tägliche Meditationspraxis erwiesen: immer wieder fallen mir aus der Leere regelrechte Perlen in den Schoß. Extrem wichtig empfinde ich auch die Praxis mich in sehr unterschiedlichen sozialen Settings aufzuhalten und eine Art Kreuzbefruchtung zwischen ihnen vorzunehmen: ein Besuch im Ministerium kann, gekreuzt mit einer Diskussion zwischen Sozialunternehmern und dem Lesen eines wissenschaftlichen Artikels zu einer neuen Idee führen. Ebenso lege ich wert darauf nicht nur auf einer „Ebene“ zu arbeiten: d.h. während meiner Zeit als LaBoss hatte ich zwar einige Leitungsfunktionen, aber genauso schrieb ich Trendtexte und Blogposts oder war in sehr konkrete organisatorische Abläufe eingebunden. Dieses Hin- und Herpendeln zwischen Perspektiven und Ebenen empfinde ich als sehr befriedigend und produktiv.

Um neue Ideen zu generieren finde ich es oft wenig sinnvoll, die Zielgruppe, für die man etwas entwickeln möchte, zu befragen. Der Imaginationsraum der Zielgruppe ist oft eher ein limitierender Faktor; wenn die Menschen wüssten, was sie bräuchten, hätten sie es sich im Zweifel schon selbst beschafft. Ebenso beschränke ich mich beim Visionieren nicht auf betterplace, sondern entwickle gerne auch Ideen für andere, mir bekannte Organisationen. Wenn man sich für ein Denken außerhalb der Schubladen öffnet ist das ganz natürlich. Und da es mir ja um das Thema an sich — das soziale Problem vor uns — geht, wäre ein Denken innerhalb den Grenzen der eigenen Institution sogar völlig kontraproduktiv. Meine Bereitwilligkeit für andere mitzudenken, überrascht offenbar einige Menschen, bzw. wird teilweise sogar misstrauisch beäugt (als wenn ich hinten herum doch noch einen eigenen Vorteil aus dieser Großzügigkeit ziehen würde. Was natürlich stimmt, denn das Leben ist so viel schöner:-).

Im nächsten Teil beschreibt Bettina wie das Team seine Innovations- und Manifestationskraft stärkte.

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joana breidenbach
New Work braucht Inner Work

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