In schöner Gefahr

TEXTL.net
11 min readSep 14, 2015

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Blendles Grundidee: Artikel aus Zeitschriften und Zeitungen einzeln verkaufen. Bei Nicht-Gefallen retournieren und Geld zurück.

Bei write2gether interessiert uns das Blendle-Modell aus Gründen. Im März schrieb ich (Betriebsblogger Fritz Iversen) dazu:

“Blendle bietet One-Stop-Shopping für Einzelartikel. Dadurch kann Blendle etwas schaffen, was keine Zeitung allein könnte — einen einfachen, schnellen Zugang zu Themen … Solange jede Zeitung ihren eigenen E-Shop betreibt, ist das Angebot zersplittert bis zur Unzugänglichkeit. Für die Leser ist es zu schwierig, … die persönlich relevanten Artikel zu finden. Auch Google ist da keine große Hilfe …“

Jetzt nutze ich Blendle seit 2 Wochen. Wirklich gerne. Und ich habe einen Verdacht: Blendle ist weniger harmlos, als manche glauben, wenn sie nur kurz mal vorbeischauen.

Zwei gute Nachrichten und eine Komplizierte

Die gute Nachricht für die Leser: Ihr seid endlich frei in Euren Entscheidungen. Ihr müsst nie mehr eine ganze Zeitung kaufen, wenn Euch nur ein Artikel stark interessiert.

Die gute Nachricht für Zeitungsverleger: Ihr macht jetzt Umsätze auch mit den Lesern, die Eure Zeitung oder Zeitschrift nicht kennen oder nicht komplett kaufen wollen, schon gar nicht jahrgangsweise.

Fehlt noch die gute Nachricht für Journalisten. Die ist komplizierter. Und — möglicherweise — disruptiv, weil Blendle eine Gefahr ist für …

  • … die tägliche Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit,
  • … die Freude am bloßen Regalauffüllen der Seitenraster,
  • … das Verlassen auf die eigene Zeitungsmarke als Überlebensstrategie.

Blendle ist für bequeme Journalisten und rückwärtsorientierte Verlage also nicht ganz unproblematisch.

Für alle anderen Journalisten aber die größte Chance seit 15 Jahren, dass ihre Arbeit wieder Relevanz für Leser gewinnt. Wieso das so ist, werde ich hier mit einigen Punkten begründen.

Es könnte Stress geben

Neue Bezahlmodelle werden anfangs gerne unterschätzt. Doch sie können Märkte „disruptiv“ umpflügen (siehe z.B. Uber).

Die Erlösstruktur des Pay-Journalismus befindet sich sowieso in der Existenzkrise. Da kann ein für die Kunden komfortableres Bezahlmodell mehr Rückwirkung auf das Angebot haben, als man zunächst erwartet, zumal es den neuen Nutzungsgewohnheiten der Netzleser viel näher ist als das aus der Printwelt stammende Abo.

Entsteht da ein neues Betätigungsfeld für den professionellen Journalismus?

Der erste Rundgang hinterlässt leichte Skepsis

Es gibt Punkte an der Applikation, die mir nicht gefallen.

Ich könnte darüber meckern, wie schwer ich es finde, durch diese Decke der am meisten ans Herz gedrückten Artikel durchzudringen zu den Artikeln, die für mich relevant sind.

Oder: Die Inhaltsverzeichnisse der Zeitungen und Zeitschriften sind nicht lesbar, funktionslos und werfen einen zurück in die analoge Welt.

Als ich einen bestimmten Artikel im SPIEGEL lesen will, fange ich an zu blättern wie beim Zahnarzt. Da merkt man, die Anwendung ist teilweise in Print hängengeblieben. Es fehlt an funktioneller Digitalisierung.

Egal. Ich bin lieber positiv.

Ich hatte bereits verschiedene schöne Erlebnisse mit Blendle.

Einfache Verfügbarkeit von bisher nicht Verfügbarem ist ein Fortschritt, für den ich dankbar bin.

Mein schönstes Blendle-Erlebnis ist aber …

Ich habe einen Artikel im Eichsfelder Tageblatt gelesen

Eichsfeld kannte ich gar nicht.

Tatsächlich ist das Eichsfelder Tageblatt eine Dependance des Göttinger Tageblatts. Welches eine Dependance der Hannoverschen Zeitung ist. Und das gehört zur Madsack GmbH.

Also doch ein Medienriese. Aber das kann nicht die theoretische Einsicht beflecken …

Es ist in Zukunft egal, in welcher Zeitung ein Artikel steht, solange er für Leser relevant ist und die Leser eine Chance haben, dies zu bemerken

Wusste man schon vorher. Buzzfeed — das hätte auch das Eichsfelder Tageblatt machen können.

Und Google, Twitter, Facebook distribuieren sowieso alles, was entsprechend optimiert ist, egal woher es kommt …

  • „In the future I don’t have to find the news, the news will find me”.

Der Poster-Spruch von „Journalismus-in-der-Krise“-Konferenzen, der aber bei näherem Hinsehen höchstens die halbe Story ist.

Ja, „News“ kriegen wir in ozeanischen Mengen …

  • über die Sammel-Apps („Aggregatoren“) Middle-of-the-Road-Stoffe und Promi-Schrott ohne jede persönliche Relevanz,
  • über Social Media das Aufgebuzzelte, Infotainment & Schrott,
  • über Zeitungs-Apps Nachrichten-Alarme, die sich immer häufiger durch brennende Unwichtigkeit auszeichnen,
  • über Youtube, Blogger, News-Projekte im Netz, etc., etc., etc.

Aber setzen Sie einmal statt „news“ das Wort „article“ ein. Oder Bezahl-Content. Auf einmal haben Sie es mit einer Utopie zu tun …

  • „In Zukunft muss ich nie lange nach dem (Bezahl-)Content suchen, der für mich relevant ist, der findet mich automatisch.“

Schön wär‘s.

Nur Evernote bastelt mit Verlagspartner Nikkei an einer Lösung in dieser Richtung. Allerdings für spitze Zielgruppen (Wirtschaft & Finanzen).

Blendle hätte eine gute Chance, alle möglichen granularen Nutzergruppen durch mehr persönliche Relevanz und viel bessere Auffindbarkeit von Themen zu steigern, allerdings nicht solange die Plattform im Analogen steckenbleibt.

Wenn Blendle eine Nischenplattform ist, dann für die wichtigste Marktnische überhaupt

Blendle wirkt wie ein Angebot für Zeitungs-Junkies und „Info-Elite“. Also ein Nischen-Angebot.

Benjamin O’Daniel denkt, dass vor allem Ehemalige angesprochen werden — ehemalige Abonnenten und ehemalige Gelegenheitskäufer an Kiosk und Tankstelle. Die können hier wieder alles durchblättern und gegebenenfalls ein Stückchen kaufen.

Blendle glaubt, jüngere Zielgruppen neu an Bezahlinhalte heranführen zu können.

Bleibt alles abzuwarten. Entscheidend erscheint mir dieser Punkt:

  • Blendle-User sind die Menschen, die der professionelle Journalismus in den Mittelpunkt seiner Überlebenshoffnungen stellen muss — zahlende Leser.
  • Menschen, die eigene Interessen haben und Geld zahlen, wenn sie etwas Bestimmtes lesen wollen.

Wer im Netz sich etwas zu lesen kauft, ist ja nicht technisch Zurückgeblieben. Artikel kaufen Menschen, die an den Themen stark interessiert sind.

Umgekehrt kann man mit Menschen, die nichts für Nachrichten oder Reportagen zahlen wollen, auch immer weniger verdienen. Grund: Die Werbe-Preise fallen, vor allem auf Smartphones. Hohe Reichweite bleibt etwas Schönes, aber lohnt noch der Aufwand, den man damit hat?

So adressiert Blendle einen Markt, der eventuell 80 Prozent oder 90 Prozent kleiner ist als der Gesamtmarkt der Nutzer von redaktionellen Inhalten. Aber dieser Markt ist derjenige, der erreicht werden muss, wenn sich die redaktionelle Arbeit als solche rentieren soll.

Blendle schafft dafür erstmalig eine echte Chance.

Blendle aggregiert die spitze Zielgruppe der zahlungsbereiten Leser

Der ideale Newsroom, wie sich ihn ein Newsroom-Consultant vorstellt.

Blendle ist die erste Plattform, die genau dafür und für diese Menschen geschaffen wurde, und sie muss nicht die einzige bleiben.

Es muss sich noch zeigen, wie viele Menschen dazu zu zählen sind.

Offiziell nutzen monatlich rund 35,5 Millionen deutsche User die hiesigen Verlagsseiten. Wenn 10% von diesen 35,5 Millionen gelegentlich einzelne Artikel kaufen …

Es könnte richtig buttern. Und welche Rückwirkung hätte das auf die „Produktionssphäre“?

Überlegung: Sie wollen mit einem einzigen Artikel 50.000 Euro Umsatz erzielen. Dazu müssen Sie 70.000 Käufer auf Blendle finden, im Verlauf von zwei Wochen. Ihnen ist klar: Chefkommentare, Reportagen über mittelrelevante Tagesthemen, überhaupt all die kleinen täglichen oder wöchentlichen Füllartikel schaffen das nicht. Wie muss ein Nr. 1 Umsatzhit beschaffen sein? Thematisch? Inhaltlich? Sprachlich?

Die Antwort werden wir erleben und sie wird die neuen Herausforderungen sichtbar machen, die Blendle für Journalisten und Redakteure bedeuten.

In den Niederlanden sollen bereits einzelne Artikel eines Spezialmagazins für Jogger (Auflage 35.000) nach einer Empfehlung viral nachgefragt worden sein.

Virale Schubkräfte erfassen ja jeden Tag irgendwelche Inhalte im Internet, aber gab es schon einmal viralen Paid-Content?

Prüfthese: Blendle kann mit deutschsprachigen Artikeln 500 Millionen Euro p.a. umsetzen

Eine freche Behauptung meinerseits. Sie dient dem Spiel der Gedanken. Unter welchen Voraussetzungen wären solche Umsatzerwartungen nicht zu hoch gegriffen?

Gehen wir von einer aktiven User-Basis von 4,5 Millionen Menschen aus (Blendles User können außer in D-A-CH auch in Australien, China, USA, Russland, Spanien leben).

Dann würden durchschnittlich 10 Euro pro Monat Leseausgaben genügen, um diese fantastische Summe zu erreichen. Jeden Tag 0,8 Artikel oder so etwas.

Davor liegen zwei Hürden

Erste Hürde: Blendle ist eine Charakterprobe auf die jüngere deutschsprachige Mittelschicht. Ein Sozialexperiment.

Scheitert Blendle, wäre dies ein Warnhinweis, dass die Ansprüche der Menschen an Umfang und Tiefe ihrer eigenen Informiertheit erlahmt sind.

Ich vermute, für die Kapitulation der Schriftkultur ist es zu früh. Es gibt genug Leser. Die Menschen lesen im Netz sogar mehr und Vielfältigeres als je zuvor. Viele lesen auch weit mehr journalistische Inhalte als in den früheren Zeiten.

Die Nachfragehürde sollte also eigentlich zu nehmen sein. Aber: Die Bezahlwürdigkeit scheint gelitten zu haben.

Und damit komme ich zur zweiten, der echten Hürde.

In den Zeitungen und Zeitschriften stehen zu viele inhaltsleere Sätze

Markus Böhm (SPIEGEL) hat die ambivalenten Gefühle, die das Blättern eines kaufbereiten Lesers selbst in Spitzenerzeugnissen der deutschen Zeitungsbranche auslösen kann, neulich so beschrieben:

„In jedem Fall regt Blendle auch Menschen abseits der Medienbranche an, über den Wert von Texten nachzudenken.“

„Beim virtuellen Durchblättern der Hefte … stellte ich mir mehrfach die Frage, welche Inhalte ich wirklich interessant finde und welche ich nur lese, weil sie in Heften einfach vorhanden sind und ich in dem Moment nichts Besseres zu tun habe.“

Tja. Blättern wie beim Zahnarzt.

„Auch Menschen abseits der Medienbranche“ hätte ein Fall für Karl Kraus sein können.

Denn diese Menschen ohne Branchenkontakt, nicht selten ganz normale Empfänger durchschnittlicher Gehälter, plagen sich nach Miete, Auto, Reisen, Kleidung, Essen und Smartphone-Kosten schon länger mit dem „Wert von Texten“ herum.

Die Menschen fragen sich beim Blättern: „Was interessiert mich hier denn noch?!“ Und wenn jeder einzelne Artikel einen halben Euro oder mehr kostet, wird die Frage dringlich und gebiert harte Abwahl vieler Artikel, die Chefredakteure heute noch für ganz tauglich finden, in die Ausgaben gehoben zu werden.

Ich habe das bei Blendle so gespürt, dass ich regelrecht nach einem Artikel suchen musste, der mir für die ungetrübte Freude des Bezahlens geeignet erschien.

Ohne Rückgaberecht würde bei Blendle daher vermutlich wenig laufen. Doch auch mit dieser Option sucht ein Blendle-Leser nach Inhalten, die ihn deutlich interessieren. Und je höher der Preis, desto relevanter muss der Artikel für mich sein.

Nur gratis liest man jeden Quatsch.

Und damit seht Ihr, welche lodernde Gefahr mit Blendle kommt: Die Gefahr, dass die User bemerken, dass viele Texte ihnen zu wenig Wert bieten.

Die 500 Millionen Blendle-Umsatz pro Jahr sind erreichbar, sobald die Journalisten schreiben, was für „Menschen abseits der Medienbranche“ relevant ist …

Das ist eine Sensation. Und eine steile Treppe, die minimierte Redaktionen kaum noch hoch kommen können.

Erst einmal müssten die Verlagsgeschäftsführer jetzt erschreckt feststellen, dass sie seit einigen Jahren strategisch auf dem falschen Dampfer fahren.

Denn der Kernpunkt ist:

  • Blendle verändert die Beziehung zwischen der Arbeit der Journalisten und den Leserinnen und Leser.
  • Die Arbeit der Redaktion gewinnt wieder an Bedeutung.

„Was haben wir morgen für Blendle?“ könnte zu einer Leitfrage in den Redaktionskonferenzen werden

So soll es früher gewesen sein: Intensiver Austausch über Relevanz, statt Social Media Monitoring bis zur Selbstaufgabe aller redaktionellen Eigenimpulse.

Ein überraschender Umkehrschub in der Geschichte des Niedergangs des professionellen Journalismus.

Man kann es kaum glauben. Viele Redaktionen wurden stromlinienförmig ans Reichweite-Kloppen angepasst. Jetzt plötzlich die Chance, mit Artikeln ganz anderer Qualität direkt Geld zu verdienen.

  • Die in eher langsamen Prozessen erarbeitete Qualität der redaktionellen Produktion, präziser gesagt: des jeweiligen konkreten Artikels, spielt auf Blendle plötzlich wieder die zentrale Rolle …
  • sie ist Teil des Kaufarguments, des „User Benefits“.

Welche „Qualität“? Bluff-Headline, seichtes Tralala, Zeilenschinderei, Lockbilder, Stimmungsmache gehören jedenfalls nicht dazu und fallen an Umsatzkraft hinter einem fach- und sachhaltigen Artikel in „Runners World“ zurück.

Kommt da leichter Angstschweiß auf?

Muss nicht sein. Es gibt noch Abonnenten. Und es gibt noch Pflege der Markenbekanntheit durch hohe Reichweite.

  • Aber darunter tut sich jetzt eine neue Existenzform für journalistische Inhalte auf.

Die kann noch mehr weit mehr Dramatik bekommen, sobald weitere Plattformen für nicht verlagsgebundene Einzelartikel entstehen (z.B. für Freie Journalisten oder Fachautoren) — oder Blendle wird doch noch richtig digital.

Es ist ziemlich neu (Richard Gutjahr hat damit schon experimentiert), dass ein Journalist sein Geld wie ein Buchautor dann einspielt, wenn er strikt inhaltlich arbeitet und kundenbezogene Relevanz schafft.

Und wenn er weiß, mit welchem Grund und für wen er sich an die Arbeit macht, und der den Lesern etwas geben will fürs Geld.

Ich würde erwarten, dass diese Refinanzierungschance von professionellem Journalismus in den Kalkulationen, Redaktionsbesprechungen und Prozessen nicht ohne Folgen bleiben kann.

„Aber was wird denn dann aus unserer Zeitungsmarke?“

Die Bedeutung der Zeitungsmarke sinkt.

Der relative Abstieg des Zeitungs-Logos als Verkaufsargument hat vielleicht auch eine befreiende Entwicklung. Warum?

(1) gibt es eine Chance, fraktaler zu denken, weil ein Artikel nicht mehr unbedingt nur in die Zeitung passen muss — einzelne Artikel können künftig mehr Leser außerhalb als innerhalb der Stammleserschaft finden.

(2) In den vergangenen 10 Jahren haben die Verleger den ererbten Wert Ihrer Zeitungsmarke ausgebeutet und den Wertschöpfungsanteil der Redaktion immer tiefer gesetzt.

Die Kaufleute haben immer schmerzhafter in die redaktionelle Organisation eingegriffen und Redaktionen gekillt.

Mussten sie vielleicht. Aber jetzt sollten sie das lieber lassen.

Auf Blendle gibt es für schwache Artikel keinen „Markenschutz“ mehr …

Ererbtes Image kann noch affine Leser und Gewohnheitskunden anziehen. Es kann aber keinen Artikel mehr vor der Rückgabe schützen, wenn er dem Leser nichts „gibt“.

Bis heute dürfen sich viele Artikel hinter der „Zeitungs-Marke“ verstecken. (Daher in den letzten Jahren mancher Spott über den „Qualitäts-Journalismus“.) Markenschutz für die Redaktion ist komfortabel, attraktiv fürs Selbstwertgefühl, schafft Platz für Volontäre, erlaubt, den jeweils billigsten Freelancern den Job zu geben.

  • Blendle macht redaktionelle Entscheidungen jenseits des Titelthemas direkt ertragreich.

Auf Blendle wird ja nach Relevanz selektiert und das kann sich bezahlt machen. Hoffentlich.

„Das Geschäftsmodell muss hin zum Fokus auf den zahlenden Kunden“

Die Entwicklungen, die Blendle anstoßen kann und gut sind für 500 Millionen Umsatz pro Jahr oder noch viel mehr, liegen schon lange in der Luft.

Gastautor Veit V. Dengler, CEO der NZZ-Mediengruppe, schreibt im SPIEGEL:

„Der Fokus für das Geschäftsmodell muss weg vom Produkt — egal ob Zeitung oder Website — hin zum Fokus auf den zahlenden Kunden und dessen Bedürfnisse.“

Und Michael Haller von der Hamburg Media School schrieb vor Kurzem, als er sich mit der Frage beschäftigte, warum junge Leser die Angebote der Zeitungen so wenig nutzen:

„Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass der Stoff, aus dem die Zeitungen ihre Nachrichten bauen, aus Sicht der jungen Leute kaum Relevanz besitzt. … Man bräuchte die Medien nicht neu zu erfinden, man müsste sie zielgruppen- und interessens­gerecht aufbereiten und kanalrichtig ­anbieten … Ein Teil der Akzeptanzprobleme wird durch die … nicht hinreichend attraktiven Angebote verursacht.“

Es ist ein oft geäußerter Irrgedanke, Leser-Relevanz ließe sich durch irgendetwas ersetzen.

(Lese-Content im Netz ist übrigens durchaus ein Milliardengeschäft. In Berlin gibt es einen Anbieter, der verkauft Interview-Transscripte für 850 Dollar das Stück. Zeitungen und General-Interest Zeitschriften haben an Paid-Content bislang einen ungenügenden Anteil — es fehlt am Kaufgrund Nummer 1, Relevanz für Kunden.)

Auf den zahlreichen Sonnenuntergangs-Diskussionen ums Krisenthema „Journalismus — wie geht es jetzt weiter?“ hört man viel darüber, mit welchen Gehhilfen man sich dauerhaft auf den Beinen halten könnte.

Mehr Video, mehr emotionales Story-Telling, mehr „Longform“ mit hoher Wertanmutung, mehr „snackable“ News für die überhetzten Jungleser, mehr „Marke“ für die Restkunden-Bindung, mehr Zusatznutzen für Neu-Abonnenten etc.

Alles schön und gut, und alles sekundär.

Glanzeffekte stellen keine Abgrenzung zum Gratis-Content her. Und daher auch keine steigende Zahlungsbereitschaft.

Pausenfüller gibt es milliardenfach.

Blendle funktioniert nur, wenn die Abgrenzung zur Gratis-Welt auch inhaltlich klar ist (tatsächlich gibt es dort noch Artikel mit Preisschild, die parallel gratis im Netz stehen).

Bei Blendle fallen die Daseinsgründe der Journalisten auf einmal wieder zusammen mit den wichtigsten Kaufargumenten der Kundschaft:
a) Relevanz, b) etwas Unbekanntes erfahren.

Ich bin gespannt, ob die Zeitungen und Zeitschriften die Blendle-Chance nutzen und weiterdenken (wie integriert sich Blendle z.B. mit Facebook?) oder ob sie aus erworbener Zaghaftigkeit und innerer Zerrissenheit mit den unverkäuflich gewordenen Abo-Modellen ihrem Downtrend treu bleiben.

Die Bremskräfte würde ich (ähnlich wieO’Daniel, der die Preissetzungen etwas chaotisch findet) auf der Kaufmannseite vermuten.

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